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Donnerstag, 26.02. Im Wartezimmer

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Ich saß im gut gefüllten Wartezimmer beim Arzt und las eines der dort ausliegenden Hochglanzmagazine, die Bunte – Ausgabe 21. Dezember 2011.

Als das Umblättern der nächsten Seite kurz bevorstand, stellte ich fest, dass diese an der übernächsten festklebte. Dieses fast ausschließlich in Arztpraxen vorkommende Phänomen entsteht dadurch, dass viele Mitpatienten sich vor jedem Umblättern den Mittelfinger ihrer linken Hand ablecken.

Laut einer Studie werden in Arztpraxen auf diese Art und Weise täglich auf jeder Seite vier verschiedene Speichelreste hinterlassen.

Das Jahr hat 52 Wochen. Abzüglich Urlaub und Feiertagen hat die Arztpraxis also an ca. 220 Tagen im Jahr geöffnet. Rechnen wir mal bis zum 21. Dezember 2011 zurück. Nein. Rechnen wir lieber nicht zurück!

Beuge ich mich also trotzdem diesem gesellschaftlichen Druck und lecke mich vor all diesen fremden Menschen selbst, nur um die beiden Seiten voneinander trennen zu können?

Ich sah keinen anderen Ausweg und leckte. Ganz heimlich. Meinen Mittelfinger.

Nun war ich also offiziell auch ein sogenannter Zeitungslecker.

Aufgrund mangelnden Erfolges wiederholte ich diesen Vorgang sieben Mal, steckte schlussendlich meine komplette Hand bis zum Anschlag in den Hals, bis ich keine Geduld mehr hatte und anfing, die Seite selbst abzulecken.

Nachdem ich bereits ein Drittel der angefeuchteten Seiten im Mund hatte und sie unter den staunenden Blicken des kompletten Wartezimmers zwischen Gaumen und Zunge hin und her rieb, stieß ich plötzlich einen Lustschrei aus: „Die Seite hat sich gelöst!“

Die junge Dame, die in diesen Sekunden das Wartezimmer betrat, schaute mich verdutzt an und zögerte etwas, den letzten freien Platz neben mir einzunehmen.

Zeitgleich ertönte die Stimme des Arztes: „Herr Crisand, bitte in Zimmer drei!“

Verdammt! Die ganze Mühe umsonst.

Ich stand auf und wollte die Zeitschrift gerade wieder auf den Tisch legen, als die junge Dame darauf zeigte und fragte: „Darf ich?“

Ich lächelte sie an: „Sie dürfen“, dann nahm ich ihre linke Hand, führte ihren Mittelfinger ganz tief in meinen Mund und fügte hinzu: „Glauben Sie mir, Sie wollen das.“

Mein Klagebuch

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