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KAPITEL 1

LEBEN SIE DAS LEBEN DER ANDEREN?

Wer will ich sein?

Ich bin das Produkt der Erziehung meiner beiden Schwestern. Als ich zwölf Jahre alt war, hatte ich mal die »spinnerte« Idee, alle Früchte des Orangenzierbäumchens meiner Schwester Kathrin abzuschneiden, das auf ihrer Fensterbank stand. Als sie das unschöne Ergebnis sah, packte sie mich am Schlafittchen, zog mich ins Bad und steckte meinen Kopf ins Klo. Wortwörtlich hat sie mir dort den Kopf gewaschen. Wie man sich gegenüber anderen Menschen verhält, habe ich also früh und eingängig gelernt. Wie man mit sich selbst umgeht – das hat ein bisschen länger gedauert.

Ich war ein unsicherer junger Mann. Als Naturwissenschaftler und Doktor der Chemie hatte ich vor allem meine Ratio entwickelt. Zu meiner Intuition hatte ich im jungen Erwachsenenalter nur wenig Kontakt. So wälzte ich sogar Bücher darüber, wie man am besten Kontakt mit dem anderen Geschlecht aufnimmt – und fand dort Parallelen zur Rhetorik von Sales-Seminaren und zur Vertriebslogik. Nicht dass die dort aufgestellten Regeln nicht funktionieren würden. Ich kam in Kontakt mit Frauen, weckte ihr Interesse – doch die Begegnungen, die daraus entstanden, waren seelisch wenig nahrhaft. Entweder sie blickten fraglos zu mir auf oder versuchten sehr stark, mein Leben zu dominieren. Ich vermisste eine tragende Partnerschaft auf Augenhöhe. Ich war auf der Suche, im Privaten wie im Berufsleben, doch ich hatte noch wenig Ahnung davon, wo sich mein innerer Kompass möglicherweise verbergen könnte.

Mittlerweile, mit Ende 30, halte ich Vorträge vor Tausenden Menschen. Die Anfragen für einzelne Tage häufen sich so sehr, dass ich oftmals sieben oder acht davon absagen muss, weil ich an einem Tag maximal zwei bis drei Auftritte in einer Stadt annehmen kann. Beziehungen mit anderen Menschen verlaufen authentischer und sind von Wohlwollen geprägt. Was ist passiert? Ich habe meine Intuition gefunden – und dann auch noch gelernt, auf sie zu hören. Inspiriert dazu wurde ich von vielen besonderen Menschen in meinem persönlichen und im öffentlichen Leben, von denen ich Ihnen hier in diesem Buch erzählen möchte.

Das Ziel meiner Arbeit ist es, Menschen zusammenzubringen und zu begeistern. Mit jeder Show und jedem Vortrag möchte ich erreichen, dass Menschen ihr Potenzial ausschöpfen und maximal auf alle Lebensbereiche erweitern. Manche erleben hautnah bei mir auf der Bühne Dinge, die sie so noch nie erlebt haben. Wer sich auf das Abenteuer einlässt, hat dabei sensationellen Spaß. Die Frage ist: Erlauben Sie sich loszulassen, zu vertrauen und mit mir ein Stück auf die Reise zu gehen?

In Deutschland tendiert ein großer Teil der Menschen zu mehr oder weniger häufigen depressiven Verstimmungen. Dahinter stecken Leistungs- und Perfektionsansprüche – und noch einiges mehr, das später noch angesprochen wird. Perfektion schließt jedoch Zufriedenheit aus. Wer perfekt sein will, wird sein Ziel nie erreichen. Ich selbst bin zwar perfektionistisch in Bezug auf die Leistungen auf der Bühne, mit diesem Anspruch belaste ich aber nicht mein gesamtes Leben. Manchmal darf es beispielsweise bei mir zu Hause auch chaotisch aussehen, wenn ich viel zu tun habe. Während mir bei meiner Homepage die korrekten Zeilenabstände sehr wichtig sind, mache ich im Urlaub gern Rucksackreisen und laufe am liebsten in Flip-Flops durch die Gegend. Ich liebe den lockeren Laissez-faire-Stil, bin also nur punktuell perfektionistisch.

In Deutschland schätzen wir die Leistung, das ist ein Wert, den wir gelernt haben. Er hat uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind. Problematisch wird es allerdings, wenn wir uns dabei stur und festgefahren verhalten. Wenn wir nicht spielerisch wie Kinder auskundschaften und ausprobieren, was möglich ist, sondern gleich das große, perfekte Ziel erwarten. Das hält uns oftmals davon ab, unseren Wünschen und Träumen nachzugehen. Der Gedanke, dass der erste Entwurf gleich perfekt sein müsste.

Zwei Faktoren lassen uns superschnell, supereffizient depressiv werden. Wir vergleichen unsere Leistung mit der anderer, allerdings mit dem Blick von außen. Dabei sehen wir aber nicht, was jemand geleistet hat, wie viel Energie er dort hineingesteckt hat, um am Ende die Früchte seiner Arbeit zu ernten. Wir sehen bloß die Früchte und stellen fest: Ich will die auch, ich habe die aber nicht. Das ist der erste Denkfehler. Der zweite: Wir fokussieren uns auf Dinge, die wir noch nicht haben, statt das wertzuschätzen, was wir haben. Diese beiden Denkweisen in Kombination sind das beste Mittel für schlechte Laune.

Dagegen angehen können wir, indem wir uns die Frage stellen: Was wollen wir eigentlich? Ich frage Sie: Welche Lebensqualität wollen Sie in Ihrem Leben haben? Und stimmt bereits alles, oder gibt es ein paar Schrauben, an denen gedreht werden müsste? Ob es Zeit ist, sich zu verändern, sagt uns unsere Intuition. Wenn wir nicht hinhören wollen, kommuniziert sie notfalls über unseren Körper. Die Seele sagt: »So, auf das, was wir gerade durchmachen, habe ich keine Lust mehr. Dafür stecke ich nicht in diesem Körper drin.« Das sagt die Seele dem Unterbewusstsein. Und das Unterbewusstsein schaut, was es machen kann. Vielleicht bekommt diese Person einen Hautausschlag, nimmt unkontrolliert zu, weil sie beispielsweise einen Mangel an menschlicher Bindung mit Süßem kompensiert. Die Augen werden matter, sie funkeln nicht mehr. Die Haare reagieren, hängen schlaff herunter oder fallen gleich ganz aus. Und einer der häufigsten Wege, wie sich die Seele ausdrückt: Bauchweh. Der Magen krampft oder auch der Darm. Manche Menschen können dann nur noch wenig essen, werden ganz dünn und verlieren ihre Widerstandskraft.

In unserem Bauch residiert ein gigantisches Nervensystem, das im ständigen Austausch mit unserem Gehirn steht. Deshalb fühlen wir so viele Emotionen so intensiv im Bauch, beispielsweise auch wenn wir verliebt sind und die Schmetterlinge flattern. Unsere Intuition meldet sich immer erst als zartes Gefühl. Ignorieren wir sie, sorgt sie in einer unguten Situation für erstes Unwohlsein oder sogar Schmerzen. Hören wir dann immer noch nicht hin, steigert sie die Intensität der Signale weiter. Vielleicht können wir nicht so viel essen wie zuvor, und der Magen beginnt, von Zeit zu Zeit zu krampfen. Im Extremfall kann es sogar sein, dass sich dieser Mensch spontan übergibt.

Das Grundproblem liegt in diesem Fall an mangelnder Achtsamkeit. Ich glaube, wenn jemand achtsam ist, dann ist er es nach innen und außen. Achtsamkeit funktioniert nicht eingleisig. Wenn wir uns selbst mehr wahrnehmen, nehmen wir auch automatisch unsere Mitmenschen intensiver wahr. So habe ich es selbst erlebt. Zu Beginn meiner Selbstständigkeit ging ich zu einem Coaching, um herauszufinden, wie ich meine Geschäftsidee am besten vorantreibe. Meine Fragen schienen schlicht: Wie kriege ich mehr Aufträge? Und wie bekomme ich mehr Folgeaufträge? Durch dieses Coaching allerdings zeigten sich mir alle Dimensionen von Erfolg. Hier spielt eben auch das Private hinein, das Zwischenmenschliche, die Prägung meiner Vergangenheit, die teilweise noch meine Erfolge im Jetzt blockierte. Und zum ersten Mal stellte ich mir ganz bewusst die Frage: Wofür bin ich eigentlich da?

Wer nur vor sich hin lebt, bleibt passiv. Er agiert Muster aus, die er oder sie von anderen übernommen hat. Ob sie überhaupt zu diesem Menschen passen, ist eine ganz andere Frage. Leider hinterfragen bisher nur wenige, was sie eigentlich tun. Deshalb erleben wir so viel Frust auf der Welt. So viel Aggressivität und noch mehr Passiv-Aggressivität, wo Menschen mit Sticheleien und kleinen Seitenhieben versuchen, ihren eigenen Frust auf andere zu schieben. Auch Suchterkrankungen haben oft ihre Wurzel in einem ungelebten Leben – und in ungeweinten Tränen.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder lassen wir den Leidensdruck unglaublich hoch werden, bevor wir in die Veränderung gehen. Oder wir sind inspiriert und gehen in Vorleistung. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel Google. Diese Firma ist immer wieder in Vorleistung gegangen, hat Produkte auf den Markt gebracht, die teilweise unrühmlich krepiert sind. Auf dem Google-Friedhof liegen unter anderem das kürzlich gescheiterte soziale Netzwerk Google+, Alternativen zu Wikipedia sowie Google Video, mit der YouTube Konkurrenz gemacht werden sollte. Das hat aber nicht geklappt. Was lernen wir daraus? Wenn eine oder auch mehrere Geschäftsideen versagen, heißt das nicht, dass der Ideengeber ein Versager ist. Google-Gründer Larry Page soll mit seinen 45 Jahren 2019 ein Vermögen von 43,9 Milliarden Euro angehäuft haben.1 Der Informatiker hatte in den Neunzigern den grundlegenden Algorithmus erfunden, auf dem Google basiert. Seitdem hat sich Google nicht auf seinen Lorbeeren ausgeruht, sondern sich immer wieder selbst herausgefordert – und hat mit Produkten wie Google Maps weitere Riesenerfolge eingefahren. Das ist ein grundlegendes Prinzip, das auch jeder von uns beherzigen kann. Um zu erfahren, was funktioniert und wofür wir brennen, müssen wir Dinge einfach mal ausprobieren.

Dazu müssen wir zunächst die Verantwortung für uns selbst übernehmen. Als Erwachsene tragen wir zu 100 Prozent die Verantwortung für uns selbst. Wer über andere lamentiert, schiebt die eigene Verantwortung von sich. Klingt radikal, ist aber so. Sicher, es gibt Momente, die wir nicht beeinflussen können. Bei einem Unfall etwa oder bei einem Überfall, wenn man von der Absicht eines anderen Menschen überwältigt wird. Das sind furchtbare Situationen, aber ihr Anteil an unserem täglichen Erleben ist sehr gering. In den allermeisten Fällen ist es so: Interpretation erschafft Wirklichkeit. Gab es ein Schlüsselerlebnis in der Kindheit, war die Beziehung zu den Eltern suboptimal, haben Vater oder Mutter irgendetwas zu Ihnen gesagt, das Sie damals negativ interpretiert haben? Hat beispielsweise der Vater gesagt: »Du musst dich mehr anstrengen«, und Ihnen kam der Gedanke: »Ich bin nicht gut genug, mein Vater liebt mich nicht, bin ich ein Versager?« Das ist Ihre Interpretation. Nur selten und in bedauerlichen Familienverhältnissen nennen Eltern nämlich ihre Kinder tatsächlich »Versager«. Und doch fühlen sich so viele Menschen so schwach. Weil sie sich durch ihre eigene Interpretation der Dinge selbst schwächen, bis weit ins Erwachsenenalter hinein.

Aus unseren Interpretationen ziehen wir Erkenntnisse. Diese (vermeintlichen) Erkenntnisse färben die Brille, mit der wir unsere Welt sehen. So kann es beispielsweise sein, dass eine Frau im Zuge einer negativen Beziehungserfahrung mit einem Mann ihre Männerbrille einfärbt und schlussfolgert: Männer taugen alle nichts. Und nun der Effekt: Diese Frau wird Männer tatsächlich auf diese Weise erleben. Sie sieht sie durch diese Brille und sammelt Belege für ihren Glaubenssatz. Nette Männer werden übersehen oder so stark herausgefordert, bis sie ratlos das Handtuch werfen. Das muss nicht sein. Wir können unsere eingetrübten Brillen wieder gegen einen klaren Blick eintauschen, indem wir verstehen, wie das Unterbewusstsein und unsere Intuition überhaupt funktionieren.

Was ist Intuition überhaupt?

Es war Dr. Joseph Murphy (1898–1981), der die Intuition in die öffentliche Debatte holte. Sein Bestseller »Die Macht Ihres Unterbewusstseins« von 1962 verkauft sich immer noch gut. Murphy vertrat das Positive Denken als Heilmittel für negative Zustände. Diese Sichtweise ist inzwischen zwar längst überholt, doch er warf auch einige interessante Dinge in den Raum.

Murphy zufolge entsteht durch die Begegnung des Bewussten und des Unterbewussten unser Bauchgefühl – und noch eine Reihe weiterer körperlicher Reaktionen. Dabei ist das Ziel unseres Körpers immer, eine Balance, eine Harmonie herzustellen, in der alle Anteile unseres Selbsts im perfekten Verhältnis zueinander stehen und sein dürfen. Organisch gesehen ist das der Zustand von Gesundheit, gewissermaßen also der Normalzustand. Dysbalancen in unserem Bewusstsein und Unterbewusstsein hingegen können das gesamte Körper-Geist-System belasten.

Mittlerweile ist nachgewiesen, dass unser Unterbewusstsein einen großen Effekt auf unseren körperlichen Zustand hat. Der portugiesische Neurowissenschaftler und Bewusstseinsforscher António Demásio beschreibt die Auswirkungen einer Intuition so: Im Unterbewusstsein sitzt quasi ein riesiges Archiv mit all unseren Erfahrungen. Das Erfahrungsgedächtnis teilt mit der vegetativen Regulation des Herzschlags, des Blutdrucks, der Muskelspannung und der Schweißabsonderung mit, auf was sich unser System gerade einstellen muss: Aktion oder Entspannung. Mit anderen Worten: Unser Unterbewusstsein sagt uns Bescheid, ob wir weiter voranschreiten oder lieber anhalten sollen.

Im Bauch selbst sitzt eine Art zweites Gehirn. Hauchdünn zwischen den Muskellagen durchziehen Nervenzellen und -stränge den Darm. Deshalb spüren wir unsere Gefühle so oft und intensiv im Bauch. Genau genommen ist das Nervensystem in unserem Bauch unser erstes Gehirn, argumentiert der französische Neurogastroenterologe Dr. Michel Neunlist von der Universität Nantes.2 Denn primitive Mehrzeller bestanden zunächst nur aus einem Verdauungskanal, aus dem sich dann das sogenannte enterische (also das »Darm«-)Nervensystem entwickelt hat. Die Evolution setzte dann noch unser Kopfgehirn obendrauf, was sich zusammen mit der Ausbildung von Augen und Ohren als vorteilhaft für die Nahrungssuche erwies. Hätte die Natur es bei dem enterischen Nervensystem belassen, würden wir bis heute unsere gesamte Energie nur für die Nahrungsaufnahme und Verdauung aufwenden und definitiv keine Bücher schreiben oder lesen.

Welches »Gehirn« indes für was zuständig ist, scheint allerdings nicht immer eindeutig geklärt. Beide Nervensysteme sind über den Nervus vagus verbunden, quasi die Datenautobahn für Botschaften zwischen Kopf und Bauch. Um ihre Botschaften zu verschicken, benutzen die Nervenzellen des Gehirns und des Darms dieselben Neurotransmitter, beispielsweise das berühmte Serotonin. Im Kopfgehirn gilt Serotonin als Wohlfühl-Botenstoff. Im Bauch reguliert der Neurotransmitter den Rhythmus der Verdauungstätigkeit und des Immunsystems. Es hat auch noch eine Reihe weiterer Aufgaben: Bei jungen Müttern reguliert Serotonin beispielsweise die Bildung von Muttermilch. Wohl deshalb haben Kulturen über alle Epochen verstanden, dass frisch gebackene Mütter besonderen Schutz und die Zuwendung ihres sozialen Umfelds brauchen, damit sie ihr Baby gut nähren können.

Die Wiege des Serotonins ist der Magen-Darm-Trakt. Hier werden 95 Prozent des Botenstoffs produziert. Im Kopfgehirn wirkt Serotonin vor allem auf den Hypothalamus. Diese Region gehört zum sogenannten limbischen System, in dem Gefühle stehen und ihren Ausdruck suchen. Der Hypothalamus übersetzt sie in körperliche Gefühle – und eben somatische Marker, wie Demásio sagte. Bauch und Kopf stehen dabei im ständigen Wechselspiel miteinander. So nimmt laut Prof. Michael D. Gershon von der Columbia University in New York unser Bauch, genauer gesagt das enterische Nervensystem, auf unsere Gefühle Einfluss, indem es Signale an unser Gehirn schickt. Diese Botschaften laufen immer unterbewusst, können aber die Wahrnehmung unserer Umwelt verändern.

Durch die Verlegung einiger Aufgaben in die Peripherie, so argumentiert Prof. Michael D. Gershon, arbeitet das Kopfgehirn effektiver. Vergleichen Sie es mit einem Computer an Ihrem Arbeitsplatz: Dort haben die meisten nur den Monitor auf dem Schreibtisch, während der dicke Prozessor selbst unter dem Schreibtisch steht. Was der Computer im Hintergrund alles berechnet – das wollen nur wenige Nerds genau wissen, die eben hier ihr Talent und ihre Leidenschaft finden. Gut, dass es sie gibt! Und danke, dass sie mir ermöglicht haben, dieses Buch zu schreiben.

Mittlerweile haben Forscher festgestellt, dass sich Bauch- und Kopfgehirn so stark ähneln, dass möglicherweise sogar die Ursachen für neurologische Erkrankungen wie Depressionen oder Parkinson im Bauch liegen könnten. So wiesen Neurologen um Dr. Michel Neunlist 2006 nach, dass Parkinson auch im Bauch festgestellt werden kann. Bei einer Darmbiopsie weisen die Nervenzellen im Bauch dieselben parkinsontypischen Schäden auf wie im Gehirn. Das zweite Gehirn im Bauch hat jedenfalls alles, was ein integratives Nervensystem braucht. Michael Schemann, Professor für vegetative Physiologie, schätzte es in einem Artikel der Zeitschrift Geo so ein: »Man kann sagen, das Darmhirn denkt.«3

Fassen wir zusammen: Das enterische Nervensystem und unser Kopfgehirn sprechen also dieselbe Sprache, nutzen dieselben Kommunikationskanäle und teilen denselben embryonalen Ursprung.4 Neben dem Serotonin strömen noch sämtliche weitere Botenstoffe des Kopfgehirns ebenfalls durch das Nervensystem im Darm: Dopamin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA) sowie noch 27 andere. Den Vagusnerv, der als neuronale Verbindung zwischen beiden »Gehirnen« verläuft, hielten Mediziner lange für eine Art Sprachrohr »Kopf an Darm«. Heute weiß man, dass die Priorität genau andersherum liegt: Nur rund zehn Prozent der Informationen fließen von oben nach unten. 90 Prozent funkt hingegen das Darmhirn an die Kommandozentrale im Kopf!5

So kommt es, dass wir eine wohlige Wärme im Bauch spüren, wenn es uns seelisch gut geht. Schlägt uns allerdings etwas auf den Magen, ist das ein Signal, das man nicht ignorieren sollte. Denn unserem »Darmhirn« mit über 100 Millionen Nervenzellen sollte man zumindest einmal zuhören, was es zu sagen hat. Es kann uns davor bewahren, Krankheitssymptome zu ignorieren. Es kann uns auch davor schützen, uns in gefährliche oder belastende Situationen zu begeben. Und je nachdem, wie sehr wir uns von unserer eigenen Wahrheit und dem, was uns guttut, entfernen, desto vehementer wird das enterische Nervensystem Warnsignale schicken.

So weit, so gut, aber wie kommt man eigentlich an seine Intuition heran, wenn man sich über Jahrzehnte daran gewöhnt hat, sie möglichst wegzudrücken?

Wie komme ich mit mir selbst in Kontakt?

Wenn ich die Leute frage: »Was wollen Sie machen, was ist Ihre Vision?« Dann sagen manche von ihnen: »Ich habe keine.« Darauf antworte ich: »Stellen Sie sich vor, auf Ihrer linken Schulter landet eine Fee, die flüstert Ihnen ins Ohr: ›Egal was Sie jetzt machen, Sie werden damit finanziell erfolgreich sein. Es darf alles sein.‹ Die Fee garantiert Ihnen den finanziellen Erfolg mit Ihrer Idee. Was würden Sie der Fee sagen?«

Diese Fee ist eine Metapher, die Leute geben sich mit diesem Bild die Erlaubnis zu träumen. Eine Fee ist schließlich ein Fabelwesen, und deshalb ist das Ganze ja nur ein Spiel. Auf der linken Schulter sitzt sie deswegen, weil diese Körperseite mit unserer rechten, kreativen Gehirnhälfte verstärkt in Verbindung steht. Auf diese Weise kommt die Wahrheit ans Licht. Weil die Leute plötzlich nicht mehr ihrem Muster verhaftet sind, diesem »Nein, das klappt doch eh nicht«. Da ich im Konjunktiv frage »Was würden Sie der Fee sagen?«, beginnen die Leute, dem Fabelwesen, das sie nun fast tatsächlich auf ihrer Schulter spüren, zu erzählen, was sie gern hätten. Plötzlich sind sie voller Ideen, konkret und ausgefeilt.

Bei einer Frau während meiner öffentlichen Bühnenshow war der Effekt geradezu sensationell. Danach kamen Zuschauer auf mich zu und sagten, sie hätten Gänsehaut bekommen. Ich fragte diese Dame nach ihrem Herzenswunsch und sah, wie sie schluckte. Dann sagte sie, sie würde gern eine Berufung finden. Also schrieb ich auf: »Berufung finden.« Sie kam auf die Bühne, und ich gab ihr einen Umschlag. Ich sage in solchen Momenten immer: »Das Ganze ist ein Déjà-vu, und im Vorfeld habe ich bereits intuitiv erfahren oder eine Eingebung gehabt, was heute, an diesem Abend passieren wird.« Sie saß also auf der Bühne, und dann sagte ich: »Martina (Name geändert), die Berufung wollen Sie finden. Was wäre Ihre Berufung?« – »Keine Ahnung.« Nun kam das Spiel mit der Fee und ich sagte: »Schließen Sie die Augen, und erzählen Sie mal.« Auf einmal legte sie los, erzählte von einem Begegnungszentrum, das sie gründen wolle. Und sie hätte schon den kompletten Plan zur Umsetzung.

Und noch vor wenigen Augenblicken hatte sie ja gesagt: »Mir fällt nichts ein.« Kaum kommt die Fee vorbei, öffnet sich das Tor, und sie erzählt. Ich sagte: »Martina, öffnen Sie Ihre Augen wieder. Ich frage einfach mal ins Publikum – wer von Ihnen glaubt denn, dass Martina mit ihrer Idee erfolgreich sein wird?« Alle applaudierten wild. Martina stiegen die Tränen in die Augen. Sie spürte, dass alle Anwesenden im Saal bei ihr waren und an sie und ihre Idee glaubten. Ich habe ihr dann alles Gute für ihr Vorhaben gewünscht. Sie weiß nun: Wenn sie ihrer Leidenschaft nachgeht, dann wird es funktionieren. Sie weiß es, weil sie es gespürt hat. Ich war in diesem Moment selbst sehr emotional und stand kurz davor, Tränen zu vergießen. Denn genau das ist meine Vision. Ich will, dass die Menschen ihr Potenzial ausschöpfen, statt es zu vergeuden. Dass sie nicht quasi umsonst auf die Welt gekommen sind, sondern ihren Träumen nachgehen und damit die Welt auch zum Besseren verändern. Jeder und jede mit ihren eigenen individuellen Talenten und Fähigkeiten.

Vor jeder Show meditiere ich. Ich setze mich hin, Hände auf die Schenkel, und lehne mich zurück auf dem Stuhl. Meistens höre ich dabei ruhige Musik, ohne Gesang, einfach nur Klänge. So kann ich hektische Geräusche aus meiner Umgebung ausblenden. Augen zu, einatmen, ausatmen. Mit jedem Einatmen spüre ich, wie die Füße fest auf dem Boden stehen. Ich stelle mir vor, wie ich Energie aus dem Boden langsam in meinen Körper hineinziehe. Dann stelle ich mir weiter vor, ich stünde an einer Wendeltreppe und liefe sie hinunter bis in den Keller. Das ist ein Verfahren, das auch in der Hypnose angewendet wird. Mit jedem Schritt, den ich mental mache, werde ich entspannter. Und während ich diese Wendeltreppe hinuntergehe, höre ich schon, wie mir die Leute sagen: »Coole Show, vielen Dank.« Und ich antworte: »Vielen Dank« und spüre die Liebe für mein Publikum. Ich sehe den Kunden, der mich gebucht hat. Diesen umarme ich, bedanke mich und spüre die Liebe für ihn. Und dieser sagt wiederum: »Vielen Dank, das war eine tolle Show.« Schließlich sind bei dieser Visualisierung auch noch meine Eltern da. Auch sie umarme ich, bedanke mich und sage, dass sie alles richtig gemacht haben bei meiner Erziehung. Und schließlich danke ich Gott, dass ich in meinem Leben genau das machen darf, worauf ich Lust habe. Dann wende ich mich mental einem Aufzug zu, steige ein, drücke den Knopf nach oben. Während der Aufzug hochfährt, richte ich mich auf, alles vibriert, alles bebt. Ich lande bei dieser Visualisierung direkt auf der Bühne, öffne die Arme, mache die Augen auf und muss breit lächeln. Ich bin bereit!

Diese Technik nennt man positive Visualisierung. Sie wird von Managern genutzt, von Bühnenmenschen und Spitzensportlern. Wer sich allerdings ausmalt, was alles schiefgehen kann, der schafft eine negative Visualisierung. Die ist leider mindestens genauso wirksam wie die positive. Denn das Unterbewusstsein wird als treuer Diener das liefern, was dieser Mensch bestellt hat.

Visualisierung führt zu einer Spirale, nach unten oder nach oben. Wir selbst bestimmen, in welche Richtung es geht. Unser Unterbewusstsein liefert, unser Körper reagiert. Haben Sie sich erzählt, was alles schiefgehen kann, wird Ihr Gesicht fahl werden, und Sie werden rote Augen bekommen oder Augenringe oder sogar dunkle Flecken – unser Körper ist clever und kreativ darin, sich selbst auszudrücken. Wenn Sie dann noch mit hochgezogenen Schultern herumdrucksend vor anderen Leuten stehen, haben Sie sich selbst unsicherer in ihrer Sache dargestellt, als Sie eigentlich sind.

Durch die Meditation habe ich mein Unterbewusstsein auf Erfolg programmiert, darauf, dass die Dinge laufen wie gewünscht und dass die Menschen begeistert sind. Natürlich kommt es trotzdem immer mal wieder vor, dass die Dinge eben nicht so laufen, wie sie sollen. Vielleicht klappt die Telepathie zwischen den Gästen nicht, oder die Technik fällt aus. Zu Beginn meiner Karriere war ich dann genervt. Heute mache ich einfach weiter. Sage: »Petra und Peter6 haben alles richtig gemacht, meine Damen und Herren, die Telepathie hat nicht geklappt. Geben Sie den beiden bitte einen Riesenapplaus. Danke, Petra, danke, Peter. Da muss ich irgendetwas falsch gemacht haben.« Ich nehme es also auf meine Kappe, und das Interessante ist: Das Publikum vergisst ganz schnell wieder, was nicht funktioniert hat, wenn ich es nicht mehr anspreche. Das nennt man selektive Wahrnehmung. Wenn man diesen Effekt kennt, kann man auch als Bühnenperformer einiges lockerer nehmen.

»Für mich ist Geld nicht die Definition von Erfolg. Erfolg ist, Menschen zu inspirieren.«

Kanye West, *1977

Rapper, Sänger, Musikproduzent und Modedesigner

Manchmal spreche ich vor Tausenden Menschen. Das fühlt sich intensiv an und auch wahnsinnig gut. Kurz rast dann das Herz, aber ich liebe dieses Gefühl, weil es so lebendig ist. Ich liebe es, auf Bühnen zu stehen und Menschen zu begeistern. Sie wieder die Dinge mit Kinderaugen sehen zu lassen. Sie emotional abzuholen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen.

Was für ein Unterschied zu meinen Anfängen auf der Bühne. Weil ich mich unsicher fühlte, stellte ich mir damals vor: Was mache ich, wenn die Leute sagen, es war schlecht? Wie fühlt sich das an? So schuf ich eine wahrhaft lebendige Vorstellung vom Scheitern. Das war schon fast eine Form der Selbstsabotage, denn solche Vorstellungen ziehen uns nach unten, wir finden die richtigen Worte nicht, und das gesamte körperliche und geistige System reagiert. Das Vokabular aus unserem Mund ist negativ gefärbt, irgendwie ist alles doof, vielleicht vergessen wir den Text oder haben zumindest Angst davor, ihn zu vergessen. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau das passiert, steigt dabei. Wer mit einer solchen mentalen Haltung die Bühne betritt, steht dann eben auch körperlich komisch da, schief und krumm. Die Stimme wird anders, das System reagiert psychosomatisch. Unter Umständen schnürt es einem sogar die Kehle zu. Deswegen gilt auf der Bühne wie auch im Büro oder in anderen aufregenden Situationen: einfach mal machen. Reden Sie sich ein, dass die Leute Sie lieben werden. Das Lustige ist, sie tun es dann wirklich.

Um bei anderen Leuten gut anzukommen, muss man nicht besonders schön, toll oder sonst irgendetwas sein. Oftmals sind es gerade die offen gezeigten Schwächen, die besonders verzaubern und mitreißen können. Weil jeder von uns Schwächen hat und deshalb auf irgendeiner Ebene in Resonanz dazu gehen kann. Wir lieben es, wenn jemand uns Mut macht. Wenn jemand uns wieder den Glauben daran schenkt, dass wir alles schaffen können, egal wie miserabel die Ausgangslage erst einmal aussieht.

Ein weltweit berühmter Sprecher und Motivationsredner ist beispielsweise Nick Vujicic. Der Australier wurde 1982 ohne Arme und Beine geboren. Dennoch fährt er Skateboard, er surft, schwimmt, spielt Golf, ist Fallschirmspringer und reist um die Welt. Mittlerweile ist Nick auch stolzer Vater zweier Söhne und zweier Töchter, die er mit seiner umwerfend schönen Frau Kanae bekommen hat. Nick lebt ein wahrhaft erfülltes Leben.

Jeder von uns hat Gepäck dabei, und jeder kann etwas darüber erzählen. Jeder von uns hat die Möglichkeit, andere Menschen mit einer ganz eigenen Story zu inspirieren. Dazu muss man oft erst einmal in sich gehen, schließlich sind die meisten von uns Meister im Verdrängen. Doch die Geschichten sind noch da und wirken im Hintergrund.

Mein Freund Max, ebenfalls ein Keynote Speaker, erzählte einmal von seinem Vater. Max war etwa zwölf Jahre alt und saß mit seinem Bruder hinten im Auto. Sie fuhren an ein paar Skateboardparks vorbei, und Max rief aufgeregt: »Papa, Papa, können wir dahin? Ich will Skateboard fahren.« – »Ja, warum denn?«, fragte der Vater. »Das kannst du doch gar nicht.« Dieser Satz hat Max lange geprägt. Neues auszuprobieren und sich Dinge einfach mal zuzutrauen, fiel ihm lange schwer. Doch mittlerweile hat er den daraus entstandenen Glaubenssatz erkannt und aufgelöst. Mit dieser Geschichte spricht er so vielen Männern und Frauen aus der Seele. Es sind die alltäglichen Dinge, die unser Leben wesentlich in eine bestimmte Richtung steuern, wenn wir sie nicht hinterfragen. Und wir haben alle etwas erlebt. Sogar ziemlich viel.

»Nicht Erfolg ist der Schlüssel zum Glück, sondern Glück ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn du gern tust, was du tust, wirst du auch erfolgreich sein.«

Albert Schweitzer, 1875–1965

Arzt, Philosoph, Theologe, Musikwissenschaftler

Die Macht der Intuition

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