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4 Die übergeordnete Fragestellung als Dreh- und Angelpunkt
ОглавлениеVom Stichwort zum Unterrichtsthema
Im Lehrplan 21 zum Fachbereich NMG finden sich zu den einzelnen Kompetenzstufen Stichworte zu verbindlich zu behandelnden Inhalten (z. B. «Lebensmittelverschwendung»), Stichworte zur freien Auswahl durch Lehrerinnen und Lehrer (z. B. «Znüni», «Zvieri», «einfaches Essen») oder gar keine Angaben. Auch Zeitschriften für die Praxis des Unterrichts in NMG[47] betiteln ihre Ausgaben oft mit knappen Stichworten wie «Tod und Trauer», «Insekten», «Weltraum», «Ernährung», «Leben in alter Zeit», «Vom Rad zum Roboter», «Spuren der Kindheit», um nur einige Beispiele der letzten Jahre zu nennen. Dasselbe ist anzutreffen, wenn anstatt Zeitschriften handelsübliche Unterrichtswerkstätten betrachtet werden – überall wird von Stichworten ausgegangen. Wie wir bereits am Beispiel eines Themenhefts zu «Wasser» gesehen haben, können daraus Probleme entstehen wie eine hohe Beliebigkeit der Inhalte und daraus resultierendes unverbundenes «Inselwissen» bei den Lernenden. Ginge man stattdessen als Unterrichtsthema von einer übergeordneten Fragestellung aus, liessen sich diese Probleme vermeiden.
Welche Vorteile bringt es, ein Unterrichtsthema, ob zentriert auf nur eine fachliche Perspektive oder perspektivenübergreifend, in Form einer übergeordneten Fragestellung zu formulieren?
•Eine übergeordnete Frage dient als roter Faden oder als Klammer einer Unterrichtseinheit. Einzelne Unterrichtssituationen des Unterrichtsprozesses stehen dadurch «in einem thematischen Zusammenhang […], der mit der Beantwortung der Frage seinen vorläufigen Abschluss findet»[48].
•Der Unterricht dient weniger der Vermittlung von kanonisiertem Wissen als der gemeinsamen Suche nach möglichen Antworten. Eine Frage als roter Faden einer Unterrichtseinheit stimuliert somit Bildungsprozesse, da sie diese «als sinngebend und sinnerschliessend erleben lässt»[49].
•Übergeordnete Fragestellungen legen den Fokus auf einen exemplarischen, bildungsrelevanten Sachverhalt und filtern dadurch die zur Sprache kommenden inhaltlichen und methodischen Beiträge der fachlichen Perspektiven.
Die übergeordnete Fragestellung dient in erster Linie der Lehrperson, um auf der Grundlage des Lehrplans das Unterrichtsthema zu definieren und die daraus resultierenden übergeordneten Lernziele und zentralen Inhalte herauszuschälen. Ob die übergeordnete Fragestellung unverändert den Schülerinnen und Schülern bekannt gegeben wird, ist von der Lehrperson von Fall zu Fall zu klären, da dies von der Stufe, vom Vorwissen usw. abhängt.
Tabelle 4 Unterscheidung von Stichwort, Bildungsinhalt und übergeordneter Fragestellung (vgl. Tänzer 2010) | |
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Stichwort (Schlagwort, Gegenstand) | Stichworte wie «Apfel», «Wasser» oder «Schokolade» sind noch nicht nach pädagogischen und fachdidaktischen Gesichtspunkten ausgewählt und geprüft und können somit nicht unterrichtsleitend sein. |
Bildungsinhalt (Bildungspotenzial) | «Wasser» als Stichwort oder Inhalt wird dann zum Bildungsinhalt, wenn sein pädagogisches und fachdidaktisches Potenzial innerhalb der Trias Kind–Sache–Gesellschaft ausgelotet wird: Inwiefern hat «Wasser» eine exemplarische Bedeutung für das Welterschliessen der Kinder? |
Übergeordnete Fragestellung (Unterrichtsthema) | Aufbauend auf der Bestimmung des Bildungsinhalts eines Stichworts wie «Wasser» ist das Unterrichtsthema das Ergebnis von Ziel- und Inhaltentscheidungen bezogen auf den konkreten Unterricht in Form einer übergeordneten Fragestellung, z. B. «Ist Wasser kostbar?» |
Bevor an Beispielen gezeigt wird, wie sich aus Stichworten konkrete Unterrichtsthemen in Form übergeordneter Fragestellungen formulieren lassen, sollen die Begriffe «Stichwort», «Bildungsinhalt» und «Übergeordnete Fragestellung» geklärt werden (siehe Tab. 4).
Unter «Stichwort» wird ein Sachverhalt verstanden, der noch nicht aus pädagogischer Sicht betrachtet worden ist.[50] Erst wenn die Fragen, Vorstellungen und Denkweisen der Kinder und die inhaltlichen und methodischen Angebote der fachlichen Perspektiven von NMG ins Spiel kommen, kann das Bildungspotenzial des zur Auswahl stehenden Stichworts herausgearbeitet werden. Als Suchraster bietet sich die in Abbildung 3 dargestellte didaktische Trias Kind–Sache–Gesellschaft an.[51] Ist man dem Bildungspotenzial eines Stichworts auf die Spur gekommen, ist der nächste Schritt die Formulierung des eigentlichen Unterrichtsthemas in Form einer übergeordneten Fragestellung.
Ausgangspunkt für die Formulierung übergeordneter Fragestellungen kann eine inhaltliche Angabe in Form eines (verbindlichen oder unverbindlichen) Stichworts aus dem Lehrplan 21 für NMG sein (z. B. «Lebensmittelverschwendung») oder ein von der Lehrerin oder dem Lehrer selbst gewähltes Stichwort (z. B. «Dinosaurier», siehe unten).
Wie oben beschrieben, besteht bei der Unterrichtsplanung ein erster Schritt in Richtung übergeordneter Fragestellung zunächst darin, mögliche Bildungsinhalte anhand der didaktischen Trias zu bestimmen. Der Aspekt «Kind» bezieht sich auf Begründungen zum Begriff der Lebenswelt, der Aspekt «Sache» geht von den inhaltlichen und methodischen Angeboten der fachlichen Perspektiven von NMG bzw. vom Akteurswissen beteiligter Akteure aus, der Aspekt «Gesellschaft» hat den Bildungsbegriff als Grundlage (siehe Abb. 3). Zwischen den drei Eckpunkten des Dreiecks bestehen jeweils Spannungsverhältnisse, so zum Beispiel zwischen «Kind» und «Sache». Auf der einen Seite stehen Fragen, Bedürfnisse, Vorwissen, kurz die Sichtweise der Kinder von der Welt, die für sich allein genommen zur Begründung von Bildungsinhalten nicht genügen. Auf der anderen Seite steht das inhaltliche und methodische Wissen der wissenschaftlichen Disziplinen von NMG (die «Sache»). Für Kahlert besteht die Aufgabe von NMG gerade darin, Kindern fachlich belastbares Wissen und Können zugänglich zu machen. Aber ohne Bezug zur kindlichen Lebenswelt wäre dieses Wissen steril.[52] Hinzu kommt – als zweites Spannungsverhältnis –, dass dieses Wissen und Können auch relevant sein sollte, um einen Beitrag zum Weltverstehen der Kinder zu leisten, zum Beispiel im Sinne von Heymanns Teilaufgaben von Bildung (siehe Tab. 3). Die Überlegungen zur Bildungsrelevanz stehen ihrerseits in einem dritten Spannungsverhältnis zu den individuellen und persönlichen Lebensentwürfen der Kinder. Aus dem Zusammenwirken dieser drei Bereiche des Dreiecks und unter Berücksichtigung der bestehenden Spannungsverhältnisse lassen sich mögliche Bildungsinhalte bzw. darauf aufbauend übergeordnete Fragestellungen (Unterrichtsthemen) von NMG bestimmen.
Die perfekte, allen Kriterien gerecht werdende Fragestellung gibt es allerdings nicht. Das Finden einer übergeordneten Fragestellung kann vielmehr als ein Annäherungsprozess verstanden werden mit dem Ziel, eine Balance zwischen den drei Eckpunkten der didaktischen Trias zu erreichen.[53] Wird dieser Anspruch im nachfolgenden Beispiel eingelöst?
Dinosaurier als Unterrichtsthema?
Am Beispiel des Stichworts «Dinosaurier» kann die Anwendung der didaktischen Trias zu folgenden inhaltlichen Aussagen führen:[54] Ausgehend vom Blickpunkt «Kind» lassen sich drei «Dinosaurier-Welten» unterscheiden. Die grausige, schreckliche Welt (Godzilla)[55], die nette, süsse Welt (Littlefoot)[56] und die reale Welt (Ausstellungen in Museen). Für alle fachlichen Perspektiven von NMG (Blickpunkt «Sache») sind relevante Wissensbestände und Fragestellungen zu finden. Für den Bereich Räume, Zeiten, Gesellschaften (RZG) könnten dies beispielsweise Fundorte, Periodisierungen, Überreste und Rekonstruktionen, Dinosaurier als Teil einer Populärkultur usw. sein. Für den Blickpunkt «Gesellschaft» kann die gerade speziell auf Kinder ausgerichtete Kommerzialisierung des Gegenstands «Dinosaurier» und der damit zusammenhängende Dino-Kult als Beispiel genannt werden. Diese wenigen Überlegungen weisen darauf hin, dass das Stichwort «Dinosaurier» einen potenziellen bildungsrelevanten Gegenstand von Unterricht darstellt.
Ausgehend von den Überlegungen zum Bildungsinhalt des Stichworts «Dinosaurier» könnte die übergeordnete Fragestellung für eine vier- bis fünfwöchige Unterrichtseinheit in einer dritten/vierten Klasse lauten: Wie echt sind Dinosaurier wirklich?. Um zu klären, ob die übergeordnete Fragestellung geeignet ist, das Unterrichtsthema zu erschliessen, können, wieder angelehnt an die Trias Kind–Sache–Gesellschaft, folgende Prüffragen benutzt werden:
•Ist die Fragestellung anschlussfähig an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler? Ist sie bedeutsam für die Gegenwart und Zukunft der Kinder? Die Frage, ob ein Gegenstand oder eine Frage echt oder fiktiv ist, beschäftigt Kinder schon sehr früh. Fasziniert stehen sie vor einem in einem Museum ausgestellten Gegenstand, wenn ihnen gesagt wird, dass er «echt» ist. Allgemein stellt die Fähigkeit, fiktives von gesichertem Wissen unterscheiden zu können, eine zentrale überfachliche Kompetenz dar.
•Hat die Fragestellung das Potenzial, bildungsrelevant zu sein (z. B. im Sinne der Teilaufgaben von Bildung nach Heymann)? Die Fähigkeit, fiktives von gesichertem Wissen unterscheiden zu können, zielt vorwiegend auf die Teilaufgaben «Lebensvorbereitung» und «Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch» (siehe Tab. 3). Die Auseinandersetzung mit dem Wandel populärwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Vorstellungen zu einem Thema ermöglicht allgemeine Einblicke in die Art und Weise, wie Wissen entsteht, und fördert die Einsicht in dessen Vorläufigkeit.
•In Bezug auf den Lehrplan: Lässt sich die Fragestellung aus den Kompetenzen von NMG herleiten? Obschon im Lehrplan 21 als inhaltliches Stichwort nicht aufgeführt, lässt sich das Unterrichtsthema perspektivenübergreifend an verschiedene Kompetenzbereiche des Lehrplans sinnvoll anbinden (siehe Abb. 4).
•Können durch die Fragestellung elementare Wissensbestände mehrerer Perspektiven von NMG erschlossen und zueinander in Beziehung gesetzt werden im Sinne eines perspektivenübergreifenden Unterrichts? Oder: Können Akteure identifiziert werden, die neue und andere Wissensbestände und Sichtweisen zur Beantwortung der Frage beisteuern können im Sinne eines transperspektivischen Unterrichts? Die Fragestellung kann nur unter Beiziehung unterschiedlicher fachlicher Wissensbestände befriedigend angegangen werden (siehe dritten Punkt).
•Ist die Fragestellung komplex und kann deshalb weder mit einer einfachen Zustimmung noch Ablehnung beantwortet werden? Enthält sie Spannungsfelder zwischen unterschiedlichen Interessen oder zwischen Haupt- und Nebenfolgen von Entscheidungen oder Verhaltensweisen? Durchaus, da eine einfache und abschliessende Antwort bei dieser Fragestellung nicht möglich ist: Eine Diskussion um «echt» oder «fiktiv» ist schon aus erkenntnistheoretischen Überlegungen nicht einfach zu führen.
Die knappe Beantwortung der Prüffragen bestätigt, dass es tatsächlich pädagogisch sinnvoll sein könnte, wenn sich Schülerinnen und Schüler über längere Zeit mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern Dinosaurier echt sind. Ausgehend von der übergeordneten Frage und einer darauf basierenden Sachanalyse könnten Schülerinnen und Schüler unter anderem untersuchen, wie und warum sich die Darstellungen von Dinosauriern im Laufe der Zeit verändert haben. Zentrale Ziele eines an dieser übergeordneten Frage ausgerichteten Unterrichts lägen dann darin, die Herkunft unseres Wissens und unserer Bilder zu hinterfragen und über Grundlagen für die Unterscheidung zwischen Realem und Fiktivem nachzudenken. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass dieses Unterrichtsthema aufgrund der übergeordneten Fragestellung das Potenzial besitzt, Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, «Phänomene und Zusammenhänge der Lebenswelt wahrzunehmen und zu verstehen, selbstständig, methodisch und reflektiert neue Erkenntnisse aufzubauen, Interesse an der Umwelt neu zu entwickeln und zu bewahren, anknüpfend an vorschulische Lernvoraussetzungen und Erfahrungen eine belastbare Grundlage für weiterführendes Lernen aufzubauen, in der Auseinandersetzung mit den Sachen ihre Persönlichkeit weiter zu entwickeln sowie angemessen und verantwortungsvoll in der Umwelt zu handeln und sie mitzugestalten»[57].
Perspektivenübergreifendes Sachlernen in Kindergarten und Unterstufe?
Es ist in diesem Text wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich der Unterricht in NMG auf Wissen und Methoden von Fachperspektiven bezieht. Kann und soll dieser Anspruch auch auf den ersten Zyklus, also Kindergarten und Unterstufe, bezogen werden? Sind vier- bis achtjährige Kinder überhaupt in der Lage, sich mit komplexen, perspektivenübergreifenden Fragen auseinanderzusetzen? Oder anders formuliert: Welche Voraussetzungen bzw. Kompetenzen brauchen Kinder, um sich mit solchen Fragen beschäftigen zu können?
Die Bedingungen und Ansätze für das Sachlernen in Kindergarten und Primarstufe unterscheiden sich in einigen Aspekten erheblich voneinander. So stehen im Kindergarten eng auf die Lebenswelt und den motorischen, ästhetischen, kognitiven, emotionalen, sozialen und persönlichen Entwicklungsstand bezogene Zugänge im Vordergrund. Die Stärken dieses Ansatzes sind die hohe Beobachtungskompetenz der Kindergärtnerinnen und Kindergärtner in Bezug auf die individuellen Prozesse der Kinder, die Berücksichtigung der Komplexität der Lebenswelt und der Entwicklung der Kinder und eine grundsätzlich kindzentrierte Didaktik und Pädagogik, die sich durch hohen Alltagsbezug auszeichnet.[58] Lernen findet oft noch beiläufig statt, zum Beispiel beim Beobachten, Imitieren, Mitmachen, im Gespräch und im freien Spielen. Erst später bzw. nach und nach wird dieses eher beiläufige Lernen durch ein systematisches, von äusseren Lerninhalten geprägtes Lernen abgelöst, und die Schülerinnen und Schüler werden fähig, inhaltlich und methodisch mit fachspezifisch ausgerichteten Aufgaben umzugehen.
Wie soll der geschilderte Übergang konkret im Fachbereich NMG vollzogen werden? Wie sollen die oft beiläufigen (zufälligen), selbsttätigen und spielerischen Formen des Lernens im Kindergarten zu absichtsvollen und fachbezogenen Lernprozessen innerhalb des Fachbereichs NMG der Primarstufe werden? Der Perspektivrahmen Sachunterricht nennt folgende überfachliche Fähigkeiten, Wissensbestände und Einstellungen, die in frühen Lernprozessen erworben werden und dann im NMG-Unterricht der Primarschule weitergeführt und systematisiert werden sollen:[59]
•Explorieren und Erfahren: Die Kinder erkunden die Welt und ihre Phänomene eigenaktiv und werden sich ihrer Erfahrungen bewusst, indem sie mit anderen kommunizieren. Um nicht nur Wissen zu erwerben, sondern auch Bewegungslust, Aufgeschlossenheit, Lust am Ausprobieren, Ausdauer usw. zu entwickeln, brauchen Kinder unterschiedliche anregende, offene und attraktive Angebote und Spielräume.
•Implizites Wissen und Begriffsbildung: Frühkindliches implizites Wissen ist zunächst körperlich begründet. «Es ist», so der Perspektivrahmen, «insoweit auch Bewegungs- und Aktionswissen und kommt in Eindrücken, Empfindungen und Wahrnehmungen zum Ausdruck, die Kinder unmittelbar an den Begegnungen und Phänomenen gewinnen. Es gründet in lebensweltlich vermittelten Bedeutungen und Wertigkeiten, in sozialen Beziehungen und Alltagspraktiken.»[60] Dieses Wissen ist Voraussetzung für die sprachliche Entwicklung und für begrifflich-abstrahierendes Denken. Dadurch sind Kinder dann in der Lage, ihr implizites Wissen anderen mitzuteilen und ihre Vorstellungen zu natürlichen und sozialen Phänomenen ihrer Umwelt zu erklären.
•Nachdenken und Reflektieren: Die bereits im Kleinkindalter vorhandenen sprachlichen und nichtsprachlichen Fähigkeiten können durch anregende Lernumgebungen aktiviert und weiterentwickelt werden. Unterschiedliche Unterrichtsangebote im ästhetischen und musischen Bereich können Kinder darin unterstützen, «Distanz zu ihren Erfahrungen zu suchen, sie im Medium einer begrifflich-abstrahierenden Sprache als Sache und Gegenstand zu gewinnen und ordnend zu überschauen»[61]. Dabei geht es darum, dass Kinder ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen nutzen und weiterentwickeln.
•Erfahrungen objektivieren, Ko-Konstruieren, Ordnen: Objektivierung von Wissen in dem Sinne, dass kulturelle «belastbare» Wissensbestände kritisch genutzt werden, fusst auf subjektiven Fähigkeiten, wie zum Beispiel einen eigenen Standpunkt zu beziehen und zu begründen und die eigene Sicht mitzuteilen. Das Sammeln, Ordnen und Klassifizieren von Gegenständen regt die Kinder an, ihre eigenen Erfahrungen und Sichtweisen mitzuteilen und die Erfahrungen anderer Kinder kennenzulernen und zu verarbeiten.
Eine ähnliche Absicht verfolgt der Lehrplan 21 für den Fachbereich NMG mit der Formulierung von neun «entwicklungsorientierten Zugängen» für den Beginn des ersten Zyklus, das heisst, zumindest für die zwei Jahre Kindergarten. Dadurch soll einerseits sichergestellt werden, dass der Unterricht auf dieser Stufe überwiegend fächerübergreifend organisiert und gestaltet, und andererseits, dass «eine Brücke von der Entwicklungsperspektive zur Fachbereichsstruktur des Lehrplans»[62] geschlagen wird. Im Verlauf des ersten Zyklus rücken dann die fachbereichsspezifischen Inhalte von NMG zunehmend in den Vordergrund, wobei sich in der Unterrichtspraxis «die entwicklungsorientierte und die fachorientierte Herangehensweise verbinden, vielfältig variieren und kombinieren. Beide Zugangsweisen bleiben miteinander verknüpft»[63].
Studien im Rahmen einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung weisen darauf hin, dass Sieben- bis Achtjährige bereits (vorwissenschaftliche) Vorstellungen zu komplexen Themen besitzen.[64] Kinder dieses Alters beschäftigen sich bereits mit Themen wie der Pflege von Obstbäumen oder benennen Folgen und suchen nach Lösungen, wenn es um den Kauf von Spielzeugen geht. Aufgrund ihres Alters und Vorwissens haben sie zu gewissen Sachgebieten noch widersprüchliche und unausgewogene Vorstellungen. Entscheidend ist, dass dieses Vorwissen durch Unterricht verändert, angereichert und differenziert wird. Ein eindrückliches Beispiel für einen solchen Unterricht stammt aus dem Umfeld der sogenannten Reggio-Pädagogik. Am Beispiel der Frage, wie eigentlich ein Schatten entsteht, ermöglichen die Erzieherinnen vier- bis sechsjährigen Kindern, «mit der Welt zu flirten»[65]. Sie bieten den Kindern vielfältige Erfahrungen an, die ihre Lust am Lernen, am Wahrnehmen und Verstehen fördern und entwickeln sollen.[66] Ein anderes Unterrichtsbeispiel zeigt auf anschauliche Weise, wie bereits mit Schülerinnen und Schülern der zweiten und dritten Klasse komplexe Themen kindgerecht angegangen werden können. Anhand der übergeordneten Fragestellung «Was ist ein gutes Spielzeug?» beschäftigen sich acht- und neunjährige Kinder mit vielperspektivischen Aspekten nachhaltiger Entwicklung.[67]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vom Lehrplan 21 formulierte Anspruch an den NMG-Unterricht, Kinder in ihrer Annäherung an die Welt zu unterstützen und zu fördern (indem sie diese wahrnehmen, erschliessen, sich in ihr orientieren und in ihr handeln) unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte auch für jüngere Kinder gilt. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich bei der Vorbereitung ihres auf dem Lehrplan 21 für den Fachbereich NMG fussenden Unterrichts in Kindergarten und Unterstufe ebenfalls die Frage nach der Bildungsrelevanz der von ihnen bestimmten Inhalte stellen. Aus diesem Grund ist es auch hier sinnvoll, bei der Planung von Lernangeboten nicht von einem Stichwort auszugehen, sondern eine den Entwicklungsstand bzw. die Voraussetzungen der Kinder berücksichtigende übergeordnete und bildungsrelevante Fragestellung ins Zentrum zu stellen.