Читать книгу Medikamenten-Monopoly - Dr. Franz Stadler - Страница 7
ОглавлениеES FEHLEN ARZNEIMITTEL. Es fehlen Schutzmasken. Es fehlen Transparenz und Information. Lange vor der Coronakrise schon kam es im reichen Deutschland wiederholt zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Durch die Krise wurden längst bestehende und grundlegende Probleme in unserer Arzneimittelversorgung lediglich sichtbar gemacht. Es zeigte sich, dass wir organisatorisch und medizinisch zwar besser aufgestellt sind als andere Länder, unser Gesundheitssystem aber dennoch empfindlich gestört ist, instabil aufgrund von Mangelwirtschaft, Profitgier und Lobbyismus. Was seit Langem rumort, war mit Ausbruch des pandemischen Virus plötzlich nicht mehr zu kaschieren: Profit geht inzwischen vor Gesundheit.
Pharmaunternehmen zielen vor allem auf Rendite, ob mit Packungsgröße, Haltbarkeit oder Standortwahl. Die Politik scheint im Lobbyistensumpf zu versinken, Kontrollen versagen und angepriesene Digitalisierungsprojekte erweisen sich als Flop. Kunden und Patienten sind verunsichert, vor allem jene, die auf lebensnotwendige Medikamente angewiesen sind. Zwar steigen die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und damit die Beiträge für die Krankenkassen kontinuierlich an, das heißt aber keineswegs, dass damit auch die Sicherung der Versorgung mit Medikamenten garantiert ist. Und der Ort, an dem die Versorgungsmängel und viele weitere Konflikte in der täglichen Arbeit konkret werden, ist – die Apotheke.
In meinen mittlerweile 30 Berufsjahren als Apotheker musste ich erleben, wie sich die Arzneimittelversorgung systematisch zu einem unheilvollen, von der Politik gestützten und von den Herstellern gewollten Geschäft entwickelt hat. Und zwar zu einem Geschäft, das sich für Patienten oft genug als bedrohlich erweist. Es sind nicht nur die Lieferengpässe bei Medikamenten, die uns warnen und klar machen müssen, dass wir diesen Weg nicht weitergehen können. Zumindest nicht, ohne das noch bestehende System der Arzneimittelversorgung ernsthaft und nachhaltig zu gefährden.
Wir gefährden das System der Arzneimittelversorgung. Wir gefährden Patienten. Wir gefährden das Leben von Menschen. Und das nur aus einem Grund: Geld.
Die Stunde der Geschäftemacher
Die Arzneimittelversorgung war schon immer ein dubioser und entsprechend intransparenter Markt. Ein Markt, der seinen Absatz durch Zuzahlungen, Incentives oder Druck ankurbelte. Doch im Verlauf der Coronakrise hat sich gezeigt, wie lebensgefährlich dieses System sein kann. Als Apotheker steht man, sozusagen als Repräsentant dieses System, an vorderster Front – bekommt alles mit und alles ab. Sind Medikamente eingeschränkt oder gar nicht lieferbar, reagieren Patienten und Kunden skeptisch – als Erstes gegenüber »ihrer« Apotheke, die sie verdächtigen, die Ursache dieser Probleme liege bei ihr. Dann beginnen sie sich auf die Situation einzustellen, indem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten horten oder nach möglichen Ersatzpräraten suchen. Auch in der Lieferkette – von Herstellern, Groß- und sonstigen Zwischenhändlern bis hin zu Apotheken – wird nach Auswegen gesucht. Auf diese Weise aber tragen alle Seiten zur weiteren Verschärfung der Situation bei.
Doch was die Coronakrise ebenfalls gelehrt hat: Es kann auch anders gehen. Aufgeschreckt durch eine Pandemie ruderten der Gesetzgeber, die Aufsichtsbehörden und die Krankenkassen plötzlich zurück, setzten Auflagen und Verordnungen außer Kraft, erlaubten Dinge, die vor der Krise undenkbar gewesen wären. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die vorhandenen Kompetenzen der Apotheken vor Ort unter dem Spardiktat der Krankenkassen laufend beschnitten. In dem Moment aber, in dem der Zusammenbruch der Versorgung und – mit einem gewissen Recht – eine massive Schuldzuweisung an alle verantwortlichen Stellen zu befürchten standen, wurden Kursänderungen möglich. Wohlgemerkt: Erst eine drohende Unter- beziehungsweise Nichtversorgung von Menschen mit zum Teil lebensnotwendigen Medikamenten machte sie möglich.
Krisen sind bekanntermaßen immer auch die Stunde von skrupellosen Händlern, Gewinnmaximierern und Wucherern. Wann immer es möglich ist, werden Arzneimittel ungeachtet des vorhandenen Bedarfs von einem Land ins nächste verschoben, exportiert oder importiert, ganz wie die jeweiligen Gewinnaussichten es verlangen. Sowohl bei Medizinprodukten als auch bei frei kalkulierbaren Mitteln werden überhöhte Verbraucherpreise berechnet oder auch – die Panik der Menschen zynisch ausnutzend – bestenfalls wirkungslose »Arzneimittel« verkauft.
Ein marodes, instabiles System
Die Summe dessen, was seit Jahren schiefläuft, ist inzwischen beachtlich: als Erstes zu nennen die Wirkstoffproduktion, die größtenteils ins meist außereuropäische Ausland, beispielsweise nach Indien oder China, abwanderte. Die Folge war, dass patentgeschützte Neueinführungen immer teurer wurden und die Fälle von Fälschungen und Verunreinigungen bei Arzneimitteln anstiegen. Dazu kamen zunehmender Kostendruck und der Rabattvertragsmarkt, die immer mehr Lieferengpässe bewirkten. Und nicht zu vergessen der bürokratische Aufwand bei der Abgabe von Arzneimitteln, der ohne großen Nutzen zu erzeugen stetig größer wurde. Zentralisierung und Digitalisierung wurden vorangetrieben – auch wenn sie in vielen Fällen zu einer Destabilisierung der Arzneimittelversorgung führten. Kurz: Das gesamte System begann, aus den Fugen zu geraten und instabil zu werden.
Dies alles geschah weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, ereignete sich schleichend und praktisch im Verborgenen. Die Zahl der direkt Betroffenen war lange (noch) zu gering, auftretende Skandale fanden nur höchst selten den Weg aus den Fachgruppen hinaus in die mediale Öffentlichkeit. Nur Insider wussten Bescheid, wenn sie es denn wissen wollten. Die meisten von ihnen hatten sich mehr oder weniger bequem eingerichtet, sich mit der Situation arrangiert oder auch Kritik und Widerstand gegen die Missstände desillusioniert aufgegeben. Blieben vereinzelte Mahner, die leicht ignoriert werden konnten.
Ohne Reservekapazität
Von seriösen Wissenschaftlern schon lange befürchtet, war mit dem Aufkommen einer – wodurch auch immer ausgelösten – Pandemie zu rechnen. Dass sie letztlich immer überraschend kommen, also außerhalb einer engeren Planbarkeit liegen, gehört zum Wesensmerkmal von Katastrophen. Die von Covid-19, einem Virus aus der Gruppe der Coronaviren, verursachte Pandemie hat zu Einschnitten und Eingriffen in unser aller Leben geführt, deren Tiefe man noch wenige Wochen zuvor für unmöglich gehalten hätte. Ein großer Teil der von der Regierung veranlassten Maßnahmen war nur deshalb notwendig, weil unser aktuelles Gesundheitssystem aus sich heraus keine Lösungen mehr anbieten konnte. Weil komplett durchökonomisiert, hatte es so gut wie keine freien Reserven mehr, war so »auf Kante genäht«, dass die für den Krisenfall erforderliche Flexibilität und Ressourcenkraft fehlten.
Die Pandemie brachte also nur die auf Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zurückzuführenden Schattenseiten ans Licht. In der Arzneimittelversorgung ächzte und rumpelte es bereits vor Ausbruch der Seuche, was unter Belastung schnell schlimmer wurde. Dass außerdem unnötige Mehrfachkontakte zwischen Apothekenmitarbeitern und Kunden zu vermeiden waren, wie sie zuvor bürokratiebedingt völlig üblich waren, sei als zusätzlicher Grund nur am Rande erwähnt.
Was in der Krise alles möglich war
Das perfekte Symbol zur Darstellung der Situation ist die heilige Corona, die im katholischen Glauben Schutzpatronin des Geldes und der Schatzsucher ist, in manchen Regionen aber auch bei Seuchenausbruch um Beistand angerufen wird. Ihre Patronate decken also das Ökonomische, aber auch das Krisenhafte unserer Zeit ab. Das Coronavirus wirkte wie ein Katalysator in der schonungslosen Offenlegung aller bestehenden Defizite – entstanden in Zeiten des Geldes, des ungezügelten Gewinnstrebens und der übermächtigen Bürokratie. Die jahrelang so konsequent wie ignorant übergangenen Konzepte einiger Kritiker wurden schlagartig zu Notwendigkeiten, die nun auch von der Politik nicht mehr gänzlich übergangen werden konnten. Die Krisenbewältigung verlangte konkretes Handeln, Notverordnungen wurden erlassen, Bürokratie abgebaut, um marktwirtschaftliche Auswüchse im Gesundheitswesen möglichst rasch zu korrigieren.
So war es beispielsweise ab Mitte März 2020 für Apotheken möglich, von der sonst strikt einzuhaltenden Reihenfolge bei Ausgabe von Arzneimitteln abzuweichen, die Orientierung an Rabattverträgen oder vorrangig abzugebenden Importen war nicht mehr so wichtig. Allerdings nur, wenn ein dringender Fall (Akutversorgung) vorlag, ein Sonderkennzeichen und der Vermerk »Covid-19« oder »Corona« mit Datum und Unterschrift von der Apotheke auf dem Rezept angebracht wurde – ein bisschen Bürokratie musste doch noch sein. Plötzlich erinnerten sich manche Krankenkassen auch wieder an die fundierte Ausbildung der Apothekenmitarbeiter und erlaubten bei nicht vorrätigen Präparaten den Ersatz durch Arzneimittel einer anderen Wirkstoffstärke, einer anderen Packungsgröße oder einer anderen Darreichungsform. Und tatsächlich gelang es, Lieferengpässe zu überbrücken und unnötige Kundenkontakte zu reduzieren.
Nach der Pandemie ist vor der Pandemie
Es besteht die Gefahr, dass alle jetzt getroffenen Maßnahmen mit dem Ende der Pandemie aufgehoben werden und weitergemacht wird wie zuvor. Die Notverordnungen verschwinden mit der Seuche. Zurück bleiben das alte System und dessen schleichender Zerfall, der ungehindert weitergeht. Die Öffentlichkeit wird sich erleichtert anderen Themen zuwenden und die Demontage unserer Arzneimittelversorgung geht weiter. Deshalb ist es notwendig, eine in Umsetzung und Wirkung nachhaltige Gegenstrategie zu entwickeln, denn: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.
Dieses Buch ist das Aufheulen einer Alarmsirene: Unser System der Arzneimittelversorgung steht vor dem Kollaps. Künftig wird nicht mehr jeder Kranke jederzeit die besten Arzneimittel bekommen, Kranksein also riskanter werden. Qualität wie auch Umfang der Versorgung werden weiter rückläufig sein, Medikamente häufiger fehlen. Covid-19 war und ist der ultimative Stresstest, der uns zwingt, uns zu entscheiden, welches Patronat der heiligen Corona wir einfordern: das des Geldes oder das der Seuchenbekämpfung.
Wissen und Verstehen sind die Mittel der Wahl, will man dem beunruhigenden Szenario einer dauerhaft schlechten Versorgung mit Arzneimitteln offensiv begegnen. Deswegen werde ich im Folgenden Ursachen und Art der Bedrohung unserer Arzneimittelversorgung zusammenstellen und sie benennen. Und das heißt im Wesentlichen, die Rolle der Finanzinvestoren und der überregional agierenden industriellen Strukturen und ihren immer machtvolleren Einfluss auf die Politik zu beleuchten. Die Globalisierung macht auch vor pharmazeutischen Produkten nicht halt und ist eine wesentliche Triebfeder der zu beobachtenden Entsolidarisierung.
Arzneimittel in Zukunft nur noch für Reiche?
Seit Jahren wird in Deutschland Gesundheitspolitik nicht mehr im Interesse der Patienten, sondern als eine Art Wirtschaftspolitik betrieben. Daran wird auch Covid-19 nichts ändern, wenn wir nicht besagte neue Strategie erarbeiten, zu der dieses Buch einen Beitrag leisten will. Denn ein Ende der verfehlten »Gesundheitspolitik« ist nicht abzusehen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die daraus resultierenden Bedrohungen greifen werden: Wie lange kann beispielsweise ein solidarisches Gesundheitssystem unter den gegebenen Bedingungen eine optimale Versorgung mit Arzneimitteln leisten? Wie lange wird es noch dauern, bis auch in unserem Land nur noch finanziell gut bis sehr gut aufgestellte Bevölkerungsteile bestmöglich versorgt werden? Und wird die überwiegende Mehrheit der Menschen künftig nur noch eine minderwertige Versorgung mit Arzneimitteln erhalten? Werden auch wir Situationen erleben wie während der Coronapandemie in den USA, wo schon heute nur noch eine kleine, besonders wohlhabende Schicht in den Genuss der bestmöglichen Versorgung mit Arzneimitteln kommt und sich die neuesten Arzneimittel leisten kann?
Längst ist es wie gesagt nicht mehr der Patient, der im Mittelpunkt der Ausgestaltung von Gesundheitsversorgung steht. Innerhalb des Systems gibt es viele Player, die unter- und miteinander um ihren Anteil am Gesamtkuchen ringen. Wir steuern unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit auf eine drastische Verschlechterung der Medikamentenversorgung in unserem, für viele Menschen noch immer vorbildlichen, Gesundheitssystem zu. Die Warnsignale sind deutlich vernehmbar. Hinzu kommt, dass die lokalen, dezentralen Einrichtungen geschwächt werden, und schon die nächste Pandemie könnte uns ähnlich hart treffen wie die Coronapandemie die USA heute.
Von der Apotheke zur Resterampe
Als Insider war ich jahrzehntelang Teil eines Systems, dessen Hauptinteressen in seinem Selbsterhalt liegen. Nach fast 30 Jahren Selbstständigkeit als Apotheker habe ich verstanden, dass man nicht betrügerisch vorgehen muss, um auf der falschen Seite zu stehen. Es reicht, einfach nur seine Arbeit zu machen. Deshalb mein Appell: Die Gruppe der integren und dem Wohl der Patienten verpflichteten Apotheker muss ihre Stimme erheben. In den vergangenen Jahren bin ich mit meinen strukturellen Änderungsvorschlägen in Gremien und Politik immer wieder gescheitert. Mir geht es nun darum, meine Perspektive, die Sicht eines Praktikers, öffentlich zu machen. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Hier wurden wichtige Medikamente und Wirkstoffe entdeckt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg, spätestens aber ab den 1960er-Jahren galt diese Feststellung nur noch als historische Reminiszenz, hat sich der Sache nach in den letzten Jahren ins Gegenteil gewandelt: Mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe werden heute in Indien oder China hergestellt, als entsprechend störungsanfälliger erweist sich die Wirkstoffversorgung heute. Besonders in Krisenzeiten!
Noch immer hat Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme, um das uns viele Länder beneiden, und auch die Arzneimittelversorgung funktionierte bis vor wenigen Jahren ohne größere Probleme. Inzwischen aber gelten viele Bereiche des Systems als instabil, häufen sich die Lieferengpässe. Jeden Tag kommt es zu Fällen, in denen Rezepte nicht beliefert werden können.
Ein globalisierter Markt verstärkt auch die Konkurrenzsituation der Absatzmärkte. Unter anderem deshalb haben die asiatischen Wirkstoffproduzenten inzwischen monopolähnliche Stellungen erreicht und können sich in Zeiten der Verknappung ihre Abnehmer aussuchen. Wir sind erpressbar geworden. Das wiederum verstärkt den Druck auf die pharmazeutischen Unternehmer, die ihrerseits durch intransparente Rabattverträge von Seiten der Krankenkassen geknebelt sind. Schwindende Gewinne können also bei generischen Wirkstoffen, die nicht mehr unter Patentschutz stehen und deshalb von mehreren pharmazeutischen Herstellern im Markt vertrieben werden, zu Lieferengpässen beitragen, auch weil Deutschland – aus Sicht der Wirkstoffhersteller – inzwischen zum Billigland geworden ist. Auf allen Handelsstufen entscheidet der erzielbare Profit, unabhängig vom Bedarf der Patienten.
Fünfstellige Verkaufspreise
Bei patentierten, also innovativen Wirkstoffen ist hingegen die Marktmacht der Hersteller besonders ausgeprägt. Der Entwickler des Wirkstoffes hat für die Zeit unter Patentschutz das alleinige Vertriebsrecht und kann deshalb in Deutschland den Preis weitgehend diktieren. Das hat zur Folge, dass die Preisbildung bei patentierten Neueinführungen immer skrupelloser wird und ein fünfstelliger Verkaufspreis keine Seltenheit mehr ist.
Eine gewisse Berühmtheit hat das Präparat Zolgensma® erlangt, ein Medikament gegen eine tödliche Muskelerkrankung bei Babys, das in den USA für mehr als zwei Millionen US-Dollar pro Spritze verkauft wird. In Europa erhielt das Medikament eine bedingte Zulassung im Mai 2020 durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Das Mittel soll zur Behandlung der betroffenen Patienten sofort zur Verfügung stehen, noch bevor die Bewertung und Preisfindung im jeweiligen Land abgeschlossen sind. Werbewirksam wurden zuvor 100 Packungen vom Hersteller weltweit unter betroffenen Patienten verlost. Ärzte kritisierten diese Lotterie und forderten eine Vergabe nach medizinisch nachvollziehbaren Kriterien. Vor allem auch wurde der Wettbewerb zwischen Patienten kritisiert. Doch der Hersteller, der Novartis-Konzern, ignorierte die Einwände, verteilte das Medikament weiter nach dem Zufallsprinzip.
An diesem Beispiel lässt sich deutlich der Weg erkennen, den die Hersteller künftig gehen werden: Über die betroffenen Patienten soll Druck auf die Solidarsysteme ausgeübt werden, damit die Zulassung beschleunigt und die angestrebten horrenden Preise durchgedrückt werden können. Wucherpreise gefährden aber die Finanzierbarkeit des Gesamtsystems und damit uns alle. Da helfen auch kleinere, beim sogenannten Pricing immer schon einkalkulierte Preisnachlässe oder erfolgsorientierte Erstattungen für einzelne Krankenkassen nicht weiter. Der Hersteller gibt dabei zwar vertraglich eine gestaffelte, mit der Höhe des Erstattungspreises gekoppelte Erfolgsgarantie, aber ohne ein solidarisches Gesundheitssystem müssten diese Medikamente trotzdem aus der eigenen Tasche bezahlt werden.
Wer aber kann zwei Millionen US-Dollar für ein Medikament zahlen?
Höhere Gewinnmargen als im Drogenhandel
Hohe Preise haben noch eine weitere Nebenwirkung: Sie wecken das Interesse skrupelloser Menschen, die gefälschte Produkte auf den Markt bringen. Medikamente, die dem Original zum Verwechseln ähnlich sehen, aber – und das ist noch der günstigste Fall – komplett wirkstofffrei sind. Leider gab es auch schon Fälle, in denen die gefälschten Medikamente schädliche, manchmal sogar giftige Substanzen enthielten. Und darin liegt die Gefahr beim Handel mit Medikamenten, in dem sich längst ein finsterer Schattenmarkt entwickelt hat: Die Gewinnmargen im Handel mit gefälschten Arzneimitteln sind jedenfalls inzwischen wesentlich lukrativer als im internationalen Drogenhandel! Der grenzüberschreitende Internethandel erleichtert diesen Betrügern ihr Geschäft zusätzlich.
Das sind alles keine guten Nachrichten. Und sie stellen zudem nur die berühmte Spitze des Eisberges dar. Zum großen Sockel darunter gibt es nicht viel Angenehmeres zu berichten. Unser solidarisches Gesundheitssystem droht von Geschäftemachern übernommen zu werden. Hier braucht es informierte Bürger, da nur sie gegensteuern und sich wehren können.
Die folgenden Kapitel wollen aufklären und zeigen: Was steckt hinter den unsoliden Geschäftsmodellen? Welche Mechanismen kommen darin zur Wirkung? Welche Spieler sind am Medikamenten-Monopoly beteiligt? Wer profitiert, wer leidet? Wie kam es zu diesen Entwicklungen? Warum werden sie nicht gestoppt? Warum erscheint vieles im Gesundheitswesen so kompliziert und schwer verständlich, und warum hat genau das seine Gründe? Was könnte man tun? Wie sieht die Arzneimittelversorgung der Zukunft aus?
Als Pharmazeut liegt es mir am Herzen, den Patienten und meinen Kunden so viel Informationen wie möglich zu geben. Darin sehe ich meine Aufgabe. Vielleicht kann ich mit meiner Darstellung der strukturellen Defizite, der einseitigen Beschränkungen und Interessen im System einen Teil dazu beitragen, dass Missstände beseitigt werden – damit wir alle auch in Zukunft mit allen nötigen Arzneimitteln gut versorgt sind.
Profit war, ist und darf nie wichtiger als unsere Gesundheit sein.