Читать книгу Du bist gut so, wie du bist! - Dr. Catherine Senécal - Страница 13

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Das Leben in Rosa und Blau

Viele Eltern suchen die Kleidung für ihre Kinder mehr oder weniger automatisch aus. Ohne es zu hinterfragen, kaufen sie rosa Kleider mit Schleifen für ihre Tochter und bequeme Kleidung mit Superheldenfiguren darauf für ihren Sohn. Dabei galt Rosa in der Vergangenheit nicht immer als Mädchenfarbe. Die Historikerin Jo B. Paoletti von der Universität Maryland verweist in ihrem Buch Pink and Blue: Telling the Girls from the Boys in America darauf, dass bis etwa 1940 alle Kinder bis zum Alter von sechs Jahren neutrale weiße Kleidung trugen. Sie erwähnt auch, dass Mädchen in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts sehr männlich gekleidet waren, was für die Emanzipation der Frau und die Freiheit stand. 1985 dagegen, berichtet die Autorin, ist die neutrale Kleidung nach Aufkommen der Ultraschalluntersuchung vollständig verschwunden. Dank Ultraschall kann man das Geschlecht des Kindes im Voraus erfahren und das Zimmer in Abhängigkeit vom Geschlecht dekorieren. Das hat den Herstellern ganz neue, einträgliche Märkte eröffnet. Von der Gestaltung des Kinderzimmers über die Windeln bis hin zur Kleidung – das am meisten typisierte Produkt ist am wenigsten wiederverwendbar, und das treibt die Verkaufszahlen in die Höhe.

Einmal abgesehen von der Farbe der Kleidung … Ist Ihnen schon aufgefallen, wie sehr die Schnitte für Jungen und Mädchen voneinander abweichen? Der Unterschied ist frappierend, wie man an den Entwürfen der amerikanischen Kleidermarke Girls Will Be sehen kann.


Eine Studie, die der Frage nachgeht, was den Bewegungsdrang von drei- bis sechsjährigen Kindern in den Vereinigten Staaten einschränkt, kommt zu eher überraschenden Ergebnissen. Nach der Auswertung von 34 Kindertagesstätten erkennen die Forscher, dass unpassende Kleidung einer der Hauptgründe für eingeschränkte Bewegung ist (zum Beispiel das Tragen von Kleidern, Schmuck, Sandalen, zu engen Sachen etc. bei Mädchen). Damit wären die Kinder schon im Vorschulalter nur eingeschränkt in der Lage, Sport zu machen und gesunde Lebensformen zu entwickeln, und das aufgrund von Kleidung, die ihre Bewegungsfreiheit und ihr Wohlbefinden einschränkt. Diese Studie wirft ernste Fragen auf.

Es ist in der Tat wichtig, die häufig engere und kürzere Kleidung für Mädchen zu hinterfragen. Das Ziel ist sicher nicht, sie bequemer zu machen. Was also verbirgt sich hinter dieser Tendenz? Möchte man dadurch mehr Haut zeigen oder die Taille und die Figur der Mädchen hervorheben? Die Sexualisierung der Mädchen beginnt sehr früh und auf fast schon hintersinnige Art und Weise, und die Botschaft, die diese Kleidung übermittelt, ist besorgniserregend.

Die Sexualisierung von Mädchen im Kleinkindalter: ein bedenkliches Phänomen

Mädchen können bereits sehr früh im Leben die Botschaften der Medien in Bezug auf die Sexualisierung ihres Körpers verinnerlichen. Der American Psychological Association (APA)33 zufolge spricht man von Sexualisierung, wenn:

1. der Wert einer Person allein von ihrem sexuellen Reiz oder Verhalten kommt und andere Charakteristika ausschließt,

2. eine Person an einer Norm gemessen wird, bei der körperliche (und genau definierte) Attraktivität gleichbedeutend mit sexy ist,

3. eine Person benutzt wird – also zum Objekt für den sexuellen Gebrauch durch andere wird, statt als jemand wahrgenommen zu werden, der fähig ist, unabhängig zu entscheiden und zu handeln, und/oder

4. die Sexualität jemandem in unangemessener Weise aufgezwungen wird.

Eine Studie34, die vor Kurzem in Australien erstellt wurde, hat den Einfluss sexualisierter Medien (die sich ausdrücklich an Jungen und Mädchen richten) bei 300 Mädchen von sechs bis neun Jahren bewertet. Sie mussten angeben, welche von 18 Fernsehsendungen sie wie häufig schauten und wie oft sie in 14 Zeitschriften für ihre Altersgruppe lasen. Wie intensiv sie sexualisierten Medien ausgesetzt waren, wurde anschließend berechnet, indem die Punktzahl, mit der die Forscher jedes Medium belegt hatten, mit der Nutzungshäufigkeit jeder Teilnehmerin multipliziert wurde. Beispiele für Medien mit einem hohen Sexualisierungsgrad waren in der Studie Barbie Magazine, Cosmo, Dance Academy, Disney Girl, Big Brother etc. Anschließend zeigte man den Teilnehmerinnen der Studie sechs Bilder desselben Mädchens, das jedes Mal anders gekleidet war, wobei die Kleidung immer aufreizender und knapper wurde. Die Teilnehmerinnen mussten danach ihre eigenen Kleidungsvorlieben angeben und sagen, wie sie die Vorlieben ihrer Freundinnen und der Jungen fanden. Zum Abschluss wurden verschiedene Fragebögen eingesetzt, um die Beziehung zu ihrem Körperbild zu bewerten. Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang: Je stärker die Mädchen sexualisierten Medien ausgesetzt sind, desto eher bevorzugen sie sexualisierte Kleidung und desto negativer ist ihr Körperbild.

Viele Eltern äußern Unbehagen angesichts der Kinderkleidung, welche die Modebranche in den Industrieländern anbietet. Girls Will Be, eine Marke für bequeme Mädchenkleidung, initiiert von Eltern, die mit den gängigen Marktstandards unzufrieden waren, ist hier positiv zu bewerten. Es geht nicht darum, sämtliche Kleidungsstücke in Rosa wegzuwerfen, sondern als Konsument Verantwortung zu übernehmen und beim Einkaufen beispielsweise bequeme Sachen zu wählen, die unseren Töchtern ermöglichen, sich frei zu bewegen und ihre Persönlichkeit durch Worte und Taten zum Ausdruck zu bringen, statt nur durch ihr Aussehen und ihre Sexualität.

Werfen wir noch einen Blick auf die Botschaften, die auf Schlafanzügen oder T-Shirts gezeigt werden und oft unverhohlen Rollenklischees vermitteln.



Praxistipp

Hier ein amüsanter Test, um herauszufinden, ob Ihre Erwartungen in Bezug auf Ihr Kind stereotyp sind. Stellen Sie sich einen ganzen Tag, den Sie mit Ihrem Kind verbringen, vor, es gehöre zum anderen Geschlecht (Ihr Kind weiß nichts davon, Sie behalten diesen Test für sich). Gehen Sie zusammen Ihren üblichen Beschäftigungen nach, und versuchen Sie, darauf zu achten, ob sich bestimmte Ihrer Verhaltensweisen ändern:

Welche Spiele oder Unternehmungen schlagen Sie Ihrem Kind vor?

Wie ziehen Sie es an?

Haben Sie den Eindruck, Ihrem Kind beim Essen eine andere Portion zu servieren?

Legen Sie während des Tages ein klischeebehaftetes Verhalten an den Tag, versuchen Sie, über mögliche Alternativen nachzudenken. Falls es so ist, machen Sie sich keine Vorwürfe; es handelt sich um einen Reflex, der zum Großteil auf soziale Erfahrungen zurückzuführen ist, die wir permanent erleben. Obwohl ich genauestens mit der Problematik vertraut bin, habe ich mich selbst dabei ertappt, wie ich während einer Reise in einem Souvenirladen ein Armband für meine Tochter (dekorativ) und ein Jojo für meinen Sohn (nützlich) auswählte! Wichtig ist doch, den Kurs zu ändern … Was mich betrifft: Ich bin zurückgegangen und habe zwei Jojos gekauft!

Abschließend lässt sich wohl sagen, dass Elternsein nicht leicht ist in einer Epoche, in der Körper häufig als sexuelle Objekte wahrgenommen werden und die Rollen oft noch starr sind, obwohl unsere Gesellschaft sich gern egalitär gibt. Ich weiß nicht, wie oft ich im Einkaufszentrum meine Kinder abgelenkt habe, damit sie die Riesenwerbung nicht sehen, auf der eine fast nackte Frau sich vor einem Wäschegeschäft in lasziver Pose zeigt. Es läuft auf einen immerwährenden Kampf hinaus, wenn man sich die sexuellen Klischees bewusst macht, denen unsere Kinder ausgesetzt sind. Dennoch ist es möglich, diesem sozialen Druck etwas entgegenzusetzen.

Vergessen wir nicht, dass die Erwachsenen, die das direkte Umfeld eines Kindes sind, immer noch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung seiner Werte spielen. Unser kritischer Blick und die Erklärungen, die wir geben können, um sexuelle Stereotype zu entlarven, sind von entscheidender Bedeutung. Und wenn wir unser Kind ermutigen, seinen Körper und die Körper anderer nicht als Objekte wahrzunehmen, dann stärken wir seine Widerstandskraft gegenüber dem Druck und sein Selbstwertgefühl.

Du bist gut so, wie du bist!

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