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Schauerregen

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Ich betrachte Carla und frage mich, was sie denkt, während sie den ganzen Tag an die Wasserobefläche schaut. Es ist schwierig, ihr mal in die Augen zu sehen. Aber ich habe gehört, dass Liebe nicht heißt, sich gegenseitig an zu schauen, sondern gemeinsam in eine Richtung zu schauen… Nun, das tun wir ja die meiste Zeit. Wir schauen beide zur Wasseroberfläche. Obwohl ich doch oft lieber Carla anschaue statt das verschwommene Weißblaugrau. Jetzt ziehen sich ihre schönen großen Facettenaugen zusammen und sie peitscht nervös mit ihren drei Hinterleibsfäden in den Sand. Ich folge ihrem Blick. Es ist nicht zu übersehen - die Wasseroberfläche wird durchbrochen wie von tausend kleinen Nadeln: Es regnet.

„Ach du heiliges Algengestrüpp“, kann Gustav noch sagen, dann spüren wir auch schon, wie die Strömung sich verstärkt. Manchmal wünschte ich, wir wären nicht in einem fließenden Gewässer geboren worden, sondern in einem ruhigen Tümpel. Aber leider kann man sich ja nicht aussuchen, wo man geboren wird. Das sagt mir mein Instinkt.

Das Wasser fließt jetzt schneller und schneller bachabwärts und übt mächtig Druck aus. Carla schreit auf und klammert sich an mir fest. Wohl nicht, weil sie denkt, ich könne ihr am meisten Sicherheit geben, sondern weil ich direkt neben ihr stehe. Ich meinerseits versuche, mich so fest wie möglich im Sandboden zu verhaken, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden. Das kostet doppelt soviel Kraft mit Carla auf mir und so richtig genießen kann ich dadurch die Körpernähe zu ihr nicht. Der Regen lässt nicht nach, die Strömung wird stärker. Ich sehe, wie Gustav und Ludwig sich immer weiter in den Sand eingraben. Also drücke ich Carla ebenfalls in den Sand. „Grab dich ein“, schreie ich sie an. „Buddel dich in den Boden ein!“ Carla versteht und arbeitet sich mit aller Kraft in den Sand hinein. Als ich merke, dass sie sich dadurch selbst halten kann, lasse ich kurz los, um auch zu buddeln. Obwohl ich nur einen Facettenaugenblick ohne Halt bin, erfasst mich der Sog. Ich kann nicht anders als zu schreien, auch wenn das verdammt uncool ist. „Ahhhhhhhhh“ tönt es aus mir heraus. Aber die anderen können mich sowieso nicht mehr hören, denn ich werde von dem Strom bachabwärts getragen.

Oh Gott.

Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott.

Ich versuche, im Sand einen Halt zu finden, aber immer wieder zieht mich das Wasser weg. „Ich will nicht sterben“, denke ich. „Nicht, bevor ich nicht über der Wasseroberfläche gewesen bin!“

Jetzt treibe ich direkt auf eine Alge zu. Die muss ich zu greifen bekommen, mit irgendeinem der sechs Ärmchen! Wenn ich mich daran festhalten kann oder darin einen Unterschlupf finde, dann habe ich noch eine Chance!


Ich nehme meine letzte Kraft zusammen und konzentriere mich. Ich muss gleich ganz fest zupacken, sonst reißt mich das Wasser weiter. Die Alge kommt immer näher. Und näher und näher. Plötzlich und viel zu schnell ist sie direkt vor mir. Ich packe mit allen Ärmchen zu und halte und halte.

Ich merke, dass ich die Augen geschlossen habe. Ich öffne sie ganz vorsichtig und langsam. Ich traue meinen Facettenaugen kaum – ich hänge an der Alge! Ich halte mich an der Alge fest! Zwar nur mit zwei Ärmchen, aber das reicht. Jetzt nur noch durchhalten, bis der Regen aufhört und die Strömung schwächer wird. Ich schließe wieder die Augen und halte die Alge so fest ich kann.

„Alter, jetzt mach dich mal locker! Der Regen ist doch längst vorbei!“, höre ich eine Stimme. Ich öffne die Augen. Vor mir steht Ludwig und grinst. Dahinter entdecke ich Gustav und Carla. Ich kann meine Freude kaum verbergen: „Ihr habt mich gefunden! Juhuu! Alter Falter, ich dachte schon, ich muss sterben! Nur mit letzter Kraft konnte ich mich an der Alge festhalten!“, erkläre ich. Alle lächeln mich milde an. Ich verstehe nicht, wie sie so entspannt sein können. Das hätte auch richtig ins Facettenauge gehen können! Aber ich habe mich gerettet, in letzter Sekunde! Ich bin hier der Held! Wo ist mein achtzehnärmiger Applaus?

Aber von den anderen kommt nichts. Anscheinend scheine nur ich meine Leistung zu erkennen. Gustav meint: „War doch gar nich so stark, die Strömung!“ und Ludwig findet: „Außerdem hatte der Regen doch schon aufgehört, als du dich an der Alge festgehalten hast, Lino!“

Wie, das ist alles, was sie dazu sagen? Ich glaube es ja nicht! Die beiden haben keine Ahnung! Ich hoffe nur, dass Carla die Situation richtig einschätzt. Ich schaue sie hilfesuchend an. Sag was zu meinem Heldentum, Carla! Carla sagt: „Ich finde es toll, dass meine Frisur immer noch sitzt!“

Ich schaue sie alle an, Gustav, Ludwig und Carla, und erkläre, dass ich jetzt schlafen gehen werde. Von diesem Tag will ich echt nichts mehr wissen.

Linos Instinkt

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