Читать книгу Linos Instinkt - Dorothee Fesel - Страница 6
Anfang und Ende
ОглавлениеGustav schwimmt nah über dem Boden auf und ab, die sechs Ärmchen hat er in Denkerpose auf dem Rücken gefaltet. Ich merke, wie Ludwig davon nervös wird. Er ist sowieso am ungeduldigsten von uns allen, auch wenn er immer so cool tut. Kein Wunder, dass er schon so weit entwickelt ist. Jetzt schwimmt er Gustav in den Weg und bringt ihn so zum Stehenbleiben. „Warum gehen wir nicht einfach hoch?“, fragt Ludwig. „Wir alle zusammen. Jetzt sofort.“
Gustav schwimmt einen Bogen um Ludwig. „Es ist noch nicht soweit“, erklärt er. „Wir können nicht einfach hoch gehen, wenn wir Lust dazu haben!“ Ludwig reicht das nicht: „Ach ja? Und woran bitte sollen wir erkennen, wann es soweit ist?“
„Na, am Instinkt.“ Gustav schwimmt wieder in die entgegengesetzte Richtung. „Wir haben einen Instinkt.“
Ludwig schaut Gustav zweifelnd an, findet aber keine Widerworte. „Das heißt, mein Instinkt sagt mir, wann es soweit ist? Ich muss also nur warten, bis mein Instinkt mir sagt, ich soll zur Wasseroberfläche? Coole Sache“, findet er und fängt sich ein paar Schwebeteilchen als Snack zwischendurch.
„Da oben“, sagt Carla und löst ihren Blick dabei nicht von der Wasseroberfläche, „da oben ist das Ende und der Anfang!“ Sie behauptet, eine Forelle, die im Sterben lag, hätte ihr das mal erzählt. Das ist schwer zu glauben, denn Forellen sind unsere Feinde, aber Carla schwört, dass die Forelle das zu ihr gesagt hätte: Da oben ist das Ende und der Anfang.
„Die Forelle hat einen Wurm gegessen und nicht gesehen, dass der an einer Angel hing. So wurde die Forelle, schneller als sie das Maul wieder öffnen konnte, einfach aus dem Wasser befördert“, erzählt Carla. „Dort wurde sie in einen Eimer geworfen, in dem schon ganz viele andere Forellen zappelten und nach Wasser rangen. Und weil der Eimer so voll war, ist die Forelle wieder raus gefallen und zurück in den Bach gerutscht. Sie war aber von der vielen Luft dort oben ganz schwach und erschöpft. Sie konnte mir das gerade noch erzählen, dann ist sie gestorben, obwohl sie wieder im Bach war.“ Carla schweigt bedeutungsvoll.
Wir schauen sie ungläubig aber fasziniert an. Sie flüstert jetzt: „Da oben ist das Ende und der Anfang, das hat die Forelle gesagt!“
Leider können wir mit dieser Aussage nicht allzu viel anfangen. Aber es hört sich geheimnisvoll und aufregend an. Ludwig allerdings hatte noch nie einen Sinn für Zauber und meint: „Das heißt also, wenn ich mich an so nen Wurm hänge, der wiederum an ner Angel hängt, dann komme ich auch nach oben?“ Gustav sieht ihn strafend an: „Du kannst nicht einfach hoch, Mann! Wie oft soll ich das noch sagen? Höre auf deinen Instinkt. Du musst warten bis es soweit ist!“ Ludwig tritt ein paar feine Steine zur Seite: „Warten, warten. Ich kann`s nicht mehr hören! Ich will jetzt endlich wissen, was da oben passiert!“
Ich versuche, den aufkeimenden Streit zwischen Ludwig und Gustav zu schlichten: „Hör mal, Ludwig, das Warten ist doch quasi Vorfreude. Und Vorfreude ist die schönste Freude!“ Ludwig schaut mich genervt an, dann tritt er richtig fest gegen einen Stein und sagt: „Das ist keine Vorfreude - das ist stinknormales, langweiliges Warten!“