Читать книгу Natürliche Antidepressiva. Kompakt-Ratgeber - Dr. med. Eberhard J. Wormer - Страница 6

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Das Kontinuum der Gefühle

Die stürmischen Gezeiten des Ozeans der Gefühle haben große Dichter in unsterbliche Worte gefasst, visionäre Maler in stimmungsvolle Bilder verwandelt und kreative Komponisten erklingen lassen: Die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen menschlicher Seelenzustände, die extremen Pole der Emotionen – himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Wir lassen uns von den düsteren Erzählungen Edgar Allan Poes ängstigen, wir bewundern staunend van Goghs »Sonnenblumen« oder wir lauschen verzückt Beethovens »Mondscheinsonate« und Mozarts »Zauberflöte«.

Viele große Künstler und Politiker, die das Erscheinungsbild unserer Welt unverwechselbar geprägt haben, hatten keine Wahl: Sie mussten wohl oder übel, ohne Hoffnung auf Hilfe, mit der Raserei und dem Auf und Ab ihrer Gefühle leben. Jeder, der das »Gelächter der Manie« und die Seelenqual der Depression selbst durchlitten oder als Beobachter miterlebt hat, kennt die Sprengkraft extremer Stimmungszustände. Ist das empfindliche Gefüge der Stimmungsäußerungen unserem Einfluss entzogen, das Gleichgewicht der Gefühle gestört, dann fühlen wir uns eingeschränkt oder krank. Es kann jeden treffen. Viele Wege führen in die dunkle Nacht der Depression und in das Inferno der Manie.

Die Depression ist der dunkle Extrempol im Kontinuum der Emotionen. Die Manie ist der überbelichtete grelle Extremzustand einer abgehobenen Stimmungslage. Beide Zustände können – wenn sie lange anhalten und schwer ausgeprägt sind – lebensgefährlich sein. Als ausgeglichen können wir uns nur dann bezeichnen, wenn weder das eine noch das andere auffällig wird. Gesundheit ist im Grunde durch und durch eine Frage der Balance. Dies gilt für die Funktionen unserer Organe ebenso wie für Hirnfunktionen und die Psyche. Vom Blutdruck über den Zuckerstoffwechsel, die endokrinen Drüsen und das Immunsystem bis hin zur Darmflora wird alles, was in unserem Körper geschieht, von Regelkreisen kontrolliert. Alle Regelkreise streben nach der Erhaltung ihres zugehörigen gesunden Gleichgewichts – zusammengenommen ergibt dies im Idealfall den Zustand des ausgeglichenen, körperlich und psychisch stabilen, gesunden Menschen. Mit diesen Balancemechanismen ist der Mensch bestens dafür ausgestattet, sich an unterschiedlichste Belastungen anzupassen: beruflicher oder privater Stress, Leistungsbereitschaft im Sport, Mangelzustände und Notzeiten.

Normale Stimmungsschwankungen

Als Stimmung bezeichnet man einen Gefühlszustand, den eine Person selbst erlebt. Der Stimmungszustand einer Person, der beobachtet werden kann, wird Affekt genannt.

Stimmung kann am besten als »Temperatur« der Emotionen beschrieben werden – ein Bündel von Gefühlen hoher oder niedriger Temperatur, das unser Wohlbehagen oder Unbehagen zum Ausdruck bringt. Es ist ganz normal, dass unsere Stimmung nicht immer gleich und in begrenztem Umfang Schwankungen unterworfen ist: Glücksgefühl und Trauer, Wut und Gleichgültigkeit, Zufriedenheit und Unzufriedenheit oder Optimismus und Pessimismus wechseln sich entsprechend der Lebenssituation ab. Auch körperliche Empfindungen wie Müdigkeit oder tatkräftige Energie werden von der Stimmung beeinflusst.

Sind wir guter Stimmung, fühlen wir uns zufrieden und optimistisch. Wir sind entspannt und aufgeschlossen, geduldig, voller Neugier und ausgeglichen – mit einem Wort: Wir sind glücklich. Wir sind voller Energie und fühlen uns wohl in unserer Haut. Wir schlafen tief und fest und essen mit gesundem Appetit. Ein gut gestimmter Mensch wirkt attraktiv auf andere. Die Zukunftsperspektiven sind hervorragend, und die Zeit ist reif, mit außergewöhnlichen Projekten zu beginnen. Gut gestimmt ist die Welt der bestmögliche Ort, und es ist wunderbar, dort zu leben.

Wechselnde Stimmungen kennzeichnen das emotionale Klima – gut, wenn die Sonne scheint!


Sind wir hingegen gedrückter, depressiver Stimmung, neigen wir dazu, uns in uns selbst zurückzuziehen. Gedanken kreisen in unserem Kopf und beunruhigen uns. Wir sind vielleicht unbestimmt traurig, fühlen uns leer und verloren – oder haben jede Art von Gefühlsempfindung eingebüßt. Die Zukunft erscheint düster, und Pessimismus drängt sich auf, macht uns Angst.

Wir verlieren schneller die Fassung und empfinden Schuldgefühle, wenn wir uns haben hinreißen lassen. Offenheit oder Herzlichkeit gegenüber anderen bereiten große Mühe. Wir ziehen es vor, die Gesellschaft anderer Menschen zu meiden und lieber allein zu bleiben und unsere Niedergeschlagenheit zu verbergen. Wir fühlen uns schwach und müde, zweifeln mehr und mehr an uns selbst – mit einem Wort: Wir sind unglücklich. Die Welt ist ein grauenhafter Ort, besser man entflieht ihm.

Stimmung außer Kontrolle

Wenn der Temperaturfühler einer Heizungsanlage versagt oder defekt ist, wird die Raumtemperatur unkontrollierbar – Sie haben so etwas vielleicht schon erlebt. Sie können am Thermostat drehen, wie Sie wollen: Entweder die Heizung läuft ständig auf vollen Touren, und Sie fühlen sich wie in der Sauna, oder es tut sich gar nichts, und Sie fühlen sich wie in der Tiefkühltruhe, oder die Anlage heizt stur lauwarm vor sich hin. Dann ist es Zeit, einen Heizungstechniker anzurufen.

Vermutlich verfügt auch das Gehirn des Menschen über ein Regulierungssystem der Stimmungstemperatur. Allerdings ist dieses System sehr viel komplizierter aufgebaut als der Thermostat einer Heizungsanlage. Erbfaktoren (Gene), Biorhythmen (Schlaf-Wach-Rhythmus), Kommunikationsfunktionen des Nervensystems (Neurotransmitter, Neurobiologie), Hormone und die Psyche sind Faktoren, die das Gleichgewicht der Stimmung beeinflussen. Störungen in solchen Regelwerken erhöhen die individuelle psychische Verletzlichkeit, und es gibt Probleme mit der Einstellung der emotionalen Temperatur.

Die Stimmung ist dann abgekoppelt von Lebenssituationen oder Reizen, die normale Stimmungsreaktionen hervorrufen: etwa Trauer nach dem Verlust einer geliebten Person oder überschäumende Freude nach erfolgreich bestandener Prüfung. Glücksempfinden und Trauer führen nun ein unkontrollierbares Eigenleben. Hochgefühle oder Depressionen können ohne besonderen Anlass immer wieder auftreten. Die Stimmung kann in unterschiedlichem Grad schwanken, leicht bis extrem. Gelegentlich ist der Stimmungszustand so stark verändert, dass die Realität verzerrt wahrgenommen wird: Zwangsvorstellungen, Wahnideen tauchen auf oder bizarre beunruhigende Sinnestäuschungen.

Die Depression ist die bei Weitem häufigste Form der außer Kontrolle geratenen Balance – und die Ursache dieser Stimmungsstörung ist keineswegs nur im Kopf zu finden. Jede Störung eines Regelkreises, der Körperfunktionen betrifft, jedes körperliche oder psychische Trauma – Erkrankungen, Unfälle, Operationen, persönliche Verluste –, anhaltende Stresszustände, Nährstoff- und Vitaminmangel, starke Hormonschwankungen oder Schilddrüsen- und Zuckerstoffwechselstörungen können eine Depression hervorrufen. Es gibt mehr körperliche als psychische Ursachen für eine Depression! Das wird oft übersehen oder ignoriert.

Hier die gute Nachricht: Da der depressive Zustand meist zunächst Ausdruck irgendeiner Störung des körperlichpsychischen Gleichgewichts ist, gibt es viele Möglichkeiten zur Wiederherstellung eines ausgeglichenen Gemüts – ohne dass gleich Antidepressiva nötig wären. Häufig reichen natürliche Mittel aus, um die Depression zu beenden: Ausgleich von Vitamin- und Nährstoffmangel, Korrektur von Hormonstörungen, gesunde Ernährung und körperliche Bewegung, pflanzliche und körpereigene antidepressive Wirkstoffe und vieles mehr.

Erst wenn diese Mittel ausgeschöpft sind, sollten Sie an chemische Antidepressiva denken – die wirksam sein können, aber auch gravierende Nachteile haben. Antidepressiva sollten die ultima ratio bei schweren, länger bestehenden echten Depressionen sein, wenn zudem ein Suizidrisiko bemerkbar ist.

Natürliche Antidepressiva. Kompakt-Ratgeber

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