Читать книгу Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 10

Оглавление

Wort- und Gefühlfindungen

Manche Sachverhalte lassen sich nicht oder kaum in Worte fassen. Und das liegt nicht an Wortfindungsstörungen oder dem Mangel an Ausdrucksmöglichkeit.

Es liegt an emotional-physischen Reaktionen auf Informationen in unserer Kultur – Kultur verstanden als die Gesamtheit aller geistigen, künstlerischen, sozialpolitischen und psychoökonomischen Lebensäußerungen. Sie verschlagen einem buchstäblich die Sprache. Man fühlt sich hilflos, denkt: „Das gibt’s doch gar nicht ...“ Man fragt sich, in was für einer Welt man gelandet ist …

Stellt sich so eine Reaktion ein, sind Menschen noch im Kontakt mit Instinkten und Gefühlen. Gott sei Dank. Denn wir brauchen Gefühle in Deutschland, um Probleme zu lösen und Missstände zu beseitigen.

Die in unserer Kultur erzeugte Hilflosigkeit ging und geht auch nicht an mir vorbei und löste im Sommer 2005 einen Impuls in mir aus, der wie eine Fliege an ungeschützt offen stehendem Kuchen an Neuigkeiten klebte: Ich las Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, sah entsprechende Sendungen im Fernsehen. Das Schreiben dieses Buches ist ein Weg aus der Hilf- und Sprachlosigkeit heraus. Ich hatte meinen angefeuchteten Finger in die Luft gehalten und mich gefragt, woher der Wind plötzlich in Deutschland weht... Etwas veränderte sich rasant und ich wollte gerne wissen, was...

So kam es, dass ich las und schrieb ohne Konzept noch Hypothese, folgte einfach nur meinen Gefühlen, mich mit den Vorgängen in unserer Gesellschaft schleunigst beschäftigen zu müssen. Am Anfang wusste ich noch nicht einmal, dass ich anfing, ein Buch zu schreiben! Ich dachte, es wäre einfach nur ein „Frust raus schreiben.“ Für mich ganz allein. Freunde ermunterten mich, weiter zu schreiben. Als es fertig war, hörte ich auch die Frage, ob ich mich unglücklich machen wolle? Ich war im Zweifel, ob ich missverstanden werden könnte, was mir am Herzen, im Sinne des Menschen und für Menschen allgemein, lag.

Unmissverständliches Ziel des vorliegenden Buches ist es, menschliches Wesen, Selbstwert und Heilungsprinzip an die Spitze der Kultur schreiben zu wollen oder einen Beitrag dazu zu leisten. Nach zwei Monaten Bedenk- und Reflexionszeit fand ich, dass Band 1 so, wie er ist, sich für mich richtig anfühlt.

Die obige, an Wissenschaft orientierte Einordnung nahm ich jetzt nachträglich vor. Das eine oder andere habe ich darüber hinaus noch ergänzt, wie jetzt diese Zeilen. Wenn generell Menschen aus der Wirtschaft oder der Politik sich nicht gesehen oder verstanden fühlen sollten, liegt es an der moralisch, ethischen Spaltung in der Kultur, die ich hier nun anhand von Nachrichten in den Medien reflektiere, und die unterschiedliche persönliche Identifizierungen hinsichtlich der Ziele provozieren.

Deshalb möchte ich ausdrücklich hier mitteilen: Für keine einzige Hiobsbotschaft und, Entschuldigung, Schweinerei, in dieser Kultur bin ich verantwortlich. Aber ich erlaube mir, sie wahrzunehmen und eben nicht darüber hinweg zu gehen oder zu sehen, sondern darüber zu schreiben. Meine Beteiligung an dieser Kultur findet sich immer noch im Gesundheitswesen, deren alten, hehren Wert, die Heilung von Menschen, ich herauskristallisiere und für den ich eintrete, und zwar egal, aus welcher Schicht ein Mensch zu mir kommt: Mensch ist Mensch.

So geht es mir auch mit der Beschäftigung mit den Fakten und Vorkommnissen in Deutschland, denen ich mich hier in den Büchern widme. Meiner Ansicht nach braucht die Kultur eine neue Metaebene, auf der tatsächlich ideologiefrei reflektiert werden kann, wie man aus gegenwärtigen Miseren zu intelligenten und menschenwürdigen Lösungen gelangen kann. Allerdings kann man nicht zu Lösungen gelangen, wenn man die Dinge besser nicht ansprechen sollte, die unabdingbar reflektiert und verändert gehören! Wenn man sich mit den Ereignissen in der Kultur so beschäftigt, wie ich es getan habe und ohne Handschuhe mit den Fakten, die aufzeigen, wie Menschen zerstört werden, beschäftigt, dann kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, man habe etwas damit zu tun. Dieser Eindruck ist insofern richtig, als man sich dann abwendet und nichts tut! Weil, was will man schon tun können? Außer dem, was man sonst auch schon getan hat. Aber das war mir zu wenig; obwohl die tägliche Arbeit mit Patienten schon als Stern am Himmel in unserer Kultur zu werten ist, wenn sie mit dem Ziel, Menschen zu Gesundheit verhelfen zu wollen, vollzogen wird. Denn es reicht heutzutage nicht, zu sagen: „So geht das nicht.“ Man sieht ja täglich, dass es genauso schlecht wie vorher weiter geht! Mein Beruf wird zunehmend mehr mit eigentlich nicht zur Berufsausübung zählenden Aufgaben aus bürokratischer Sicht, und aufgrund der Missstände in der Gesellschaft, überfrachtet. Ungefragt übernimmt man Sozialarbeiterhilfsfunktionen oder verweist auf Rechtsanwälte, ruft die Staatsanwaltschaft an, um für Patienten Sachverhalte zu klären und arbeitet sich in unterschiedliche Wertesysteme und deren Lebensrealitäten ein. Nicht, weil man sich in unserem Fachbereich darum reißt, sondern weil die Notwendigkeit besteht. Insofern kann nachvollzogen werden, dass es kein großer Schritt war, als ich mich an den Computer setzte und zu schreiben begann. Es war lediglich eine Erweiterung, aber keine grundsätzlich neue Beschäftigung.

Ich fand Worte, fasste die Phänomene in unserer Kultur zusammen. Das vorliegende Buch zeigt im Ergebnis die generelle und weltweite Abschaffung des Heilungsprinzips anhand politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen in Deutschland auf. Kapitalistischer Wettbewerb und Heilungsprinzip schließen sich demnach aus: Selbstwert und Mehrwert stehen sich unvereinbar gegenüber. Mehrwert oder Profitsucht dirigiert alle Werte. Und das heißt, Mehrwert dirigiert Menschen – statt dass Menschen vor Selbstwert strotzen und Wirtschaft, orientiert am menschlichen Wesen, dirigieren.

Damit verlieren Bedürfnisse von Menschen, Menschen generell und das Leben an sich immens aufgrund des ethischen Werteverfalls an Bedeutung. Mein Anliegen ist es, so nah, und damit so emotional wie möglich an diese Themen heranzukommen und dran zu bleiben. Alles andere wäre in der derzeitigen kulturellen Situation völlig fehl am Platze – denn die meisten Menschen in Deutschland wissen und fühlen gar nicht mehr richtig, wo ihr Platz ist und auf welchem Boden sie stehen. So wenig wie ich meinen Platz und den Boden unter meinen Füßen als Fachärztin für Psychotherapie innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung und differenziert als Psychologische Psychotherapeutin in Deutschland klar benennen könnte. Viele Unternehmer haben längst den Standort gewechselt, innerlich und äußerlich, und Politiker sind so weit Oben, dass die Vorgänge und Bedürfnisse im Leben der Menschen offenbar nur verfremdet und verzerrt wie im Kinderspiel „Stille Post“ bei ihnen ankommen oder sie inhaltlich schon gar nicht mehr interessieren – schließlich könnte es das Gewissen belasten. Sie leben selbst innerlich und äußerlich ja ganz woanders, in einem völlig anderen Leben. Festzustellen bleiben völlig konträre und widersprüchliche Sichtweisen auf das sich verändernde Leben der Menschen im Land. Es wachsen völlig unterschiedliche Lebensformen mit unterscheidbaren Stufen, die durch Skalen der Bedürfnisse gebildet werden. Aus ihnen sind unterschiedliche Lebensinhalte und Lebensziele zu entnehmen. Letztlich ist es die Einkommenshöhe, die bestimmt, auf welchem Niveau sich das Leben der Menschen abspielt. Die geschaffenen Mauern und Grenzziehungen durch die politisch-wirtschaftlich als notwendig ausgewiesene Zweiklassengesellschaft spielten sich im Wesentlichen in den letzten Jahren unsichtbar ab, befinden sich im Inneren der Menschen und schränken sie in ihren vitalen Lebensimpulsen ein. Aber sie treten nun unverblümter in großen Städten und deren Stadteilen zutage.

Ich habe mich gefragt, wie es möglich ist, das zig kleine Einzelentscheidungen und gesetzliche Verordnungen eine Realität hervorbringen, die einen kleinen Teil der Bevölkerung in grenzenlose materielle Höhen, und den größten Teil im freien Fall ohne Netz und doppelten Boden unbarmherzig und gleichgültig nach Unten katapultiert. Da nicht davon auszugehen ist, dass Menschen ethisch generell in die Guten und Bösen analog der Klassen Oben und Unten einzuteilen sind, arbeitet offenbar in allen gemeinsam kollektiv ein Geist. Einer, der aus verschiedenen Richtungen und voneinander zunächst individuell unabhängigen Menschen kommend, mit größter Präzision ein unglaubliches Unrechts- und Abhängigkeitssystem nicht nur in Deutschland etabliert. Der Abbau von Menschenrechten wird politisch scheinbar folgerichtig mittels weltweitem Terrorismus begründet, wie im Gegenzug Kontrollen aller Art im täglichen Leben des Bürgers mittels des Argumentes, Sicherheits- und Schutzmaßnahmen zu treffen, eingeführt wurden und werden. Im September 2008 greifen die Kontrollen bei denjenigen Bürgern, die Geld ins Ausland schaffen wollen. In einer Woche wurden durch das Kölner Zollkriminalamt 13.000 Bürger kontrolliert, die nach Lichtenstein oder in die Schweiz reisen wollten. Insgesamt wurden mittels Kollegen im Ausland 11 Millionen Euro und in Deutschland 5,5 Millionen sichergestellt. Bürger scheinen sich in vielerlei Hinsicht nicht mehr sicher in Deutschland aufgehoben zu fühlen, bringen ihr Geld ins Ausland (Ruhr Nachrichten, 22.9.2008, Titelseite: „Zoll stellt Millionen sicher“). Das klingt nicht, als herrsche Vertrauen im Lande und als ob Menschen sich sorglos bewegen könnten, sich, ihre Existenz und ihr Geld gesichert und beschützt wüssten.

Der Mensch steht nackt bis auf die Knochen vor deutscher Bürokratie, dem Finanz- und Krankenkassenwesen und wird bis in die Zellen, den Fingerabdruck und letztem Cent registriert. Was der Mensch im Vertrauen in Telefongesprächen anderen mitteilt und seinem Computer und Adressaten seiner E-Mails anvertraut, steht noch zur gesetzlichen Disposition bezüglich der rechtmäßigen Überprüfbarkeit. Es fragt sich, ob auf Grund des Waldes von Gesetzen und zusätzlich Gesetzen, die sich gegenseitig widersprechen, so dass Bürger oftmals ins Unrecht geraten, egal wie sie sich entscheiden, sich demokratische Gesetzmäßigkeit selbst erlegt und für Auftragslagen bei Juristen sorgen sollen. Ob diese zahllosen Gesetze und Bürokratievorgänge als Ersatz für Arbeitsplätze zu denken sind, damit der Mensch beschäftigt sei und vor Sorgen nicht mehr in den Schlaf kommt – und ansonsten offiziell schweigt. Die Frage von Ethik und Moral verdrängt Zusehens die Frage, ob ein Vorgang oder Verhalten rechtmäßig ist. Bislang sind jedoch Ethik und Moral nicht einklagbar!

Diese Vorgänge empfinde ich als äußerst bedenkenswert. Stoßen sie doch nahe liegende Verfolgungsgedanken in der Seele von Menschen an, deren psychische Verarbeitung einerseits in unterschiedliche Krankheiten gipfeln könnte und andererseits in der Einflussnahme auf gesellschaftspolitische Entwicklungen nicht vorhersehbar erschienen. Diese Sorge um den Menschen und was aufgrund der Kumulierung vielfältiger sozialer Probleme denkbar erscheint, treibt an, neue Wege einzuschlagen. Denn in diesen gesellschaftlichen Veränderungen zeichnet sich meiner Meinung vor allen Dingen eines ab: Die Zerstörung des menschlichen Wesens, die Zerstörung der Seele und generell die Zerstörung von Leben und Natur. Um dieses Resultat meiner Beschäftigung mit den Vorgängen in Mensch und Kultur zu erhellen, gehe ich den Phänomenen, wie sie sich mir in den letzten Jahren darboten und an denen ich Sie im vorliegenden Buch teilhaben lasse, nach.

Natürlich gehe ich nicht jedem Phänomen nach, denn der Inhalt soll noch zwischen zwei Buchdeckel passen, aber ich hoffe, ich treffe dennoch ins Schwarze bei den aufgenommenen Themen und kann dergestalt einen kleinen Beitrag in Richtung positiver Veränderung des Lebens leisten.

Das Buch ist eine rote Ampel, ein Gefühlsausdruck meiner Verantwortung als Mensch für Menschen, und soll dazu beitragen, weiterer Abwertung von Menschen in unserer Kultur vorzubeugen. Wahrung von Menschenwürde und Heilung ist das Ziel. Für mich als Psychologische Psychotherapeutin ist es das oberste Gebot, wenn sich Menschen voller Vertrauen an mich wenden.

Da sich der Kapitalismus ausschließlich für Profit interessiert und mit einem Heilungsziel und -prinzip aufgrund empirischer Fakten als vom Kern her nicht vereinbar darstellt, stelle ich den Selbstwert des Menschen dem ausschließlichen Mehrwert- und Profitstreben des Kapitalismus gegenüber. Das heißt nicht, den Kapitalismus abzuschaffen – aber er ist mit Sicherheit deutlich zu verbessern. Denn der Kapitalismus wird von Menschen gesteuert, die in der Lage sind zu reflektieren. Jetzt sind sie gefordert, den Selbstwert des Menschen wieder an die Spitze der Werteskala und den Mehrwert auf den zweiten Platz zu rücken. Die Verwirklichung von Mehrwert und Profit wird in der Regel durch Männer getätigt. Frauen leisteten dafür wichtige, unbezahlte Unterstützung, dass Männer so tätig werden konnten und können, wie sie es tun – nun müssen sie mithelfen, Männer zum Umdenken zu bewegen. Männer könnten vieles besser, als sie es tun. Davon bin ich überzeugt. Und Frauen könnten viel mehr bewirken, als sie denken. Frauen und Männer haben die gemeinschaftliche Aufgabe, alte patriarchalische Muster zu reflektieren und weiterhin abzuschaffen. Dafür gibt es auch einen ganz simplen Grund: Menschen lieben und brauchen sich gegenseitig. Ohne diese Liebe gäbe es diese Welt nicht. Es gäbe keine Kinder. Kinder sind die Zukunftsträger, für die es sich lohnt, in der Gegenwart grundsätzlich zu reflektieren, wie ethisch zu menschenfreundlichen Werten an der Spitze der Kultur zu gelangen ist.

Vielleicht noch dies: Es mag dem einen oder anderen suspekt sein, wie ich fühle und Schlüsse ziehe. Es mag auch an der einen oder anderen Stelle „falsch“ sein. Aber aus meiner Sicht wäre das in Ordnung. Schließlich plädiere ich dafür, dass sich möglichst viele Menschen äußern, zu Missständen Stellung beziehen, sich an Problemlösungen beteiligen. Der Mensch lernt vor allen Dingen aus Fehlern – da bin ich sicherlich keine Ausnahme. Aber ich lebe lieber mit dem Zweifel als gegen ihn – wie Joachim Fest es einmal formulierte. Und mir scheint es durchaus legitim, für das Ziel der Heilung das Wirken und die Wirkungen von Politik und Wirtschaft pointiert in der Auswirkung auf Menschen darzustellen. Dabei geht es nicht um Rechthaben im eigentlichen Sinne, sondern um einen tieferen Sinn von Recht, der die Existenz von Menschen berührt und eine Ethik beinhaltet, die Leben sichert. Dieser Instinkt für Leben, und wie es zu erhalten ist, scheint mir das Wesentliche zu sein und verbindet sich auf natürliche Weise mit einem Recht, das allen Menschen zu Eigen ist und nicht zwangsläufig der Logik unterliegt oder Statistiken folgt (obgleich diese in der Gegenwart das hier im Buch Gesagte belegen!).

Vielleicht entspricht das Buch zum großen Teil der, wie Fritz Raddatz sagen würde, Kategorie „Joghurt-Literatur, da viele frische Beispiele aus unserem Alltag helfen, das Menschenbild in unserer Kultur zu beschreiben und zu belegen. Es ist frisch von der Leber weg, aus dem Leben heraus, geschrieben. Anders als das Datum auf dem Joghurt kommt dem Datum von Informationen über Vorkommnisse in unser Gesellschaft und Erfahrungen von Menschen, wie in den vorliegenden Büchern zitiert, der Lauf der Geschichte, sprich, Entwicklung und Ablauf von Ereignissen und nachfolgenden Entscheidungen in der Bedeutung für Menschen im Nachhinein als zu interpretierendes Muster zu Hilfe: Aus dem auf Plastik gedruckten Verfallsdatum der News wird ein steinerner Meilenstein, der Richtung und Orientierung im psychoökonomischen Raum gewährt und zeigt, wie um Verstand, Psyche und Seele in der Gegenwart gerungen werden muss. Für Sichtweise und Interpretation bedarf es einer neuen Orientierung: Dennoch oder besser, deshalb werden alte deutsche Alpha-Tiere wie Marx und Nietzsche, und am Rande Descartes, in die Gegenwart eingeladen, um unser Gesundheitswesen und Gattungsleben hinsichtlich seiner Wurzeln mit einigen Worten zu betrachten und die vorliegende Reflexion in der heillosen Kultur zu begleiten.

Lassen Sie mich eines schon vorab feststellen: Auf jede Frage und für jedes Problem, das wir als Menschen haben, finden wir die Antwort in der Natur. Um nun abwägen zu können, wie sinnvolle Unterstützung für eine kulturelle Umkehr aussehen müsste, brauchen wir Menschen, die global für Natur eintreten – und damit für sich selbst. Menschen sind Natur. Die am höchsten entwickelt, zwischen Alternativen wählen kann – was nicht unbedingt ein Vorteil ist. Aber diese Fähigkeit muss nun zum ausschließlichen Vorteil werden: Menschen müssen ihren Instinkt und ihre Gefühle, die jahrzehntelang durch Medien, Politik und Wirtschaftsideologie fehlgeleitet wurden, für sich und für das Leben generell zurückerobern.

Die Worte des Häuptlings Seattle, von denen er selbst sagte, „Meine Worte sind wie Sterne, sie gehen nicht unter“ möchte ich an dieser Stelle in Erinnerung bringen – er und sein Volk sind im Reservat untergegangen. Aber seine Rede an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1855 ist erhalten geblieben. Er stellt darin den Roten Mann, und was ihm wichtig ist, dem Weißen Mann und seinen Werten gegenüber und reflektiert über die Unterschiede, die auch heute in Bezug auf die gespaltene Werteordnung für Oben und Unten von Belang ist. Hier ein paar Zeilen:

„Mein Volk ist wie eine ablaufende Flut, aber ohne Wiederkehr. Nein, wir sind verschiedene Rassen. Unsere Kinder spielen nicht zusammen und unsere Alten erzählen nicht die gleichen Geschichten. Gott ist Euch gut gesinnt und wir sind Waisen. Wir werden Euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken. Das wird nicht leicht sein, denn dieses Land ist uns heilig. (...)

Der Weiße Mann, vorübergehend im Besitz der Macht, glaubt, er sei schon Gott – dem die Erde gehört. Wie kann ein Mensch seine Mutter besitzen? (...)

Wenn der letzte Rote Mann von dieser Erde gewichen ist und sein Gedächtnis nur noch der Schatten einer Wolke über der Prärie, wird immer noch der Geist meiner Väter in diesen Ufern und diesen Wäldern lebendig sein. Denn sie liebten diese Erde, wie das Neugeborene den Herzschlag seiner Mutter. Wenn wir Euch unser Land verkaufen, liebt es, so wie wir es liebten, kümmert Euch, so wie wir uns kümmerten, behaltet die Erinnerung an das Land, so wie es ist, wenn Ihr es nehmt.“ (Häuptling Seattle, 2006, S. 20, 47, 61)

Ich will jetzt gar nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber dennoch im Anschluss an diese Worte sagen, dass den Menschen in Deutschland, die ein Leben lang hier gearbeitet haben, nichts außer dem, was sie am Leib haben, gehört. Die Frage, die der Häuptling stellte, ob uns unser Land heilig ist, weil wir hier leben und arbeiten, gehört heutzutage ins Reich der Illusionen und wurde durch Globalisierung ad acta gelegt. Länder und Menschen sind so funktionalisierbar, dass nur noch Menschen Etwas zugehörig ist, die das Geld dafür haben. Alle anderen sind vogelfrei und haben keine Ansprüche. Das Gesetz, sprich Menschen, wollten dies so.

Insofern ist André Gorz aus seinem Brief an D. (2007) zur Frage des Rechthabens zwischen Männern und Frauen zu zitieren, an der sich in Debatten gern aufgehängt wird, um zu dem Resultat zu gelangen, dass nichts zu verändern sei. Er schreibt an seine Frau:

„Du hattest keine Erkenntnistheorie nötig, um zu wissen, dass es ohne Intuitionen und Affekte weder Verstand noch Sinn gibt. Deine Urteile erhoben unbeirrt Anspruch auf die Grundlage ihrer erlebten Gewissheit, die sich zwar kommunizieren, aber nicht beweisen lässt. Die Autorität – nennen wie sie ethisch – dieser Urteile bedarf einer Debatte, um sich durchzusetzen. Während Autorität des theoretischen Urteils zusammenbricht, wenn es ihr in der Debatte nicht gelingt, zu überzeugen. Nichts anderes bedeutete mein ‚Warum musst Du immer recht haben’. Ich glaube, ich brauche Dein Urteil sehr viel nötiger als Du das meine.“ (Gorz, 2007, S. 46).

Übertragen auf die Intention des vorliegenden Buches heißt dies, dass Männer Frauen und Oben Unten vermehrt zuhören und von ihnen annehmen sollten, was mitgeteilt wird... und was von Nöten ist, zu verbessern...

Vorläufig gilt es zunächst, ein Tor zu durchschreiten, um sich selbst zu erkennen – und es gilt zu erkennen, dass der Rote Mann und der Weiße Mann unveränderliche, menschliche Gemeinsamkeiten haben, auch wenn die Globalisierung die letzte große und vorerst möglich erscheinende Trennungslinie zwischen Menschen in Form von Oben und Unten, definiert mittels Besitz und Besitzlosigkeit, und damit Lebensinhalte und Lebensstrukturen für 2/3 der Menschheit vorgibt. Gleichwohl sollte eine Definition maximaler Kürze bezüglich Globalisierung an dieser Stelle nicht fehlen:

"Damit man von Globalisierung sprechen kann, muss aber lediglich ein regelmässig stattfindender Austausch über große Distanzen existieren." (Oserhammel, J., in: Campus Nr. 5, September/Oktober 2011, S. 30)

Ein Zitat von Jürgen Osterhammel, Geschichtsprofessor an der Uni in Konstanz, aus dem sich ableiten lässt, dass Globalisierung an sich nichts Schlechtes oder Nachteiliges bedeuten muss. Kritisch wird sie, wenn jeweiliges Land und Menschen von ihr benutzt werden, um sie ausschließlichen Mehrwert-Interessen zu unterwerfen!

Oben leitet von Geld und Besitz Macht und Rechte ab, die jeder Menschenwürde und Menschenachtung spottet. Politik scheint die Konsequenzen dieser Oben-und-Unten-Einteilung mittels offizieller Darstellungen, alle Menschen seien gleich und hätten gleiche Rechte und Möglichkeiten, zu verbrämen. Demgegenüber sind Auswirkungen der Politik festzustellen, die zeigen, dass Menschen keineswegs mit gleichen Rechten, Pflichten, Möglichkeiten und Chancen ausgestattet sind. Erstrebenswert wäre, Menschen hätten in der Tat diese politische Gleichheit und dieses menschliches Gewicht. Dies zu bekräftigen schließe ich dieses Kapitel mit der Feststellung:

Jeder Einzelne, egal mit welcher Ausbildung, Hautfarbe und mit wie viel oder wie wenig Geld auf dem Konto, ist wertvoll und unbedingt notwendig innerhalb der neuen Ausrichtung von respektvoller Heilungskultur. Je einfacher und klarer die Worte, desto besser für uns alle:

„Jeder einzelne soll sich sagen: Für mich ist die Welt erschaffen worden, daher bin ich mit verantwortlich.“

(Talmud Bavli Sanhedrin 7)

Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1

Подняться наверх