Читать книгу "Euch zeig ich's!" - Dorothee Degen-Zimmermann - Страница 5

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Erika Hug, 1945

Unternehmerin, Küsnacht

«Aber dann musst du in die Firma kommen»

Klarinettentöne wehen zum Fenster herein, Mozart, zwischendurch zugedeckt vom Lärm des vorbeiratternden Trams. Die offene Halle des Helmhauses ist ein beliebter Standort von Strassenmusikanten. Erika Hug schliesst seufzend die Fenster: «Ich liebe ja Musik. Aber wenn das stundenlang so geht, immer dasselbe …»

Natürlich hat sie nichts gegen die Musik! Wie sollte sie auch, Musik ist doch die Existenzgrundlage der Chefin des Musikhauses Hug. Ihr geräumiges Büro befindet sich an einem der schönsten Orte in Zürich, hoch über dem Limmatquai, unter der Zinne der «Münsterburg», einem Geschäftshaus, das mit sechs Geschossen Mitte des 19. Jahrhunderts als eines der ersten Hochhäuser gelten durfte. Aus den Fenstern blickt man nach Westen zum Dach der Wasserkirche, nach Süden zum See und, je nach Wetter, auf die Alpen.

Im ansonsten ziemlich nüchternen Büro steht eine Harfe, ein Familienerbstück aus dem 18. Jahrhundert. An der Wand daneben hängt ein altes, nachgedunkeltes Porträt in Öl, Pfarrer Jakob Christoph Hug sen., der Urururgrossvater von Erika Hug. Er gilt als Gründervater des Musikhauses Hug, auch wenn er eher unfreiwillig zum Geschäft kam. Er hatte seinem Freund Hans Georg Nägeli für dessen «Musikalien-Handlung und Leihbibliothek» Geld geliehen. Nägeli veröffentlichte Chormusik und Volkslieder wie den Evergreen «Freut euch des Lebens», aber auch die Erstausgabe des «Wohltemperierten Klaviers» von Johann Sebastian Bach, eine Pionierleistung. Er war ein begnadeter Musiker und Förderer des Chorgesangs – nicht umsonst wurde er «Sängervater» genannt –, aber ein miserabler Geschäftsmann. Als er überschuldet und zahlungsunfähig war, übernahm Jakob Christoph Hug wohl oder übel das Musikaliengeschäft, zusammen mit seinem Bruder und einem dritten Compagnon. Das war 1807 und wird als Gründungsjahr des Musikhauses Hug bezeichnet.

Das Musikhaus Hug dümpelte mehr schlecht als recht vor sich hin und wäre wohl eingegangen, wenn es nicht spätere Generationen mit grösserem merkantilem Geschick durch wechselvolle Zeiten gesteuert hätten, umsichtige Männer, väterliche Patrons, Förderer des Zürcher Musiklebens: Jakob Christoph Junior, Emil, die beiden Adolfs, Senior und Junior. Ihnen standen Brüder, Schwäger, langjährige, treue Mitarbeiter zur Seite. Und eine Frau, Susanna Hug-Wild, die in den 1850er-Jahren nach dem Tod ihres Mannes Jakob Christoph jun. zehn Jahre lang den Laden «mit grosser Energie und Sachkenntnis weiterführte», wie die Neue Zürcher Zeitung 1909 schreibt. Sie bewahrt das Andenken dieser «äusserst klugen und temperamentvollen» Frau mehr als vierzig Jahre nach ihrem Tod im Nachruf auf ihren Sohn Emil: Sie sei «die kostbarste Hinterlassenschaft» ihres Ehemannes gewesen. (In: Thomas Meyer, Musik & Hug, 2007) Ihre Ururenkelin Erika ist also nicht die erste Frau Hug an der Spitze des Unternehmens.

Musikhaus und Hausmusik

So wurde das Geschäft von Generation zu Generation weitergereicht, und man könnte denken, Erika Hug als Repräsentantin der sechsten Generation sei geradlinig und zielgerichtet ins Direktionsbüro der Hug ag marschiert. Ist sie aber nicht.

«In meiner Kindheit war das Geschäft weit, weit weg. Mein Vater hat Unternehmen und Familie strikt getrennt, zu Hause durfte man nicht vom Geschäft reden.» Sein Gegengewicht zum Musikhaus ist die Hausmusik. Abend für Abend spielt der Vater auf dem Flügel und beschert damit seiner Tochter eine der frühesten Erinnerungen: «Ich lag in meinem Bettchen, und von unten herauf drang Klaviermusik, erfüllte mich und alles, ich schwebte in Musik. So bin ich eingeschlafen. Und als ich ein bisschen grösser war, durfte ich im Musiksalon zuhören. Mein Vater spielte gut, so gut, dass mich stümperhaftes Geklimper bis heute ärgert. Er war ein sehr verschlossener, schüchterner Mensch, aber über die Musik konnte man sich ihm nähern. Ich lag am liebsten bäuchlings unter dem Flügel, ganz Ohr, und beobachtete dabei, wie seine Füsse die Pedale bearbeiteten. Wissen Sie, es klingt wahnsinnig dort unten!» Noch ist kein Konzerthaus auf die Idee gekommen, Tickets für diesen besten aller Plätze anzubieten.

Adolf Hug jun., Erika Hugs Vater, der Patron der fünften Generation, war der einzige Berufsmusiker in der Hug-Dynastie. Er studierte am Leipziger Konservatorium, schloss als Klavierpädagoge ab und fasste eine Pianistenkarriere ins Auge. Es sollte anders kommen, sein Vater brauchte ihn im Geschäft, zunächst in der Filiale in Leipzig. Kurz vor dem Krieg kehrte Adolf Hug nach Zürich zurück. 1943, nach dem Tod seines Vaters, trat er dessen Nachfolge an. «Zur Leitung des Musikhauses berufen, trennte er sich schweren Herzens von den geliebten Plänen und ging den Weg der Pflicht», heisst es in der Chronik zum 150-jährigen Jubiläum der Firma. Hinter diesem lakonischen Satz verbirgt sich ein Drama. Wäre Hans noch dagewesen, der um zehn Jahre ältere Bruder: Hätte nicht er die Leitung des Hauses übernehmen können? Wäre der Jüngere dann frei gewesen, seiner Neigung zu folgen? Aber der Bruder war verschollen, seit vielen Jahren schon, nie wurde auch nur eine Spur von ihm gefunden. Geredet wird nicht viel darüber in der Familie.

Neben dem Weg der Pflicht bleibt die Kür: das abendliche Klavierspiel allein oder im Duo mit der Geigerin Mrs. Murphy, einer irischen Diplomatengattin. Wenn Adolf Hugs Musiker-Freunde zu Besuch kommen, blüht er auf. Unter ihnen sind die Komponisten und Dirigenten Othmar Schoeck und Volkmar Andreae und der Pianist Kurt Herrmann, mit dem er einst in Leipzig Konzerte gab.

Erika lernt bei Mrs. Murphy Geige spielen, da ist sie etwa sechs Jahre alt. Es ist nicht ihr Wunschinstrument, aber sie wird nicht gefragt. «So war das damals. Ich fand es schwierig, ein Geknorze, krrrr, krrrr, krrrr, bis es endlich ein bisschen klang. Und mein Musiker-Vater sass daneben und musste sich das anhören.» Während der gesamten Schulzeit, Woche für Woche, geht sie in die Geigenstunde. Wenn sie daran denkt, fallen ihr zuerst die Rückenschmerzen ein: «Jeden Abend nach der Schule, nach den Hausaufgaben auch noch üben – uff! Ich war hochaufgeschossen und dünn und bekam beim Stehen sofort Rückenweh.» Und in der nächsten Lektion sagt die unerbittliche Mrs. Murphy mit sanfter Stimme: «Also ich täte jetzt ein bisschen mehr üben, sonst kommst du gar nicht weiter.» Klavier hätte ihr wahrscheinlich eher entsprochen, meint Erika Hug rückblickend.

Aber die Geige beschert ihr auch glückliche Erlebnisse. «Manchmal haben wir zusammengespielt, der Vater und ich, und wenn ich eine Vortragsübung hatte, begleitete er mich, das fand ich wunderschön. Über die Musik kam ich ihm am nächsten. Und später konnte ich im Orchester des Konservatoriums mitspielen. Wie das klang, wenn man mittendrin sass, das war toll.» Nach der Schulzeit sinkt das Instrument allerdings in einen Dornröschenschlaf, aus dem es bis heute nicht richtig aufgewacht ist. Die Mutter teilt das Interesse an der Musik und am Musikerleben nicht, wenngleich sich die Eltern im Musikhaus kennen gelernt haben. Der Junior-Chef erblickte einst das bildhübsche Mädchen im Sekretariat des hauseigenen Musikverlags. Susanna Elsa Kaufmann war die Tochter aus dem schicken Blumenladen gleich um die Ecke. Erika Hug charakterisiert ihre Mutter als «sehr narzisstisch, ichbezogen, das hat mein Leben und das meiner Schwester nicht gerade einfach gemacht. Aber sie war auch lebensfroh und trug gern schöne Kleider. Sie war immer eine schöne Frau und auf ihre Art selbständig bis ins hohe Alter.» Die Schwester ist fünfeinhalb Jahre jünger, «da ist man am Anfang Kindermädchen, notgedrungen».

Die Familie wohnt in einer Villa in Fluntern am Zürichberg. Die Mutter besorgt den Haushalt mit der Hilfe einer Putzfrau und einer Hausangestellten, die vor allem in der Küche wirkt. «Meine Mutter war keine Köchin, ich behaupte, dass sie nie in ihrem Leben gekocht hat.» Erika Hug erzählt das mit Vergnügen, denn sie selbst kocht leidenschaftlich gern. «Na ja, wenn es nicht täglich sein muss.»

Das Beste am Haus ist der Garten. «Als ich klein war, kurz nach dem Krieg, hatten wir noch Gemüse, Obstbäume und Beeren, das war ganz toll. Mit der Zeit sind die Beete verschwunden, stattdessen wurde überall langweiliger Rasen angelegt.» Sie hegt und pflegt ihr eigenes Blumenbeet. Im Spätherbst steckt sie Tulpenzwiebeln in den Boden, beobachtet im Frühling fasziniert die ersten Blattspitzen und wartet darauf, wie die dicken, grünen Knospen allmählich Farbe annahmen. Gelb oder rot? Manchmal schneidet sie Sträusse, Tulpen im Frühling, Gladiolen im Sommer, und verkauft sie ihrer Mutter.

Hin und wieder kommt Erikas Gotte auf Besuch, Vaters Schwester Eva, die mit dem Schriftsteller und Maler Albert Welti verheiratet ist und in einem Vorort von Genf lebt. Sie bringt den Hauch einer ganz andern, aufregenden Welt mit, in der Künstler, Autorinnen, Wissenschaftler vorkommen. «Eine aussergewöhnliche Frau, sehr hübsch. Sie soll vor ihrem Vater nach Genf geflohen sein, das habe ich nie so genau erfahren, auch darüber sprach man nicht. Jedenfalls hat sie in Genf Biologie studiert und doktoriert. Ich ging sehr gern zu ihnen in die Ferien, sie hatten ein kleines Haus mit Bildern an den Wänden, sehr französisch, ganz anders als bei uns. Meine Gotte besass ein ganzes Zimmer voller biologischer Präparate, kleine Skelette und getrocknete Tiere, Fische und Käfer, Vogeleier, das fand ich total faszinierend. Wenn ich von den Ferien heimkam, legte ich selber Sammlungen an. Meine Gotte schenkte mir Kartonschachteln, die in kleine Fächer unterteilt waren, darin bewahrte ich Steine, Seepferdchen, Schneckenhäuser auf, alles Mögliche. Ich besass im Estrich ein ganzes Lager von solchen Schachteln.»


Erika Hug, etwa vierjährig.

«Es hat gebrannt in der Nacht»

Unvergessen jener Morgen – 1957, Erika besucht die Sekundarschule –, als sie zum Frühstück herunterkommt und weder Vater noch Mutter vorfindet, die Betten leer. Das hat es noch nie gegeben, was ist los? In der Schule erfährt sie, dass es in der Nacht gebrannt habe, «ich glaube, bei euch», sagt der Lehrer. Erika weiss von nichts. Verstört eilt sie am Mittag nach Hause. Die Mutter ist wieder da. Ja, das Hauptgeschäft am Limmatquai habe gebrannt, die oberen Stockwerke der Münsterburg. Nein, es sei niemand verletzt worden.

Sie steht vor der Brandstätte, blickt an der Fassade empor zu den russgeschwärzten Fensterhöhlen – «das ist kein schöner Anblick» – und stellt sich mit Schaudern vor, wie der Hauswart mit der Leiter aus seiner Wohnung im obersten Stockwerk des brennenden Hauses gerettet werden musste, sehr dramatisch, es hätte bös enden können. Das Haus ist noch abgesperrt, es sei einsturzgefährdet, des vielen Löschwassers wegen, sagt der Vater. Später erfährt man die Brandursache, eine Leinöl-Mischung, von einer Putzfrau in einem Schrank zurückgelassen, hat sich selbst entzündet. Die Statik erweist sich als stabil, aber nach und nach zeigt sich das Ausmass des Schadens. In den oberen Stockwerken befinden sich der Verlag und die Musikaliensammlung, es sind wertvolle Originale verloren gegangen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Haus unlängst umgebaut wurde und die Versicherung noch nicht dem neuen Wert angepasst war.

Weichenstellungen

Als Erikas Berufswahl ansteht, denkt niemand an eine Zukunft im Geschäft. Dass sie als Vertreterin der sechsten Generation in die Firma eintreten könnte, wird niemals auch nur erwogen. «Aber ich wusste genau, ich wollte in die Handelsschule.» Ein glücklicher Entscheid. In der Handelsschulabteilung der Töchterschule im ziemlich neuen Gottfried-Keller-Schulhaus an der Hottingerstrasse fühlt sie sich ausserordentlich wohl. «Nach der Sekundarschule war das eine Erfrischung, die ihresgleichen suchte. Endlich hatten wir richtig gute Lehrer – die siezten uns! Die nahmen uns für erwachsen! Das machte mir enorm Eindruck. Sie stellten aber auch Ansprüche. Dass es eine reine Mädchenschule war, empfand ich als grosse Erleichterung. Plötzlich konnte man über alle möglichen Themen diskutieren, ohne von den Buben gestört zu werden. Es herrschte eine super gute Stimmung.»

Erika Hug begeistert sich unter anderem für ein Fach, das bei den meisten Schülerinnen verpönt ist: «Wir hatten eine absolut tolle Buchhaltungslehrerin. Die meisten hatten Angst vor ihr, ich nicht. Zwei oder drei von uns waren gut in diesem Fach, und wir verstanden uns prima mit ihr. Die andern quälten sich mit der Buchhaltung herum.»

Nach dem Diplom verbessert sie ihre Sprachkenntnisse, Englisch in Cambridge, Italienisch in Perugia, und tritt danach ihre erste Stelle als Buchhalterin an. «Es war eine kleine Firma für Hörgeräte, nicht sehr sexy. Aber es waren lustige Leute, und es gefiel mir, dass ich die Buchhaltung ganz selbständig machen konnte, inklusive Abschluss, zusammen mit der Revisionsstelle.»

Mit 23 zieht sie von zu Hause aus. «Ich fand eine kleine Dachwohnung an der Hofackerstrasse mit toller Aussicht, direkt in den Schülergarten. Ich hatte immer Wohnungen mit Ausblick. Ich finde es schlimm, wenn man nur eine Hauswand vor der Nase hat.» Sie, die immer gerne gemalt hat, bildet sich zur Werbeassistentin weiter, da kommen ihre künstlerischen Interessen und gestalterischen Fähigkeiten zum Zug. Und sie lernt neue Leute kennen, Maler, Bildhauer, Künstler. Durch einen Schauspielerfreund erweitert sich ihr Bekanntenkreis zusätzlich um Theaterleute, Schriftstellerinnen, Redaktoren. Für sie geht buchstäblich eine neue Welt auf. Man trifft sich in den angesagten Beizen des Niederdorfs, jeder kennt jeden. «Es war unerhört anregend, ein intellektuelles Aufwachen: ‹Das musst du lesen!› und ‹Jene Ausstellung musst du gesehen haben!› Nächtelang haben wir diskutiert. ‹Und was findest du dazu?›, wurde ich gefragt und war baff, dass sich jemand ernsthaft für meine Meinung interessierte.»

Von dieser Welt fühlt sich Erika Hug angezogen. Sie malt und zeichnet selber, beteiligt sich an Ausstellungen, mit Erfolg: «Ich habe mal im Helmhaus gehangen», sagt sie nicht ohne Stolz. In jener Ausstellung werden die prämierten Werke von jungen Zürcher Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Sie erwägt, ob sie die Kunst zum Beruf machen soll. Es gibt so vieles, was sie interessiert: «Man kann auch Filme machen, oder Musik, oder Literatur. Ich musste eine Entscheidung fällen.»

Diese führt nicht tiefer in die Künstlerwelt und lässt doch das Gestalterische nicht ausser Acht. Erika Hug belegt an der Hochschule St. Gallen ein zweijähriges Seminar zur Werbeleiterin, das sich bald als sehr brauchbar erweisen wird. «Das war eine andere Liga als die Werbeassistentin, es ging auch um Marketing, Strategie, Führung.»

Einstieg ins Geschäft von unten und oben

Adolf Hug ist drauf und dran, die Firma zu verkaufen. «Als ich sah, wie er sie verkaufen wollte, war ich entsetzt», erinnert sich seine Tochter. «Dann kannst du sie genauso gut verschenken, sagte ich. Ich sah schon die Aasgeier kreisen.» Darauf sagt der Vater etwas, was er noch nie gesagt hat: «Aber dann musst du in die Firma kommen.» Sie nimmt die Herausforderung an. Das bedeutet nun endgültig die Abkehr von einem Berufsweg als Künstlerin, «aber Musik und Musikinstrumente verkaufen, damit konnte ich mich schon identifizieren». So steigt sie am 1. September 1973 gleichzeitig von unten und von oben ins Musikhaus Hug ein: Sie arbeitet sich in den Musikverlag und in die Werbung ein und nimmt Einsitz in den Verwaltungsrat.

Die Werbung entpuppt sich als ausgezeichnete Möglichkeit, die Firma gründlich kennen zu lernen und Einfluss zu nehmen. Schon im folgenden Jahr übernimmt sie die Werbeleitung und kümmert sich um das Erscheinungsbild. Musik verbindet Tradition und neuste Technik, sie ist ästhetisch und kreativ, das macht Erika Hug im Auftritt des Musikhauses sichtbar, angefangen beim Namenszug. Sie verwendet dafür abwechselnd Lettern einer klassischen Serifen- und einer strengen Groteskschrift. Das Firmenlogo erscheint an jeder Filiale, in jedem Inserat, auf jedem Briefkopf, auch die Grafik der Musikalien und die Innengestaltung der Verkaufsräume passen dazu. Corporate Identity heisst das in der Sprache der Werber. Bis heute ist das ein Bereich, der Erika Hug fasziniert und den sie mitprägt: «Alles, was Sie sehen, trägt meine Handschrift.»

1979, nach dem Tod ihres Vaters, tritt Erika Hug in die Geschäftsleitung ein. Die Durchsetzung auf der Chefetage ist kein Spaziergang. «Der Direktor, den mein Vater eingestellt hatte, agierte gegen mich, das wäre nicht nötig gewesen. Ich suchte mir Unterstützung im Verwaltungsrat und musste mich schliesslich von diesem Direktor trennen. Auch von einigen andern Leuten, das war sehr belastend. Eigentlich wurde es erst gut, als ich die führenden Leute selbst eingestellt hatte. Man muss sich in der eigenen Firma behaupten können, sonst wird das nichts.»

Das traut man ihr ohne weiteres zu. Gross, sportlich, kurz geschnittenes Haar, markante Brille, heller Hosenanzug – diese Frau weiss, was sie will. Aber sie relativiert: «Zäh war ich zwar immer, aber mein Selbstbewusstsein habe ich eigentlich erst im Alter bekommen.» Ob es für Frauen schwerer sei, sich durchzusetzen? «Ganz klar ja», sagt Erika Hug, «in der Schweizer Wirtschaft sind die Frauen nach wie vor nicht integriert. Das hat mit der Kinderbetreuung zu tun. Wie sollen sich die Frauen in Ruhe auf ihre Karriere konzentrieren, wenn sie sich um ein oder zwei Kinder kümmern müssen? Ich konnte mich ganz aufs Geschäft einlassen, weil ich keine Familie hatte.»

In den Achtzigerjahren begibt sie sich auf Reisen, um Geschäftsbeziehungen zu knüpfen, «das hat mein Vater nicht mehr gemacht». Sie reist allein in die USA und nach Fernost. Aus Südkorea bringt sie eine Generalvertretung für Klaviere mit. Von Japan ist sie begeistert: «Die haben ja einen Geschmack! Ein Farben- und Formgefühl, einmalig! Wenn man als ausländischer Geschäftspartner ankommt, ist alles hervorragend organisiert und blitzsauber.» In Japan sind die weltweit grössten Produzenten von Musikinstrumenten wie der Pianohersteller Yamaha beheimatet. Aber Erika Hug bringt auch praktische Ideen mit nach Hause. «Yamaha hat an der Ginza in Tokio einen Laden. Das ist ein sehr teures Pflaster, da muss man jeden Quadratmeter ausnutzen. Die Musiknoten hatten sie im Kellergeschoss. Zu meiner grossen Verwunderung standen die Noten dort wie Bücher im Regal, mit einem festen Umschlag versehen.» Das leuchtet ihr sofort ein: «Im Yamaha-Laden bedienten sich die Kunden selbst, und die Noten brauchten sogar noch viel weniger Platz. Wie umständlich und unübersichtlich dagegen unser System: Wir hatten damals im Hauptgeschäft drei Stockwerke voll Musiknoten, auf Brettchen gestapelt. Das Personal holte den Stapel aus dem Lagerraum, knallte ihn vor dem Kunden auf die Theke zum Durchblättern und musste ihn danach wieder in Ordnung bringen und wegräumen.» Als sie, zurück in Zürich, ihren Fachleuten die japanische Einrichtung schildert, wehren diese ab: «Aber das geht doch nicht! Wir haben das immer so gemacht! Wir sind doch der Huuug!» Um es kurz zu machen: Erika Hug setzt sich durch, die Notenabteilung wird beträchtlich verkleinert und für die Kundschaft zugänglich gemacht.

Die Unternehmensführung bleibt eine Herausforderung. Der technische Wandel im Musiksektor ist seit mehr als hundert Jahren enorm. Schon im frühen 20. Jahrhundert löste eine Novität die andere ab, Phonographen, Reproduktionsklaviere, Spielautomaten, Grammophone kamen in Mode und sanken schon bald wieder in Vergessenheit. Das ist bis heute nicht anders. «Als ich anfing, gab es noch keine CDS. Plötzlich kamen sie auf, und es galt, schnell zu reagieren, Platz zu schaffen, die Gestelle auszuwechseln. Man muss sich immer mit der Entwicklung des Marktes befassen, neben der Tradition und der Liebe zur alten Musik offen sein für Neues, für elektronische Tasteninstrumente, E-Gitarren, Perkussion. Hinzu kommt, dass die vielen Mietinstrumente und das grosse Lager an Meisterinstrumenten viel Kapital binden. Und schliesslich muss man Geld verdienen, das ist das A und O. In dieser Branche ist das sehr anspruchsvoll.»

Doch noch eine eigene Familie

Damit hat Erika Hug nicht gerechnet. Dieser Mann ist offen, gewinnend, von entwaffnender Unbeschwertheit, «eine absolut aussergewöhnliche Person und das pure Gegenteil meines introvertierten Vaters». Sie lernt Eckard Harke 1986 auf einer Tagung des Fachverbands Musikinstrumente in Deutschland kennen, er leitet drei Musikfachgeschäfte in Detmold und Paderborn. Als Erika Hug und Eckard Harke 1989 heiraten, ist das nicht nur ein privates Glück, sondern auch für die Firma ein grosser Gewinn. Denn er kennt das Handwerk von Grund auf und ist ein erfahrener Musikfachhändler. «Solche Leute sind dünn gesät. Plötzlich hatte ich einen super Fachmann, das hat uns wahnsinnig stark gemacht.» Sein eigenes Geschäft übergibt er seinen Söhnen aus erster Ehe.

Und es geht weiter mit dem unverhofften Glück, Erika Hug wird mit 43 Mutter. «Ich hatte mir immer Kinder gewünscht, aber einfach keinen guten Mann gefunden, ich hatte ja gar keine Zeit dazu.» Rechtzeitig vor der Ankunft des Babys zieht die Familie in eine geräumige Wohnung in Zumikon. «Meine bisherige Wohnung war zu klein, und in der Stadt fand ich nichts Passendes. Ich muss Ruhe haben und einen Ausblick. Später mieteten wir ein Haus in Küsnacht mit einem wunderbaren Garten, ich bin ein Mensch der Erde.»

Was doch so ein kleines Kind an Neuem, Überraschendem mitbringt, «phänomenal, der Hammer, eine wahnsinnige Motivation! Julian war ja so ein lustiger Bub. Mit ihm habe ich nach Jahrzehnten wieder angefangen zu singen, ich musste mich erst wieder in die Kinderlieder hineinfinden. Und manchmal haben wir zusammen Musik gemacht, mein Mann spielt Klavier und Julian hatte eine Ukulele und eine kleine Geige.» Betreuung, Kindergarten, Schule verlangen Aufmerksamkeit. Erika Hug ist der Meinung, dass der Staat sich gut – besser! – um die Kinder kümmern sollte. «Ein Staatsgebilde, in dem die Frauen unterdrückt oder marginalisiert werden, kann sich nicht optimal entwickeln.» Tagesschulen seien das Gebot der Stunde, findet sie, und wenn der Staat sich drücke, müsse man halt von privater Seite die Initiative ergreifen. «Ich wollte in der Innenstadt mit Jelmoli und andern Geschäften einen Hort organisieren. Aber die haben mich ausgelacht, das sei nicht ihr Problem. Und in der Wohngemeinde stemmten sich ausgerechnet die Frauen dagegen. Richtig giftig waren die! Gott sei Dank konnte ich mir ein Kindermädchen und eine Haushälterin leisten. So war immer jemand da, wenn Julian von der Schule heimkam.»

Kinder und Musik zusammenbringen

Lange bevor Erika Hug selber Mutter wird, hat sie schon die Kinder im Blick. Gerade leicht mache man es den Kindern ja nicht mit der Musik, findet sie. «Wer schon mit Kindern ein klassisches Konzert besucht hat, weiss, wie schwierig das Stillsitzen für sie ist, und wie gering die Toleranz der andern Konzertbesucher. Kindertheater und Weihnachtsmärchen gab es schon lange, aber Konzerte für Kinder suchte man vergeblich.» Die Konzerte «Extra für Chind» sind eines der ersten Projekte der Stiftung «Kind und Musik», die Erika Hug 1982, zum 175-jährigen Jubiläum des Familienunternehmens, ins Leben ruft. «Es gab keine Stühle im Saal, alle mussten von daheim ein Kissen mitbringen. Nach dem Konzert durften sich die Kinder auf der Bühne die Instrumente zeigen lassen und sie sogar anfassen. Der Erfolg war umwerfend. Die Konzerte fanden im Theater 11 in Zürich-Oerlikon statt, dann auch in andern Schweizer Städten.»

Damit wirft die Stiftung einen Stein ins Wasser, der bis heute Kreise zieht. Inzwischen werden landauf, landab viele Kinderkonzerte angeboten, sogar die Zürcher Tonhalle, diese vornehme, alte Dame, setzt immer wieder welche auf ihr Programm, und das Zürcher Kammerorchester lädt gar zu einem Nuggi-Konzert für die ganz Kleinen ein.

«Pass auf! Nicht anfassen!» Das hört Erika Hug auch im Musikgeschäft. Die Angestellten in der Instrumentenabteilung reagieren nervös auf Kinder, und die Eltern, ängstlich bemüht, teuren Schaden zu vermeiden, versuchen sie unter Kontrolle zu halten. «Wir vermitteln dem Kind: ‹Das ist nichts für dich.› Wie soll es denn eine Beziehung zu einem Musikinstrument aufnehmen können?» Eine weitere Idee nimmt Gestalt an: «Wir brauchen einen Musikladen für Kinder, nach dem Vorbild des Kinderbuchladens gleich hier um die Ecke.» Im Kindermusikladen an der Laternengasse sind die Regale niedrig, alles ist in Reichweite der Kinder, Anfassen erlaubt. «Es gibt auch Kinder-CDS, einfach alles, was ein Kinderherz musikalisch erfreuen kann. Vermutlich ist es weltweit der erste Kindermusikladen, aber längst nicht mehr der einzige. Mir soll es recht sein.»

Der Kindermusikladen bietet auch eine Instrumentenberatung an. Sich die verschiedenen Instrumente von kundiger Hand zeigen zu lassen, sie anzufassen und auszuprobieren – hätte es diese Möglichkeit früher schon gegeben, Erika Hug hätte wahrscheinlich den Weg zum Klavier gefunden, statt sich mit der Geige herumzuquälen.

Sie ist sich bewusst, dass diese Fragen nur in privilegierten Kreisen gestellt werden. «Solange der Musikunterricht freiwillig und kostenpflichtig ist, gehen am Zürichberg die meisten Kinder in die Musikschule, im Schulkreis Limmattal fast keine. Musikunterricht muss einfach zum Lehrplan gehören und gratis sein, für alle Kinder.» Eine Utopie? In der Stadt Zürich gab es das schon einmal. Der umtriebige Zürcher Lehrer und SP-Gemeinderat Rudolf Schoch brachte es fertig, dass 1947 Zürich als erste Stadt in der Schweiz den Blockflötenunterricht in den ordentlichen Stundenplan integrierte und subventionierte. Er legte besonderes Gewicht auf den Gruppenunterricht. Erika Hug erinnert sich gern daran: «Wir hatten eine sehr gute Musiklehrerin, eine Frau Stern, die mich beeindruckte. Wenn alle miteinander Blockflöte spielten, ergab sich ein ganz besonderer Chorklang. Für andere war das vielleicht ein Zwang, aber ich fand es super.»

Das Projekt des «Klassenmusizierens», das von der Stiftung «Kind und Musik» unterstützt wird, geht wesentlich weiter. Die Idee kommt aus den USA, Eckard Harke hat sie in Deutschland kennen gelernt, und Erika Hug hat sie begeistert aufgegriffen. Die Broschüre «Klassenmusizieren» umschreibt sie so: «Man stelle sich vor: Schulkinder, die gemeinsam musizieren. Und zwar alle, nicht nur die durch Elternhaus und kulturellen Hintergrund privilegierten. Man stelle sich Kinder vor, die stolz und sorgfältig mit ihren Instrumenten umgehen, die nach wenigen Wochen satte orchestrale Klänge produzieren und die selbstverständlich Noten lesen können.» In einzelnen Schulklassen und Gemeinden ist das Projekt umgesetzt worden. Mehr Breitenwirkung wäre erwünscht, denn es kommt bei allen Beteiligten sehr gut an, bei Kindern und Eltern wie bei den Lehrpersonen. «Das ist mein Engagement für Kinder. Wenn wir nicht für sie schauen, was soll dann aus unserer Welt werden? Musik ist ein wertvoller Beitrag für die Entwicklung eines Kindes. Das ist meine persönliche Meinung, nicht nur, weil ich ein Musikgeschäft habe.»

In der Stadt Zürich ist der Blockflötenunterricht für alle längst wieder gestrichen worden, zu viele andere Fächer haben sich in den Lehrplan der Volksschule gedrängt. Auch zur Lehrerausbildung gehört die Musik nicht mehr zwingend dazu. Verschwindet also das aktive Singen und Musizieren aus dem Kinderalltag? Offenbar teilen viele Menschen in der Schweiz diese Sorge. Der Zufall will es, dass im Herbst 2012, wenige Tage nach meinem Gespräch mit Erika Hug, das Gesetz über die Förderung von «Jugend und Musik» an der Urne mit grossem Mehr angenommen wird.

Die siebte Generation im Musikhaus Hug?

Mittlerweile ist Erika Hug im AHV-Alter angekommen. Sie sieht aber nicht so aus, als wollte sie demnächst nur noch ihre Reben in Südfrankreich pflegen. Vor kurzem gab es einen Wechsel im Direktorium, so hält sie vorübergehend in der Geschäftsleitung wieder die Zügel in der Hand. Sie ist Verwaltungsratspräsidentin der Musik Hug AG, hat den Vorsitz der Pensionskasse, der Suisa-Stiftung, welche das Musikschaffen unterstützt und Urheberrechte schützt, und der Stiftung «Kind und Musik». Und sie ist weiterhin aktiv bei der Gestaltung der Corporate Identity. «Ich arbeite sehr gern. Ich finde, es hält einen frischer, wenn man den Kopf noch brauchen muss.»

Ob der Vertreter der siebten Generation dereinst das Musikgeschäft übernehmen wird? Erika Hug lässt sich nicht festlegen, ihr Sohn wird sich zu gegebener Zeit selber entscheiden. «Er zeigt sich interessiert, aber das muss man mit Vorsicht geniessen. Mit 23 Jahren wusste ich auch noch nicht, was ich wollte.» Sie wird wohl noch einige Jahre im Geschäft aktiv bleiben.




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