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Ungeduld

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Am nächsten Morgen scheint die Sonne, als ob es nie auch nur ein Tröpfchen geregnet hätte. Ich wache von den Strahlen auf und bin irre gut gelaunt. Bei Sonne ist Warten gleich viel angenehmer. Sie wärmt die oberen Schichten des Wassers auf, und ab und zu kommt ein warmer Schub zu uns herunter. Außerdem ist bei dem Licht viel mehr durch die Wasseroberfäche hindurch zu erkennen. Heute sieht es blau aus, strahlend blau.

Ich wecke die anderen. Wir fangen uns ein paar Wasserflöhe zum Frühstück und setzen uns in einer Reihe auf den Grund des Baches. Carla sieht verschlafen aus. Sie verzichtet auf das Frühstück und flechtet stattdessen Gräser in ihre Hinterleibsfäden. Das sieht hübsch aus.

„Sieht hübsch aus“, sagt Ludwig und Carla lächelt. Ich ärgere mich, dass ich es nicht gesagt habe. „Wenn du es hübsch findest, dann finden die oben es sicher auch hübsch!“, erklärt Carla glücklich. Die oben – wer soll das eigentlich sein?

Ludwig schaut Carla an und rückt ein Stück dichter an sie ran. Carla merkt es gar nicht, denn ihr Blick klebt, wie üblich, an der Wasseroberfläche. Ludwig kommt ihr immer näher. Dann drückt er seinen Mund auf Carlas Mund. Ich traue meinen Facettenaugen nicht. „Ludwig!“, rufe ich, aber da ist es schon geschehen. Carla schaut Ludwig böse an und haut ihm mit den Fühlern auf den Kopf. „Spinnst du?“, sagt Carla, „Mein Traumprinz wartet doch oben! Ich will mich für ihn aufheben!“ Sie steht auf und geht beleidigt weg. Woher sie so genau weiß, dass ihr Traumprinz jenseits der Wasseroberfläche auf sie wartet, ist mir ein Rätsel. Muss wohl Instinkt sein. Ludwig ist sauer, dass Carla sauer ist. „Zicke“, sagt er vor sich hin und fast hätte ich mich mit ihm angelegt, wenn Gustav nicht dazwischen gegangen wäre: „Mann, hört auf. Ludwig ist halt einfach n bißchen frühreif!“ Vielleicht ist Ludwig auch einfach nur ein bißchen schlecht erzogen, denke ich. Er macht einfach immer, was er will. Ich lasse von ihm ab und schaue wieder zur Wasseroberfläche.

Gustav räuspert sich. Das macht er nur, wenn er eine seiner Predigten halten möchte. Genau das passiert: „Ich habe das Gefühl, je länger wir warten, umso schlechter wird die Stimmung“, sagt er im Oberlehrerton. „Wisst ihr, wenn man auf etwas wartet, dann wird die Zeit ewig lang. Wenn man gar nicht dran denkt, dann geschieht es einfach. Zum Beispiel, wenn man sich eine Zigarette anzündet, dann kommt immer der Bus!“ Ludwig und ich wechseln Blicke. Manchmal hat man echt das Gefühl, Gustav käme von einem anderen Gewässer. Keinen Schimmer, wovon der redet. „Zigarette…Bus…Was fürn Quatsch“, sagt Ludwig und wir müssen beide grinsen. Und aus dem gemeinsamen Grinsen wird ein Lachen. Wir lassen uns auf den Rücken fallen und halten uns die Bäuche. Gustav sieht uns erst verärgert an, dann muss er mitlachen. Wir lachen so sehr, dass wir in einer Sandwolke verschwinden.

Die Sonne ist schon längst unter gegangen, als wir immer noch auf dem Rücken liegen. Die Wasseroberfläche ist jetzt ein dunkles schwarzes Loch. Ich bin sehr nachdenklich. „Was ist, wenn wir auf etwas warten, das nie eintreffen wird?“, versuche ich meine Gedanken in Worte zu fassen. „Stellt euch vor, wir kommen da nie hin, über die Wasseroberfläche. Könnte das vielleicht sein, dass wir nur denken, wir kämen eines Tages da hin?“

Ludwig stößt einen verachtenden Laut aus: „Wir denken nicht, wir haben Instinkt! Stimmt`s, Gustav?!“ Ich lasse mich nicht beirren. „Ich meine, stellt euch mal vor, wir warten unser ganzes Leben lang auf etwas, das nie passiert“, sage ich.

„Warten auf Godot, das meinst du“, sagt Gustav. „Wer oder was ist denn Godot?“, fragt Ludwig.

„Na, das sagt man, wenn man auf was wartet, das nie eintreffen wird!“, erklärt Gustav. Jetzt ist Ludwig sauer: „So ein Quatsch. Dass wir irgendwann hier raus kommen, ist doch wohl klar!“ Gustav gräbt nervös mit den Hinterleibsfäden im Sand herum: „Ich sag ja nur, dass Lino nicht ganz unrecht hat – diese Jungs, die ich meine, die haben ewig lange auf den Godot gewartet, obwohl die den gar nicht kannten, und die dachten, der Godot kommt auf jeden Fall, der Godot kommt sicher – er ist aber nie gekommen!“

Gustav schaut jetzt sehr nachdenklich und auch Ludwig setzt sich verwirrt auf. Ich starre zur Abwechslung mal auf den Boden. Gustav ergreift als Erster wieder das Wort: „Kopf hoch, Leute! Wir sind doch keine Pessimisten!“ Ludwig ist genervt: „Was ist denn nun das schon wieder – ein Pissimist?“ Ich weiß es und versuche zu erklären: „Ein Pessimist ist ein Schwarzmaler!“, sage ich.

„Hä? Ein Schwarzmaler?“ Ludwig versteht überhaupt nichts mehr.

„Nicht Schwarzmaler, sondern Schwarzmaler. Einer, der immer nur das Schlimmste erwartet und alles schlecht macht“, erklärt jetzt Gustav.

Ludwig schaut mich an: „Wir sind keine Schwarzmaler, das sind wir nicht“, sagt er. „Aber ihr müsst schon zugeben, dass wir schon ziemlich lange hier rumwarten. Eine gefühlte Ewigkeit!“ Gustav und ich nicken.

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