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Prolog – Auf der Ringstraße

Wien um 1900 – Ort und Zeit sind untrennbar mit Gustav Klimt verbunden. Sein Name ist Inbegriff der faszinierenden Kunst- und Lebenswelt der Jahrhundertwende. In der Millionenmetropole der Donaumonarchie Österreich-Ungarn, die ein Schmelztiegel verschiedenster Volksgruppen ist, blüht die Kunst wie kaum an einem anderen Ort. Im Fin de Siècle, zwischen Traditionspflege und Aufbruch in die Moderne, entwickeln Malerei und Literatur, Musik und Architektur, Kunstgewerbe und Theater schöpferische Kräfte in enormer Fülle und Vielfalt. Klangvolle Namen wie Sigmund Freud, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Arthur Schnitzler, Otto Wagner oder Egon Schiele prägen das einzigartige Profil jener Zeitenwende. Wien avanciert zu einem Schauplatz neuer Ideen und Ausdrucksformen. Im Mittelpunkt dieses Kunstfrühlings stehen Gustav Klimt und seine aufsehenerregenden Bilder.

Zuvor aber markiert ein besonderes Ereignis den Auftakt seiner erfolgreichen Laufbahn. Es ist der 24. April 1879: Der 17-jährige Gustav und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ernst stehen an der Wiener Ringstraße, um gemeinsam mit mehreren Zehntausend Schaulustigen das Spektakel des großen Festzuges zur silbernen Hochzeit von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth zu verfolgen. 14000 Personen in historischen Kostümen ziehen auf opulent ausgestatteten Festwagen vorüber. Ganz Wien ist auf den Beinen, niemand möchte dieses Gesamtkunstwerk der k. u. k. Monarchie verpassen. Für die künstlerische Leitung des Prunkzuges zeichnet der Malerfürst Hans Makart verantwortlich; die Gestaltung der Festwagen hat er seinen besten Kollegen anvertraut, die wiederum ihre talentiertesten Schüler mit einbeziehen. So erhalten auch die jungen Klimt-Brüder, die erst vor kurzem an der Wiener Kunstgewerbeschule ihre Ausbildung begannen, die Chance zum Mitwirken an dem bedeutenden Großereignis. Viele der schmuckvollen Dekorationsmalereien an den Wagen stammen von ihrer Hand. Stolz blicken Gustav und Ernst Klimt auf die gigantische Selbstinszenierung des Kaiserreichs, zu der sie ihren Teil beitragen. Damit können sie in den Kreis der wichtigen Akademieschüler vordringen – wo weitere Aufträge warten. Ein vielversprechender Beginn.

Brennpunkt des Geschehens ist die Ringstraße, der neue Prachtboulevard um die Innenstadt, mit dem Wien prestigeträchtigen Anschluss finden will an die modernen europäischen Hauptstädte. Nachdem 1857 durch kaiserlichen Beschluss das Großprojekt gestartet und die alten Befestigungsanlagen niedergerissen sind, setzt ein beispielloser Bauboom ein; Dekoratives, das vor allem repräsentativ wirken soll, ist en vogue. Davon profitieren Architekten und Künstler. In der Tat liefert der Bau der Ringstraße den eigentlichen Startschuss für Wiens Aufbruch in eine neue Zeit. Doch die Moderne ist noch fern. Mit dem Baustil des Historismus huldigt man vergangenen Epochen: griechische Tempelfassaden für das Parlament, Gotik für das Rathaus, Renaissance für die Universität. Auch die Formensprache der Bürgerpalais vertraut auf das Bekannte und Bewährte. Elegante Offiziere und schöne Wienerinnen, unterwegs in stolzen Pferdegespannen oder beim Flanieren über den sonntäglichen Ringstraßen-Korso, prägen das Bild der kaiserlichen Hauptstadt. Man kleidet sich nach der neuesten Mode, speist in vornehmen Restaurants und geht abends in die Oper. Musik erklingt überall, die Walzerseligkeit von Johann Strauss gibt den Takt vor. Wissenschaft und Technik florieren. Es ist ein aufstrebendes Land, bevor 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkrieges das Kaiserreich zerfällt.

Im Wien der Jahrhundertwende beherrscht vor allem das Bürgertum mit seinem Hang zu Lebensgenuss und Vergnügungssucht das gesellschaftliche Parkett. Man schätzt die ästhetische Kultur als persönlichen Status, bietet sie doch die Möglichkeit, sich mit der Aristokratie und deren exklusiven Kreisen auf eine Stufe zu stellen. Sichtbarster Ausdruck des wohlhabenden, durch Handel und Industrie reich gewordenen Großbürgertums sind die Prachtbauten entlang der Ringstraße. Mäzene aus der bürgerlichen Oberschicht fördern die Künste und übernehmen damit allmählich die angestammte Rolle des Adels. Kultivierte Eleganz, schöngeistige Libertinage und verfeinerte Lebensart prägen das Klima in den Salons, Kaffeehäusern und Theatern. Abseits der glanzvollen Quartiere wuchern jedoch Armut, Laster und Kriminalität. Triste Arbeiterviertel, Obdachlosenasyle und Männerwohnheime bilden die andere Seite Wiens und sorgen für soziale Spannungen. Der pompöse Prunk des 19. Jahrhunderts wiederum wirkt in schwülstigen Historienbildern von Hans Makart nach; sie erfreuen das Gemüt des eher konservativen Publikums. Gegen jenen Traditionskult regt sich freilich schon bald Widerstand in den Reihen der jungen, fortschrittlich orientierten Künstlerschaft. Der Wille zur Erneuerung der Kunst, die das Leben in allen Bereichen durchdringen soll, mündet 1897 in die Gründung der Wiener Secession, deren erster Präsident Gustav Klimt wird.

In dieser an- und aufregenden, ebenso trägen wie überspannten Atmosphäre kann sich seine Kunst entfalten. Die sinnlichen Bildwelten, die Schönheit der Ornamente, der Reichtum des Dekors, die Opulenz der Formen und Farben und die reizvolle Rätselhaftigkeit seiner Bildschöpfungen ziehen die Betrachter in ihren Bann. Vor allem der Faszination für Klimts Leitmotiv kann sich niemand entziehen: die Darstellung des Weiblichen in allen Facetten. Anmut und Grazie, Eros und Sexualität, Ekstase und Verführung sind die ewigen Obsessionen in seinem Schaffen und prägen seine einzigartigen Frauenbilder – die Damenporträts, Allegorien und Akte. Durch sie wird Klimt berühmt und berüchtigt. Sie lassen ihn zum begeistert gefeierten wie heftig umstrittenen Malerstar seiner Zeit werden.

Gustav Klimt und das ewig Weibliche

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