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Düsseldorf, 20. März 1943 – Gestapo-Leitstelle

Sie brachten Harry Molter zur Gestapo-Leitstelle in die Prinz-Georg-Straße. Ein Beamter führte ihn ins Vernehmungszimmer und zeigte zum Tisch. »Setz dich!«, forderte er Harry barsch auf. Harry folgte ihm und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

Der Raum wirkte schäbig, außer dem Schreibtisch und zwei Stühlen sah er noch einen Aktenschrank und einen Stuhl mit Schreibablage für den Protokollanten, der sich aber nicht im Zimmer aufhielt. Ein verstaubtes Fenster ließ wenig Licht herein. Hitlers Porträt an der Wand erschien ihm riesengroß. Am liebsten hätte Harry sich davon abgewandt gesetzt. Der Gestapo-Beamte, ein schlanker Mann mit kurzen blonden Haaren, etwa in seinem Alter, nahm ihm gegenüber Platz, knallte eine Akte zwischen sie und musterte ihn mit einem Grinsen. Ohne sich mit Namen vorzustellen begann er das Verhör:

»Na, wieder einer, der ein Schwein schlachtet, ohne das anzumelden? Du meintest wohl, wir kommen nicht dahinter, was? Dass ihr Brüder das noch nicht gemerkt habt, wir haben nicht nur zwei Augen, wir haben viele Augen. So einem wie dich, der den hungernden Menschen und vor allem den tapferen Soldaten das Fleisch stiehlt, den Männern, die für das Vaterland kämpfen, sich jeden Tag dem Feind entgegenwerfen, dem sollte man …, aber Hauptsache, deine Familie hat genug zu fressen, was? Gott sei Dank gibt es treue Kameraden, die so was melden. Ja, und da haste gestaunt, dass der Hasso was gerochen hat, nicht wahr? Du hast nämlich die Blutspur des Schweins nicht gut genug vernichtet, warst dir zu sicher. Wenn man den Hals nicht vollkriegt, dann fällt man auf. Unser Führer sieht alles.« Sein stechender Blick fixierte ihn. »Hast du was dazu zu sagen?«

Harrys Herz pochte vor Zorn und Angst. Ich muss vorsichtig sein, nahm er sich vor, wer weiß, was sonst Regina und den Kindern blüht? »Sie sehen nicht älter aus als ich, aber vielleicht haben Sie Hunger noch nie am eigenen Leib erfahren. Für ein Fünftel des Schweins, das man als Bauer selbst behalten kann, bekommt man weniger Lebensmittelkarten. Um eine vierköpfige Familie zu ernähren, reicht das nicht. Die Kinder wachsen und Fleisch …«, der Gestapo-Beamte unterbrach ihn barsch: »Die Kinder der Soldaten wachsen auch. Was du getan hast, ist eine Straftat. Recht ist, was dem Volk nützt. Hat man dir das nie beigebracht?«

»Als Bauer arbeite ich nicht erst seit Kriegsbeginn für die Bevölkerung. Alle profitieren von unserer Arbeit. Ja, ich habe zum ersten Mal ein Schwein illegal geschlachtet, ohne das der Steuerbehörde zuvor zu melden. Warum? Weil wir Bauern weniger Fleischmarken bekommen als andere Bürger. Meine Kinder, die zur Schule gehen und lernen müssen – wie denn, mit Hunger im Bauch und …«

»Halt endlich dein Maul, Molter!« Der Beamte sprang hoch und baute sich vor ihm auf: »Was bildest du dir denn ein? Du bist ein Volksschädling, Bauer hin, Bauer her. Wer sich mit solchen Handlungen wie Schwarzschlachten gegen Gesetze des Reiches stellt, der muss mit den Folgen rechnen. Das gilt auch für deine Familie, ich hoffe du verstehst, was ich meine.«

»Nein, verstehe ich nicht, Herr …?«

Der Gestapo-Beamte reagierte nicht auf Harrys Wunsch, seinen Namen zu erfahren. »Deine Frau, Regina heißt sie doch, nicht wahr?« Er öffnete die Akte, die vor ihm lag. »Kontakte zu Sozis, ah …«, murmelte er und blätterte weiter, »sieht gut aus, deine Frau, die wird bestimmt nicht lange allein schlafen. Es gibt Stimmen in meiner Partei, die meinen, wer dem Führer nicht folgt, so wie du und sie, die muss man doch mal fragen, ob die denn noch Deutsche sind? Das gilt auch für deine Frau. Nur zwei Kinder, das sieht der Führer nicht so gerne. Arische Menschen sollten sich schon bemühen, die wundervollen Ideen des Führers umzusetzen und die arische Rasse zu vermehren. Da hat sie ja auch noch was zu tun.« Mit diesem Satz verzog ein Grinsen sein Gesicht.

»Du weißt, was ich meine, sie hat so schönes Haar und große Augen. Bestimmt blau, oder? Das schreit doch nach einem weiteren Kind für den Führer.«

Harry sprang auf. Ihm war egal, was mit ihm passierte, aber seine Frau und die Kinder … »wehe, wenn Sie meiner Familie etwas antun«, schrie er, um im nächsten Augenblick innezuhalten. »Ich werde dich finden, das schwöre ich!«, fügte er leise hinzu. Er wollte sich beruhigen. Setzte sich wieder.

Der Beamte lachte auf und schlug Harry ins Gesicht. Aus dessen Nase tropfte Blut. Er wischte es mit seinem Jackenärmel ab. Diesem Schwein würde er keine Schwäche zeigen.

»Also, ich gehöre nicht zu denen, die alleinstehende ungehorsame Frauen belästigen«, fuhr der Kommissar fort, »aber für manche Kollegen kann ich nicht garantieren. Ich bin ja nur ein Kriminalkommissar, der die Vernehmungen macht und Gesetze zu achten hat. Wieso ist sie eigentlich nicht ins Arbeitslager gekommen, als man von ihren Kontakten zu den Sozialdemokraten erfahren hat?« Er schaute in die Akte. »Das war 1932. Hast du dir mal überlegt, wer sie damals beschützt haben könnte? Ach, das kann ich selbst herausfinden, wenn ich will. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig für dich müsste sein, wer sie schützen kann, während du im Knast bist? Neulich hat jemand in Kleve, auch ein Volksschädling wie du, ebenfalls ein Bauernfritze, versucht, die Kriegswirtschaftsgesetze zu missachten. Der wandert jetzt für zwei Jahre in den Knast. Wenn du einen Rat willst, dann gib deine Straftat zu, unterschreibe dein Geständnis, und dann gehst du in die Zelle zurück. Deine Frau wird dann nur als Zeugin verhört, obwohl sie ja dabei gewesen sein muss. Wir wollen deine Familie nicht zerstören. Aber wenn du nicht unterschreibst, wird auch deine Frau beschuldigt werden. Morgen kommt der Untersuchungsrichter und wird dir dann zeigen, wie dein Leben weiter geht, mein Freund. Stell dich schon mal auf längere Zeit im Gefängnis ein.«

Er machte eine Pause, beobachtete Harrys Reaktion. Dieser saß nach seinem Gefühlsausbruch zusammengesunken im Stuhl. Das hätte mir nicht passieren dürfen, hämmerten die Gedanken in seinem Kopf. Der Gestapo-Beamte schob ihm ein Protokoll zur Unterschrift über den Tisch. »Hier, unterschreibe das, das ist dein Geständnis. Kannst du das lesen, oder muss ich es dir vorlesen?«

»Was soll die Frage? Natürlich kann ich lesen.«

»Morgen reden wir weiter, jetzt unterschreibe schon.«

Während Harry unterschrieb, fiel ihm auf, dass der Schriftsatz bereits eine andere Unterschrift, die des Kommissars, trug. Die musste schon vor diesem Verhör dort gewesen sein. Der Text schien ein Standardtext für Vergehen wie Schwarzschlachten sein. Es gelang ihm gerade noch, den Namen zu lesen, mit dem der Beamte unterschrieben hatte: Augsburger. Den Namen würde er niemals vergessen, schwor er.

Ein zweiter Polizist kam und legte ihm Handschellen an. Beim Hinausgehen würdigte er den Kommissar keines Blickes mehr. Er wurde in eine Zelle gebracht. Er hämmerte seinen Zorn und seine Machtlosigkeit mit den Fäusten an die Zellenwand, bis seine Handkanten bluteten. Sein Kopf dröhnte und drückte vor Schmerzen, als platze er jeden Augenblick.

Wie weit war es mit ihm gekommen? Vorige Woche hatte er sich noch mit anderen Bauern zum Bierchen getroffen, sie sprachen über die bevorstehende Gemüseernte und den großen Fleischmangel, der allen zu schaffen machte. Natürlich auch über die letzten Bombennächte. Erst recht sparten sie nicht mit Kritik an ihrem Ortsbauernführer Günther Schmitz. »Den Nazis so in den Arsch zu kriechen, den erkennt man ja nicht wieder. Der arbeitet doch nur noch für die Partei, sitzt im Büro und lässt seine Frau, die Marianne, mit Zwangsarbeitern schuften, die von den Nazis auf den Hof gebracht werden. Ich sage euch, das machen die nicht mehr lang, im englischen Radio hieß es, dass mehr und mehr Luftangriffe von den Engländern und den Amis kommen werden und die Wehrmacht im Osten hohe Verluste habe«, flüsterte Otto. Die Einschätzung seines Nachbarn war nur für ihren kleinen Kreis bestimmt.

Der und die beiden anderen hielten all die Zeit zu ihm, verteidigten ihn vor jenen Bauern, die in die Partei eingetreten waren und Harrys Parteilosigkeit störte, so als hätten sie selbst Nachteile dadurch. Fast alle, die Schweine aufzogen, schlachteten mitunter schwarz. Aber nie war vor ihm einer deswegen denunziert worden.

So wanderten seine Gedanken im Kreis, bis sie ihn wieder zu seiner ohnmächtigen Angst um Regina und seine Mädchen führten. Es würde seine Schuld sein, wenn ihnen etwas zustieße. Regina nahm vor einigen Jahren ein paar Mal an Treffen der Sozialdemokraten in Düsseldorf teil. Deshalb legte man wohl damals die Akte über sie an. Er dachte nach. Was könnten die Nazis noch über sie gesammelt haben? Nur die Teilnahme an drei oder vier Versammlungen 1932 machte sie kaum zur Volksverräterin. Die Art, wie der Kommissar über sie gesprochen und das Bild in ihrer Akte mit diesem lüsternen Blick verschlungen hatte, ließ ihn schaudern.

Regina wollte ihn vom Schlachten abbringen, sie stritten sich sogar deswegen, aber er musste sich ja unbedingt durchsetzen. Er kannte doch die Gefahren, die das mit sich bringen würde. Politik interessierte ihn nicht. Ihm wurde übel, und er erbrach Galle in den Toilettentopf. Er hatte den Tag über ja noch nichts gegessen oder getrunken. Er ging zur Tür und klopfte laut dagegen. Das musste er mehrmals machen, es dauerte lange, bis jemand kam und die Klappe öffnete. »Was willst du?«

»Wasser!«

Wortlos verriegelte der Wärter das Fenster. Nach einer gefühlten Ewigkeit sperrte er es wieder auf und reichte ein Glas Wasser hindurch. Ohne ein Wort zu sagen, stieß er die Öffnung abermals zu. Harry trank hastig das Wasser. Es rann kühl seine Kehle hinunter, ohne seinen Durst gänzlich zu löschen. Vor Erschöpfung fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Der Mantel der Vergangenheit

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