Читать книгу Die Therapie entdeckt die Familie - Dr. med. Günther Montag - Страница 22
Kann das Stellvertreter- Phänomen Kinder krank machen?
ОглавлениеJa. Das Stellvertreten wirkt sich besonders dann zum Schlimmen aus, wenn das Kind eine Person vertreten muss, die ein schweres Schicksal hatte. Solche Personen werden in vielen Familien „ausgeklammert“, das heißt, manchmal verachtet, manchmal nicht mehr bewusst wahrgenommen, vergessen, obwohl sie doch dazugehören. Das kann ein früh verstorbener Großvater oder Großmutter sein, ein früherer Partner von Vater oder Mutter, oder eine früh verstorbene Schwester oder Bruder, ein abgetriebenes Kind oder ein Zwilling der nicht bis zur Geburt am Leben blieb. Das Kind fühlt wie die ungesehene Person und lebt wie sie. Als ob es diese Person unbewusst genau wahrnehmen würde und als ob es innerlich sagen würde „ich lebe jetzt an deiner Stelle – ich mache das alles jetzt für dich“. Oder „ich bin wie du – ich bin wie tot“. Dieses Vertreten, man sagt dazu auch Identifizierung, kann eine tiefe Ursache für Verwirrung, Unruhe, seltsames Verhalten, Schwermut, und auch körperliche Krankheit und eine Neigung zu Unfall und Selbstmord sein.
Versuchen die Kinder damit, jemanden zu retten?
Es scheint so. Es gibt ein archaisches (sehr altes) Denkmuster, dass man durch Opfer jemanden retten kann. In vielen Märchen kommt solches Denken vor. Dieses Denken wird durch manche Aspekte der Religionen gefördert. In vielen Religionen gibt es die Vorstellung, durch ein Opfer den Willen Gottes oder der Götter zu beeinflussen. Wir nennen uns zwar aufgeklärt und halten mit unserem bewussten Verstand so etwas für Unsinn. Aber im Unbewussten wirkten solche Vorstellungen weiter. In der psychoanalytischen Sprache nennt man dieses Denken „magisches Denken“ (Darum dichtet man in der Skriptanalyse Märchen manchmal um, um sie ad absurdum zu führen.).