Читать книгу Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 8

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Einleitung

Weil es geht!

„Das Sein verstimmt das Bewusstsein“ steht auf einer Postkarte von Alfred Volkers, die ich zufällig sehe und kaufe. „Habe gedopt, weil es ging.“ Sie erinnern sich sicherlich an diese Entschuldigung des Radsportfahrers Erik Zabel vom 24.5.2007, 13.45 Uhr, angesichts des Dopingskandals (http: www.tagesspiegel.de). Beide Aussagen, die von Volkers feststellend, die von Zabel erklärend, sind zutiefst miteinander verwoben: zu vieles ging für wenige Menschen und verstimmte das Bewusstsein der vielen Menschen über dieses Sein, über die Art und Weise, wie Existenz und Leben in den vergangenen Jahren politisch und wirtschaftlich festgelegt wurden.

Es sind nun erst etwas mehr als drei Jahre seit Zabels Statement vergangen und doch scheinen Welten zwischen der Zeit damals und heute zu liegen. Wenn in diesem Buch Vorgänge zitiert werden, die erst vier oder fünf Jahre her sind, haben Sie vielleicht das Gefühl, es sind Jahrzehnte vergangen. Dieses Empfinden zu persönlich vergangener Zeit und realem Lebensgefühl steht in direkter Beziehung zur Schnelligkeit politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, die diese Lebensveränderungen für Millionen von Menschen hervorbrachten.

Unstrittig dürfte sein, dass die massive Verarmung von Teilen der deutschen Bevölkerung das Bewusstsein verstimmt. Es erklärt sich aus einer Ökonomie, die sich rücksichtslos an schnellen Märkten mit hohen Profiten labt, weil es ging und geht. Die Verstimmung in der Bevölkerung leitet sich analog aus einem Lebensgefühl der Entwurzelung ab. Es ist das Resultat wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen, die in vielerlei Hinsicht inflationäre Prozesse im Leben hervorrufen. Millionenfach findet dieses Lebensgefühl Bestätigung durch diejenigen, die bereits ihre Arbeit verloren und existenziell gezwungen sind, Tafeln täglich zwecks Mittagessen zu besuchen und sich in Körper-Seele-Läden mit Lebensmitteln und Kleidung einzudecken. Sie sind bitterarm. Sie sammeln täglich verwahrlostes Leergut ein, um ihre Einkünfte aufzustocken und wenn sie Glück haben, finden sie noch in einer Plastiktüte abgelegte Kleidungsstücke in Parks an Abfallbehältern gelehnt. Andere Menschen bangen täglich um ihren Arbeitsplatz, andere sind bereits Leiharbeiter und wissen nicht, wie lange sie noch Arbeit zugewiesen bekommen. Eine kleine Schicht von Menschen wird dagegen immer reicher, weil es eine große Masse von Menschen gibt, die immer ärmer werden. Das verstimmt das Bewusstsein der Menschen in Deutschland und bestätigt im gleichen Atemzug die eine Hälfte des Himmels in der Grundaussage von Karl Marx: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Man fragt sich, was eigentlich vor sich geht. Und man fragt sich, warum alles so ist, wie es ist. Die Antwort darauf hat Erik Zabel an völlig anderer Stelle gegeben. Sie ist als Erklärung für die Gegenwart in Deutschland so erhellend, wie für die Angelegenheit, für die sich Erik Zabel persönlich zu verantworten hatte und im gleichen Augenblick Verantwortung von sich wies: Es ist alles so,

WEIL ES GING!

Damit schließt sich die Frage an, womit das deutsche Volk „gedopt“ wurde, dass andere über die Köpfe der Menschen hinweg mit ihm machen konnten und können, was sie woll(t)en. Dieses Vorgehen war und ist für die Gesamtheit der Menschen in vielerlei Hinsicht nachteilig. Das vorliegende Buch handelt davon.

Aktuelle Nachrichten und Ereignisse werden zitiert und in ein kritisches Licht gesetzt, damit die andere Hälfte des Himmels wie nebenbei skizziert werden kann, um die in unserer Kultur gerungen werden muss: Die Seele.

Es ist eine Reflexion dessen, was in den letzten Jahren in Deutschland emotional, politisch und ökonomisch vor sich ging. Von Juli 2005 bis Dezember 2008 schrieb und arbeitete ich an den nun vorliegenden Büchern und von 2009 bis 2010 korrigierte und ergänzte ich sie. Sie begleiten unbeabsichtigt die Regierungszeit Angela Merkels bis zur Amtsniederlegung Horst Köhlers am 31. Mai 2010.

Eine der letzten Botschaften von Angela Merkels aus der Presse in den vorliegenden Büchern lautet: „Arbeitslose als Pflegekräfte.“ (Ruhr Nachrichten 6.9.2010) Erzählungen und Berichte aus meinem beruflichen und privaten Bereich können Erklärungen bieten, warum Mangel an deutschen Pflegekräften besteht: Es existiert ein ungeheuerlicher Stress und Leistungsdruck, der durch die Festlegung der Dauer von „Pflegeeinheiten“ erzeugt, kontrolliert und zusätzlich durch fehlende Stellen gesteigert wird. Pflegekräfte in Deutschland arbeiten wie am Fließband – sie erleben dies als unmenschlich für die zu Betreuenden und für sich selbst: Sie verlieren jegliche Freude an ihrem Beruf. Was Frau Merkel da letztlich vorhat umzusetzen, bleibt abzuwarten. „Wir haben 2,2 Millionen Hartz-IV-Empfänger, die arbeitsfähig sind, aber keinen Job finden“, sagte Merkel. „Ich sehe nicht ein, dass Pflegekräfte künftig nur noch aus Osteuropa kommen. Daran können wir etwas ändern.“ (Ruhr Nachrichten, ebda.) Auf diese Änderung dürfen wir alle gespannt sein. Und wir hoffen doch alle, dass es keine Zwangsarbeit oder 1-Euro-Arbeit sein wird, die da konzipiert wird. Ich stimme mit Frau Merkel darüber ein, dass wir etwas daran ändern könnten – aber diese Änderungen dürften aus einer völlig anderen Sicht auf Menschen und Entwicklungen in Deutschland geboren werden, als aus der gegenwärtigen ökonomisch-politischen Systematik, die dem, der sowieso schon nichts hat noch möglicherweise weiteren Schaden und obenauf Zwang zufügt und Nachweise fordert, damit Hartz-IV überhaupt gezahlt wird. Frau Merkels Weg hat mit einem „Versprecher“ bezüglich des „Durchregierens“ angefangen, und 2010 scheint auch nichts Neues in Sicht.

Bezüglich Köhler bin ich ganz und gar nicht der Meinung des Handelsblattes, das Köhlers Amtsniederlegung im Ergebnis als eine persönliche Schwäche glaubt analytisch auf den Punkt zu bringen „Der tragische Präsident.“ (Handelsblatt 1. Juni 2010, Titelseite). Köhlers Begründung war Respektlosigkeit vor seinem Amt. Er legte das Amt nieder und seine Frau war an seiner Seite. Damit wurde nun erstmalig in Deutschland ein Amt aus Gefühlsgründen, wie allseits zu hören war, prompt niedergelegt. Respektlosigkeit und Chuzpe sind in Deutschland seit Jahren und weltweit Thema Nummer Eins. Köhler steht für beide nicht mehr zur Verfügung. Damit steht er gleichfalls nicht mehr als Repräsentant von Werten zur Verfügung, die nicht konform mit Forderungen nach und durch Globalisierung der Wirtschaft ausgesprochen oder unausgesprochen formuliert sind. Gabor Steigart, der verantwortliche Journalist der Titelgeschichte zu Horst Köhlers Rücktritt, fasst wie folgt zusammen: „Köhler verkörpert das andere Deutschland. Er war aufmerksam, nicht anmaßend, er war kenntnisreich, aber nicht belehrend, er war ein Zivilist und Humanist, ein Mann von internationalem Format. Er hat in jenen Jahren das Ansehen Deutschlands in der Welt spürbar gemehrt.“ Wer als nächster oder nächste das Amt des Bundespräsidenten auf sich nimmt, Werte zur Diskussion stellt und in der Ausübung seines Amtes den Spagat über die Klüfte von Oben und Unten, einerseits notwendigen Änderungen des Menschen- und Umweltschutzes und andererseits ökonomischen Fortschritten an der täglich glühenden Front der Globalisierung international verwirklichen oder zumindest empfehlen will, befindet sich in der Hölle der Zerreißprobe zwischen Mehrwert und Selbstwert – soweit es eine Persönlichkeit ist, die das Thema bereit ist, für sich selbst klar zu formulieren: denn, mit einem bequemen und lieben Bundespräsidenten oder einer beliebten und netten Bundespräsidentin, die sich bereits politisch eindeutig positioniert hat, wird Deutschland nur eine Schaufensterpuppe präsentieren können, die nichts bewegt. Köhler bewegte sich äußerst vorsichtig und nachsichtig im Amt – und er ist nicht verstanden worden: „Im März 2009 sprach er in der Berliner Elisabethkirche über die Ursachen und die Folgen der Finanzkrise. Die Schärfe, mit der er damals die Banker angriff, überraschte viele. Freiheit ist kein Vorrecht, die besten Plätze für sich selbst zu reservieren’, rief er. Der Markt allein werde es nicht richten. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt.’“(M. Nass, 2. Juni 2010, S. 3)

Man hat sich in Wirtschaft und Politik auf die Füße getreten gefühlt, befremdet und konfrontiert, und den notwendig aufzunehmenden Faden ignoriert. Aber eben nicht nur ignoriert, sondern kritisiert. Im Gegenzug kritisierte man die Amtsausübung und damit Horst Köhler persönlich. Er, der nicht Geeignete, dieses Amt gut oder befriedigend auszuüben. Frage: Für wen oder was war es nicht befriedigend oder gut genug ausgefüllt?

Der Brief von Joachim Hunold, Chief Executive Officer (Airberlin.com){3}, an Horst Köhler vom 28. Mai 2010 steht pars pro toto für eine auf die Spitze getriebene politische Kommunikation, in der es an Verdrehungen des Gemeinten nicht fehlt – und aus dieser sich zwangsläufig ergebenden Widersprüchlichkeit dreht sich kein Mensch allein heraus: es sei denn, er hat einen guten Interpreten des Gemeinten, der es vermag, die feinen Fäden des Wertes des menschlichen Wesens auch in jenen zusammenzufügen, die primär Interessen ökonomischer Natur global und funktional zu erfüllen haben. Diese feinen Fäden aufzunehmen und zu einem neuen Teppich in Deutschland und darüber hinaus global zu weben, ist Aufgabe und Programm. Dazu bedarf es vieler Wollhersteller mit zahlreichen Arbeitsgängen, Spinner, und Weber.

Zunächst muss es aber Menschen geben, die das Thema überhaupt erst einmal aufgreifen und klar benennen. Horst Köhler griff in der Regel äußerst vorsichtig zu polarisierenden verbalen Formeln und manchem, nicht in Wirtschaft und der Politik, waren sie zu schwach. Wer glaubt, dieses Thema des menschlichen Wesens und seines Selbstwertes und seiner Existenz übergehen zu können, erliegt einer Illusion.

Aber, mit der Amtsniederlegung von Horst Köhler und dem Umgang damit in den Medien wird eines klar: Man glaubt immer noch, es ginge, über dieses Thema, sprich, über das Thema „menschliches Wesen“ hinweg treten zu können. So, als handle es sich um eine Pfütze auf der Straße, die mal eben salopp zu überspringen ist, um sich keine nassen Füße zu holen. Meiner Meinung nach geht dies nicht: mehr.

Es werden weitere Menschen folgen, die sich überfordert und übervorteilt fühlen und am liebsten sagen würden, ich schmeiße alles hin. Ihnen sind bereits Millionen Menschen in Deutschland innerlich vorausgegangen, die äußerlich durch Globalisierung ihres existenziell-beruflichen Teppichs entledigt worden sind: Hartz-IV-Empfänger, Menschen, die abhängig bei Telekom und Siemens, Karstadt, Nokia und anderen Unternehmen arbeiteten, Menschen, die ihren Wohnort verlegten, um ein Stellenangebot wahrnehmen zu können... Sie konnten nur für sich innerlich ihre Hoffnungen, Wünsche und Ideale begraben. Sie konnten sich mangels finanzieller Absicherung nicht vor die maßgeblichen Entscheider ihrer Existenz stellen und sagen: „Das ist respektlos. Das ist würdelos. Ich lege meine Arbeit noch vor Ihrer Standortverlagerung nieder.“ Auch ist kein Hartz-IV-Empfänger zu Angela Merkel gegangen und hätte gesagt: „Verehrte Bundeskanzlerin. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich dieses Hartz-IV-Finanzangebot, das meine Familie, meine Frau und meine Kinder und mich in die Armut treibt, wo wir des Nachts kein Auge mehr zu tun, weil wir nicht wissen, wie wir vor Existenz- und Zukunftsangst in den Schlaf kommen sollen, dankend zurückgeben. Ich weiß zwar nicht, wie es weitergehen soll: aber so, mit diesen unzähligen Sonderbestimmungen und Durchforstungen nach geheimen Barschaften, Sparbüchern und Aberkennung meiner guten Absicht, den unzähligen Seiten, die auszufüllen sind, damit wir unsere Existenz minimal finanzieren können, dem Terror der Bürokratie personell und gesetzlich-sachlich und der Tatsache, dass wenn ich etwas dazu verdiene, mir vom Wenigen dazu Verdienten dann ein großer Teil wieder abgezogen wird, kann ich nur sagen:Frau Bundeskanzlerin, dieses Vorgehen und Benehmen beschämt mich zutiefst nach so vielen Jahren des Verkaufs meiner Arbeitskraft in Deutschland. Ich empfinde es als respektlos meiner Frau und meinen Kindern gegenüber, dass sie nun mit mir verarmen müssen. Ich empfinde diese Situation als für mich entehrend und entwürdigend. Ich lehne dankend ab.“

Köhler hat Vorbildwirkung eben genau in dem Stil, den er am 31.5.2010 an den Tag legte: Es wurde Licht. Seine Worte, um eine Metapher von J.M. Coetzee zu übernehmen und auf diese Amtsniederlegung anzuwenden, fühlten die einen als Paukenschlag, die anderen vielleicht so: Wie Wasser gegen einen Felsen, so schlugen seine Worte gegen Ignoranz und Schweigen. (Abgewandelt übernommen aus Coetzee: Eiserne Zeit, 2003, S.41) Auch wenn die unzähligen Mutmaßungen, Projektionen, Spekulationen und Interpretationen, die auf dem Fuße folgten, in diesen Tagen versuch(t)en, es zu verdunkeln. Respekt vor diesem Stil, der Menschen in Deutschland aus völlig unterschiedlichen Gründen fehlt, aber Mut machen könnte: Denjenigen, die das Sagen haben und denjenigen, die diesem Sagen lauschen müssen und innerlich schon gar nicht mehr da sind und nichts mehr glauben und dennoch nichts tun können...

Leider fehlte mir selbst genau dieser Köhlersche Schneit (und Geld) nach Inaugenscheinnahme meiner ersten Abrechnung durch die Kassenärztliche Vereinigung 1999 und der für mich völlig veränderten Arbeitssituation. Die Voraussage eines Kollegen nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub 1999 ließ mich verzweifeln: damals wurde unser Honorar von 145,00 DM auf teilweise ca. 39,00 DM (BKK) pro 50 Minuten Psychotherapie vor Steuer abgesenkt – damals weinte ich und warf mich ins Bett trotz hellem Sonnenschein und spürte: „Nein, jetzt mache ich nicht mehr weiter – jetzt reicht es...“ Ich hätte mit dreimal so vielen Patienten arbeiten müssen, um den gleichen Betrag monatlich zum Leben zur Verfügung zu haben! Damalig arbeitete ich mit ca. 37 Patienten in der Woche: Es wären also 111 Patienten, die ich statt 37 Patienten hätte versorgen müssen... Ich stand dennoch wieder auf, weil ich keine andere Chance sah, meinen Beruf sinnvoll, also auch für Kassenpatienten und nicht nur für Privatpatienten, auszuüben. Näheres über diese Zeit werden Sie in Band 2 mit dem Titel „Die Zulassung zur Abschaffung“ lesen können. Ich war nicht einverstanden, was mit meiner Berufsgruppe und mir nach der sozial-rechtlichen Regelung für unseren Berufsstand und die Aufnahme in die Kassenärztliche Vereinigung 1999 geschah. Ich bin es auch heute noch nicht. Es wurde im Laufe der Jahre leider nicht weniger, womit ich nicht mehr einverstanden bin, weil das Leben in Deutschland für Millionen von Menschen so drastisch zum Schlechteren hin verändert wurde. Ich glaube, man will dies in Deutschland nicht wahrhaben. Ich glaube, man will immer so weitermachen, wie bisher: Weil es immer so ging!

Ich änderte meinen Lebensstil und schrieb, statt mit der doppelten oder dreifachen Anzahl von Patienten zu arbeiten: was, nebenbei bemerkt, kein Mensch kann. Auch wurde unser Honorar nicht von allen Kassen auf dem obigen Niveau gehalten: dennoch sind wir auf der absolut untersten Honorarstufe der Fachärzte innerhalb der KVen.

Aber in Deutschland wird unzähligen Menschen das Unmögliche abverlangt. Und es wird zu wenig dazu gesagt und wird dennoch etwas gesagt, wird es verdreht und verstreut in alle Winde. Deutung wird gegeben und Zweifel werden gesät. Motiv und Interesse steuern Kommunikation. Wie es nun auch bei Horst Köhler versucht wird: Aber bei seiner Amtsniederlegung wird dies in der Wirkung nicht gelingen. Er hat sich mit seiner Frau an seiner Seite von seinem Amt verabschiedet. Die Frau gehört bei diesem Staatsakt des Bundespräsidenten dazu! Selbst bei eher lapidaren Anlässen wird Sicherheitspersonal bereitgestellt und Frauen werden zusätzlich nicht eingeladen, so wie bei der Einweihung des U-Turms in Dortmund, als Herr Winkelmann seine Video-Installationen das erste Mal öffentlich Ende Mai in Gang setzte. Vermutlich war es eine Vorsichtsmaßnahme, wie man munkelt, Frauen nicht einzuladen, weil Rüttgers auch zugegen war... Er sollte geschützt werden. Frage: vor wem oder was, vor den Frauen? Oder sollten Frauen geschützt werden, falls genau welche Situation unerwartet eintreten könnte? Und sie wurden und werden deshalb nicht eingeladen? Oder ist es doch nur wieder dieser Männerklüngel in Deutschland, bei dessen Treffen Frauen nichts zu suchen haben? Dieses Benehmen spiegelt unsere Männergesellschaft mit dem Aushängeschild für „Gleichberechtigung“ im Extrem wider. Auch dieses schlechte Benehmen konnte Horst Köhler qua Amt, wie jeder andere Bundespräsident auch, durchbrechen. Zum Bundespräsidenten gehört die Frau des Bundespräsidenten.

Es wirkte nicht schwach, als er mit seiner Frau an seiner Seite zur Abgabe seins Amtes antrat. Auch andere Minister und offizielle Amtsinhaber lassen ihre Frauen inzwischen auf politischen Bühnen spazieren und natürlich möchten die Medien private und intime Details aus dem Leben in die Öffentlichkeit zerren. („Das Private rückt in den Vordergrund.“ In: Ruhr Nachrichten, 27.12.2010) Auch darüber, ob Frauen von Ministern (oder umgekehrt Männer von Ministerinnen) gleichzeitig in der Öffentlichkeit eine politische Funktion übernehmen sollten und übernehmen dürfen, sollte reflektiert werden.

Worüber nicht diskutiert werden muss, ist die Wahrung des privaten Lebens für alle Menschen und somit auch der politischen Spitze in Deutschland und anderswo. Mit dieser Feststellung wird jedoch sofort das Thema Datenschutz in Deutschland angestoßen und die Frage, wie weit dürfen Bundesbürger gläsern gemacht werden und zu welchem Zweck? Inwiefern ist in Deutschland Bereitschaft vorhanden, die Psyche, die Seele und letztlich privates Leben von Menschen zu schützen und nicht nur die Gefahr von Hackern, die in staatliche Datennetze eindringen, abzuwehren? Hacker versuchen an interne politische, militärische und wirtschaftliche Daten zu gelangen, wie die Ruhr Nachrichten mitteilt. („Staatliche Datennetze in Gefahr.“ In: Ruhr Nachrichten, 27.12.2010, Titelseite) Diese internen Datensätze können politische Interessenslagen offen legen, wie sie möglicherweise offiziell dem Bundesbürger und Wähler nicht in Gänze kommuniziert werden. So verwundert es nicht, dass von Krieg im Internet im Dezember 2010 gesprochen wird und die Berichte darüber assoziativ an Science-Fiction-Filme erinnern: „Wie wird der Kampf gegen die Cyber-Attacken gesteuert? Zentral. Seit Mai dieses Jahres bündelt das ‚US Cyber Command’ die Einsätze an der Online-Front. Bislang hatten sich die Aufgaben auf vier verschiedene Geheimdienste verteilt. Der Kommandeur der ansonsten streng geheimen Truppe hat schon klargemacht, dass er die Zuständigkeit seiner Einheit sehr weit ausgelegt (sic). Zugriff auf E-Mails und soziale Netzwerke verlangt Armeegeneral Keith Alexander, um Amerika vor Angriffen aus dem Cyberspace zu schützen. Der Schock nach den Wikileaks-Enthüllungen gibt den Befürwortern einer stärkeren Kontrolle des Netz-Lebens zusätzlichen Auftrieb.“ („Neue Bedrohung für die USA?“ In: Ruhr Nachrichten, 27.12.2010) Es geht also um Wahrung geheimer oder intimer politischer Landesinteressen und den mit ihnen genuin verbundenen Motiven gegenüber anderen Ländern und – wird noch weiter spezifiziert und eingedrungen in politisches und wirtschaftliches Leben – um Geld und Kapital, das geschützt werden soll.

Washington gibt viel Geld pro Jahr für die Abwehr der Angriffe aus der Cyber-Welt aus: Schätzungsweise sechs bis sieben Milliarden Dollar, teilt Joachim Rogge im selben Artikel der Ruhr Nachrichten mit. Frage: Wo werden Menschen, und abstrakter, das menschliche Wesen, die Seele und die Psyche von Menschen, mit so viel Geld und feinem Gespür für Intimität, weltweit geschützt?

Köhler versuchte Brücken zu bauen zwischen Oben und Unten, versuchte, zu vermitteln. Kommunikation, der Worte und Gesten zugrunde liegen, die auf den Spalt in unserer Gesellschaft zwischen Oben und Unten zielen und ihn benennen, können einmal von Wahrheiten geprägt sein, und ein anderes Mal durch Verschleierung und Manipulation, um tatsächliche Motive zu verbergen und sie nebensächlich oder, sehr beliebt, „normal“ erscheinen zu lassen. Die Unterschiedlichkeit von Lebensbedingungen und wie sie zustande kommt, sprich, wie sie politisch und wirtschaftlich gebaut werden, soll nicht in Gänze ans Tageslicht kommen. Deshalb gibt es Krieg. Wie heißt es so schön: Im Krieg und in der Liebe sind bekanntlich alle Mittel erlaubt. Die Frage ist, wer kämpft auf welcher Seite für wen oder was?

Es war Stärke von Köhler, das Amt niederzulegen. Es war weder Schwäche noch Tragik: es war die einzige Möglichkeit als Mensch, der ein Amt innehat, „Nein, so nicht“, zu sagen. Das geht so nicht! Nur ein Mann, in diesem Falle Gabor Steingart, kann von Köhler als dem „tragischen Präsidenten“ sprechen – das ist wahrlich tragisch. (Handelsblatt,1.6.2010, Titelseite).

Ökonomisch begründete Arbeitsbedingungen in China fanden am 28. Mai 2010 ihren erneuten Zugang zur Öffentlichkeit. Ein weiterer Wanderarbeiter sprang in den Tod. Inzwischen sollen es bereits 30 Menschen sein, die in dieser Firma freiwillig – was in diesen Zusammenhängen äußerst fragwürdig erscheint - aus dem Leben schieden:

„Der jüngste Selbstmord geschah am Mittwoch. Wie die meisten anderen Opfer sprang der 23-jährige Wanderarbeiter vom Dach eines Wohnheims auf dem Firmengelände. Wie fast alle Produktionsfirmen in Südchina, in denen junge Migranten aus den Provinzen im Innern Chinas arbeiten, kaserniert Foxconn seine Mitarbeiter. Sie dürfen das Firmenareal nur bei guter Leistung und meist nur am Wochenende verlassen.

Apple, Hewlett-Packard und Dell wollen die Arbeitsbedingungen bei Foxconn untersuchen. Der erste Selbstmord, der die Firma vor einem Jahr in die Schlagzeilen brachte, geschah, weil ein Mitarbeiter einen ihm anvertrauten Prototyp des nächsten iPhones verloren hatte. Der Sicherheitsdienst bedrängte den jungen Mann derart, dass dieser keinen Ausweg mehr sah. Die Sicherheitsleute seien entlassen worden, meldete Foxconn danach. Manche Chinesen haben Apple für jenen ersten Selbstmord mitverantwortlich gemacht; mit ihren überrissenen Forderungen und einem manischen Zwang zur Geheimhaltung habe die Firma Foxconn in eine Sicherheitshysterie getrieben.

(tagesanzeiger.ch/stichwort/autor/christoph-neidhart/s.html)

Verzweiflungstaten aus existenziellen Gründen mehren sich nicht nur dort. Immer wieder werden Selbstmorde ganzer Familien in den Tageszeitungen in Deutschland mitgeteilt, oder es erscheinen Berichte darüber, unter welchen Bedingungen Menschen leben lernen sollen... Überall auf der Welt versuchen Menschen, das Unmögliche, wie es sich aus Diktaten von Arbeits- und Lebensbedingungen in unterschiedlichen Graden ergibt, dennoch zu verwirklichen, damit die Kasse Oben stimmt und die Gewinne weiter steigen. Man macht es so lange, wie es eben geht. Mehr, als aus dem Fenster springen, geht nicht. Mehr, als das Amt niederlegen, geht nicht.

Ich bin Psychologische Psychotherapeutin und arbeite jeden Tag mit Menschen, die sich ihrer Seele erinnern, weil sie psychisch in dieser Kultur aus völlig unterschiedlichen Gründen an ihre persönlichen Grenzen kamen und kommen. Ich bin auf den einzelnen Menschen durch meinen Beruf konzentriert. Und ich sage: Kein Patient, keine Patientin, war wie der/die andere... keinen Patienten hätte ich durch einen anderen Patienten ersetzen können...! Aber oft ist zu hören, dass Menschen von sich selbst sprechen, als sei es nicht so wichtig, dass sie einer bestimmten Tätigkeit nachgehen: Ich bin doch ganz schnell durch einen anderen Menschen zu ersetzen... dann macht eben jemand anderes die Arbeit... Er macht sich auf diese Art und Weise selbst so wertlos wie er seinen „Ersatz“ entwertet, der ebenso ersetzt werden kann, folgt man diesem Denken und Fühlen. Anhand dieses allgemein bekannten „Alltagsdenkens“ wird deutlich, dass es nicht um den Menschen geht, der zusammen mit anderen Menschen lebt und arbeitet, sondern um dasjenige, was da geschafft werden soll und an Leistungsnorm erfüllt werden soll und wird. Menschen sind angehalten, über sich selbst und andere in dieser Weise zu denken und zu fühlen: sie selbst folgen einer Funktion ebenso wie andere Menschen....

Um es deutlich zu sagen: Menschen sind keine Funktion, sondern haben eine Funktion oder Tätigkeit.

Insofern ist jeder Mensch anders und führt seine Tätigkeiten auch anders aus. Kein Mensch ist wie der andere und kein Mensch ist durch einen anderen Menschen einfach mal eben so zu ersetzen, sei noch einmal betont: ob Kindergärtnerinnen, Lehrer, Bundespräsidenten, Kanzlerinnen, Bauarbeiter, Gärtner, Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten oder Polizeibeamte, weder im beruflichen Bereich noch im privaten Leben als Partner. Wechseln die Menschen, die bestimmte Funktionen inne hatten und / oder Beziehungen führten, verändert sich das Leben derjenigen, die den Wechsel hautnah miterleben. Es ist nicht mehr so wie vorher! Wäre dem nicht so, gäbe es keine Entwicklung.


Es ist für mich zweifelsohne ungewohnt, zu verallgemeinern und mit extrem belasteten Begriffswelten zu hantieren, wie „Kapitalismus“ eine darstellt. Zumal nicht abzusehen ist, welche Inhalte damit jeweils über den von mir beabsichtigten Kontext hinaus in der Leserschaft assoziiert werden. Schließlich prägt eine Wirtschaftsstruktur Leben und Menschen in einer Kultur so nachhaltig, dass das Aufgreifen dieser Lebensbasis einen Schritt, einen Meter Distanz fordert, um sie überhaupt aufzeigen zu können.

Vielleicht ist es für den einen oder anderen Leser hilfreich, sich vorzustellen, dass zu unterschiedlichen Spielen, unterschiedliche Spielfiguren und, im Vergleich zu anderen Spielen, andere Regeln gehören: Schachfiguren sehen differenzierter aus als Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Püppchen und die Figuren zwischen den beiden Spieltypen unterscheiden sich zusätzlich bezüglich ihrer Funktionen innerhalb des Spiels. Man könnte sich vorstellen, Kapitalismus sei ein Spiel. Es könnte eine Hilfe in der Wahrnehmung sein, offen zu schauen, wie es oder er funktioniert. Wie Sie alle wissen, ist es sehr schwierig, etwas klar wahrzunehmen, was zur Gewohnheit geworden ist. So ist es auch mit der Form von Ökonomie, wie „Kapitalismus“ eine darstellt. Wie gesagt, man braucht etwas Distanz, um vorurteilsfreier, also ohne die gewohnten (denn Gewohnheit ist so selbstverständlich, dass man sie nicht mehr wahrnimmt: man nimmt Dinge als normal an und hin) Emotionen und Annahmen, zu reflektieren, und zu begreifen, wie diese Ökonomie im Menschen wirkt. In den Büchern ist zigmal die Rede von „Kapitalismus“. Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es mir nicht darum geht, irgendeinen Menschen persönlich anzugreifen, wenn ich von „Kapitalisten“ oder „Kapitalismus“ spreche. Mir geht es darum, dass die Regeln, nach denen im Kapitalismus gespielt wird, offen zutage treten, damit jeder Mensch weiß, womit er es zu tun hat, und wozu er seine Einwilligung in heutiger Zeit innerhalb des ökonomischen Systems „Kapitalismus“ gibt. Mir geht es um Bewusstwerdung der Lebensbedingungen und, wenn möglich, um Verbesserungen für Menschen in heutiger Zeit: und dies auch im Sinne der Kinder, die heutzutage aufwachsen.

Dabei ist nicht zu vergessen, dass ich selbst im Kapitalismus aufgewachsen bin. Dennoch wage ich dieses Abendteuer als Psychologische Psychotherapeutin und Mensch, mich mit dem Leben, so wie die wirtschaftliche Struktur es prägt, in den vorliegenden Büchern auseinanderzusetzen, obgleich Kapitalismus auch für mich so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen ist. Ebenso wie morgens den Wecker klingeln zu hören, aufzustehen, um später nach Frühstück und Zeitung lesen in meine Praxis zu fahren, um dann dort von meinen Patienten zu hören, wie es ihnen in ihrem Leben ergeht, unter was sie leiden und welche Probleme sie belasten, aus denen ich ihnen nach bestem Wissen und Gewissen fachlich und menschlich heraushelfe.

Um das, was im Leben extrem belastend ist und nicht mehr tolerierbar erscheint, geht es im vorliegenden Buch. Es ist unmöglich, alle Facetten des Lebens und ihre individuelle Bedeutung wie Bezüge zur Gemeinschaft aufzuzeigen, damit sich der Leser im konkreten Beispiel wieder erkennen kann. Es geht um die Darstellung zweier Seiten in einer Gesellschaft, die primär durch die Ökonomie geprägt ist. Es ist von der kapitalistischen Medaille zu sprechen, die zur Währung von umfassenden Lebensinhalten geworden ist. Es kann sein, dass eine Seite mehr in den Vordergrund gestellt ist als die andere. Insofern: Atmen Sie, lieber Leser, durch, vielleicht habe ich ja auch das Gegenbeispiel noch aufgegriffen! Dennoch hoffe ich, Sie in den Büchern zur Heillosen Kultur nicht vergessen zu haben! Letztlich geht es jedoch darum, mehr von dem zu verstehen, wer wir sind und was aus uns geworden ist. Es geht nicht um Urteil und Verurteilung (auch wenn dies an verschiedenen Stellen in den Büchern so erscheinen mag), sondern um Wahrnehmen, Fühlen und Verstehen, um Erkenntnisse zu gewinnen, die einen hoffentlich besseren Horizont für eine wünschenswerte Zukunft bescheren.

Haarfeine, individuelle Einzelheiten, die Lebenszusammenhänge und deren psychische Reaktion auf Angriffe der Seele spiegeln, mit denen ich tagtäglich rund um die Uhr durch meine Arbeit mit Menschen beschäftigt bin, lehrte mich die Wiederholung und die Gleichheit von Auslösern für Probleme, Leid, seelische Nöte, Existenzangst und die krankmachende Wirkung verleugneter Gefühle, die Dynamik des Einzelschicksals zu einem Beispiel in einer Vielheit von Menschen in der Gegenwart werden lassen.

Gründe und Auslöser für seelische Symptome sind differenziert in der Psychopathologielehre der International Classification of Diseases (ICD), der praktischen und alltäglichen Arbeitsgrundlage aller der WHO angehörenden Mitgliederstaaten, dargelegt. Auffällig wurde für mich in meiner praktischen Arbeit – neben den üblichen Themen, die sich aus dem massiven Leid durch Trennungen und Beziehungsprobleme und allem, was sich für Kinder daraus ergibt – ab ca. 1994 die Häufung von Menschen mit Diskriminierungen am Arbeitplatz, die völlig unterschiedliche Symptome in Menschen hervorbrachten: Ohrgeräusche, Magen-Darmprobleme, Schilddrüsenerkrankungen, Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken, Herzrhythmusstörungen und gehäuft Rückenprobleme aller Art, Migräne- und Kopfschmerzen und alle Symptome, die ich jetzt hier nicht aufzähle und wo mit alleiniger medizinischer Behandlung hartnäckigen Symptomen nicht erfolgreich beizukommen war und ist. Es wurde von Vorgesetztenverhalten berichtet, von Änderungen in Firmenstrukturen, von Arbeitszeitkürzungen, Einkommenskürzungen, den Sorgen, wie die laufenden Kosten beglichen werden soll(t)en, Verhalten von Sachbearbeitern auf Ämtern, Verfahrensvorschriften zum Ausfüllen von Formularen, Irrwegen in Krankenkassenangelegenheiten und welche Kasse welche Kosten übernimmt, Schulversagen von Kindern und so weiter und so fort.

Erst dachte ich, es handele sich um Einzelfälle. Da ich aber eine große Praxis leitete, hörte ich diese Gründe, Beschwerden, Klagen und Symptome auch von meinen in der Praxis tätigen Kollegen. Vereinzelt sprach man deshalb von Mobbing und Stresserkrankungen und Burnout-Syndromen. Kinder und Jugendliche berichteten aus Schulen und von dem Verhalten von Schülern und Lehrern, das ähnliche Symptome wie bei Erwachsenen in ihnen hervorrief. Inzwischen wird mit Begriffen, die Diagnosen sind, wie Mobbing, Panikattacken, Burnout, Trauma und Traumatisierung mit größter Selbstverständlichkeit quer durch die Gesellschaft begrifflich hantiert, als gehörten sie wie selbstverständlich zum Leben. Parallel hierzu wurde von Verhaltensmustern seitens Firmen, Verkäufern und Anbietern von irgendwelchen Leistungen und Verträgen einerseits ebenso berichtet, wie andererseits von Struktur- und Projektleitern und Geschäftsführern großer Firmen, die sich nicht mehr mit dem Vorgehen der Firmenleitung oder Firmenideologie identifizieren konnten und davon sprachen, dem steigenden Druck nicht mehr gewachsen zu sein, potenzielle Kunden mehr oder weniger bewusst in die Irre führen zu müssen, um selbst leben zu können, indem sie Verträge unterzeichnet bekamen, die den eigenen wie den Firmenumsatz erhöhten, und damit die Provision sichergestellt wurde. Den Mut, die Arbeitsstelle an den Nagel zu hängen, hatten sie oftmals nicht, weil keine berufliche Alternative in Sicht war. Im Gegenzug hatten Firmenleitungen in den letzten zehn Jahren kein Problem damit, tausende von Menschen aus ihren Arbeitsverhältnissen hinaus in die Arbeitslosigkeit oder in mindere und einkommensschwache Jobs hinein zuführen, wenn man sie nicht sofort in die generelle Arbeitslosigkeit schickte. Ähnliches gilt strukturell bei staatlichen und städtischen Ämtern, wenn Buß- und Verwarnungsgelder geschrieben werden müssen, um Kassen zu füllen. Rankinglisten werden geführt, um den Druck zu erhöhen, die gewünschten Einkünfte zu erzielen. Firmenmitarbeiter hatten an Coachings, Seminaren zur Optimierung von Persönlichkeit und Verkaufsverhalten und nicht selten NLP-Seminaren teilzunehmen, in denen sie lernten, mit Kundschaft gewinnbringend Personen bezogen umzugehen, also Gewinn bringende Kommunikation zu pflegen, um die Geschäftsinteressen zu wahren und Profit zu erhöhen. Einer von ihnen, ein ehemaliger Bankdirektor, bekam einen Schlaganfall und alles, was zu seinem Leben gehörte, drohte zusammenzubrechen: Arbeit, Familie, Beziehung und Gesundheit. Wir haben mit Erfolg daran gearbeitet. Er fährt wieder sein geliebtes Motorrad in der Saison, hat eine reizende neue Frau, die ursprüngliche eheliche Beziehung ist sauber geklärt und insgesamt erfreut er sich eines neuen Lebens. Aber oftmals geht es nicht so gut aus. Er kam rechtzeitig genug. Diese Arbeit ist ca. 12 Jahre her. Damals, und noch mehr und nicht mehr übersehbar heute, spielt der finanzielle Hintergrund eine maßgebliche Rolle, ob Menschen sich von wirtschaftlichen Veränderungen wieder finanziell und gesundheitlich, sprich psychisch und physisch, erholen oder nicht. Seit ca. 5 Jahren ist es äußerst schwierig geworden, Menschen, die in existenziell bedrohliche Situationen durch die Wirtschaft geraten sind, wieder auf die Beine zu stellen. Inzwischen ist umgekehrt generell zu fragen, wer hat keine finanziellen und existenziellen Probleme?

Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAuA) in Dorstfeld (Dortmund) lässt verlautbaren, Dauerstress im Job kann psychisch krank machen, sprich, Depressionen nach sich ziehen. Dabei ergibt sich der funktionelle Zusammenhang über die Höhe der Arbeitsbelastung: „Je höher die Arbeitsbelastung, umso eher erkranken beschäftigte an der Seele.“ (Ruhr Nachrichten: „Dauerstress bei der Arbeit macht depressiv.“ 16.7. 2010) Untersucht wurden in dieser Studie 517 Beschäftigte von Banken und Versicherungen, Gesundheitswesen und Öffentlichen Dienst. Beurteilt wurde dieses Mal mittels objektiver arbeitswissenschaftlicher Kriterien, und nicht die Aussagen der Betroffenen. „Psychische Probleme und vor allem Depressionen führen laut anderer Studien immer häufiger zu Krankschreibungen. Wie berichtet, waren nach dem jüngsten DAK-Gesundheitsreport im letzten Jahr fast 17 Prozent mehr psychische Erkrankungen als 2008 die Folge des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks.“ (Ebda.) Neben dem Offenbaren dieses funktionellen Zusammenhanges der untersuchten Variablen, ist doch eines schmunzelnd zu erfragen: Wie sieht es denn dann in den Etagen der Manager aus, die ja nicht zuletzt so extrem gut honoriert werden aufgrund des unterstellten Gefüges von Fachwissen und Arbeitsbelastung, sprich Stress... oder bei Ministern, die ja ständig unterwegs sind und sich gleichfalls ständig öffentlich äußern und regieren müssen... Nun gut, ich denke, es gehören weitere Merkmale zu einer depressiven Erkrankung, die als Variablen für Untersuchungen zugrunde gelegt werden müssen – dennoch ist das obige Untersuchungsergebnis bedenklich... Denn, so teilt Thorsten Schenk, ein Experte für berufliche Rehabilitation, mit, sprechen Studien „von ca. 8 Millionen Deutschen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen“ und „mittlerweile gehörten diese zu der vierthäufigsten Ursache für Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen.“ Und weiter: „Die meisten Rehabilitanden haben inzwischen eine psychische Erkrankung, die allerdings häufig erst durch eine weitere gesundheitliche Einschränkung ausgelöst wird. Die psychische Erkrankung ist dann das vorrangige Hemmnis bei der Integration in Arbeit.“ (Quelle: .zweite-chance.info 210/2, S. 5)

Wenn man als Mensch jeden Tag zwischen 7 bis 10 und manchmal mehr Stunden mit dem Schicksal von Menschen in klinischer Praxis so nah und intim mit Psyche, Seele, Körper und Leben von Menschen beschäftigt ist, wie es für Psychologische Psychotherapeuten üblich ist, dann fällt es nicht nur schwer über die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Hintergründe und Einflüsse dieser Entwicklungen hinwegzusehen. Sondern es scheint zur kulturellen Verpflichtung wie Aufforderung zu werden, über die übliche Krankheitslehre und Berufsidentität hinaus die Bedingungen, die zu solchen Symptomen, wie sie einschlägig als krankmachend beschrieben werden, als Phänomene für Ursachen zu benennen und Einfluss bezüglich einer menschenwürdigen Änderung durch deren Benennung zu werden. Wird dies nicht getan, wird denjenigen Menschen zum Symptom und Leid auch noch die Verursachung gesellschaftlich zugeschoben. Dies käme einem Verhalten gleich, wie es ohnehin quer durch die Gesellschaft hinsichtlich der Schuld- und Ursachenverschiebung Gang und Gäbe ist. Damit wären Menschen und Menschsein völlig dem ausgeliefert, was Kern und primäre Intention – und jetzt kommt es – des Kapitalismus ist: Funktion ausführen, Geld machen. Zum Geldmachen wird einfach alles benutzt und in erster Linie der Mensch – so, wie der Mensch sich selbst dann für das Geldmachen selbst benutzt und eben nicht mehr den Abstand oder die Freiheit hat, zu sagen: So nicht! Aber meistens geht es nicht anders als so, weil alles Mögliche an Gesetzen, Verordnungen und Leitlinien im Wege steht, um anders zu leben und zu arbeiten!

Dennoch besteht meine Absicht nicht darin, eine Vollständigkeit bezüglich der krankmachenden Phänomene anzustreben, sondern Beispiele, Strukturen wie Hypothesen aufzuzeigen, die unmissverständlich dem Zweck dienen, das menschliche Wesen in den Mittelpunkt des Lebens, der Wirtschaft und der Kultur zu stellen, und zwar ausschließlich mit dem Ziel, es zu schützen. Dafür ist es notwendig, die negativen Entwicklungen in der Gegenwart aufzuzeigen. Kein Interesse besteht daran, irgendeinem politischen Parteiendenken zu- oder abzuschreiben. Auch geht es mir nicht um Pro oder Kontra Kapitalismus, auch wenn ich hier über ihn zwangsläufig schreiben muss, weil er als Verursacher vielfältiger Missstände und menschlicher Unwürdigkeiten unverblümt in Erscheinung tritt. Kapitalismus könnte aus dieser Perspektive heraus auch völlig anders heißen: Es ist egal. Wichtig ist, was er im Kern wirklich will, wie diese Interessen durchgesetzt werden und was er in Menschen bewirkt und wie er Leben, Mensch und Seele prägt. Dabei muss klar gestellt und daran erinnert werden, dass es immer Menschen sind, die sich mit dem kapitalistischen Kern identifizieren oder eben nicht. Der Mensch hat eine Wahl.

Unter anderem ist es eine Wahl hinsichtlich der Identifikationsrate mit Kapitalismus, die bei turbokapitalistischen Managern bei vermuteten 100 Prozent liegen dürfte. Die kapitalistische Identifikationsrate bringt politisch ein Meer an Möglichkeiten von inhaltlichen Grenzziehungen hervor, die ökopolitisch eine systemimmanente Meinungsvielfalt spiegelt, die suggeriert, man könne mit dem demokratischen Mittel der Abstimmung für Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen, ohne über die inhaltlichen Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens zu sprechen und diese zu schützen. Dabei wird übersehen, dass die fehlende Reflexion kapitalistischer Grundlagen und Auswirkungen zu unzähligen Missständen führen, denen man wirtschaftlich und politisch nicht mehr habhaft wird, wie man in der Gegenwart täglich erleben, lesen und hören kann. Beim Aufzeigen der notwendigen Beseitigung von Missständen wird immer auf fehlendes Geld politisch verwiesen. Politische Unterstützung wird denjenigen Menschen gewährt, die dieses System bestrebt sind zu erhalten und genau diese Missstände für Millionen von Menschen hervorbringen.

Diese Wahl hinsichtlich der kapitalistischen Identifikationsrate ist systematisch mittels Erzeugung extremer existenzieller Abhängigkeiten sukzessive eingeschränkt worden. Diese existenzielle Enge geht jedoch tiefer: Sie greift die Seele an und fordert die Psyche auf, mit gezielt egoistisch eingesetzten Kommunikationsstrukturen, juristisch fixierten vertraglichen Spitzfindigkeiten, politischen Notwendigkeiten und generell menschlicher Unanständigkeit umzugehen, die regelmäßig in Ohnmachtgefühlen durch permanentes Verlieren in Menschen münden. Selbst Rechtsbeistand nützt kaum etwas, um Recht zu bekommen. Nach drei, vier Versuchen wird dieser Versuch aufgegeben, weil es billiger ist, die Forderung zu begleichen als den Rechtsweg zu beschreiten. Geschäftsgebaren und Geschäftsideen rücken bedenklich in die Nähe kriminellen Verhaltens, das einzig darauf gerichtet ist, Menschen zu übervorteilen, sie über das Ohr zu hauen und ihnen damit das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Nachweis ist oftmals äußerst schwierig für Betroffene und spiegelt im Gegenzug die immer größer werdende und generalisierende Sicherheit auch in seriös erscheinenden Unternehmenskulturen wider, die immer unverfrorener Leistungen bezahlt wissen möchten, die sie oftmals nicht erbracht haben. Die Betrogenen und Übervorteilten haben noch nicht die geschäftliche Kälte, die ihnen um die Ohren und ins Haus saust, generell als die Absicht erkannt, die sie als Erkenntnis über Wettbewerb im Kapitalismus zu notieren hätten. Aber es wird eben nicht „nur“ die Geldbörse, sondern tiefer, Seele und Leib des Menschen angegriffen. Die Permanenz des Angriffs lässt das Leben bröseln. Seitens der Politik wird zugesehen, wie Menschen von vielen Mühlrädern gleichzeitig durch unterschiedliche Branchen zerrieben werden. Hauptsache, die Gewinne bei den Firmen stimmen. Aber auch diese wanken seit 2008 aufgrund der Bankenkrise. Die Industrie hat keine Skrupel, um staatliche Unterstützung zu ersuchen. Eine grundsätzliche Reflexion findet nicht statt. Versucht wird, das Wirtschaftssystem, wie es immer war, letztlich wieder herzustellen und fortzuführen. Wer denkt an die Seele, an die Psyche und an die körperlichen Strapazen der Menschen, die bereits jahrelang zugunsten der Wirtschaft verzichtet haben und dann durch die Mühlen der Ämter, deren Sachbearbeiter oftmals ihre Arbeitsgrundlagen nicht kennen, weil sie ständig Veränderungen unterliegen, gerieben werden? Wen interessiert es, wenn Lebensstrukturen und Menschen einfach zerbrechen?

Es klingt ungewohnt, wenn ich nun ergänzend hinzusetze, dass das Wirtschaftssystem des Kapitalismus in wichtigen Teilen seiner Auswirkungen auf Menschen tabuisiert wurde und ist, obwohl gerade in den letzten Jahren soviel über ihn geschrieben und gesprochen wurde. Man könnte meinen, es ist alles gesagt und nun wüsste man, wo es langgehen könnte.

Wie sich in Diskussionen jeglicher Art oder Medienberichterstattung und politischen Diskussionsrunden oder wirtschaftlichen Entscheidungen international tätiger Firmen zeigt, weiß man es nicht. Oder man weiß es, lässt es unausgesprochen und unberücksichtigt unter den Tisch fallen, weil das wieder mehr Profit verspricht. Gesprochen wird über alles Mögliche, aber nicht darüber, wie es mit dem menschlichen Wesen weitergehen soll, noch darüber, was diese ökopolitischen Strukturen in Menschen bewirken. In diesem Zusammenhang spreche ich in den Büchern zur Heillosen Kultur von psychoökonomischen Einflüssen und Auswirkungen auf Menschen, die spezifische Reaktionen und unterschiedliche Symptome aufgrund gleicher ökokultureller Einflüsse und Ursachen und tiefer, Geschichte, hervorbringen. Die Verbindungen, wie man vom Einzelmenschen zum Wirtschaftssystem, von der Seele zur materiellen Basis gelangt, erscheinen einerseits wie kilometerlange Darmwindungen, wenn man das gesellschaftliche System nun mal als Organismus begreift, denen man keine Lust hat zu folgen, noch Interesse, diese wirklich zu erkunden und zu verstehen. Schließlich sind in der Gegenwart wichtigere Probleme, als seelische Nöte, psychische Symptome und körperliche Gebrechen aufzuzeigen, nämlich, wie Banken und Wirtschaft wieder zu Geld und Leben in Saus- und Braus gelangen, zu lösen.

Es nützt offenbar nicht viel, ausschließlich Sach- und Fachbücher zu schreiben, Statistiken zu erstellen und auf Versorgungsmängel im Gesundheitswesen des Kapitalismus hinzuweisen. So schrieb zum Beispiel eine französische Kollegin ein außerordentlich gutes Buch mit dem Titel „Die Masken der Niedertracht“ (Hirigoyen, 1999). Es ist seit über 10 Jahren in Deutschland auf dem Markt. Im gleichen Zeitraum gab es unzählige und weitere Bücher, die letztendlich aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren. Perverses Verhalten und Gewalt (Hirigoyen) in Wirtschaft, Sozialleben und Privatleben nahm jedoch zusehends und für jeden Menschen spürbar zu und breitete sich schnell wie ein Virus aus. Danach gilt, sich soviel einzuverleiben, wie irgend möglich und soviel an Macht und/oder Geldzuwachs in einem Zeitintervall daraus zu ziehen, wie es geht. Ob das Objekt, der Mensch, die Natur, das Tier, die Beziehung oder das Land dabei zerstört wird und vor die Hunde geht, ist dabei unerheblich. Dieser Prozess ist zu tolerierende Folgeerscheinung. Es scheint, es macht sich generell ein Stil in der Wirtschaft breit, der sich dem von Hedgefond-Managern angleicht, und darüber hinaus Denken und Zielsetzungen auch im politischen und psychosozialen Bereich ergreift und beeinflusst: Informationen über Mängel im Kapitalismus werden hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Systeme und Informationen genutzt und ausgebaut, statt eingestellt und abgebaut. So will man Arbeitskraft immer billiger einkaufen und für Kapitalzwecke nutzen, so wie sich das Volk gleichfalls völlig materiell und existenziell eingeschränkt als lebensfähig erweisen muss, damit ohne Scham weiterhin abgesahnt werden kann. Dies gilt auch für das Gesundheitswesen, in dem sich Patienten und Behandler kaum noch ohne Rechtsanwalt zur Wahrung ihrer Interessen und/oder gegenüber Krankenkassen durchsetzen können. Zusätzlich steht die Schweigepflicht in Gefahr, völlig unterlaufen und abgebaut zu werden. Vordergründig aufgrund der Anti-Terror-Gesetze, hintergründig durch neue Zusatztarife der Krankenkassen, die gern an Versicherten verdienen möchten. Eine Eigenschaft, die in unserer Gesellschaft an erster Stelle genannt wird, nämlich Toleranz, scheint in jeder Hinsicht in Gefahr zu stehen, zur Unart und Untugend zu verkommen. Dies ist dann der Fall, wenn Toleranz zur Schutzhaltung entartet, die Verantwortung reduziert oder gar ausschließt. Gesteigert, wenn zu Toleranz (und Vertrauen) aufgerufen wird und die zur Toleranz und Vertrauen Aufgeforderten verführt werden, nicht mehr über Folgen von wichtigen Gesetzen, die außer Kraft gesetzt oder eingeführt werden, zu reflektieren. Damit wird zu einem Bild in der Gesellschaft beigetragen, dass nur der schweigende und angepasste Bürger und Mensch ein guter Bürger und Mensch sei! Werte, die eine Gesellschaft und Kultur stabilisieren, werden unterlaufen und aufgelöst.

Perverse Gewalt setzt sich als Reflex bis in alle Bereiche der Gesellschaft durch. Sie zeitigt Beziehungsstrukturen.

Beispiel: „Anklage: Kind mit Internet-Mobbing in den Tod gerieben.“ Eine amerikanische Mutter, Lori Drew, ihre Tochter und ein Freund der Familie machten sich anonym einen Spaß daraus, einem 13jährigen, depressiven Mädchen in der Nachbarschaft unter Vorgaukelung eines virtuellen Freundes per Internet das Folgende mitzuteilen: „Ohne dich wäre die Welt schöner.“ Das Mädchen nahm sich daraufhin das Leben. Der Staatsanwalt O’Brien kommentierte: „Drew habe es drauf angelegt, das Mädchen ‚zu erniedrigen, sich über es lustig zu machen und es zu verletzen’, sagte O’Brien vor der Jury.“ (Ruhr Nachrichten, 21.11.2008)

Es konnte nachgewiesen werden, was aufgrund anderer Mobbingstrukturen, oftmals nicht so einfach gelingt. Hier lag der E-Mailverkehr unverblümt vor. Zerstörerisches, rücksichtsloses Verhalten hält ungehindert Eintritt in das Leben von Menschen. Das Schlagwort Mobbing beinhaltet nichts anderes als Techniken der Angst, um Seele und Leib von Menschen zu schädigen und zu zerstören, um eigene, meist finanzielle Vorteile oder sadistische Freude daraus zu ziehen und Macht zu etablieren. Rechtsstrukturen können nicht so schnell reflektiert und angepasst werden, wie Wandel zum Schutz von Menschen und Stärkung eines Rechtsbewusstsein in solchen Fällen von Nöten wäre. Am 3. September erhielt ich die folgende Nachricht per E-Mail: „’Zwei Mio. deutsche Schüler Opfer von Cybermobbing. Angriffe verlagern sich immer stärker ins Netz.’ Mobbing verlagert sich zunehmend ins Web (Berlin (pte/02.09.2009/13:45) - In Deutschland sind mittlerweile rund zwei Mio. Schüler Opfer von Cybermobbing. Laut einer aktuellen Studie des Zentrums für empirische pädagogische Forschung (zepf) an der Universität Koblenz-Landau sind insgesamt etwa fünf Mio. Kinder und Jugendliche regelmäßig von Mobbingattacken betroffen. Ein beachtlicher, immer größer werdender Anteil davon hat sich inzwischen in die virtuelle Welt verlagert, wie die Zahlen deutlich zeigen. Im Zuge der Untersuchung gaben 40,5 Prozent der Befragten an, von direktem Mobbing - offline sowie online - betroffen zu sein.“ (Huber, M., E-Mail-Verteiler 3.9.2009: Zwei Mio. deutsche Schüler Opfer von Cybermobbing. Block: M.E.)

Mobbing bei Kindern und Jugendlichen dringt tief in die Psyche ein und prägt für’s Leben. Wird ein Kind gemobbt, verändert dies sein Leben und das Leben der Eltern. Michael Stoessinger, Michael Streck und Mareike Foecking zeigen in ihrer Veröffentlichung „Klassenkampf“ in der Wochenzeitschrift Stern im September 2009 anhand von Einzeldarstellungen auf, wie tief Mobbing geht. (Stern, Nr. 38, 10.9.2209, Seite 56-66) Die Schule wird zum System der Angst für alle Beteiligten, ob für Schüler, Lehrer und Eltern. Inzwischen dürfte die Mehrzahl heutiger Schüler Mobbing selbst erlebt haben oder selbst an entsprechenden Aktionen beteiligt gewesen sein. Im deutschen Ärzteblatt im Mai 2010 schreibt Marion Sonnenmoser über die „Verabredung zum Selbstmord“ via Internet. Im Internet sind nicht nur Beratungsforen zu finden, die Hilfestellungen bei suizidalen Menschen geben, sondern auch Foren repräsentiert, die zum Suizid animieren! Wie Sonnenmoser berichtet, „existieren Websites im Internet, in denen nicht nur beschrieben, sondern auch anhand von Bildern und Filmen genau gezeigt wird, wie man sich effektiv umbringt.“ (In: Deutsches Ärzteblatt, PP, heft 5, Mai 2010, S. 224). Dass Eltern oder Lehrer diese „Unterhaltung“ zu Verabredungen von Jugendlichen oder Kindern mit anonymen Internetbesuchern nicht mitbekommen (oder es auch gar nicht mitbekommen können, da es Internetcafes gibt...), muss nicht besonders ausgeführt werden.

Dass wir in unserer Kultur Lichtjahre von Einsteins Aussage, dass wir als Menschheit nicht weitergekommen sind, so lange noch ein trauriges Kind unter uns lebt, entfernt leben und die Entfernung von diesem das menschliche Wesen eichende Ziel täglich vergrößert wird, ist ebenso unnötig, auszuführen: Am 11. Mai war im Radio zu hören und am 12. Mai 2010 in der Zeitung nachzulesen, dass zwei Gymnasiasten aus Lübeck ein 15jähriges Mädchen aus Bremen in einer Jugendherberge in London vergewaltigten und dies mit Hilfe einer Handykamera dokumentierten... Das Mädchen wandte sich an eine Lehrerin, die die Behörden einschaltete. Zwei 19jährige Tatverdächtige wurden festgenommen und befinden sich in Haft, drei weitere mussten mangels Beweise wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Das schleswig-holsteinische Bildungsministerium schaltete den schulpsychologischen Dienst ein. Überprüft werden sollen eventuelle Verletzungen der Aufsichtspflicht... (Siehe: „Vergewaltigung auf Klassenfahrt: Deutsche verhaftet.“ In: Ruhr Nachrichten, 12. Mai 2010) Am nächsten Tag hieß es, die Täter seien gegen eine Kaution von 10 000 Pfund (ca. 12 000 Euro) auf freien Fuß gesetzt worden. Die Lübecker Staatsanwaltschaft leitete selbst Ermittlungsverfahren ein. Wird die Gerichtsverhandlung in London geführt, droht eine lebenslange Haftstrafe, die bei Vergewaltigung verhängt wird und in Deutschland 15 Jahre... (Vgl.: „In London inhaftierte Schüler gegen Kaution frei.“ In: Ruhr Nachrichten, 13.Mai 2010) In Peking tötete ein Mann sieben Kinder und zwei Frauen in einem Amoklauf in einem Kindergarten: „Seit dem 23. März kam es in China bereits zu vier Amokläufen mit Messern oder Hämmern in Kindergärten. Dabei wurden acht Menschen getötet und Dutzende verletzt.“ („China: Amoklauf im Kindergarten.“ In: Ruhr Nachrichten, 13.Mai 2010)

Kinder und Jugendliche werden weltweit Einflüssen ausgesetzt, die unverantwortlich zu nennen sind.

Hierzu würde ich auch das Ergebnis einer Studie vom 12. Mai 2010 zählen. Wie bekannt, werden Jugendlichen, die ein Arbeitsangebot oder einen Ausbildungsplatz ablehnen, Hartz-IV-Bezüge in Teilen oder vollständig gestrichen. „Vor allem die komplette Streichung von Hartz-IV zwinge junge Leute oft zur Verschuldung oder fördere die Kleinkriminalität, heißt es in einer gestern veröffentlichten Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).“ (Ruhr Nachrichten, 13. Mai 2010) Befragt wurden ausführlich 26 Jobvermittler. Ergebnis: Im Jahr 2009 hatten die Arbeitsagenturen und Jobcenter 295 000 Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Bezieher (bis zu 25 Jahren) festgesetzt. Komplett gestrichen wurde die Grundsicherung in 8279 Fällen.“ (Ruhr Nachrichten, 13. Mai 2010) Erwachsene haben schon Probleme mit dem Ausfüllen und dem Erfüllen der Grundlagen, um Hartz-IV-Bezüge zu erhalten. Außerdem fehlen in zahlreichen Berufsbereichen Ausbildungsangebote und Jobs. Von daher ist nachvollziehbar, dass angebotene Jobs oder Ausbildungsplätze nicht mit den Fähigkeiten der Hartz-IV-Empfänger kongruent sind. Weiter ist davon auszugehen, dass den Jugendlichen (und auch Erwachsenen) wenig bis gar nicht zugehört wird, wenn sie darauf hinweisen... Wie diese Jugendlichen im Leben weiterkommen sollen, ist schleierhaft. Denn die Eltern können in der Regel diese fehlende finanzielle Unterstützung für ihre Kinder nicht aufbringen. Die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher verkehren und verfehlen in der Wirkung dasjenige, das beabsichtigt wurde: Jugendlichen wird Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive genommen. Sie stranden, wenn sie Glück haben, in einem Aushilfsjob, oder geraten auf eine kriminelle Ebene, um ihr Überleben zu sichern und/ oder verschönern sich das Leben mit Ideen aus Filmen oder Internet, wo sie Anleitung zu allen möglichen Gewalt- und Missbrauchstaten bis hin zum Bombenbau, Selbstmordplänen und sexuellen Missbrauch und Mobbing vorfinden... Manche Jugendliche landen tatsächlich in Ausbildungsplätzen oder bekommen einen Studienplatz an einer Universität. Einige landen vor Gericht und müssen sich verantworten, für die Lebensumstände, in die sie hineingeraten sind, die aber vor Gericht nicht gewürdigt werden... Noch weniger wird der kulturelle und konkrete Lebenshintergrund, wie er durch die Ökonomie festgelegt wird, mit einbezogen. Letztlich wird hier nur Familie und Genetik unterschwellig oder offensichtlich gesehen, die begründen soll, weshalb ein junger Mensch kriminelles Verhalten an den Tag legt.

Die wenigen Kinder und Jugendlichen, die einen Psychotherapieplatz bekommen, um zu verarbeiten, was sie erlebten und erleben, stehen dann, je nach dem, welcher Psychotherapeut welches psychotherapeutisches Verfahren anwendet und damit aufgefordert ist, einen Bericht an den Gutachter zur Übernahme der Kosten bei der Krankenkasse zu schicken, in der Gefahr, auch noch eine Neurose fürs Leben aufgrund zusätzlicher belastender Lebensumstände angehangen zu bekommen. Denn auch hier muss entlang der psychopathologischen Leitlinien eine personenbezogene Diagnose erklären, wieso der Betreffende Symptome ausbildet. Weniger werden Einflüsse Eingang in Berichte finden, die gesellschaftliche Hintergründe dezidiert mit einbeziehen: denn die gehören nicht zum Gegenstand der Begutachtung – mal abgesehen davon, dass die Seitenzahl der Berichte festgeschrieben ist. Also müssen hierüber Bücher geschrieben werden, die im konkreten Fall aber nicht zeitgleich helfen können, weil die Dimension Zeit diesbezüglich eine außerordentlich wichtige Variable darstellt. In der Zeit, in der exorbitante Gewinne eingefahren werden, werden andere Menschen in ihrer Existenz ge- und zerstört: Alles, was sie sich für ihr Leben wünschten, wird umgekehrt. Diejenigen, die keinen Psychotherapieplatz bekommen, werden sich entweder gleichfalls mit den Mitteln zu wehren lernen, die sie selbst erlitten haben oder aber seelisch soweit innerlich zurück gedrängt, bis sie nichts mehr sagen und sich nicht mehr wehren. Dies betrifft Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene und es betrifft Menschen in allen gesellschaftlichen Schichten. Es kann jeden treffen.

Generell ist die Geschwindigkeit der Mühlen der Bürokratie dem Menschen im Turbokapitalismus, und wie er sich inhaltlich und strukturell in Menschen wie ein Virus ausbreitet und fortpflanzt, nicht gemäß. Zerstörerische Verhaltensmuster verfestigen sich in Menschen wie Redewendungen: Sie setzen sich wie durch den Wind getragen fort und werden etabliert, indem Menschen Redewendung und/oder Verhaltensmuster ausprobieren. Wie bei Kindern, die etwas nachplappern, um dann langsam zu verstehen, was es bedeutet. Oder wie nach einem ersten Besuch bei einem Zahnarzt, wenn das Kind zu Hause mit Mama oder Papa nachspielt, was der Zahnarzt in der Praxis getan hat. Das Kind verarbeitet so, was es erlebt hat. Die emotionale Verarbeitung in Erwachsenen dauert gleichfalls an, und bis offiziell klar ist, dass etwas schädlich ist und dann auch noch als wissenschaftlich nachgewiesen gilt, vergehen oftmals Jahre, ja Jahrzehnte! Gesetze, die Schädliches ausmerzen, sind noch schwieriger und langwieriger auf den Weg zu bringen.

Ein Grund für Ausbreitung statt Aussetzung von Menschen schädigendem Verhalten mag darin zu finden sein, dass eben nicht in Veröffentlichungen und Diskussionen der kapitalistische Kern und in der Identifikation mit ihm, der extreme Tunnelblick (Skopophilie) zur Verwirklichung von Profit benannt wird, sondern hier von allgemeinen Machtstrukturen die Rede ist. Nicht gesagt wird, Profit ist geil. Nein, plötzlich ist gesellschaftlich Seriosität und Ehrfurcht im Raum. Es wird von Eliten gesprochen, die es zuwege bringen, unvorstellbare Gewinne zu erwirtschaften. Bestaunt, bewundert und mit Understatement wird referiert, was errungen wurde. Das Aufzeigen von Zusammenhängen, wie der Profit sich hochschrauben konnte, kommt oftmals zu kurz oder aber wird als selbstverständlich und daher nicht besonders ethisch und moralisch mitteilenswert vorausgesetzt und daher vom Tisch gefegt: Denn schließlich und endlich wird gerade deshalb, weil es für Menschen schädlich ist, darüber (nicht) gesprochen. Das „Wie es zu Profiten kommt“ bleibt im Nebel und gleichfalls wird der Nebel über die Entwicklung von Menschen, nämlich „Wie Menschen so werden“ verströmt.

Insofern können sich Menschen, die kapitalistische Ziele verfolgen und andere Menschen für ihre Ziele manipulieren und einsetzen, ebenso wie Manager oder Geschäftsführer von den Inhalten distanzieren und vor sich selbst wie vor der Welt sagen, dass auf sie nicht zutrifft, was analysiert und dargestellt wird. Stattdessen wird die Methodik in vielen Variationen in wunderbaren Geschäftsideen gewinnträchtig umgesetzt und harmlos getan. In den vorliegenden Büchern beziehe ich mich auf Scham und Schamlosigkeit als emotionale Phänomene, die kapitalistische Lebenswirklichkeiten schaffen, die direkt mit dem kapitalistischen Kern und dessen verwirklichter Identifikation und folgender Manifestation verbunden sind.

Mir selbst ist das Buch von Hirigoyen erst im November 2008, als meine Bücher fertig geschrieben waren, mit einer E-Mail einer ehemaligen Klientin, die sich bei mir coachen ließ, zur Kenntnis gelangt, so dass ich nur sehr spärlich darauf Bezug nehmen kann – aber die Struktur perverser Gewalt, wie die französische Autorin Marie-France Hirigoyen sie nennt, decken sich mit klinischen und persönlichen Erfahrungen und mit den in Deutschland auffindbaren Umgangsformen, wie sie in den Medien Darstellung finden und im vorliegenden pars pro toto Buch aufgegriffen werden. Die von ihr aufgezeigten Motive und Verhaltensmuster lassen sich als Phänomene und Symptome aus dem klinischen Bereich der Schamtheorien, die immer in Verbindung mit narzisstischen Problemen und Störungen im Menschen das Licht der Welt erblicken, verstehen. Léon Wurmser (1998) beschrieb in den „Masken der Scham“ Beispiele des schamhaften Erlebens von Menschen, die er fachlich in seine Schamtheorie einordnete und die Tiefe der Störung nachvollziehbar machte. Wo Scham ist, ist auch ein Angriff auf die Seele zu konstatieren, für die es Täter gibt, die den Selbstwert von Betroffenen reduzieren bzw. zerstören wollen. Dieser Täterseite und deren Motive widmet sich Hirigoyen als Viktimologin gezielt. Für den Ausbildungsgang an Universitäten in Frankreich schreibt Hirigoyen: „Dieser Ausbildungsgang richtet sich an Notärzte, an Psychiater und Psychotherapeuten, an Juristen sowie an alle, zu deren Berufspflichten es gehört, den Opfern zu helfen. Eine Person, der seelische Gewalt widerfuhr, ist wirklich ein Opfer, da ihre seelische Struktur mehr oder weniger dauerhaft zerrüttet ist.“ (2008, S. 16) Sie greift nicht auf den theoretischen Rahmen Léon Wurmsers hinsichtlich des krankhaften Aspektes der Skopophilie im theoretischen Rahmen der Schamtheorien zurück, sondern zeigt generell aus psychoanalytischer Sicht wirksame Motive perversen Verhaltens auf und dekliniert sie als im Alltags- und Arbeitsleben wirksames und zunehmend normatives Verhalten. Dabei gilt die Formel: Verführen, einverleiben, zerstören. Für die Bücher zur Heillosen Kultur wird das psychoanalytische Theorie- und Methodeninventar von Wurmser mit der begrifflichen Fassung zur Skopophilie, salopp und kurz gefasst als Tunnelblick, an dieser Stelle erläutert und zugrunde gelegt. Motive steuern ausschließlich spezifische Merkmale, die auf ein Ziel fokussiert, die Skopophilie verwirklichen und so (zum Beispiel) exakt die in der Wirtschaft gängige Basis für erfolgreiches Geschäftsleben beschreibbar werden lassen. Die Kurzformel von Hirigoyen ist insofern für den Kapitalismus hinsichtlich der Eigenschaften seines Kerns zu ergänzen: verführen, einverleiben, ausweiden (zum Beispiel: Menschen verarmen lassen...um Gewinne zu generieren...) und zerstören.

Das seelische und leibliche Ausweiden erleben Millionen von Menschen in Deutschland. Ihnen wird die Existenz mit zig Folgen völlig verdünnt und letztendlich zerstört. Die zerstörerischen Komponenten erscheinen gesellschaftlich wie Nebenwirkungen, die in einer Darstellungsform öffentlich Platz finden, in denen offiziell niemand ahnte, dass sie existieren. Die Verursacher tun harmlos. Durch fehlende Benennung und Verleugnung dieses Motiv- und Verhaltensmusters breitet es sich aus. Denn: Man ist tolerant in unserer Gesellschaft und es wird lieber eine vereinzelnde Sichtweise betont, die Bauernopfer fordert, statt sich mit den generellen Ursachen des kapitalistischen Kerns zu beschäftigen. Analog beschäftigt man sich dann auch nicht mit dem Kern des menschlichen Wesens: Denn dann müssten Folgen des Kapitalismus im Menschen aufgezeigt werden. Sie werden auch dann nicht aufgezeigt, wenn ökonomisches System und Mensch drohen, daran zugrunde zu gehen. Kapitalismuskritik erscheint so abgegriffen, dass sie fast wie eine Entschuldigung statt wie eine Erhellung der Zusammenhänge gesellschaftlich wirkt. Denn ein wichtiges Glied wird immer ausgespart: Die Seele, die Psyche und der Körper von Menschen. Aber genau in ihnen wirkt die Intention des Kapitalismus. In ihnen wird das Ziel der Spaltung verwirklicht und der Mensch und sein seelisches Erleben verleugnet bzw. für uninteressant erklärt. Seele, Psyche und Leib haben einfach nur zu funktionieren. Bei wirtschaftlichen Entscheidungen steht ausschließlich der anvisierte Gewinn und nicht der Mensch im Vordergrund.

Nun könnte man sich fragen, ob krankhaft motiviertes Verhalten die Norm wird oder umgekehrt, krankhaft festgestellte Symptome und Verhaltensmuster in meinem Fachbereich normal, sprich gesellschaftlich akzeptiert und damit gesund geschrieben werden! In jedem Falle, egal für welche Richtung der Sichtweise man sich entscheidet, steht zweierlei fest: Einmal die Angleichung perversen Verhaltens in Richtung eines normativen Verhaltens als nicht nur gesellschaftlich akzeptiertes, sondern auch noch bewundertes und belohntes. Zum anderen die Inkaufnahme und Zumutung von Folgen im Alltag und in Lebensumständen für Millionen von Menschen, die am Kern des Anliegens von Menschen vorbeigehen müssen, weil diese Motive das menschliche Wesen, die Seele, zerstören und die psychische und leibliche Verarbeitung millionenfach zur individuellen Existenzsicherung auf Hochtouren laufen lassen.

Insofern ist festzuhalten: Das vorliegende Buch verarbeitet und betrachtet zwar Kapitalismus in Deutschland, ließe sich aber gleichfalls für alle anderen kapitalistischen Länder lesen. Der Kern und die Auswirkungen sind überall gleich, die Beispiele inhaltlich anders und mit anderen Personen zu besetzen, aber Struktur und Ziel sind gleich. Kapitalistische Zielsetzung ist pervers, weil der Profit an die erste Stelle der Werte gesetzt wird und nicht die Unversehrtheit des Menschen. Eine menschlich anständige Haltung ist nicht durchgängig aufzeigbar, so wie das jüngste in den Medien verbreitete Beispiel zeigt: Die 1,30 Euro hohe Angelegenheit der Tengelmannmitarbeiterin, der nach 31 Betriebsjahren aufgrund des Verdachtes, sie hätte den Betrieb um diese Summe betrogen, gekündigt worden ist, zieht Kreise. Vor Gericht verlor sie diesen Prozess (vorläufig). (ZDF: Kerner, 25.2.2009) Die Gemüter scheiden sich in dieser Angelegenheit so sehr wie die Rechtssprechung dehnbar erscheint und nach gründlicher Reflexion der Rechtsgrundlagen hinsichtlich der Frage, ob sie noch zeitgemäß ist, schreit. Ob hier das Motiv Niedertracht der Motor war, einer Mitarbeiterin, zumal einer, die der Gewerkschaft angehört, zu kündigen, wird sich sicherlich noch entpuppen.

Weiter legen aktuelle Entwicklungen im Kapitalismus nahe, Mängel, Missstände, Menschen schädigendes Verhalten und Zerstörungsnotwendigkeit in zweierlei Weise zu sichten: Ziele des Kapitalismus müssen geordnet und benannt werden. Daraus aktuell folgend, sind die dazu gehörigen Personen, die sie ausführen und aus deren Quelle sie ökonomisch so folgenreich entstammen, zu reflektieren. In der Gegenwart werden einzelne Manager und/oder Politiker Ziel von Kritik und Angriff. Es fehlt die grundsätzliche Reflexion der ökonomischen Wertegrundlagen wie existenzielle Festschreibung der Werte für das menschliche Wesen. Jeder Manager wird bei Einzelfallbetrachtung von Außen Werte im Sinne des menschlichen Wesens nicht in sein Handeln einbezogen haben, weil er dafür nicht bezahlt wurde. Dennoch kann die ökonomische Abhängigkeit des Managers nicht dazu gereichen, ihn grundsätzlich frei von Verantwortung zu stellen, weil er genau aufgrund dieser Bereitschaft, vor allen Dingen für den Profit des Auftraggebers zu sorgen, bezahlt wurde. Schließlich leitet sich das Managergehalt genau aus diesem Punkte der Profiterwirtschaftung her. Grundsätzliche Reflexion über das menschliche Wesen muss stattfinden und aus ihr sind Grenzen für ökonomische Handlungen und Entscheidungen zu ziehen. Dazu ist eine Analyse, wie Machtmissbrauch unter der Fokussierung bestimmter Werte funktioniert und was er in Menschen bewirkt, notwendig. Nicht akzeptable Folgen und Schädigungen aus wirtschaftlichen Handlungen und Entscheidungen sind in der Gegenwart ungezählt und gehören bis in die Tiefe menschlicher Zellen reflektiert.

Im Band 1, zu dem es drei Bände gibt, kann das offene Tabu bezüglich des Kapitalismus eingefangen und als generelle Forderung mit der Formulierung Selbstwert statt Mehrwert auf den Punkt gebracht werden. Dieses hier angedeutete Verhältnis ist ein sich gegenseitig insofern ausschließendes, als es höhere Profitraten bei maximalem Ausschluss des Selbstwertes garantiert. D.h., es beinhaltet eine Entscheidung für die eine oder andere Seite und zwar dann, wenn der Raum zwischen diesen Polen nicht als Wahlmöglichkeit wahrgenommen wird. Ethik und Moral in Wirtschaft und Gesellschaft bildeten dabei bisher Grenzen, die immer weiter aufgelöst wurden und inzwischen alles möglich erscheinen lassen. Vielleicht kann sich diese Leben gewichtende Wahl, die oftmals Ausschließlichkeit für den Mehrwert bedeutet(e), neu und deutlicher für den Selbstwert, für Würde und Achtung des menschlichen Wesens, einpendeln. Dies sei gesagt, obwohl bekannt ist, dass dies schon lange hätte passieren können: denn diese Option bestand im Kapitalismus immer.

Mir scheint, gegenwärtig muss diese Wahlmöglichkeit überhaupt erst noch einmal benannt werden, um dergestalt zu einem sowohl als auch wachsen zu können: Der Mensch muss leben und arbeiten können und dabei seinen Wert als Mensch behalten, weiter auf- und ausbauen, Freude und Zufriedenheit erleben können. Sein Lebensumfeld, seine sozialen Beziehungen und die Welt um ihn herum, sollten als Sicherheit und Frieden gebende Konstanten wie ein Fels in der Brandung wirken. Eltern sollten nicht mehr rund um die Uhr damit beschäftigt sein müssen, ihre Kinder zu schützen: ob bezüglich der Sendungen im Fernsehen, der Schule oder allgemein auf der Straße oder gar vor Nachbarn und einzelnen Familienmitgliedern. In der Schule sollten sie ein ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechendes Lehrangebot vorfinden dürfen, das nicht der Permanenz von besser, schlechter, intelligenter oder weniger intelligent und allen damit verbundenen gesellschaftlichen Anerkennungs- und Abwertungsmechanismen unterliegt. Die menschliche Geschichte müsste inzwischen klargestellt haben, dass alle menschlichen Fähigkeiten in einer Kultur von Nutzen wie Wert sind. Es sind gerade die elementarsten und lebensnotwendigsten Lebens-, Beziehungs- und Arbeitsstrukturen, die in unserer Gegenwart immer noch abgewertet, gesellschaftlich weder gewürdigt noch bezahlt werden und wofür generelle Anerkennung fehlt. Es ist die tägliche Arbeit von Frauen und Müttern. Jahrelang ist Anerkennung und Unterstützung verweigert worden.

In der Gegenwart wird so getan, als ginge es um das Leben jedes einzelnen Menschen und man wüsste, was man ihm antut und man initiiere diese milliardenschweren Hilfsmaßnahmen für Banken und Wirtschaft nur, damit es den vielen Menschen im Volk wohlergehe. Viele Beispiele belegen das Gegenteil. In unserer kapitalistischen Kultur wurde ausschließlich ein Wert immer und unter allen Umständen an die erste Stelle gesetzt: Mehrwert. Insofern fällt der Kontrast nun besonders auf, wenn ich den Selbstwert aufgreife und ihn herausstelle. Es würde befremden, wenn im Vorsatz nun etwas anderes als „Selbstwert“ stünde. Denn es ist der Selbstwert des Menschen, der durch die Mehrwertorientierung völlig abgebaut wird.

In meinem Beruf unterstütze ich tagtäglich Menschen, die psychisch zu zerbrechen drohen. Die Seele ist bedroht und dies zeigt sich gleichfalls tagtäglich in zig Hiobsbotschaften völlig unterschiedlicher Art. Menschen werden durch Entwicklungen im Kapitalismus in ihrer Beziehungsgestaltung maßgeblich geprägt. Die im Wettbewerb durch Manager angewandten Methoden schlagen zunehmend auf jeden einzelnen Menschen in zig Varianten im Alltag durch, die zunehmend als Möglichkeit, wie mit Menschen umgegangen wird, Umsetzung in allen gesellschaftlichen Schichten erfahren. Diese Atmosphäre aufzuzeigen, ist mein Anliegen.

Es werden die das Leben in Deutschland bestimmenden Werte aufgegriffen. Die Welt ist so komplex geworden, dass man den Wald vor Bäumen manchmal nicht mehr sieht. Deshalb lohnt es sich, diese Grundwerte unserer Gesellschaft, die über alles entscheiden, zu reflektieren: Die kapitalistische Wirtschaftsstruktur, Descartessches Wissenschaftsparadigma und die Beziehung von Mann und Frau. Wir alle tragen diese Werte mit und lassen sie leben.

Die alles bestimmenden Werte sind zeitgleich in den Attributen Reichtum und Mannsein zu finden. Alles andere ist nachgeordnet. Mehrwert und Selbstwert folgen einer sich gegenseitig ausschließenden Dynamik, die vom Mehrwert festgelegt wird. Das kapitalistische System steuert, wer Selbstwertbestätigung bekommt und wer nicht, und zusätzlich, was als solche gilt! Hier zeigen sich künstliche den Selbstwert hebende Bestätigungen, die nicht mit dem Menschsein an sich zu tun haben, sondern mit der Möglichkeit, sich Gegenstände zu beschaffen, zu besitzen und zu präsentieren. In diesem Zusammenhang wird in aller Kürze Karl Marx in wichtigen Aussagen bezüglich des Gattungswesens Mensch zitiert. Gezeigt wird, dass der Selbstwert in sich noch einmal zu differenzieren ist, nämlich in männlich und weiblich. Mit dieser geschlechtlichen Einteilung ist nochmals ein Wertesystem verbunden, das unser Leben nachhaltig prägt. Das Weibliche schneidet im Vergleich mit dem Männlichen nach wie vor schlecht ab, weil es auf einen Männlichkeitsstandard bezogen wird – Frauen zeigen, dass sie auch so gut sind, wie Männer. Aber das Besondere am Frausein geht dabei verloren.

Die aktuellen Vorgänge werden zu den tragenden Säulen unseres Lebens, nämlich zu Kapitalismus, zu Cartesianischem Paradigma und zu dem Geschlechterverhältnis in Beziehung gesetzt. Daraus ergeben sich einseitige Bevorzugungen von Werten, die dieses System stabilisieren, Menschen letztendlich jedoch labilisieren und die Natur wie auch das Leben nebenbei zerstören.

Auf die Bevorzugung eines Attributes ist zur Erläuterung bereits jetzt kurz einzugehen: Es teilt die Menschheit wiederum neben den Kategorien Oben und Unten in zwei weitere, die von Mann und Frau ein, die auf der Werteleiter weitere Ungerechtigkeiten und daraus sich ergebende ökonomische Vorteile stabilisieren. Der Wertespitzenreiter vereinigt beide favorisierten Merkmale auf sich: Mann und reich. Eine biologische Differenz wertet Eigenschaften des Geschlechts der Männer auf, und das der Frauen ab. Neben der Abwertung von Gefühl und Frau ist zusätzlich die politische Funktion dieser Abwertung eine Vorrausetzung zur Systemstabilisierung von Kapital und Politik, die sich bis heute erhalten hat: Einerseits garantiert die Manipulation von Gefühlen wirtschaftliche Gewinne. Andererseits gestattet die gleichzeitige Abwertung von Frauen politische Macht und Benutzung der ihnen als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Männern zugeschriebenen Gefühle, die Erschaffung einer politisch-ökonomischen Realität, die dem Menschen Unten zusätzlich zum Nachteil gereicht. Beispiel: Reagieren Männer ohne Besitz und Kapital emotional, werden sie gleich als zusätzlich nicht ernst zu nehmen einsortiert. Zusätzlich deshalb, weil sie schon nicht über Kapital und damit Macht verfügen.

Die Abwertung des einen Geschlechts wird zu generellen Erfolgen und Vorteilen des anderen umgemünzt. Der zwiespältige Umgang mit Gefühlen und Frauen wertet beide ab. Damit können Männer sie für ökonomische und politische Zwecke nutzen.

Aus dieser gesellschaftlichen Praxis leiten sich generell entsprechende Bewertungen für psychosoziale Berufe einerseits, und andererseits spezifisch die Einordnung der bewusst klein gehaltenen Berufsgruppe der Psychologischen Psychotherapeuten ab. Die wenigen zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten können dem wachsenden Bedarf von psychoökonomischen und sozialen Folgen durch kapitalistische Ökonomie und den sich daraus für Patienten und generell Menschen ergebenden Problemen, die zusätzlich qua mangelhafter Versorgungsstruktur in Deutschland gesteigert werden, nicht gerecht werden. Aber sie tun ihr Bestes. Trotz jahrelanger Unterfinanzierung.

Erkenntnisse aus Diplom-Psychologie, Psychotherapie und generell psychotherapeutischen Methoden werden in wirtschaftlichen Bereichen für fremde Zwecke und Ziele genutzt, die oftmals gegen statt für Menschen eingesetzt werden.

In dem vorliegenden Buch wird sowohl die existenziell sichernde Funktion von Gefühl und Intuition, als auch die Bedeutung von Vergangenheit und Bewusstsein über Menschheits- und individuelle Menschentwicklung betont. In Gefühl und Intuition spiegeln sich in Sekundenschnelle wichtige Überlebensinformationen für Menschen ebenso wie wirtschaftliche Verhältnisse und Beziehungsgestaltungen. Gespiegelt wird in nuce der Grundkonflikt der unversöhnlichen Werte von Mehrwert und Selbstwert. Bei diesem ökokulturellen Hintergrund wundert es nicht, dass Gefühle abgewertet und zur Manipulation benutzt werden, um Menschen das Gegenteil von dem, was sie selbst spüren, fühlen und wahrnehmen, glauben zu machen: Insofern werden Gefühle gegen Menschen verwandt, statt sie in aufrichtiger Mitteilung menschengerecht im Sinne einer Kommunikation des Erlebens und Erlebten zum Erhalt von Mensch und Natur und letztlich generell Lebens, zu platzieren. Kommunikation wird zur entfremdeten Farce, wenn sie der Aufgabe entkleidet wird, für die sie vom Menschen entwickelt wurde: Zur Mitteilung dessen, was in Menschen vor sich geht, was Beziehungen stiftet und trägt, um Vertrauen entstehen zu lassen. Abwertung und Missbrauch menschlicher Wesensmerkmale sind zerstörerisch und gewinnträchtig zugleich. Diese Schizophrenie raubt Verstand und Vertrauen, wie sie jede Diskussion, die in der gesellschaftlichen Mitte oder an der Oberfläche geführt oder abgebrochen wird, ad absurdum führt. Gefühl, Sprache, Mitteilung, Wirtschaft und Politik dienen nicht mehr in erster Linie dem Erhalt des Menschen, des Lebens und der Natur, sondern dem Profit, der als Nebenwirkung die seelische, psychische und körperliche Zerstörung von Mensch, Leben und Natur in Kauf nimmt. Kommuniziert wird meist nur eine Seite der Medaille. Dazu zählen entweder wirtschaftliche Gewinne oder soziale Probleme und Missstände. Politiker ziehen PR-Berater an ihre Seite. Ein Beispiel: Edmund Stoiber legte sich im Bundestagswahlkampf 2002 den Ex-Chefredakteur der „Bild am Sonntag“ zu, der nun wohl auch künftig Berater für die Schulministerin (CDU) Barbara Sommer nach den Schul-Pannen sein wird, was aber nicht eindeutig von Michael Spreng (PR-Berater) bejaht oder verneint wurde. (Vgl.: „Erste Konsequenzen nach Schul-Pannen.“ In: Ruhr Nachrichten, 8.Juli 2008). Werden Menschen durch PR-Leistungen und vermutbaren Rechtsbeistand für die Öffentlichkeit erst eingekleidet, um sich äußern zu können? Was tun dann Menschen, die für diese Leistungen kein Geld haben? Sich nicht mehr äußern?

Die Beantwortung der Frage, wie diese Entwicklung möglich war und weiterhin ist, bezieht die unverarbeitete und individuelle Vergangenheit in Deutschland als einen weiteren Erklärungsstrang, neben dem der tabuisierten Diskussion über den Kern der Mehrwerterschaffung und der Tatsache mit ein, dass der Mensch mehr als sein Körper ist, nämlich ein seelisch-geistiges Wesen. Friedrich Nietzsche werde ich als einen Menschen zitieren, der allzeit mit seinem Leib geschrieben hat. Ebenso werde ich ihn im Hinblick auf sein Grundanliegen, die paradigmatischen Grundlagen von Wissenschaft verändern zu wollen und der Philologie damit die Stirn zu bieten, zitieren und für die Gegenwart reflektieren.

Summa summarum sind es also vier Konstanten, die das gegenwärtige Leben bestimmen: Kapitalismus, Cartesianisches Paradigma, Geschlechterverhältnis und fehlende Integration der emotionalen Vergangenheitsbewältigung in der Gegenwart. Geschichtsschreibung orientiert sich an Feldzügen, Siegen, Eroberungen von Land und Gold, aber nicht daran, welcher Fortschritt für das menschliche Wesen, für seine Seele erzielt wurde. Der Mensch wurde wie selbstverständlich als Mittel für materielle Zwecke, Gewinne und Besitzerwerb eingesetzt. Psyche und Seele wurden lediglich zusammengefasst in Diagnosen und Glossaren, um sogenannte Abweichungen von Menschen, die gut angepasst im Alltag und jeweiligen Land funktionierten, zu erfassen.

Es wurden unzählige Tabubrüche in den letzten Jahrzehnten vollzogen. Auch an den vier genannten Konstanten wurde gefeilt. Aber sie rieben und verzweigten sich in den Konsequenzen im Leben des einzelnen Menschen letztendlich gegenseitig und ragen bis in Zelle und Seele heutzutage hinein. Bisweilen treten emotionale Inhalte in erstarrten Symptomen verkleidet auf und werden Psychotherapeuten als Relikte und Zeugnis menschlicher Geschichte vorgetragen. Die wenigsten Ärzte realisieren, was ihnen Patienten aus ihrer Gefühlslage heraus berichten und erzählen wollen. Der Arzt hat keine Zeit (zu hören) und er ist in dieser Hinsicht nicht – trotz anders lautender Statements aus der Standespolitik – ausgebildet: Es sei denn, es ist ein medizinischer Kollege mit einem kleinen psychotherapeutischen Einblick in das Gebiet der Psychotherapie und hat zumindest ein wenig gelernt, mit Patienten (Menschen) zu sprechen. Für das Hören und Verstehen, was ein Mensch aus seinem Leben erzählt, sind Psychologische Psychotherapeuten und auch medizinische Psychotherapeuten (wenn sie vollständig und gut ausgebildet wurden) zuständig und sie sprechen auch mit ihm, dem Menschen, zum Zwecke der Vollendung einer ursprünglich gemeinten Kommunikation: Dass der eine Mensch sich bezüglich seines Befindens und seiner Gefühle dem anderen mitteile, um zu Linderung von Not, Leid und Schmerz zu gelangen und infolgedessen zur Mehrung und Verbreitung von Freude und Wohlergehen beizutragen.

Die vier Grundwerte gesellschaftlichen und damit individuellen Lebens wuchsen immer dichter zusammen und erscheinen in der gesellschaftlichen Oberfläche fast wie eine natürliche Einheit. In der Tiefe bilden sie ein ineinander greifendes und kaum noch zu differenzierendes, verwachsenes Wurzelwerk. Diese Verflochtenheit droht die Seele von Menschen zu vernichten.

Auch wenn ich hier Wurzeln sichte, wofür oftmals das Wort „radikal“ verwandt wird, so möchte ich doch berücksichtigt wissen, dass ich Psychologische Psychotherapeutin bin und unmissverständlich für die menschliche Seele eintrete. Insofern geht es um Evolution und Reflexion und nicht Revolutionen, die eh in ihrer ursprünglichen Bedeutung völlig veraltert ist. Revolution oder besser im Fazit gesehen, die kulturell-ökonomischen Implosionen, besorgen heutzutage nicht die sich im veralterten Begriff „Arbeiter“ summierenden abhängig arbeitenden Menschen, sondern Manager, die radikal ausschließlich für ihre eigene Kaste sorgen. Ein Revolutionär ist als altertümliche Persona non grata verschrien, ein Manager genießt gesellschaftliche Reputation und kann sich auf Verfassung, Gesetz und gleichfalls im Lippenbekenntnis zu Moral und Ethik bekennen, auch wenn er sie weder achtet noch lebt.

Arbeiter und Angestellte oder kurz, abhängig Arbeitende bleiben trotz der massiven wirtschaftlichen Veränderungen auf Rückzug: „Früher wurde gegen die große Politik demonstriert, heute geht es immer häufiger um Konflikte vor der eigenen Haustüre.“ (Ruhr Nachrichten,30.4.2009) Man fragt sich, wie diese Aussage aufgefasst werden soll: ist sie als Beleidigung und Armutszeugnis für (mittellose) Menschen zu verstehen? Wäre es anders besser? Wenn Menschen also wieder auf die Straße gingen und demonstrierten? Ist der Konflikt vor der Haustüre eine Verschiebung des Konfliktherdes, der in der Gesellschaft lebt und brodelt und auf diese Art und Weise eingegrenzt, fokussiert als individueller Konflikt aufersteht, weil Menschen politisch aufgegeben haben? Hängt den Menschen nicht viel mehr der Staub der unzähligen Versuche, für ihre Interessen und Bedürfnisse öffentlich einzutreten, in den Kleidern, weil sie nicht gehört wurden oder nicht gehört werden sollen? Oder nur so viel öffentlich gehört wird, wie es gerade brauchbar ist, um noch sagen zu können: Das Volk lebt noch?

Mittels Selbstregulationshypothese in der freien kapitalistischen Marktwirtschaft wird ohne gesetzliche Einschränkung grenzenlos in den Ruin von Millionen von Menschen kreativ hinein experimentiert. Es könnte sich ja am Ende herausstellen, dass der Markt sich wider erwarten günstig entwickelt und stabilisiert. Auch Vorstellungen, wer wo aufgrund welcher „radikalen“ Äußerung politisch einem farblichen Standort oder einer Partei zuzuordnen wäre, sind so veraltert wie die Zeiten vorbei sind, in denen nur in einschlägigen Zeitungen kritische Stellungnahmen zu lesen waren. Diese Entwicklung ist ebenso neu wie die Verschärfung der Profilierung von Globalisierungsgegnern unter Politikern in allen Teilen der Welt. Die politisch vertretenen Inhalte gewinnen an Bedeutung: Das, was auf dem Tisch liegt, ist entscheidend.

Ironischerweise wurde ausgerechnet ein Artikel des Harvard-Forschers Dani Rodrik unter der Überschrift „Der Konsens über den Tod der Globalisierung“ im „Bordmagazin der aggressiv globalisierenden Fluggesellschaft Emirates veröffentlicht(e)“ wie es in dem Artikel „Das Ende der Globalisierung?“ heißt. (Fischermann, T. Helmling, R. & Schieritz, M. in: Die Zeit, Nr.32, 31.7.2008). Wie es scheint, spitzt sich die existenzielle Lage durch Globalisierung – ob nun in Privathaushalten oder öko-politisch aufgrund von Rohstoffen – dergestalt zu, dass jeder einzelne Mensch sich mehr denn je aufgefordert fühlt, Verantwortung durch bewusste Entscheidungen zu tragen – im großen wie im keinen. Dies betrifft insbesondere auch Menschen mit Kapitalvermögen, die plötzlich in weltweiten Abhängigkeiten politische Probleme spüren. Wenn Manager, Banken oder Kapitalisten Kapital verlieren, verlieren ungefragt Millionen von Menschen gleichfalls, was sie sich erarbeiteten. Deshalb wird gern davon gesprochen, man säße im selben Boot. Letztlich bleibt es aber bei der kapitalistischen Grundvoraussetzung, Gewinne werden privatisiert, Verluste nun verstaatlicht – siehe USA September 2008 und in Deutschland Oktober 2008. Dies bedeutet, der abhängig arbeitende Mensch hat nichts weiter als seinen Arbeitsplatz und nichts vom privaten Gewinn der Unternehmen und zahlt aber mittels Steuergelder deren Verluste ab. Bezüglich eigener misslicher Entwicklungen schaut er in das Äquivalent des Tunnelblicks, nämlich in die berühmte leere Röhre.

Mein Anliegen in den vorliegenden Büchern leitet sich einzig und allein aus dem Bedürfnis ab, einen Beitrag zu leisten, Mensch und Seele an die erste Stelle der Werteordnung zu bringen. Die Zeiten dafür sind gut. Schließlich sind sie turbulent genug und Prognosen bezüglich einer Umkehrung der Globalisierung machen die Runde. Globalisierung ist radikal, weil sie an existenziellen Wurzeln von Millionen von Menschen fressen! Angst essen Seele auf – Globalisierung ist für Angst und Existenzverlust ein Synonym.

Globalisierung ist aber auch Synonym für ein Unwort, für einen Begriff, der in unserer heutigen, modernen Zeit nichts mehr verloren hat: Imperialismus. Diese Liberalisierung des Begriffs musste her, damit niemand auf die Idee kommt, die Entwicklung des Kapitalismus würde zwangsläufig im Imperialismus enden, so wie es vorausgesagt war. Nein, der Begriff Globalisierung zeigt, moderne Kapitalisten setzen selbst ihre Marke, ändern Welt und Leben von Millionen von Menschen und haben ökonomische Entwicklungen fest in ihrer Hand und das, was sie tun, ist nirgends beschrieben: Sie setzen ungeahnte, völlig neue, abenteuerliche Prozesse in Gang, die ihrem Denken und Tun entspringen. Marke und Maßstab sind gesetzt.

Das vorliegende Buch kann trotz des Umfanges nur fragmentarisch und generalisierend die unser Leben beeinflussenden Konstanten und deren Werte aufzeigen. In der Generalisierung liegt immer das Allgemeine, das jeweils das Besondere in den Schatten stellt, ja, bisweilen völlig untergehen lässt. Persönliche wie allgemeine Zerrissenheit differenzieren und klarstellen zu wollen, das nicht auf jeden Mensch, der ein Wirtschaftsunternehmen führt, nicht auf jeden Manager oder jeden reichen oder armen Menschen oder Politiker platt alle Attribute, wie sie sich systemisch aus der kapitalistischen Wirtschaftsform in ihrer Bedeutung für Menschen aufgrund unterschiedlicher Rollen in der Kultur ergeben, zutreffen, verweist andererseits in letzter Konsequenz auf die Einzigartigkeit von Menschen. So sind Menschen Oben und Unten nicht linear einteilbar in die „Guten“ und die „Bösen.“ Auch damit ist es aus!

In der Tat geht es in diesem Buch um den Erhalt der Einzigartigkeit des Menschen angesichts der Dynamik des sich weiter entfaltenden Kapitalismus, der modern Globalisierung genannt wird. Es geht um den Fokus auf das menschliche Wesen, das unter diesen wirtschaftlichen Einflüssen zu ersticken droht.

Den einen oder anderen Leser mag es befremden, sich sozusagen geballt vor die kulturellen Auswirkungen und Konsequenzen im vorliegenden Buch gesetzt zu sehen. Das bleibt nicht ohne Gefühle. Gleichwohl ist es genau betrachtet, ein Nachlesen. Denn auf die eine oder andere Art erlebt jeder am und im eigenen Leibe tagtäglich die im Buch angesprochenen Themen und trägt sie mit ins tägliche Leben. Es bleibt weder im Alltag noch beim Nachlesen ohne innere Zerrissenheit, wie ich sie selbst beim Schreiben dieses Buches erlebte. Daneben gibt es Menschen, die dennoch ihr eigenes inneres Anliegen in dieser Zeit und Welt leben und verwirklichen und nicht in politische Schablonen passen. Zum Beispiel Daniel Porsche, der Erbe von Porsche, der sein Leben sinngemäß so zusammenfasst: „Ich bekomme etwas, wofür ich nichts getan habe und ich tue etwas, wofür ich nichts bekomme.“ Seit Generationen verdient seine Familie sehr viel Geld mit dem Verkauf teurer Autos. Porsche und Piech zählen zu den reichsten österreichischen Familien und Daniel Porsche schreibt Gedichte und gibt sein Erbe für soziale Projekte aus. Er hält seine innere Zerrissenheit mittels Anthroposophie zusammen und arbeitet in seiner ehemaligen anthroposophischen Schule. (Vox, in Spiegel-TV, 15.8.2008) Weiter ist zu erfahren: „Die Dynastie Porsche und Piech hat den ersten Rang in der Liste der Superreichen in Österreich verteidigt. Die Nachkommen des VW-Konstrukteurs Ferdinand Porsche haben im Vorjahr – nach dem Tod des Industriellen und Wahlösterreichers Friedrich Karl Klick – die Führung des Rankings übernommen. Das geht aus einem Vorabbericht des Wirtschaftsmagazins "trend" hervor, das jedes Jahr die 100 reichsten Österreicher sucht.“ (http:// werbung.diepresse.com/realMedia/asa/click...)

Im Mai 2009 heißt es, Porsche sei am 22. bis 24. März knapp an der Pleite vorbeigegangen. „Die Insolvenz habe nur verhindert werden können, weil der VW-Konzern einen Überbrückungskredit über 700 Millionen Euro gewährt habe.“ (Ruhr Nachrichten, 24.Mai.2009) Wenn ein Besitzloser, ein normaler Bürger, sagt, er sei pleite, meint er damit, dass er in gar keiner Hinsicht über irgendwelche Gelder oder Besitztümer verfügt. Bei Kapital besitzenden Menschen ist hingegen bei „Pleiten“ etwas anderes gemeint: Das Privatvermögen wird nicht angetastet. Der Staat soll einspringen, wie der Vorstandschef des angeschlagenen Handelskonzerns Arcandor, Karl-Gerhard Eick meint: Er „sieht sein Unternehmen ohne eine Staatsbürgschaft vor der Pleite.“ (Ruhr Nachrichten, 224.Mai 2009) Wenn der Staat einspringt, springt der Bürger mittels seiner gezahlten und noch zu bezahlenden Steuern ein. Also diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, um in diesem Lande von der Hand in den Mund zu leben. Natürlich zahlen auch diejenigen Menschen höherer Einkommensklassen, die zusätzlich über Kapitel verfügen, Steuern. Nominal dürften diese Einkünfte vermutlich höher liegen als diejenigen aus den Einkünften der mittellosen Bürger. Prozentual jedoch, gemessen an dem, was Menschen in höheren Einkommensklassen insgesamt an Geld zur Verfügung steht, dürfte dieser Betrag niedriger sein. Denn es gibt viele Möglichkeiten dafür zu sorgen, nicht zu hoch, in Bezug auf einen zu versteuernden Einkommensbetrag, besteuert zu werden. Zusätzlich macht es einen enormen gefühlten und absoluten Unterschied, relativ hohe Steuern von einem kleinen Einkommen zu bezahlen, als von einem hohen Einkommen.

Nehmen wir Karl-Ludwig Schweißfurt, der sich mit dem kapitalistischen System und den Folgen der Entfremdung persönlich auseinandersetzte, so zeigt sich eine reflektierte Haltung: „Seit etwa 1987 betreibt Karl Ludwig Schweißfurt, ehemals Deutschlands größter Metzger (HERTA-Wurst) ein alternatives landwirtschaftliches Gut (Herrmannsdorf und Sonnenhausen) um zu beweisen, daß es auch ohne EG-Planwirtschaft geht. Das hat aber nichts mit Latzhosen-Romantik und Birkenstocksandalen zu tun! Dort werden Lebens-Mittel, also Mittel zum leben erzeugt und auch gleich im Hofmarkt vermarktet. In den Landwerkstätten gibt es neben dem Hofladen, Wohnungen und zwei Künstlerateliers das Werkstattgebäude, in dem "alles unter einem Dach" ist.“ (http://www.fostech.musin.de/herrmannsdorf/).

Letztlich kann die Hoffnung auf Besserung der Lebensbedingungen für weite Teile der Bevölkerung nur aus Entscheidungen vieler einzelner Menschen resultieren, die bereit sind, sich dem Zusammenwirken und Auswirken gesellschaftlich wirksamer Konstanten in einer persönlichen Reflexion zu stellen, um dann letztlich zu entscheiden, wie sie sich selbst verhalten wollen und welche Entscheidungen sie bereit sind zu treffen. Ob der Kapitalismus abzuschaffen oder im Sinne seines Erhaltes zu reflektieren ist, wird sich zeigen und liegt nicht in einer Hand und schon gar nicht in meinen Händen. Diese Diskussion ist aus der Perspektive des Selbstwertes eine sich eher zwangsläufig ergebende Fragestellung. Entscheidend ist etwas anderes: Nämlich wie für eine positive Weiterentwicklung des menschlichen Wesens zu sorgen ist. Denn in allen Nuancen und Formen eskalieren Gewalt und Folgen von Gewalt im Leben von Menschen. Die Folgen sind für jeden einzelnen Menschen fatal und in jeder Hinsicht krankmachend und die Kosten für das Gesundheitswesen hoch. Die Wirtschaft muss in ihren Grundintentionen und Werten zumindest deutlich zugunsten des Selbstwertes verbessert werden. Zu einem anderen Resultat kann wohl niemand ernsthaft in der Gegenwart gelangen. Es sei denn, der Kapitalismus bricht aufgrund von Kontaminationen aus den eigenen Kapital-Reihen, zum Beispiel durch Hedgefond-Manager, Banker und Heuschrecken und hier jetzt (noch nicht) aufgezählten Machenschaften zusammen. Ob es etwas nützt, eine Umbenennung, wie von Bundespräsident Köhler vorgeschlagen, von Bankern in Bankiers vorzunehmen, ist stark zu bezweifeln. Dieser Versuch, eine Assoziation von tugendhafter Seriosität und Banken herzustellen, ist löblich wie tröstlich und wäre bei der Lockerung des Investment-Modernisierungsgesetzes (1.Januar 2004) oder der Gründung der Hypo Real Estate als Renaissance zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Dieses Kairos ist verpasst. Denn Vorsorge und Besinnung auf andere Werte als Kapital bedeutet klar Kapitaleinbuße.

Dieses Phänomen im Kapitalismus, dieses Verwertungsstreben, gibt es auch im Tierreich. Allerdings als Teil eines natürlichen Kreislaufes: Selbst für Aas gibt es noch Interessenten. Im Kapitalismus macht man ein Geschäft daraus, wie z.B. aus Gammelfleisch, und verkauft es, wenn es geht! Egal, ob Menschen daran erkranken oder sterben.

Das Generieren neuer Felder, wie an Geld heranzukommen sei, hat Einzug gehalten und verstreut Gift, das Misstrauen in Menschen erzeugt. Derartige Geschäftsformen haben selbst vor dem Gesundheitswesen nicht Halt gemacht. Die Tatsache, dass das alte Gesundheitswesen viele chronisch kranke Menschen hervorgebracht hat, wird nun gegen dieselben und zusätzlich neue Patienten, die qua definitionem per Versicherungsvereinbarungen dazu gemacht werden, gewandt: Sie müssen zusätzlich zahlen. Zusatzversicherung heißt das Zauberwort für die Gesundheitswirtschaft. Aus Fehlern in Strukturen und Verteilungen im Gesundheitssystem sowie zusätzlich aus den ihnen resultierenden Folgen und weiter, zusätzlich persönlich zu verbuchenden Behandlungsfehlern von Behandlern, werden Krankheiten von Menschen, werden Patienten, für die diese dann obendrein selbst zahlen müssen. Dass dieses System dann ein vermehrtes Interesse an chronisch kranken Menschen hat und vor allen Dingen daran, wie man das Heer der chronisch Kranken weiter steigert, liegt auf der Hand. Haben Menschen eine Erkrankung, die zur Genesung Zeit braucht, kann es ihnen passieren, dass sie schneller einen Chroniker-Tarif angeboten bekommen als Aussichten auf gute Behandlungsmethoden und Genesungsperspektiven offeriert werden: wenn sie nicht dann schon aus der Versicherung rausgeschmissen worden sind – denn dies kann auch schnell passieren, wenn die Versicherung nachforscht und darauf hinweißt, dass es da eine Vorerkrankung gab, die bei Vertragsabschluss nicht mitgeteilt wurde. Zusatzversicherungen sind moderne Geschäftsmethoden aus den Konsequenzen des Wettbewerbs, um Patienten zur Bezahlung der ausgeklügelten Mehrkosten, aber nicht zur Gesundung zu bringen.

Will man wissen, in welche Richtung Veränderung und Heilung notwendig zu verlaufen hat, muss man sich zwangsläufig Fakten in einer Kultur anschauen. Insofern folge ich gewohnheitsmäßig meinem alltäglichen Arbeitsstil, indem ich jeden Tag aufs Neue meine Bereitschaft bei meinen Patienten aktiviere, zu hören, was im Leben von Menschen an Einflüssen nicht gut, sondern oftmals schief gelaufen ist und sie sich deshalb nicht gut entwickeln und/oder leben konnten oder können. Sie stellen fest, dass sie sich psychisch oder leiblich in eine Richtung entwickeln, mit der sie sich nicht abfinden möchten. Sie möchten ihre Seele bewahren und sich nicht mit Symptomen oder erzwungenen Lebensläufen abfinden. Ebenso wende ich mich im vorliegenden Buch geballt Informationen aus unserer Gesellschaft und ihrer Bedeutung, wie den daraus resultierenden Gefühlen freiwillig ohne Ablenkung und Schonung, zu. Einer Vielzahl von Menschen in unserer Gesellschaft ergeht es unfreiwillig ähnlich. Sie werden gleichfalls nicht geschont.

Der Ideenreichtum eines charakterlosen Spezialistentums zur Irreführung von Menschen blüht und gedeiht quer durch Kultur und Gesellschaft. Ob hinsichtlich des Missbrauchs von Visitenkarten einer namenhaften Firma mit Aufdruck einer falschen Telefonnummer, die von „kleinen Gaunern“ gefälscht werden und so die Aufträge der Kundschaft abgefangen werden oder Datenklau im großen Stil betrieben wird, das Ergebnis davon betroffener Menschen ähnelt sich: Sie sind die Betrogenen und werden misstrauisch. Für sie schreibe ich. Aber eben auch für die anderen, die so unfassbar viele Möglichkeiten aufgrund ihres Geldes haben, dieses Leben insgesamt für viele Menschen besser werden zu lassen. Im gleichen Atemzug ist eine weitere Entwicklung zu bemerken, wo sich Geber und Nehmer im gleichen Maße beschämt zeigen wie verärgert fühlen. Derjenige, der gibt, spendet und verschenkt und derjenige, der empfängt, bemängelt und beklagt sich trotz „Geschenk“, statt sich zu bedanken. Resultat ist in beiden Fällen Rückzug.

Aber das Anliegen in diesem Buch geht über die aktuelle Situation hinaus: Es geht auch um die Reflexion des menschlichen Wesens und was es lebensnotwendig für eine weitere positive Entwicklung benötigt. Es geht darum, in welche Richtung sich das menschliche Wesen als Gattungswesen in der Gegenwart entwickeln kann und zukünftig sollte. Wir haben, wie jede Generation, auch die menschliche Verpflichtung für diejenigen, die nach uns kommen zu reflektieren, ebenso für diejenigen, die jetzt noch nicht laufen können, aber schon den Auswirkungen dieser Kultur atmosphärisch ausgesetzt sind. Dafür müssen Entscheidungen gefällt und Weichen gestellt werden.

Qua Information und Faktenlage beziehe ich mich dabei auch auf Tageszeitungen, gängige Zeitschriften und/oder Medienberichte mit hohen Einschaltquoten. Damit ist sichergestellt, dass einer Mehrzahl von Bürgern Fakten und Informationen zugänglich sind, die in den hierfür skizzierten Leisten (obigen Grundpfeilern) kreativ dynamische Bilder im Rahmen der Zweiklassengesellschaft entwerfen und aufzeigen. Hierbei offenkundig werdende Missstände, Mängel und Versäumnisse verweisen auf künftige Baustellen. Diese sind notwendig im Sinne einer Teleologie, den Menschen und seine Heilungsprozesse in der Spitze aller Werte zu verankern, zu eröffnen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass der Mensch den Menschen im Zuge gesellschaftlicher Entwicklung in der Identifikation mit dem Leistungsprinzip und seiner Pervertierung vergisst. Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Besinnung auf den eigentlichen Wert des Menschen. Für ihn müssen neue Entscheidungen getroffen und neue Wege gegangen werden. Wir müssen uns besinnen, was wir sein wollen und wie wir geworden sind. Der Differenz zwischen beiden gehe ich nach, indem ich Unterschieden zwischen einer Orientierung auf den Mehrwert (Gegenwart) und Selbstwert (mögliche Zukunft) und in unserer Kultur nachgehe. Dies geschieht aus unterschiedlichen Perspektiven, einerseits streng aus individueller und andererseits aus unterschiedlich saloppen Blickwinkeln wie psychoökonomischen, sozialpolitischen, ethisch-moralischen oder auch psychopathologischen. Wie sie im Hintergrund zum Buch noch lesen werden, spiegeln sich gewollt gleichfalls unterschiedliche Gefühlslagen im Schreibstil wider. Sie fangen nicht nur individuelle Gefühle ein, sondern sind als verhaltener, aber dennoch deutlicher Gefühlspegel in der Kultur zu verstehen.

Um nachzuvollziehen, wie sich unsere sozialen Lebensbedingungen und das Gesundheitswesen in eine unheilvolle oder heillose Richtung bewegen konnten, hat das Buch drei Teile: Im ersten Teil (Band 1, 1.1. und 1.2.) werden unsere Kultur, Wirtschaft und Lebensbedingungen beleuchtet. Im zweiten Teil (Band 2) wird der Stellung der psychologischen Psychotherapeuten in unserer Gesellschaft innerhalb der Kassenärztliche Vereinigung (KV) nachgegangen und in Band 3 die Gesundheitswirtschaft, ihre Ziele und ihre Bedeutung für die deutschen Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzte betrachtet. Unschwer lässt sich entnehmen, wie die Aufrechterhaltung alter Vorurteile bezüglich „Psyche und Seele“ sich in Berufsrechten, Honorar und Stellung der kassenärztlich zugelassenen psychologischen und medizinischen Psychotherapeuten widerspiegelt. Trotz oder gerade wegen guter Erfolgsquoten werden die Patientenzahlen für Behandlungen in dieser Berufsgruppe politisch klein gehalten – obwohl die Ausweitung der Psychotherapie die Kosten im Gesundheitswesen senken würde. Dies ist seit Jahren so bekannt wie ignoriert. Verkürzt könnte man sagen: Die Psychologischen Psychotherapeuten, und sicherlich auch einige medizinische Psychotherapeuten, sind die einzige Berufsgruppe in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen, die dem Selbstwert eines Menschen Bedeutung beimessen und ihn aktiv durch ihre Arbeit fördern. Andere Berufsgruppen arbeiten mit dem niedrigen und weiter fallenden Selbstwert zum eigenen Vorteil in die eigene Tasche. Psychologische Psychotherapeuten arbeiten insofern qua Berufsgruppe allein gegen das Prinzip der Mehrwerterschaffung und Profitgier der globalen Wettbewerbswirtschaft gesellschaftlich akzeptiert an, obwohl diese Tatsache von ihnen so wenig wie von mir als Berufsziel formuliert ist. Von daher erklärt sich die systematische Akzeptanz mittels Ablehnung und politischer Kleinhaltung dieser Berufsgruppe quasi von selbst. Denn Mehrwert ist der höchste Wert. Andere Werte interessieren nicht, werden nachlässig gehandhabt, auch wenn offiziell anderes verlautbart wird. Aus diesem Grunde wundern politische Bestrebungen nicht, die Patienten am liebsten ausschließlich an Symptomen orientiert behandeln möchten. Symptome zu beseitigen erspart die Reflexion, wie es zu ihnen kommen konnte. Analytische und verhaltenstherapeutische Verfahren trennen Welten an dieser Schnittstelle der menschlichen Geschichte.

Weiter sorgt eine lückenhafte Gesetzgebung pseudodemokratisch für die Berücksichtigung der Interessen aller Gruppen in der Gesellschaft, die diejenigen in die Grube fallen lässt, die auf menschliche Beziehung vertrauen und dadurch in die gestellten Fallen von Interessen der Gegenparteien fallen. Gleichzeitig ist zu bemerken, dass gesetzliche Regelungen für staatliche Strukturen, wie in Schulen, Arbeitsämtern und Sozialhilfe keineswegs grundsätzlich anders gestrickt sind. Ob bei undurchsichtigen Verträgen aller Branchen, Mietangelegenheiten und Immobilienmaklern im Verbund mit Wohnungsbaugesellschaften oder global tätigen Unternehmen oder z.B. Strukturen in staatlichen Schulen ist dabei gleichgültig: Die Lücke wird überbrückt mit Freundlichkeit, und ist sie per Unterschrift geschlossen, schnappt die Falle zu. Bei Ämtern wird das Thema durch Ausschluss von Sonderfällen erledigt: Irgendeine Bedingung gibt es fast immer, die nicht erfüllt ist und den Anspruch offiziell ablehnen lässt. Der Titel des zweiten Bandes „Zulassung zur Abschaffung“ verweist auf die beliebte kulturelle Aushängeschild-Politik, wie sie in allen drei Bänden beleuchtet wird. In Band 3 geht es um die generelle Richtung in der Gesundheitswirtschaft. Der Titel fasst das Ergebnis der Reflexion der Fakten kurz und bündig unter „Scheinheilung und Patientenerschaffung“ zusammen.

Diesem Rundblick auf Mensch und Gesellschaft in der Gegenwart kann am Ende dieser Gegenstandsbestimmung zum vorliegenden Buch nur ein Satz zugefügt werden: Wie im Kleinen so im Großen. Der Mensch ist Dreh- und Angelpunkt seiner eigenen Entwicklung – Innen wie Außen lernt er durch Fehler, die nicht zu wiederholen, sondern zu korrigieren sind, soll es menschlichen Wesen wohl ergehen. Dafür ist jeder Einzelne mitverantwortlich. Dafür muss reflektiert werden, was in der Kultur nicht in die gewünschte Richtung, sondern auf Abwegen und Holzwegen verläuft. Es kommt auf Inhalte an, über die in Deutschland gesprochen werden muss, weniger auf den politischen Anstrich. Dazu zitiere ich gern den folgenden Gedanken des Trägers des Deutschen Umweltpreises 2004, den DBU Prof. Dr. Garabed Antranikian (Biotechnologie):

„Das wahre Gold der Erde ist weder gelb noch schwarz, sondern lebendig.“ So sollten Menschen auch bleiben: lebendig und gesund, in einer Umwelt, die ihnen gemäß ist und sie ein Leben führen lässt, das ihre Fähigkeiten und ihre Einmaligkeiten fördert – und das für alle Menschen im gleichen Maße. Ich gebe zahlreiche Beispiele im vorliegenden Buch, die selbstredend um diejenigen zu ergänzen wären, die Sie, lieber Leser, im Sinne einer Vollständigkeit beim Lesen dieses Buches selbst erinnern oder gar am eigenen Leib wie Geldbeutel erlebt haben und emotional ergänzen mögen.

Ebenso ist im vorliegenden Buch zu realisieren, dass ich sowohl das kapitalistische System, wie es alle Menschen prägt, in Augenschein nehme als auch Eigenschaften und Haltungen der beiden gesellschaftlichen Repräsentanten von Oben und Unten aufzeige. Damit mache ich darauf aufmerksam, dass jeder Mensch in der Verantwortung bezüglich der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft wie Ökonomie ist. Freilich in unterschiedlichem Einflussradius, der jedoch nochmals unterstreicht, wie Ökonomie und Politik funktionieren. Aber wie es scheint, ruft die Empörung über Zockereien der Banken und unmenschliche unternehmerische Entscheidungen eine mögliche Ablösung von bisheriger Annahme „Geld regiert die Welt“ ins Leben. Dunkelheit ruft Helligkeit herbei, der Tag löst die Nacht ab.

Dieser vorliegende Band, wie auch die übrigen Bände „Die heillose Kultur“, dienen letztendlich der Vergewisserung, wo ich lebe und in wieweit der Mensch dem Menschen noch ein Mensch ist – und wenn der Mensch dem Menschen kein Mensch mehr ist, dann wüsste ich gern, was er dann ist oder sein oder werden soll. Homo homini lupus est – Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf wird immer wieder gern zitiert. Wenn allen Ernstes dieser Auffassung zugesprochen wird, dann ist dieses Buch unnötig. Dann kann alles so bleiben wie es ist und die Dinge werden sich genau zu und in dieser Natur weiterhin entwickeln, zentrieren und das Verhältnis, wie der Mensch zu Menschen steht, wird eskalieren. Versorgungsmängel und Kriminalitätsraten werden stetig steigen. Der Mensch wird ausschließlich Träger von Mehrwert oder fehlendem Mehrwert sein und damit fehlenden Lebensmöglichkeiten, fehlender Zukunft. Will man sich aber mit dieser Wolfsnatur auseinandersetzen und sie als Schatten begreifen, wird exakt aufzuzeigen sein, wie sie in einem gemeinsamen und vielfältigen Kultivierungsprozess positiv für das menschliche Wesen nutzbar zu machen ist: Nicht derjenige, der ein Schwert führen kann, ist böse. Es kommt darauf an, wofür und ob er es überhaupt führt und einsetzt. Die Option, es nicht gegen, sondern für Menschen zu gebrauchen, ist millionenfach bestätigte Wahl, die das Gute auch in heutiger Zeit in unserem Leben herbringt und hervorbrachte. Auf menschlicher Augenhöhe ist zu klären, wohin der Weg gehen soll. Dafür müssen Menschen sprechen...und Motiv, Wahl und Weg offen legen.

Karstadt Investor Nicolas Berggruen kauft Karstadt. Er kündigt keinem der Mitarbeiter und will die alte Dame Karstadt, die 2011 Einhundertdreißig Jahre alt wird, nun modernisieren, wie in den Nachrichten 8.Juni 2010 zu hören war. Die Ruhr Nachrichten schreibt am 9. Juni 2010 am Ende ihres Artikels „Das neue Gesicht.“: „Karstadt-Betriebsrat Peter Frohwerk wollte dies gestern nur bestätigen: ‚Das Selbstbewertgefühl ist enorm gestiegen. Nicolas Berggruen sieht den Wert unseres Warenhauses.’“ Die Polarisierung von Selbstwert hier und Mehrwert dort, verweist hier verbal alltagstauglich auf das sonst in ihrer gegenseitigen Bedingtheit verleugnete Pärchen in unserer ökonomistisch geprägten Kultur und Basis, wie der Mensch zum Menschen steht, ausgesprochen deutlich. Nicolas Berggruen sucht offenbar neue Wege, wie in der Globalisierung dennoch Menschen zumindest in ihrer Existenz gerettet werden können. Ob dies tatsächlich das Motiv seines Handelns beschreibt, bleibt abzuwarten.

Zum Schluss dieser Einführung ein Zitat von Wilhelm Schmid:

„Amerika aber ist nur die Metapher der Moderne. Kalt zu sein, ohne Seele, wird den Menschen der Moderne nachgesagt; ‚Kälte’ ist der Begriff, mit dem die Welt der Moderne charakterisiert wird von jenem Philosophen, der im 20. Jahrhundert eine parallele Existenz zu Hopper führt, Theodor W. Adorno: Die Kälte wird bei ihm zum Grundprinzip der bürgerlichen Subjektivität, zur sinnlichen Erfahrung einer Gesellschaft isolierter und einander gleichgültiger Subjekte, die in ihrer Selbsterhaltung ihren einzigen Lebenszweck finden. (...) Also leben die Menschen enttäuscht, allein mit ihrem Glück, das keines ist, unfähig zum Leben mit Anderen, das immerzu scheitert, da es dem Kriterium des Einsseins nicht genügt. Ein eigenes Verständnis dessen, was es heißt zu leben, das Leben zu führen und sich aufs Leben zu verstehen, haben sie nie gewonnen. Hoppers Individuen sind Kinder der Moderne, zu Stein erstarrt in der endlosen Dauer des Augenblicks: Leben können sie nicht, sterben wollen sie nicht. Sofern die Unsterblichkeit ein Traum des modernen Menschen ist – hier ist sie realisiert: Ein Alptraum.“ (Schmid, 2000, S. 21)

Meine Intention zu schreiben leitet sich aus dem Bedürfnis her, das Normale als das notwendig zu betrachtende Nicht-Normale im Hinblick auf das menschliche Wesen erscheinen zu lassen und mittels der gängigen Zitate aus Tageszeitungen und anderen Medien zu dokumentieren – denn der Anforderungskatalog an Menschen heutiger Tage ist nicht mehr normal: und das ist die Normalität.

Das menschliche Wesen und was es für Wachstum und Gedeihen benötigt, leitet sich aus den aufgeführten realiter nachlesbaren und durch Menschen erfahrenen Erlebnissen ab. Menschliche Realitäten müssen von Menschen mit Aufmerksamkeit bedacht werden, soll das Leben anders, möglichst besser, werden. Auch das ist eine Realität...

Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1

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