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Verbindlichkeit als Einstieg
ОглавлениеZu seinem Wort stehen
Klartext beginnt mit Verbindlichkeit im Alltag. Doch eine klare und verbindliche Kommunikation ist bei Weitem nicht alles, was ich unter Klartext verstehe. Aber wer die Verbindlichkeit im Businessalltag schon nicht draufhat, der braucht sich mit Klartext als Unternehmensstrategie gar nicht erst zu beschäftigen. Verbindlichkeit fängt mit Kleinigkeiten an. Zum Beispiel, nicht zu sagen: »Sie hören von uns.« Sondern: »Ich melde mich bis nächste Woche Mittwoch mit einer Entscheidung.« Verbindlichkeit bedeutet, nicht zu sagen: »Das klingt interessant.« Zumindest dann nicht, wenn die Wahrheit ist: »Ich habe überhaupt kein Interesse.« Oder: »Ich kann mir das nicht leisten.« Oder: »Ich weiß längst, dass mein Chef dagegen ist und ich bei ihm nicht durchkommen werde.«
Verbindlichkeit hat so ziemlich mit allem zu tun, worüber ich mich bisher in diesem Kapitel ausgelassen habe. Wer verbindlich sein will, der muss erstens einen Standpunkt haben. Wer keinen Plan hat, der kann nicht verbindlich sein. Über was sollte er sich mit anderen dann auch einig werden? Verbindlichkeit bedeutet zweitens, zu seinem Wort zu stehen. Einzulösen, was man versprochen hat. Und zwar auch dann, wenn der Wind zwischenzeitlich dreht. Auf Wikipedia-Deutsch klingt das so:
Verbindlichkeit bezeichnet die Konsequenz, Ausdauer bzw. Standhaftigkeit, mit der eine Person – teils unter widrigen Umständen – zu einer Zusage oder Absichtserklärung (zusammenfassend »Versprechen« genannt) steht, die sie einer anderen Person oder anderen Personen gemacht hat.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Verbindlichkeit – 10.2.2015
Die Amerikaner drücken es weniger kompliziert aus: Walk your talk. Mach, was du angekündigt hast. Und nicht plötzlich und grundlos etwas anderes.
Unverbindlichkeit ist ärgerlich, aber harmlos, solang nichts auf dem Spiel steht. Nehmen wir noch einmal die Geschichte von dem potenziellen Kunden, der mich nach meinem Angebot über ein halbes Jahr lang hingehalten hat. Ich war am Ende sauer, aber letztlich ist mir kein Schaden entstanden. Ich habe einfach andere Aufträge für andere Kunden gemacht. Mir konnte das egal sein.
Verantwortung übernehmen
Schlimmer ist das schon für eine neue Mitarbeiterin in einer Werbeagentur, die nach zwei Dritteln der Probezeit vom Chef hört, alles sei super und man plane langfristig mit ihr. Daraufhin zieht sie mit Ehemann und Kindern von der einen Ecke Deutschlands in die andere – eben dahin, wo die Agentur sitzt –, um eine Woche vor dem Ende der Probezeit vom Chef zu erfahren, dass er sie jetzt doch nicht mehr so toll findet und rausschmeißt. Wer jetzt sagt: »Hätte sie halt die komplette Probezeit abwarten müssen«, der hat nicht kapiert, worum es geht. Gesetze und Vorschriften sind gut und schön, aber ein Wort, auf das man sich verlassen kann, ist unabdingbar dafür, dass es in Unternehmen rundläuft. Richtig kritisch wird es dann, wenn es um Tausende Arbeitsplätze und um Milliardenwerte geht, die man entweder erhalten oder vernichten kann.
Gibt es Karstadt noch, wenn dieses Buch gedruckt ist? Wenn ja, würde es fast an ein Wunder grenzen. 2010 kam mitten in der Krise ein schillernder Investor, bekam den Konzern vom Insolvenzverwalter praktisch geschenkt und versprach Mitarbeitern, Kunden und Gläubigern das Blaue vom Himmel. Was für eine tolle Marke! Welch eine Tradition! Was für ein Potenzial! Die Deutschen sind ja immer selig, wenn ein Amerikaner mit Privatjet und Picasso-Sammlung über irgendetwas Deutsches ins Schwärmen gerät. Doch war hier irgendwo Klartext zu hören? Gab es irgendwelche wirklich verbindlichen Zusagen? Fehlanzeige!
Vier Jahre später schrieb die Wirtschaftswoche:
Eine feine Sache: Jemand sagt, ich bin Milliardär, ich bin Investor, ich bin selbstlos und ich verstehe etwas von Wirtschaft, von Geld und von Firmensanierung. Und die aus der langjährigen Karstadtkrise kaum schlauer gewordenen Verantwortlichen, die das Sagen über den Karstadtkonzern hatten, sagen umgekehrt zu diesem: Wir schenken dir, Investor, das Unternehmen für einen Euro und zu Traumtänzerbedingungen: Du musst selber kein Risiko eingehen, du musst nicht investieren, wenn du nicht willst, du kannst also gar keine Verluste machen, aber umgekehrt wenn – gegebenenfalls wider Erwarten – eines Tages doch Gewinne entstehen, dann sind diese Gewinne deine Gewinne, lieber Herr bescheidener Milliardär.
Quelle: http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/bettina-roehl-direktberggruen-macht-sich-laecherlich/10200034-2.html – 01.04.2015
Besser kann man den Wahnsinn kaum auf den Punkt bringen, der hier abgelaufen ist. Und besser lässt sich auch kaum zeigen, was mit dem Thema Klartext alles verbunden ist, denn die Ereignisse bei Karstadt stellen das krasseste Gegenteil von Klartext und Verbindlichkeit dar, das sich denken lässt. Da übernimmt jemand ganz unverbindlich die Verantwortung für 17.000 Mitarbeiter. Aber nur, solang die Medien ihn lieb haben. Als es öffentlich Kritik hagelt, reicht er sein Konzernchen weiter. Man kann schon froh sein, dass er Karstadt nicht bei den Ebay-Kleinanzeigen unter »Zu verschenken oder für 1 Euro« inseriert hat.
Klartext beginnt also mit Verbindlichkeit im Alltag und hört da auf, wo es ums Ganze geht. Ohne Klartext geht es nicht.
FAZIT
Reflektieren, sich für einen Standpunkt entscheiden, diesen verständlich nach außen tragen, sich der Diskussion stellen, nicht sofort einknicken und trotzdem offen dafür sein, die eigene Meinung zu ändern – das ist Klartext, wie ich ihn verstehe. Oder besser: Das sind die Grundlagen von Klartext. Zu den einzelnen Klartext-Prinzipien komme ich später noch. Wer jederzeit verpflich tet ist, klare und verbindliche Aussagen zu machen, der ist auch gezwungen nachzudenken. Denn Verbindlichkeit setzt einen Standpunkt voraus. Und um einen Standpunkt zu haben, muss ich reflektieren. Das heißt: Ich sollte reflektieren, statt mir meine Meinung irgendwo zu borgen. Klartext setzt Bewusstheit und Reflexion voraus. Sie sehen: Wir sind mit dem Thema Klartext noch nicht fertig. Aber das Buch ist auch noch nicht zu Ende.