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3. Zum Begriff ‚Wiener Moderne‘

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Begriffsvielfalt

Bei der Auseinandersetzung mit der Kulturlandschaft in Wien um 1900 werden die verschiedensten Begriffe bemüht: So ist ganz allgemein von der ‚Moderne‘ die Rede, vom Zeitalter des ‚Fin de Siècle‘ oder eben von einer spezifischen ‚Wiener Moderne‘. In Bezug auf die Literatur liest man zudem noch von Begriffen wie ‚Jung-Wien‘ respektive ‚Junges Österreich‘, von ‚Décadence‘ oder ‚Impressionismus‘. In welchen Zusammenhängen stehen diese zahlreichen literaturwissenschaftlichen Termini und was bezeichnen sie konkret?

Moderne als literarische Epoche

Neben den zahlreichen allgemeinen und je fachlichem Kontext spezifischen Bedeutungen des Begriffes ‚Moderne‘ bezeichnet dieser Terminus innerhalb der deutschsprachigen Literaturwissenschaft – oftmals in der Verwendung ‚klassische Moderne‘ – insbesondere die verschiedenen Strömungen und Stilrichtungen, die sich nach der Epoche des Realismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausbildeten und bis in die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die Literatur maßgeblich unter dem Diktum des ‚Neuen‘ beeinflussten (vgl. Blamberger 2000). Forminnovationen und Stilpluralismus sowie allgemein der Bruch mit literarischen Traditionen zählen zu den entscheidenden Kennzeichen der literarischen Moderne.

Fin de Siècle

Als ein Teilbereich der Moderne kann diejenige Literatur der Jahrhundertwende gelten, die sich explizit gegen den Naturalismus wendet und die oftmals europaweit unter dem Namen ‚Fin de Siècle‘ (frz. ‚Jahrhundertende‘) subsumiert wurde: „Fin de siècle kann daher auch als ‚gegennaturalistische Moderne um 1900‘ bestimmt werden; mit dem Bewußtsein der Auflösung eines ganzen Zeitalters verbindet sich das Bewußtsein des Neubeginns.“ (Viering 1997, 602) Kennzeichen der Zeit – und somit immer wieder auch der Literatur – waren „gesteigerte Sensitivität und Reflexivität des Ich, Nervosität, Willensschwäche, drohender Identitätsverlust durch Vervielfältigung des Ich“ (ebd., 603).

Décadence

Mit dem nahenden Ende des 19. Jahrhunderts verknüpfte sich eine allgemeine Stimmung des Niedergangs, die im Sinne eines Krisenbewusstseins in mannigfaltiger Weise auf die Literatur der Zeit Einfluss nahm und oftmals mit dem Schlagwort ‚Décadence‘ versehen wurde. Dieses Konzept bildete einen wichtigen Bezugspunkt für die Akteure Jung-Wiens. Einflüsse aus England oder Frankreich hielten „für die Jung-Wiener […] jene ästhetischen Entwürfe und Denkfiguren bereit“, die es in der „Sphäre der Kunst“ möglich machten, der „Aufsplitterung“ des Lebens in „zusammenhanglose Phänomene“ zu begegnen (Lorenz 2007, 64). Gerade die Forschung zu Hofmannsthal hat in diesem Zusammenhang immer wieder auf das (leise) „Unbehagen an der reinen Lehre des Ästhetizismus“ hingewiesen (ebd., 65), das sich in Schriften wie Poesie und Leben (1896) dokumentiert findet (vgl. ebd. und Simonis 2000, 293).

Wiener Moderne

Die ‚Wiener Moderne‘ wiederum kann als spezifische österreichische Spielart der literarischen Moderne mit dem Zentrum Wien gelten, die in ihrer Entstehungszeit in den 1890er Jahren und der Frühphase vom Fin de Siècle beeinflusst war. Sie lässt sich von anderen Spielarten wie beispielsweise der sogenannten ‚Berliner Moderne‘ abgrenzen (vgl. Sprengel/Streim 1998). Darüber hinaus beansprucht der Begriff ‚Wiener Moderne‘ nicht nur Gültigkeit für die Literatur, sondern ebenso für andere Künste wie die Bildende Kunst, Musik oder Architektur (vgl. Kapitel III.1). Die Literatur der Wiener Moderne kann daher weniger als Epoche, sondern vielmehr als spezifische Strömung innerhalb der Epoche der Moderne gelten. Besonders prägend für die Texte war eine Stilrichtung, die sich als literarischer ‚Impressionismus‘ bezeichnen lässt, sofern man darunter die Hinwendung zum Subjektiven (vgl. Kap. IV.2) oder die Konzentration auf „das Individuelle und Augenblickgebundene“ sowie die literarische Darstellung von „Eindrücken und Stimmungen“ versteht (Fick 2000, 137).

Jung-Wien

Die Bezeichnung ‚Jung-Wien‘ wiederum (oder auch ‚Junges Österreich‘) wird mitunter synonym für die Wiener Moderne verwendet. Es erscheint jedoch aufgrund des Zusatzes ‚Jung‘ sinnvoll, damit lediglich die Frühphase der Wiener Moderne und insbesondere die Entstehungszeit um 1890 zu bezeichnen, zumal die Protagonisten selbst Ende des 19. Jahrhunderts mit ähnlichen Begriffen hantierten, um den Kreis von Autoren zu benennen, der sich nach und nach in den Kaffeehäusern der Stadt bildete (vgl. Kap. III.2). Der Literaturkritiker Hermann Bahr fungierte dabei nicht nur als Mitglied der Gruppe, sondern darüber hinaus als wirkungsmächtiger Propagandist der damaligen jungen Literatur (vgl. Kap. III.3). Die Literatur der Wiener Moderne, also die Texte der bis heute berühmten Schriftsteller wie beispielsweise Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Richard Beer-Hofmann, Leopold von Andrian oder Peter Altenberg, prägte vereinzelt bis in die 20er und frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die österreichische Literatur. Eine Verkürzung auf die Frühphase des ‚jungen‘ Österreichs würde diesem nachhaltigen Wirken der Texte somit nicht entsprechen.

Moderne-Konzept

Schließlich weist die Wiener Moderne ein spezifisches Moderne-Konzept auf, das bereits frühzeitig programmatisch konturiert wurde, so etwa durch eben jenen Hermann Bahr, der unter anderem mit seinem Essay Die Moderne (1890) die Stoßrichtung der österreichischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts formuliert hatte (vgl. Kap. IV.1): „Wir haben nichts als das Außen zum Innen zu machen.“ (Bahr KS II2, 5)

Einführung in die Literatur der Wiener Moderne

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