Читать книгу Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 9

Оглавление

Hintergrund zum Buch

Das erste Manuskript mit dem Titel „Oben hui, Unten pfui“, das Fundament der drei vorliegenden Bände zur Heillosen Kultur, sandte ich im September 2005 auf Empfehlung dem Chef eines bekannten großen Buchverlages. Bis dahin sprach man in Deutschland selten und wenn doch, nicht gezielt von „Oben“ und „Unten“ wie es nun selbstverständlich der Fall ist, sondern höchstens von Unter- und Oberschicht im Rahmen der alten und ehrwürdigen Bedeutungshorizonte vergangener politisch-wirtschaftlicher Systemdebatten. Dieses Phänomen ist bekannt: Spricht, schreibt, arbeitet oder forscht ein Mensch in einem bestimmten Bereich, so tun es andere auch. „Synchronizität“ und „Übersprungsphänomene“ erklären, was sonst Erstaunen verursachen würde. Inzwischen gibt es in Deutschland wohl niemanden mehr, der diese Bezeichnungen „Oben“ und „Unten“ nicht schon selbst benutzt hätte.

In meinen Büchern werde ich Oben und Unten jeweils großschreiben, um kenntlich zu machen, dass es sich um einen politischen Begriff im Rahmen der Schaffung der Zweiklassengesellschaft, und nicht nur um eine topografische Angabe handelt. Ort und Richtung beinhalten in diesem Falle die politischen Auswirkungen einer Zuweisung des Seins bzw. der Existenz von Menschen – die Neutralität einer alleinigen Ortsangabe und Richtung verlassend. Bezöge ich mich alleinig auf eine Ortsangabe, so müsste zeitgleich die Verkehrung des Inhaltes angezeigt werden.

Denn „Oben“ ist man schon gar nicht mehr bei den Menschen, die Unten leben, wobei sie gleichzeitig festlegen, wie die Unten Zurückgelassenen zu leben haben, damit man Oben weg sein kann. Wegsein und Nichtdasein sind die Stichworte, die in jeder Debatte um Gelder für soziale Projekte und Angelegenheiten auftauchen. Die Verkehrung offenbart sich weiter, wenn man bedenkt, dass der Boden, auf dem Unten lebt, Menschen gehört, die Oben nicht da, auf diesem Boden, sind. Daran schließt sich die Frage an, was deutschen Bürgern in Deutschland, die es mit ihren Steuergeldern finanzieren, überhaupt gehört. Wem gehört Deutschland? Was ist Deutschland? Ein Land mit einer demokratischen Verfassung? Oder ist es nur eine Pseudoverfassung, die mittels demokratischer Verfassung Menschen politisch kaputt verwaltet? Hat der einzelne Bürger und Mensch Möglichkeiten auf sein eigenes Leben wie auf Entwicklungen im Lande Einfluss zu nehmen? Oder haben nur globalisierende Spekulanten und reiche Familien Einfluss? Wie man sieht, gibt es bezüglich dieser Dimensionen von Oben und Unten keine Neutralität – auch wenn man sie gern hätte und es so darstellt.

Ich schreibe Oben und Unten auch deshalb groß, weil der existenzielle Bedeutungszuwachs verheerende seelische Auswirkungen im Zuge sozialer Veränderungen exorbitant zeitigt: Alles, das gesamte Leben, kumuliert in diesem Verhältnis. Aber man sollte sich weder an diese Bezeichnung noch an die sie meinenden Inhalte gewöhnen, denn das garantiert eine Vertiefung der Probleme in ein seelisches Niemandsland hinein.

Unter dem Titel „Ihr da oben, wir da unten“ (1973) wurden gesellschaftliche Verhältnisse bereits durch Günter Wallraff mittels eines investigativen Journalismus beschrieben. Traditionell galt Oben und Unten schon durch die Jahrhunderte als Redewendung, um Herrschaftsverhältnisse pointiert in der Unterschiedlichkeit der mit ihnen verbundenen Lebensverhältnisse auf den Punkt zu bringen. Insofern besitzt sie historische Dimensionen, um ein Verhältnis zwischen Menschen in ein und demselben Land oder ein und derselben Zeit oder Epoche zu bezeichnen und Unterschiede bzw. Herrschaftsverhältnisse zu erklären. Oben und Unten können insofern als die mal mehr, mal weniger deutlich in den Vordergrund rückenden roten Fäden, die Menschen einerseits leiten und andererseits einordnen, bezeichnet werden: Sie zeigen sehr unterschiedliche Lebensverhältnisse in aller Konsequenz auf. Der eine ist ohne den anderen nicht denkbar. Mit ihnen wird unser Leben gestrickt. Überträgt man diese beiden Fäden auf das Bild eines Organismus, könnte man von ihnen als von Adern sprechen, wobei die Oben-Ader die Unten-Ader durch Entzug von Nährstoffen und Zuleitung von Schädlichem, vergiftet und Hilfeleistungen bei der Entgiftung verweigert: Das Negative und Zerstörerische für den Einen bedeutet nicht mehr zu rechtfertigende Vorteile durch Vernichtung und Zerstörung für den Anderen. Dieses Verhältnis zwischen Oben und Unten stülpt(e) sich als letztlich legitimierter, wenn auch sehr umkämpften Stabilisators von Gesellschaften der Vergangenheit, unverhohlen zugunsten von Mensch und Natur als zerstörender Faktor in der Gegenwart um. Das Gift, also der globale Kapitalismus, bestimmt das Verhältnis zwischen Oben und Unten. Unten wird Opfer von Oben. Das ist für viele Menschen in Deutschland und auch anderen Ländern und Kontinenten im Rahmen der Globalisierung lebensbedrohlich. Denn Unten kommen Menschen an ihre Grenzen – und kommen sie an Grenzen, können unüberlegte, instinktive Handlungen, die nur ein Ziel haben, Hunger stillen, ein Dach über dem Kopf haben wollen, auch so viel haben wollen wie die anderen (ob Bildung, Schulen, Universitäten, Kleidung, Handys, Laptops, Autos, Geld, etc.), folgen... Davor, dass Kriminalität, Ungerechtigkeit, Sozialabbau und Perversion zunehmen, besteht Oben und Unten begründete Angst. Bedingungen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, haben in der Vergangenheit zur Formulierung Internationaler Menschenrechte geführt und zu Bemühungen, dass das Leben auf der Welt besser werde: Homo homini lupus est. Die einen als anerkannte und gesellschaftlich rundherum abgesicherte Wölfe, die tun und lassen können, was sie möchten und damit für sich selbst für Ansehen und Reichtum sorgen – die anderen, mangels Möglichkeiten, als gesetzlich nicht anerkannte und sozial herabgestufte und verfolgte Wölfe...Unentschieden ist, welche Wölfe mehr Angst haben. Diejenigen, die den Wolf der jeweils anderen Seite bereits kennen gelernt haben oder diejenigen, die den Wolf der anderen Seite noch nicht kennen gelernt haben. Die einen haben Vorsorge getroffen (durch Geld, Gesetze und Verträge) – die anderen konnten keine Vorsorge treffen (da sie kein Geld haben und Gesetze und Verträge im Gros schon für ihre Sicherheit und soziale Fairness sorgen solle(t)n).

Oben und Unten bezeichnen damit über eine saloppe Einordnung von Einkommensverhältnissen hinaus Beziehungsstrukturen, die sich entsprechend in neuen Lebensformen und Lebensnotwendigkeiten entwickeln. Diese Auswirkungen sind beunruhigend. Sie halten Einzug in die Seelen der Menschen und fordern psychische Verarbeitungen, die an Grenzen von psychischen Abwehrstrukturen von Menschen stoßen.

Ob es eine Wirkung hat, sich mit Phänomenen in der heutigen Zeit, die pars pro toto im vorliegenden Buch aufgegriffen werden, zu beschäftigen und dem Grundanliegen, dem Gegenteil von Zerstörung, nämlich der Heilung zuzuschreiben, wird man sehen. Oben und Unten als prägende und schlüssige Einheit kapitalistischer Wirtschaft, in der das Verhältnis des Menschen zum Menschen in jeder Form ausgedrückt ist. Dieser Ausspruch bezeichnet den Umstand, nach außen immer alles schön geordnet erscheinen zu lassen, obwohl dahinter die Unordnung lauert. Ich verwende den Begriff Oben pointierend für Reiche, für Kapitalisten und generell die Führungsspitze in unserem Lande. Den Begriff Unten analog für mittellose, kapital- und besitzlose Menschen. Es sind funktionale Begriffe, die in ihrer Kürze metonymisch das Gemeinte transportieren: Jeder versteht sofort, was gemeint ist. Belegbar sind die Begriffe Oben und Unten bereits in der Bibel durch Jakobus (1,17), der auch inhaltlich im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs anklingt und deshalb hier zitiert wird. Mit „oben“ war Gott gemeint:

„Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ (Wörterbuch der Redensarten, www.redensarten-index.de 41 Einträge, 24. Februar 2008)

Das deutsche Oben verhält sich gern gottähnlich und diese Bedeutung klingt in den Begriffen Oben und Unten im Sprachgebrauch durch. Aber eben auch die Bedeutung des nach Außen Schöntun und im Inneren herrschenden Chaos – zusätzlich die Wandelbarkeit und Schnelligkeit unserer heutigen Zeit in Inszenierungen und Reinszenisierungen in der folgenden Zuweisung: Heute oben, morgen unten! In „Oben hui, unten pfui“ schillert die nicht aufgrund von Gewöhnung zu vergessene Sexualisierung heutiger Zeit und Gesellschaft: Der Markt und der Gewinn durch Sexualisierung ist gigantisch. Oben zu sein ist „geil“ – und Unten? Nicht! Oder doch? Und wenn es geil ist, Unten zu sein – was bedeutet es dann: Was spielt sich in Menschen ab und was spielt hinein, sich damit äußerlich zufrieden zu präsentieren?

Ich bin verstimmt über das Leben, wie in Deutschland nun zu leben ist. Insbesondere über die Faktenlage, wie Menschen zu Menschen stehen – oder besser, eben nicht stehen! Veränderung und existenzielle Faktenlage gleichen einem Requiem. Verkehrungen und Perversionen übertrumpfen sich gegenseitig.

Es scheint zusehends mehr Menschen zu geben, die so empfinden und entsprechende, harte Fakten, veröffentlichen. Zum Beispiel tat dies jüngst der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, bei einer Veranstaltung für Arbeit (BA) zum Thema „Wie viel Ungleichheit verträgt das Land?“ (Ruhr Nachrichten, 11. Juni 2008, Rubrik Wirtschaft). Fazit seines Vortrages: Die Oberschicht schottet sich von der Unterschicht ab. Es wird standesgemäß geheiratet. Die Krankenschwester, die früher noch vom Arzt erwählt wurde, weicht der Kollegin. Arbeitseinsatz und Fleiß schlagen sich nicht in guten Einkommen nieder. Kapitalanleger sind Gewinner des aktuellen Aufschwungs und nicht Familien. Mein Zusatz wäre: Intelligenz und Fleiß zahlen sich für Unten nicht aus. Verlierer in der Kultur sind die Schwächsten: Dazu zählen Alleinerziehende und Kinder.

Selbst Ärzte schlagen Alarm, wie jüngst der Hartmannbund, der durch seinen Redner auf ein Bild der Gesellschaft zurückgreift, das den Menschen zu „Material“ degradiert: „Kinder und Jugendliche sind der wertvollste, nachwachsende Rohstoff“, mahnte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe, Norbert Struck. Mehr als jedes sechste Kind in Deutschland wächst in einer von Armut bedrohten Familie auf.“ („Kinderärzte schlagen Alarm.“ In: Ruhr-Nachrichten, 21. Juni 2008) Wessen Herz will Norbert Struck mit dieser Metapher erreichen? Das der Wirtschaft, die Menschen nicht mehr als Menschen wahrnehmen können? Dieses Bild erinnert an Materialschlachten. Es erinnert daran, wie Menschen im Krieg als Material eingesetzt wurden. Das lässt die Frage stellen, ob wir in Kriegszeiten leben. Auf diese Frage wird im vorliegenden Buch eingegangen. Was kommt von Oben nach Unten für treue Dienste, Zusammenhalten und Einhaltung gesellschaftlicher Regeln und pünktliches Steuerzahlen zurück?

Inzwischen ist es quasi zum sozialen Auftrag geworden und gehört zum guten Ton, die Auswirkungen der Globalisierung beherzt oder mit kritischem Tenor mit Oben und Unten zu benennen: Die scharfen Kanten der Kritik an der Ungerechtigkeit und Frechheit, mit welcher sich die Wirtschaft immer weiter bereichert und die Politik diese Ökonomie letztendlich stützt, sind inzwischen von Sand und Wind des öffentlichen Diskurses abgeschliffen. Dieser Schleier der Scham wurde in den letzten drei Jahren zerrissen. Oben und Unten sind einer Normalität gewichen, mit der jeder umzugehen hat. Kapital- und Besitzverhältnisse blieben unangetastet – Gewinn Oben und Verarmung Unten steigen weiterhin. Es fehlte noch, dass Armut und Verarmung als neues Designermodell des Spätkapitalismus ausgeschrieben wird.

À la: „Es geht noch ein bisschen billiger, einfacher und überlebenspraktikabler – Sie werden schon sehen! Derjenige, der es schafft, noch billiger zu leben, bekommt den ersten Preis!“ Denn, wir haben vorher daran verdient, wird nicht gesagt.

In diesem Klima aalen sich Debatten um Sicherheit hier und Freiheit da in den sonnenbeschienenen Seen Oben. Die Politiker winken mit demokratischen Fahnenmasten und leiten Menschen sicher nach Unten – und beteuern das Gegenteil: Es geht bald wieder aufwärts! Unten weiß man offenbar die Realität besser einzuschätzen: Man weiß nun, wo man mit diesem guten, alten Glauben gelandet ist.

In diesem vorliegenden Buch sollen Phänomene zusammengetragen und Hypothesen gebildet werden, wieso man in Deutschland so lebt. Selbstwert und Mehrwert werden als sich in der Gegenwart ausschließende Ziele dargestellt. Hat meine Generation nicht genügend Fragen an die Eltern gestellt und die Antworten emotional und verstandesmäßig nicht folgerichtig eingeordnet, dass das Gros der Menschen in Deutschland sich immer noch so unterordnungsbereit zeigt? Oder waren da gar keine Antworten? Und wenn keine Antworten da sind, wäre zu fragen, warum nicht? Wo ist das Leben verloren gegangen? Denn Leben hat immer etwas damit zu tun, Fragen zu stellen, um ein bisschen weiter in der (emotionalen) Erkenntnis über das Leben zu kommen, als man bisher gekommen ist. Diese gestattet man sich Oben seit Jahrzehnten und findet immer wieder die Nadelöhre, um doch noch an den Profit zu kommen, der das schöne Leben weiter garantiert.

Die Kreativität der Welten- und Geldmacher erfährt dennoch einen (neuen) Rahmen, indem sie mit menschenwürdigen Werten konfrontiert wird. Kreativität war dieser Tage das Schlagwort des reichsten Mannes der Welt. Wofür Bill Gates, bis vor kurzem der nominell reichste Mann der Welt, im Januar 2008 beim Weltwirtschaftsforum in Davos Beifll erntete, kann in diesem Buch nicht kritisch beleuchtet werden, weil noch kein konkreter Vorschlag als Beispiel für einen kreativen Kapitalismus vorliegt. Ich befürchte, das, was als „kreativ“ vorgeschlagen ist, schlägt wieder alte Wege ein und schließt an alte Allianzen an: „Unternehmen sollten soziale Verantwortung ernst nehmen und als Kerngeschäft ansehen, sie sollten zu Partnern der Regierungen werden“, so Gordon Brown, Großbritanniens Premierminister, in seinem Statement zu Bill Gates. (Ruhr Nachrichten, 26.1.2008) Ein schöner Vorschlag, der Politiker und/oder Staat gleich mit absichert. Wo bleiben die, die auch der Staat sind, die Bürger und Menschen des Landes? Kreativität war bisher ein Multiplikator für egoistische, kapitalistische Gewinne und nicht für menschliche Gerechtigkeit – wieso sich nun daran etwas geändert haben oder sich ändern soll, kann nur mit einem systemimmanenten Gedankengut erklärt werden: Man hat Angst um seine eigenen Gewinne und Angst um seinen eigenen Ruf! Sonst hätte man schon etwas vor zwanzig oder sechzig Jahren tun können – oder? Man könnte also an dieser Stelle ergänzen: Künftig können nur noch Gewinne so, nämlich mit sozialem Wertetouch, gemacht werden: Denn anders geht es nicht mehr – es geht nur noch so. Das ist freilich sehr kreativ! Dann hat kein Bürger, kein Mensch mehr die Möglichkeit oder Grundlage, überhaupt noch Fragen stellen zu können oder zu müssen. Das Denken wird dann wie das Fühlen auch noch abgeschafft. Bewahrheitet wird jedoch wenige Tage später, am 2. Februar 2008 (Ruhr Nachrichten: „Microsoft will Google“), keineswegs irgendeine Spur von humanistisch-kreativem Kapitalismus, sondern der Spruch: „Widersprich nie einem Mann. Warte einfach, bis er es selber tut.“ (Postkarte aus der Serie: „Misch Du Dich nicht auch noch ein!“ Best.-Nr. 5946) Musste man früher bei manchem Mann länger warten, bis er sich selbst widerspricht, ist auch das heute im Zuge der Globalisierung anders. Bill Gates bekommt den Rand nicht voll – er will nun endgültig Yahoo aufkaufen, um mit dem Internet-Giganten Google konkurrieren zu können. Offenbar reicht es ihm nicht, nominell der noch fast reichste Mann der Welt zu sein – er will mehr! Für diese Jagd ist ihm kein Einsatz zu hoch – schließlich will er Google erlegen. Dieses Ansinnen steht als männlich-oral pervertierte Triebhaftigkeit im Dienste menschenunwürdiger Globalisierung. Weder wird mit dieser Kaufabsicht Armut abgeschafft, noch Kreativität verwirklicht – aber mutmaßen ließe sich, ob sie auf den Wunsch Bill Gates, die Welt zu regieren, verweist. „Reichster Mann“ reicht ihm nicht als Beiwerk zu Leib und Lebensgestaltung. Denn das tut er unter unserer Mithilfe seit Jahren und verändert die Welt an Politikern und übriger Wirtschaft, die seine Errungenschaften ebenso nutzt wie ich, vorbei. Letztendlich, so lässt sich schließen, geht es beim „kreativen Kapitalismus“ also darum, die Menschen unten zu halten, da, wo sie ohnehin schon sind, und schön ruhig bleiben. Sie sollen Monat für Monat genauso wenig Geld verdienen wie eh und je und aus diesem System der täglichen Tretmühle nicht aussteigen können – dann hat man sich seine Abhängigen erhalten, und hat Oben die Freiheit, weiter tun und lassen zu können, was man möchte! Dann hat man noch einmal die Kurve bekommen, das alte Prinzip neu aufleben zu lassen: Weil es geht! Man konnte doch bisher eine Milliarde Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag leben lassen, wie Bill Gates in Davos vortrug! (Ruhr Nachrichten: „Menschlichkeit gefragt.“ 26.1.2008). Warum hat er, Bill Gates, es nicht geändert? Dieses Level wird man doch halten können, müsste man zynisch fragen, ohne diese Zahl weiter zu erhöhen? Oder spekuliert man darauf, dafür zu sorgen, dass diese 1-Dollar-pro-Tag-Menschen wie Menschen mit 1-Euro-Jobs auch in den Stand kommen, sich einen Computer kaufen zu können? Man ist an dieser Stelle aufgerufen, genauer zu fragen, worum es eigentlich geht!

Die Erklärung Herrn Zabels ist, wie gesagt, die Antwort des Jahrzehnts oder Jahrhunderts, weil sie nicht nur eine, sondern viele, vielleicht sogar alle Fragen beantwortet. Die Wirtschaft konnte Grenzwerte überschreiten und hat damit die Welt vergiftet – natürlich wird die Tatsache dann gegen die Verbraucher, die Bürger gekehrt. Sie haben schließlich die Autos gekauft, fahren sie und verpesten damit die Umwelt. Jetzt wird der kleine Autofahrereigentümer gestoppt und muss mit so genannten Umweltplaketten nachrüsten, sonst darf er nicht mehr überall hinfahren. Ebenso ist es bei den Zigaretten, deren Konsum mit zusätzlichen Stoffen erhöht wird, um das Rauchfreiwerden zu erschweren, denn schließlich sollen sie dennoch weiter verkauft werden. Auch so eine Schizophrenie, die noch getoppt wird durch die Tatsache, dass der Staat es dem Bürger erleichtern will, mit dem Rauchen aufzuhören, indem er horrende Steuern dafür kassiert! Bei einigen hat das geholfen, bei den meisten nicht. Damit, mit den zig Folgen und Nebenwirkungen des Kapitalismus, muss der Bürger allein fertig werden. Die Schwächeren, die Politiker, konnten der Wirtschaft keine Grenzen setzen, ebenso wenig Gerichtsbarkeit. Aber dem Bürger setzt man sie und fordert gesetzliche Einhaltung. Bei Nichteinhaltung drohen Steuerzinsen und Bußgelder. Der Bürger wird mit persönlichen und finanziellen Anpassungsleistungen beschäftigt – während die Ökonomie wie bisher munter weiter betrieben werden kann. Ethik und Moral und das, was geht und ging, lag und liegt damit in den Händen derjenigen, die das Geld, das Kapital, die Macht haben und hatten. Die Politiker sorgten in den letzten Jahren für die Verwirklichung der Zweiklassengesellschaft. Für die breite Bevölkerung bedeutet(e) dies Einschränkungen – bis nichts mehr ging und geht. Sie können sich nicht mehr rühren, weder gesetzlich noch wirtschaftlich, noch persönlich. Werden sie krank, müssen sie noch einmal zahlen, weil das Gesundheitswesen in der Zweiklassengesellschaft zum Nachteil des Bürgers auf den Qualitätsstandard der Gesundheitswirtschaft umgestellt wurde. Man könnte diese Phänomene der gesellschaftlichen Umstrukturierung auch als Sozialtrauma bezeichnen: Menschen werden gleichgültig, weil sie sowieso nichts ausrichten können. Erstarren, weil sie Angst haben, was als nächstes kommt, in der Hoffnung, dass die Krakenarme der Verarmung an ihnen vorbei greifen. Also für Unternehmer lieber leisten und arbeiten bis zum Umfallen, die ihre Gewinne mittels internationaler Leiter der Globalisierung stapeln. Das Leben in Deutschland gleicht einem moralischen und ethischen Chaos: Das, was Menschen Oben dürfen und tun, ist für Menschen Unten untersagt. Unten stehen Verletzungen von gesetzlichen Grenzen unter Strafe und werden mit Bußgeldern belegt – Oben sind qua kapitalistisch-globales System Grenzüberschreitungen obligat, sogar notwendig. Oben geht man persönlich frei aus – mehr oder weniger, muss dazu gesetzt werden, denn in den letzten Jahren hat sich diese Praxis einwenig verändert. Die Buß- oder Strafgelder werden ohne mit der Wimper zu zucken gezahlt und dann geht das Leben einfach weiter. Denn daran mangelt es den Menschen Oben nicht. Deshalb kalkuliert man sie bereits mit ein. Müssen aber ein Hartz-IV-Empfänger oder ein Bürger (Mittelschichteinkommen = 2500 Euro) ein Bußgeld zahlen, greift dies in die Existenz ein: Dann fehlt das Geld als allgemeiner Tauschwert für Lebensmittel. Politisch wird eine einseitige Politik durchregiert, deren Auswirkung auf die Menschen Unten wie Psychoterror wirkt. Kurz gesagt, Oben hat man die Freiheit, buchstäblich alles zu tun – Unten wird sich mit Einschränkungen und neuen Gesetzen beschäftigt. Soziale Lücken müssen Bürger finanziell selbst schließen, schließlich verdient Wirtschaft und Staat an ihnen. Aber Bundeskanzlerin Merkel, so hat es den Anschein, will jetzt für Gerechtigkeit sorgen: Nun sind die Steuerhinterzieher Oben dran und Herr Volkert soll ins Gefängnis! In dieser Art von Gerechtigkeit dehnt sich wiederum dennoch auch Ungerechtigkeit aus – irgendwie ist die Justierung noch nicht gelungen. Zumindest spürt man Absicht und ist verstimmt. Vor allen Dingen der Weg des BND zur CD mit den Dateien bezüglich des Kapitaltransfers nach Luxemburg ist hinterfragenswürdig und nicht glatt schreibbar. Gleichzeitig haben diejenigen, die beschäftigt werden, zu kuschen und werden strengstens kontrolliert, während das kleine und grenzenlose, über alle Gesetze hinweg wirkende Oben jahrzehntelang mit Geschenken und Zugeständnissen bedacht wurde und wird: Moral und Ethik? Der bis 2009 bestens bezahlte Manager Wendelin Wiedeking (Porsche) sagt(e):

„Wirtschaft ist ein sozialer Prozess, der auf kulturelle, gesellschaftliche und institutionelle Bedingungen angewiesen ist.“ (Denkanstösse, Serie Piper Nr. 5000) Neben Gewinnerwirtschaftung hätten Unternehmen auch die Pflicht „einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten – nicht nur als Steuerzahler.“ (Denkanstösse, ebd.)

Wie es aussieht, verhält es sich in der Realität genau umgekehrt: Das Gemeinwohl interessiert für Unternehmensführungen auch nicht als Steuerzahler – so wenig wie Spenden aus Nächstenliebe denn aus Steuervorteilen und dem vergolden des eigenen Namens motivational gespeist werden. Instrumentalisierte, sich auszahlende, vom Gewinn abziehbare Posten für Nächstenliebe von Oben. Nicht in jedem Falle, aber oftmals.

Doch zu jedem Strickmuster braucht man die passende Wolle. Die Frage ist also, welche Wollart den Faden stellt, der von Politikern und Unternehmern zum Stricken in die Hände genommen wurde und wird. Meiner Meinung nach handelt es sich um alte, aufgeribbelte und damit krauselig durch die ehemaligen Maschen zu Mustern gepresste Wolle, die frisch verstrickt wird. Ein alter Pullover wird neu verarbeitet: Die unverarbeitete deutsche Vergangenheit Hand in Hand mit der unaufgearbeiteten Oben-und-Unten-Gesellschaft. Gemeint ist hier zunächst die individuelle und persönliche Ebene, wie sie in allen Menschen in verschiedener Form unverarbeitet wirkt. Es sind die tiefsten, existenziellen Ängste, die Angst zu sterben und die Angst, die materielle Existenz zu verlieren, die die Seele der Menschen in Deutschland in den letzten Jahren mit eiskalten politischen und wirtschaftlichen Fingern berühren und dirigieren. Die unverarbeitete Vergangenheit mit Gefühlen und Verhaltensweisen, mit viel Glück sogar mit konkreten Erinnerungen, steigt in Menschen auf und schlägt blind zurück. Den tiefen Schatten dieser unverarbeiteten Vergangenheit verdeckt die Scham – und dahinter lauert die Todesangst, mindestens jedoch ein Gefühl des völligen Unwert- und Unnützseins. Wer sucht in der Erinnerung das Furchtbare? Niemand. Jeder sucht in den Erinnerungen das Gute und den Halt im Leben, denn sie geben Kraft und Zuversicht. Aber, sie helfen nicht immer weiter. In jedem Leben gibt es auch den Schatten, der sich in vielerlei Hinsicht verwirklichen kann, wenn er partout nicht wahrgenommen und gesehen werden will. Es wird gemeckert und gemault, ja. Oder man wird krank, ja. Beruhigungsfloskeln werden politisch ausgesprochen, ja.

Historische Erfolge der Wirtschaft werden mitgeteilt, ja. Zu fragen ist, ob Menschen auf diese Weise das seelisch unverarbeitete Material in neuer Form leben? Werden neue Pullover aus aufgeribbelter, alter Wolle gestrickt und leben mit ihnen durch das Tragen auch wieder traumwandlerisch die alten Gefühle, die alten Verhaltensweisen auf? Wer nimmt dabei welchen Platz ein? Die deutsche Geschichte trifft auf die kapitalistische Globalisierung, die ebenfalls seit Jahr und Tag ein Tabu hütet und als Damoklesschwert über sich weiß: Wann endet der Kapitalismus? Er darf und soll nie enden – so die Ideologie. Deshalb wird nicht genügend hinterfragt, welche Art von zwischenmenschlichen Beziehungen, welche sozialen und psychischen Folgen diese Wirtschaftsform hervorbringt: Nichtwissenwollen, Ignorieren und Verleugnen des eigentlichen kapitalistischen Kerns, den Karl Marx in seiner Entfremdungstheorie und der Analyse des Kapitals beschrieb, trifft auch auf die individuell und gesellschaftlich nicht geförderte psychische Verarbeitung geschichtlicher Schrecken. Damit sitzen wir in Deutschland auf einem Pulverfass, dessen Lunte mittels zahlreicher Techniken und Gesetze kontrolliert wird. Jedes Fünkchen ist unbedingt fernzuhalten.

Aber unaufgearbeitete seelische Vergangenheit ist nicht kalkulierbar – zumal in einem Land, in dem Moral und Ethik nicht mehr in der menschlichen Psyche verankert ist, sondern sich nach dem gesellschaftlich „Möglichen“ richtet: „Wo kein Richter, da kein Henker“ und das, so lange es geht! Menschen werden an Unmögliches allmählich adaptiert, bis es Gewohnheit ist und nicht mehr in Frage gestellt wird. Veränderungen des Adaptionsniveaus, eine psychologische Grundlagenforschung, wird gewissermaßen als Mittel zur Anpassung genutzt. Die Verhaltenstherapie bietet auf der wissenschaftlichen Grundlage der Lerntheorien verschiedene Modelle, mit denen man Adaptationsniveaus spielend verändern kann.

Gern bedient man sich weiterer Kenntnisse der Wahrnehmungspsychologie, die ebenso simpel wie erfolgreich die sinnliche Wahrnehmung aufgrund physiologischer Gesetzmäßigkeiten beeinflusst und ggf. den Betrachter dazu anregt, falsche Schlüsse oder aufgrund einer abweichenden Darstellung, die richtigen zu ziehen. Das, was der Betrachter glauben soll, wird mit unterschiedlichen Stilmitteln auf der Grundlage psychologischer Wahrnehmungsgesetze abgebildet. Es geht nicht nur um Abbildung von Wahrheit, wie Pablo Picasso einst formulierte: „Kunst ist eine Täuschung, die uns fähig macht, die Wahrheit zu erkennen.“ (Pablo Picasso in Vogue, 10/2009, o. Seitenangabe, Jubiläumsausgabe) Sondern auch um die Erzeugung des Gegenteils dessen, was als Wahrheit zu bezeichnen wäre: Kunst ist eine Täuschung, die uns unfähig macht, die Wahrheit zu erkennen. In Bildern, in denen zwei gegensätzliche Figuren wahrgenommen werden können, hängt vom Betrachter ab, was wahrgenommen wird: die alte oder die junge Frau zum Beispiel. In diesen Kippbildern wird offenbar, was in anderen Bildern oder in der Werbung verborgen gehalten werden soll: Die gewünschte Wahrnehmung mit der passenden Bedeutung sind im Betrachter zu erzeugen. Das der Darstellung zugrunde liegende Motiv richtet sich nach der Branche, die den Auftraggeber bezahlt: Wirtschaft, Politik, Künstler, Journalisten etc.. Das Motiv steuert die Darstellung. Die Intentionen können sehr unterschiedlich sein: Ein Produkt verkaufen wollen; eine politische Haltung als gut oder schlecht erscheinen lassen; einen Zustand als unhaltbar und zu kritisieren erscheinen lassen; Zusammenhänge darstellen, die nicht Wahrheit, sondern das Gegenteil glaubwürdig abbilden....

Es kann geschlossen werden, Täuschung ist eine Möglichkeit, die Welt nach eigenen Vorstellungen, Werten und Interessen zu gestalten und anderen Menschen so erscheinen zu lassen, wie man sie gesehen haben möchte. Die größte Täuschung, der Milliarden von Menschen offenbar aufgesessen sind, fand am 11. September 2001 statt. Live oder am Fernsehen konnte in Wort und Bild verfolgt werden, wie die Zwillingstürme in New York scheinbar aufgrund von zwei Flugzeugen, die in sie hinein flogen, wie Kartenhäuser geordnet und kunstvoll wie bei einer Sprengung zusammensackten. Ergänzt wurden die Livebilder der BBC durch Kommentare von Journalisten und vom Unglück betroffener Menschen. Folgt man der Berichterstattung von VOX in der Sendung „9/11 Mysteries – Die Zerstörung des World Trade Centers“, so handelt es sich um ein geplantes und milliardenschwer kalkuliertes Ereignis, an dem offenbar eine Reihe von Menschen sehr viel Geld verdient haben. (VOX. 10.9.2009) Bedeutend mehr Menschen als daran verdienten, starben und erkrankten an den Folgen dieses Ereignisses. Der Rest der Welt wurde in die Irre geführt? Das Gefühl von Milliarden Menschen, das sich in den folgenden paar Worten anlässlich des weltweiten Verfolgens des Unglücks zusammenfassen lässt in „Das verändert die Welt... sie wird nie mehr so sein, wie vorher...“ gewinnt nach dem obigen Dokumentarfilm (USA 2006) eine erweiterte Bedeutung, sollten sich die referierten Fakten weiter erhärten und bestätigen.

Insofern erweitert sich die Kunst der Täuschung: Als logisches Pendant und Erweiterung – und eben nicht sensorisch-physiologisch visueller Wahrnehmung auf analoger Ebene – werden die allgemeinen theoretischen Grundlagen der Metapherntheorie aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen im sprachlichen Bereich als Vehikel des sie benutzenden Motivs eingestuft. Insofern ist Metapherntheorie eine interdisziplinäre Wissenschaft, die durch Linguistik, Neurophysiologie, Cognitive Sciences, Psychologie, Philosophie und insbesondere durch die Intention der praktischen Verwertbarkeit in den Medienwissenschaften aus genuin ökonomischen Interessen gespeist, umfangreich in unserer Kultur aufgestellt. Fotos und Filme sind besonders gut geeignet, Menschen zu manipulieren und diejenigen, die sie schießen und veröffentlichen, formulieren bisweilen ihre tiefere Intention: „Manipulation von Fotos hat ihr Gutes – dann glauben die Leute nicht mehr alles.“ (Sebastian Tuner in: Chrismon, Begegnung, 02.2008). Dieser Aussage, ebenso wie der Aussage von Pablo Picasso, liegt eine andere Werteordnung und Intention zugrunde als den Urhebern der Vorgänge um den 11. September 2001, ob nun durch Terroristen oder Wirtschafts- und/oder Politikkriminalität verursacht. Sebastian Turner ist Professor an der Universität der Künste und Leiter der Kommunikationsagentur „Scholz & Friends“ und weiß, wovon er spricht. Die Intention des Bildmachers entscheidet, zu welchem Zweck Bildmaterial eingesetzt wird, um das Motiv entweder sichtbar oder unsichtbar zu machen: Insofern gilt umgekehrt ebenso, dass man über Fotos den Menschen auch Dinge glauben machen kann, die vom Ursprung her weder da noch gemeint sind. Man kann Menschen hässlicher, böser und gefährlicher erscheinen lassen, als sie sind und umgekehrt. So ließ man Angela Merkel mit jedem weiteren Schritt zur Macht hin immer weicher erscheinen.

„Plötzlich wurden die Bilder von Angela Merkel immer schmeichelhafter.“ (Herlinde Koelbl, Fotografin, in Beilage „Die Zeit“: Chrismon, Begegnung, 02.2008)

Bilder, die Realität oder Menschen weicher, härter oder auf andere Art und Weise erscheinen lassen wollen, werden aber insbesondere im Inneren von Menschen durch Worte und Erlebnisse erzeugt, die Menschen von klein auf prägen. Der Mensch sieht und hört von klein auf und wird durch die Erfahrungen geprägt, wenn er diesbezüglich physiologisch oder genetisch keine Schäden hat. Umfangreiche Studien zur Metapherntheorie belegen die Wirksamkeit und damit die Neigung des Menschen, auf Bilder, ob visuell, auditiv oder verbal zu reagieren. Menschen lassen sich von ihnen steuern, weil sie auf die in Bildern und Tönen enthaltenen Gefühle reagieren und schematisch nach dem Hund-Wurst-Prinzip entscheiden „Freund oder Feind“, „gut oder schlecht“, „Existenz sichernd oder Existenz vernichtend.“

Manche Metaphern oder Bilder verlieren ihre Stärke und Durchschlagkraft, weil man sie nicht mehr hören oder sehen kann. Menschen sind dann übersättigt und haben erkannt, was wirklich damit gemeint ist oder war und beachten sie nicht mehr. Der ursprüngliche Kern ist abgegriffen, ausgepresst wie eine Zitrone. Die sprachliche Darstellung von Bildern, also Metaphern, funktioniert aufgrund der emotionalen Repräsentanz in Menschen so gut. Emotionen knüpfen an Vorerfahrungen an. Sprachliche Repräsentationen knüpfen an Emotionen von Menschen in Bezug auf Bilder und vice versa an. An diesen Transformations- oder Schnittstellen ist Forschung interessiert: Man möchte wissen, wie man Assoziationen herstellen kann, die das gewünschte Ergebnis bringen. An diese Stelle knüpfen die unterschiedlichen Medien an, benutzen die wissenschaftlichen Grundlagenforschungen und setzen sie oftmals gegen Menschen ein. Man benutzt die Gesetzmäßigkeit menschlicher Wahrnehmung, Emotion und ihre sozialen Einstellungen. Das semantische Differential und deren Bezugssysteme bildeten die logische Fortsetzung der Wahrnehmungstheorien in unserem kulturell-ökonomischen Raum. Ursprünglich wurde das semantische Differenzial vor allen Dingen in Teildisziplinen der Psychologie und der Soziologie verwandt. In einer meiner ersten Forschungsarbei-ten im Rahmen meines Psychologiestudiums arbeitete ich mit diesem Konzept des semantischen Differenzials.

Was ist das semantische Differenzial? Der hier angesprochene Urteilsparameter spielt eine Rolle in der Theorie der Einstellung von Menschen. Ein Messinstrument, das es gestattet, Einstellungen als die evaluative Bedeutung eines Begriffs, zugleich aber auch die Quelle einer Einstellung auf ihre konnotative Bedeutung zu bestimmen, ist das semantische Differential. Wird einem Reiz Bedeutung zugesprochen – attribuiert -, dann impliziert Bedeutung immer die Einstellung bzw. ist gleichbedeutend mit der Einstellung, die man dem jeweiligen Meinungsgegenstand entgegenbringt. (Vgl. Osgood, 1952, Hofstätter 1955, Bergler 1975).

Ohne nun diese Forschung weiter vertiefen zu wollen, seien dennoch zwei wichtige theoretische Begriffe in diesem Zusammenhang mitgeteilt, die sich in dieser Forschung und dem nachfolgenden Markt als konstituierend erwiesen: Einmal ist es der Begriff des semantischen Raumes, der als euklidischer Raum von unbekannter Dimensionalität definiert wird. Hypothetisch wird er in jedem Menschen wirksam angenommen. Die Konstruktion bipolarer Adjektivpaare in Skalen gestattet das Erfragen der Bedeutung in Bezug auf dargebotenes Bildmaterial (oder auf Hör- und Sehmaterialien). Ziel ist es, durch statistische Auswertung den Ursprung dieses semantischen Raumes zu ermitteln. In der Praxis ist die so wissenschaftlich ermittelte „Bedeutung“ der Ausgangspunkt „guter“, sprich gewinnträchtiger Werbung oder Darstellungs- und Kommunikationsarbeit in Bezug auf Nachrichten und wie diese vom Hörer und Seher aufgefasst werden sollen. Nun kann es aber sein, dass Menschen nicht von vornherein die gewünschte Reaktion zeigen (z. B. Kauf des Produktes). Also muss man sich etwas einfallen lassen und dazu braucht man das Know-how, wie man Einstellungen und Empfindungen verändern kann. Hier kommt die Adaptationsforschung ins Spiel, d.h., die gewünschte Reaktion muss beim Käufer (Empfänger des neuen Zeichens / Produkts) freigesetzt werden. Man wird also das neu einzuführende Produkt mit bewährten, d.h. einschlägig und unfehlbar wirkenden Bedeutungen zusammen kombinieren. Die als positiv wahrgenommene Eigenschaft wird allmählich oder sofort auf das Produkt durch Gefühl übertragen. Dieses Vorgehen folgt also nicht der Logik – denn was hat ein schöner Frauenkörper mit einem Luxusauto zu tun? Sondern der Psychologik. Die Praktiker gehen wiederum insofern logisch vor, als sie die psychologischen Mittel logisch auf ihr Ziel bezogen einsetzen. Oftmals ist das Ziel, ein Produkt zu verkaufen. Generell gilt, dass ein „Produkt“ alles mögliche sein kann, auch „Kommunikationsstruktur“ und juristisch ausgearbeitete „Verträge“ oder die „Kommentierung von Bildern“, die über das Fernsehen dem Zuschauer eine Interpretation von Ereignissen nahebringen, die nach dem Motto „Wie sage ich es meinem Kind“ aufgebaut sein kann! Zum Beispiel, wie kann man im Resultat Menschen dazu bringen, zu glauben, es ginge wieder nach „oben“ und der Aufschwung sei Unten angekommen. Ich hätte noch nicht gehört, dass Unternehmer Bereitschaft zeigten, auf Profit zu verzichten oder ihn auch nur um ein paar Grad reduzieren zu wollen. Wie bringt man es fertig, Menschen, die nichts mehr in der Tasche haben, glauben zu machen, dass sie doch etwas in der Tasche haben und sie darüber mehr oder weniger schweigen? Hier wirkt die wissenschaftliche Forschung im Dienste der Ökonomie und der Politik, die der Ökonomie die Stange hält. Poltisch vertritt man dann die Auffassung, dass man Menschen vor zu viel Wahrheit bewahren müsse, um Menschen sicher leiten zu können. Allerdings muss man sich dann fragen lassen, wohin man Menschen leiten will. Wie sich diese politische Rücksichtnahme mit der demokratischen Verfassung, dass Menschen mit dem 18. bzw. 21. Lebensjahr als erwachsen mit allen Konsequenzen gelten, und damit auch als verantwortlich, verträgt, ist klärungsbedürftig. Meines Wissens ist in der demokratischen Verfassung nicht festgelegt, dass man Menschen nur die halbe Wahrheit sagt und sie damit daran hindert, selbstständig darüber nachzudenken, wo Veränderungen im Leben notwendig sind, damit sich positive Veränderungen in der Gesellschaft überhaupt entwickeln können. Die Verfassung spricht an keiner Stelle davon, Menschen zu entmündigen und von Verantwortung freizustellen, und dass der eine Mensch sich über den anderen Menschen aufgrund irgendwelcher Privilegien erheben könne.

Mittel anderer Natur, die im Sinne der Anpassung funktioniert, sind psychoanalytischen Studien zu entnehmen. Die Psychoanalytikerin Alice Miller stiftet transgenerationelle Zusammenhänge, also psychische Zusammenhänge, die von einer Generation auf die nächste Generation so wirken, als würde ein alter Pullover aufgeribbelt, neu verstrickt, weitergegeben und getragen. Sie schreibt:

„Wenn die Züchtigung des Kindes als ein Liebesbeweis ausgegeben wird, führt das zu einer Verwirrung, die später ihre Früchte trägt. Wenn sich diese Kinder auf der politischen Ebene betätigen, setzen sie das einst an ihnen begonnene Zerstörungswerk fort und tarnen dies ebenfalls mit ihrer Rolle als Heilbringer, wie es einst ihre Eltern taten. Sowohl Stalin als auch Hitler wollten angeblich nur Gutes. Das Morden war ja nur ein notwendiges Mittel zum guten Zweck. Diese Ideologie haben sie von beiden Eltern vermittelt bekommen. Wäre dies nicht so, wäre ein Elternteil als helfender Zeuge aufgetreten und hätte das Kind vor Brutalität und Lieblosigkeit des anderen geschützt, diese Kinder wären später nicht zu Verbrechern geworden.“ (Miller, Alice: „Der geheime Schlüssel.“ Buchdeckeltext 1996)

Darüber hinaus ist zu konstatieren, wie auch die jüngsten Erkenntnisse aufgrund psychologischer Fallstudien zeigen, dass unverarbeitete Gefühle – zum Beispiel in Traumatisierungen – unbewusst an Kinder und Enkelkinder weitergegeben werden. Viele Eltern, die direkt oder indirekt erheblich unter dem Krieg zu leiden hatten (und welche Eltern hatten das nicht!), zeig(t)en sich gegenüber ihren Kindern in Folge von Traumatisierungen emotional distanziert. Seelische Erlebnisse halten sie in ihrem Bann. Auswirkungen, die das Fehlen elterlicher Stärkung und Liebe im einzelnen Menschen durch eigene Erfahrung betreffen, hat Alice Miller in den zitierten Zeilen oben pointiert ausgedrückt. Hinzu treten die Wirkungen unverarbeiteter Gefühle aus dem Leben der Eltern und/oder Großeltern durch Erziehungsmaßnahmen, die durch Emotionslosigkeit gezeichnet sind. Generell zeigt sich bis in die Gegenwart hinein ein durch Gewalt und Bevormundung geprägter Erziehungsstil, der sich in Schlägen und Brutalität zum Wohle des Kindes immer noch allgemeiner Akzeptanz erfreut und unreflektiert weit über die Nachkriegszeit hinaus bis 2000 (Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechtes) durch keine Gesetzgebung das Gegenteil, nämlich den Schutz von Kindern, verbürgte. Die Einsicht, dass Brutalität und Schläge schädliche Erziehungsmittel sind, unterscheidet sich national. Soweit man in Deutschland zumindest offiziell darüber einen Konsens erzielen kann, ist es in Polen noch gänzlich anders: Es ist vollkommen normal und akzeptiert, wie ich von einer Polin 2008 hörte, Kinder zu schlagen, und zwar auch heute noch! „In einem polnischen Kinderlied werden Gewalt und Schläge verherrlicht“, erzählt sie mir. Auch wenn Schläge und Brutalität in Deutschland für Eltern unter Strafe stehen, so sieht die Realität vieler Kinder auch heute noch wie eh und je nicht völlig anders aus. Auch diese lange Zeit des zur Normalität erklärten Erziehungsstils zählt mit zur Vergangenheitsbewältigung. Wie diese Gewalt gegen Kinder in Menschen wirkt, ist in seinen Folgen noch längst nicht zu Ende gesichtet. So hieß es in „Quarks“ (WDR /TV: 29.9.09): Traumata aus der Kindheit hinterlassen veränderte Hirnstrukturen: die der Stressverarbeitung. Zu diesem Themenkreis von Gewalt und deren Folgen über Generationen hinweg, könnten die Psychologischen Psychotherapeuten einen eigenen Fachbereich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Gewaltformen initiieren. Anhand von Schilderungen unserer Patienten und Patientinnen und wie sie heute darunter leiden und welche Störungen und Krankheiten sie infolgedessen ausbilden, wären schon Bände von Büchern zu füllen. Pointiert hat dies auch Auswirkungen auf die Haltung im Erwachsenenalter, die eigene Meinung kund zu tun: wo der Kindermund zu Gewalt und ungerechter Unterordnung schweigen muss, schweigt später der gesetzlich mündige Bürger.

Im ersten Quartal 2010 überschlagen sich Nachrichten, die über Missbrauch, Vergewaltigung und Gewalt in katholischen Einrichtungen und anderen Schulen und Heimen berichten, die über Jahrzehnte unterirdisch gespürte Beziehungsverhältnisse, wie der Mensch zum Menschen steht, offen legen! Zwar sprechen nun die Opfer, aber wie stehen die Familien zu ihnen, den Opfern?

Nebenbei bemerkt, hat nun die Staatsanwaltschaft in Dortmund häusliche Gewalt als ein Problemfeld erkannt! Weiter wäre zu bemerken, dass Frauen in Dortmund wie gleichfalls bundesweit bereits vor cirka 30 Jahren den Verein „Frauen helfen Frauen“ gründeten und ein Frauenhaus initiierten, das sie mittels Spenden und unentgeltlicher Arbeit aufbauten. Es müssen also Jahrzehnte ins Land gehen, bevor sich etwas gesellschaftlich und politisch in einem Problembereich tut. In dem Bericht heißt es: „Die beiläufige Ohrfeige, immer wieder Schläge und Tritte, Vergewaltigung und fast Totschlag – der Täter: Der Ehemann. Die Staatsanwaltschaft spricht von häuslicher Gewalt und hat ein weites Problemfeld mit vielen Unbekannten erkannt. ‚Vor allem, weil bei Familien immer auch die Kinder betroffen sind. Selbst, wenn sie nicht das Ziel der Gewalt sind. Aber sie schauen zu’, sagt die leitende Oberstaatsanwältin Petra Hermes.“ (Ruhr Nachrichten, 28. November 2009: „Mann schlägt Frau...“) Nun liefert die Staatsanwaltschaft Zahlen: 2474 Verfahren (369 mit Anklagen oder Strafbefehlen). „Doch die Verfahren klammern die tatsächliche häusliche Gewalt aus. Genau hier liegt das Problem. Hermes: „Die Frauen rufen die Polizei. Ist die vor Ort, sagen sie nichts mehr.“ (Ebda.) Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden zwei Mitarbeiter eingestellt, die mit anderen Stellen eng zusammenarbeiten, damit sie die „Frauen überzeugen, dass ihnen geholfen werden kann.“ (Ebda.) Die Frauen sollen bei ihren belastenden Aussagen bleiben und sollen glauben, keine Angst mehr haben (zu) müssen.“ (Ebda.)

Ein schwieriges Thema, zumal die Angst sich weit über die Schläge des Mannes hinaus auf ihr weiteres Leben erstreckt: was soll werden, wenn der Mann bestraft ist? Wie können Frauen und Kinder mit dieser Erfahrung leben, wer steht ihnen bei in den nachfolgenden Jahrzehnten, in denen sie psychisch mit der Verarbeitung der Schläge des Mannes fertig werden müssen? Wie können sie sich schützen und welche Art von Beziehungen werden folgen, die maßgeblich ihr Leben gestalten. Allein für diesen Problemkreis und deren Auswirkungen in der Gesellschaft, so behaupte ich, gibt es zu wenig zugelassene Psychologische Psychotherapeuten in Deutschland. Genau genommen, existiert Psychotherapie, weil Verletzungen der Seele in ungezählter Form wie Strandgut aus der Gesellschaft in die psychotherapeutischen Praxen geschwemmt werden. Menschen kommen mit dem Leben, das jeden Tag aufs Neue kulturell zelebriert wird, eben nicht klar. Alle bemühen sich, leisten und passen sich an, um am Ende festzustellen, dass sie mit bestimmten Dingen eben nicht klar gekommen sind, von denen immer allgemein angenommen wurde, dass „die anderen“ damit aber klarkommen und man selbst deshalb damit auch klarkommen muss. Wissenschaft und Forschung untersuchen nachträglich, welche Bedingungen vorliegen, die zu psychischen und seelischen und nun auch noch genetischen Schäden führen. Selbst dann, wenn die Ursachen aufgezeigt sind, verändert sich deshalb noch lange nichts.

Die klassische Medizin behandelt mittels des Descartes’schen Paradigma blaue Flecke, gipst Knochenbrüche zusammen, versorgt Wunden aller Art, sammelt messbare Parameter im Körper, ohne groß danach zu fragen, woher sie stammen und wie sie über das medizinisch-körperliche Erklärungsmodell hinaus erklärt werden könnten. Seelische und körperliche Verletzungen, bei denen solche Symptome nicht mehr zu sehen sind und über deren psychischen und seelischen Ursachen und Zusammenhängen inzwischen viele Jahre lang „Gras“ gewachsen ist, finden sich heute nicht wieder zuerkennen in medizinischen Diagnosen, die die Geschichte des einzelnen Menschen namenlos codiert und anonym kategorisiert, geschichts- und erkenntnislos für Medizin und Individuum ins so genannte individuelle und kulturelle „Unbewusste“ zurückfallen lassen. Nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Dann kann auch alles so bleiben wie es war und ist. Bei dem cartesianischen Ausgangspunkt der Medizin – auf den jeder naturwissenschaftliche Mediziner stolz ist und sich von Kollegen, die anderer Meinung und anderen, nämlich geisteswissenschaftlichen Geistes, sind, abwendet! – wundert es nicht, dass jährlich immer mehr Diagnosen in Form von Differentialdiagnosen auf rein körperlicher Ebene hinzutreten, ohne das adäquate Behandlungen im Sinne der Heilung von Patienten angeboten werden können. Differenzierung bis zur Erkenntnislosigkeit. Die klassische Medizin wird und ist Zulieferer der Pharmazie, die für Symptome Mittel ersinnt, um sie unsichtbar und nicht fühlbar zu machen, sprich, Menschen dopt. Der Mensch, seine Psyche und Seele werden nochmals zurückgedrängt: Damit soll er nun endgültig glauben, dass das, worunter er leidet, nichts mit seinem Leben in der Gesellschaft, in der er lebt, zu tun hat. Lebensgeschichte und Vergangenheit werden ebenso bedeutungslos wie der einzelne Mensch. Was Menschen zu ihren Krankheiten fühlen, wird als nicht interessant im medizinischen und gesellschaftlichen Leben berücksichtigt. Es sei denn, man verarbeitet Leiden in der Literatur, schreibt einen Roman, den man auf Gefühle, Befindlichkeiten, Gedanken, Erlebnisformen oder Weisheit fokussiert. Hier gäbe es viele sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen und daher unterlasse ich es aus diesem Grunde. Diese persönlichen Mitteilungen in Romanen werden als Kunst oder Ausnahmeerscheinungen, aber nicht als gesellschaftlich relevante gültige Diagnostik eingestuft und bleiben als solche vor dem Gesundheitswesen stehen. Damit, ohne nun die eigentliche Intention von Autoren zu beurteilen, wird Geld verdient. Und/oder ein weiterer Zweig von vermeintlicher Konkurrenz zu Psychoanalyse und Psychotherapie initiiert, wie es bezüglich des Romans „Die Schopenhauer-Kur“ von Irvin D. Yalom in Bezug auf Philosophische Beratungspraxen heißt.

Ratio zählt, Gefühl ist unwissenschaftlich und vor allen Dingen „weiblich“ und nicht wirklich ernst zu nehmen, wenn es um gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange geht.

Gefühl ist Privatsache. Man benutzt es zum Geldverdienen, aber nicht um die Welt besser werden zu lassen, indem man sie bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gleichrangig zu anderen Entscheidungsfaktoren einbezieht.

Krankengeschichte ist Symptom- und Parametergeschichte, in der Menschen sich weder wieder erkennen noch aus der heraus sie sich selbst begreifen oder Zusammenhänge zwischen sich, ihrem Erleb(t)en und der Gesellschaft stiften können. Das ist Arztsache! Und der Arzt vergisst individuelle Gefühle seiner Patienten. So weiß der Mensch im Laufe seines Lebens immer weniger von sich selbst, statt mehr. In Familien wird von Älteren totgeschwiegen, was notwendigerweise gesagt werden sollte, damit es den jüngeren wohlergehe. Irgendwann erzählen Menschen ihr Leben entlang von Diagnosen, Symptomen und Befunden – dem Geländer des Descartes’schen Paradigmas in der Klassischen Medizin.

Dennoch gibt es Menschen, die sich für Zusammenhänge interessieren und ihre Einsichten wie Erkenntnisse unter einem anderen Blickwinkel, und ohne ihre Gefühle zu verstecken, mitteilen. Vergangenheit und Lebensgeschichte haben viele Dimensionen. Ebenso viele wie Mittel, diese persönliche Geschichte zu verdecken. Insofern gäbe es eine Vielzahl von Vergangenheitsbewältigungsdimensionen. Die gängigste ist, immer wieder das gleiche Muster von emotionalem Erleben mit allen Konsequenzen leben zu müssen, weil sie nicht gewusst und bewusst wird. Eine andere Dimension von Vergangenheitsbewusstsein bietet die Folgende:

Thomas Buergenthal, heute Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, hat als kleiner Junge mit eigenen Augen gesehen und erlebt, was im KZ geschah. Er kann sich bis heute nicht mit derartigen Bildern konfrontieren. Er kann nicht hinschauen, weil sie die Gefühle von damals wecken, wie er in einem Fernsehinterview anlässlich der Vorstellung seines Buches „Ein Glückskind. Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand“ unter starker emotionaler Betroffenheit mitteilte. Es habe ihn schon während des Schreibens unendlich viel Kraft gekostet, sich mit seiner Vergangenheit und dem Erlebten zu konfrontieren. Freunde hatten ihn eingeladen, den Film „La Vita è bella“ zu sehen. Er musste das Kino verlassen, weil das filmische Material ihn emotional direkt in seine eigenen Erlebnisse der Nazizeit katapultierte. Worum geht es in dem Film? „Das Leben ist schön“ ist ein Film von Roberto Benigni aus dem Jahr 1997: Ein Vater schützt seinen Sohn mit Geschichten und Phantasie vor der grausamen Realität eines Konzentrationslagers. Er macht ihm glaubhaft, dass es für die KZ-Häftlinge, die der Vater als Mitbewerber im Spiel erscheinen lässt, Punkte zu sammeln gilt und der Gewinner einen Panzer als Preis erhält. Schließlich fährt der kleine Junge auf einem Panzer – mit den Siegern – aus dem KZ heraus. Er hat die Grausamkeiten nie als Wirklichkeit wahrgenommen, für ihn war alles Spiel – der Vater ist kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner von den Nazis erschossen worden. Auf seiner Fahrt auf dem Panzer erkennt er in einem Zug von Flüchtlingen seine Mutter. Bevor der Junge und die Mutter erfahren, dass der Vater tot ist, ist der Film zu Ende.

Ein denkwürdiger Film, in dem auf wundersame Weise die Wirksamkeit von Idealisierung und Verleugnung als Abwehrmechanismus filmisch umgesetzt wird und als Liebe eines Vaters zu seinem Sohn erscheint. Würde man den Film nun in der Realität filmisch für den kleinen Jungen hinsichtlich der Folgen umsetzen, wäre es fraglich, welche Gefühle er zu realisieren hätte, dass sein Vater erschossen wurde, während er, der kleine Junge, als Sieger des Spiels das KZ verlässt. Vielleicht würde auch er reagieren wie Thomas Buergenthal. Dieser kann sich nicht konfrontieren mit Bildern aus jener Hitler-Zeit, weil es ihn emotional zu sehr mitnimmt. Er ist sensibilisiert für das Leid, aber genau dadurch sensibilisiert für Recht und Unrecht, deren Einhaltung er zu seinem Berufsinhalt wählte – wenn diese Erfahrungen nicht als direkte Berufung zu verstehen sind. Das Leid wurde ihm zur Triebfeder in seinem Beruf, was keine Selbstverständlichkeit, aber auch keine Seltenheit ist. Erfahrungen werden auf viele verschiedene Arten und Weisen verarbeitet. So können negative Erfahrungen auch emotional verdreht als heilbringend, also gut, deklariert werden, wie Alice Miller schrieb, wenn nicht benannt werden darf, was bestimmte Erfahrungen tatsächlich bedeutet haben! Das „Wie“ oder die „Art und Weise“ wird zum alten Trägerstoff, der das vermeintlich „Gute“, den „neuen Inhalt“, transportiert. Dann wird Negatives in vermeintlich Positives, so der naive Glaube des Menschen, verkehrt. Diese Nahtstelle ist sehr genau unter die Lupe zu nehmen oder zumindest zu bedenken und klarzustellen.

Angesichts dessen, was in unserem Leben, in unserer Kultur, in unserer Gesellschaft vor sich geht, stellt sich die Frage: Was können wir tun? Um zur Beantwortung dieser ersten Frage zu kommen, müssen zunächst andere Fragen gestellt werden: Was vermögen wir zu sehen? Und was können oder wollen wir nicht sehen? Wie weit können wir gehen mit dem, was wir nicht sehen wollen? Was geht, was geht nicht? „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas hervorrufen?“, fragte Edward Norton Lorenz, Entwickler der Chaostheorie und Erfinder des „butterfly effects“ 1960 in einem seiner ersten Vorträge. Inzwischen wissen oder glauben wir: Er kann.

Zumindest wird es wissenschaftlich so gesagt – der Vorteil einer solchen Sichtweise liegt mittlerweile politisch mittels Übertragung auf der Hand: Niemand vermag mehr zu sagen, was eigentlich die Ursache von Naturkatastrophen, Einbrüchen am Aktienmarkt oder sozialen Umstrukturierungen sind. Dies bedeutet, die Grundaussage der Chaostheorie wurde als Beleg in der kapitalistischen Wirtschaft benutzt, um sich jeglicher Verantwortung entledigen zu können: Man kann nicht mehr sagen, was die Ursachen sind, weil die systemischen Einflüsse weder absehbar noch nachvollziehbar sind oder werden! Das heißt weiter: Man geht im Kapitalismus vor wie die Züchter: Gut bei Gut – das Schlechte wird aussortiert, weil es nicht den Gewinn erhöht. Inzwischen ist das „Schlechte“ nicht mehr fehlende Erneuerung von Produktionswerkzeugen oder Technik, sondern Menschen. Zu viele Menschen und zusätzlich am falschen Ort schmälern die Profitrate. Jahrzehntelang sind Menschen mit dem Leistungsprinzip, dem das Prinzip der gerechten Bezahlung für Leistungen in der Marktwirtschaft zuaddiert wurde, eingestuft worden. Dieses Denken griff ebenso auf Bildungs- und Fortbildungsstrukturen zu, die diejenigen von vornherein minder bedachten, die den staatlichen Weg der Volks-, später Grund- und Hauptschulen gingen. Züchtungen, die Gewinne verbürgen, werden als kreative Raketen gestartet und erscheinen als schnelle Märkte, in denen kurzfristig Kapital eingesetzt und kurzerhand ohne Rücksicht auf Verluste Mensch und Natur vermehrt wird. Das wirtschaftliche Erscheinungsbild gleicht der Theorien- und Erklärungsebene der Chaosforschung. Man weist dem unschuldigen Schlag eines Schmetterlings die ursächliche Position als Auslöser und Ursache dramatischer Veränderungen zu! Der Kapitalismus macht sich diesen wissenschaftlichen Umstand zur Schuld- und damit Verantwortungsabwehr zunutze – und züchtet ökonomische Schmetterlinge. Nach der Metamorphose mausert sich die kreativ mit Kapitaleinsatz entwickelte Idee zum Schmetterling. Wenn dieser Schmetterling dann den gewünschten Flügelschlag tut, der nahezu nicht mehr erklärbare Entwicklungen freisetzt, kann kaum noch die ausschlaggebende Ursache benannt werden. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der aus Sicht der Entwickler kreativer Ideen erzielte Gewinn wird als positives Ergebnis bis an die Zähne bewaffnet verteidigt. Die negativen Folgen für Mensch und Natur werden abgewehrt und verleugnet. Aufgrund der Komplexität sei nicht mehr feststellbar, wer Verantwortung und gegebenenfalls Schuld trage, ist die wohl am häufigsten geäußerte Abwehr. Diese unscheinbaren, bis zur Anonymität gehenden und nicht mehr ursächlich feststellbaren Einflüsse sind der Verantwortung mittels der theoretischen Übertragung aus den Chaostheorien auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse enthoben. Zufall, Komplexität und nicht um Folgen Wissen können, werden zu Apologeten einer letztlich positiv skizzierten Zukunft, die grenzwertig in der Gegenwart Zerstörung von Mensch und Natur aufgrund ökonomischer Gewinne in Kauf nimmt. Eine fusionierende Bank, ein Militäreinsatz der Friedenstruppen, der oder die G8 bis G10-Gipfel, die Reformen im deutschen Gesundheitswesen, wo wird der Schmetterling gestartet, der den letzten Schlag in der Kultur vollzieht, der dann endgültig alles zum Erliegen bringt? Wir wissen nicht, was demnächst passiert und wer den Schmetterling fliegen lässt.

Damit stelle ich fest, dass es jemanden gibt, der Verantwortung trägt – die er nicht tragen will und die wissenschaftlich abgesichert erscheint. Nur die Folgen, aber nicht der Urheber sind dem Tageslicht ausgesetzt. Vorzeichen wollen nicht gesehen und als Handlungsgrundlage anerkannt und begriffen werden. Hinterher können wir uns fragen, was wir eigentlich nicht sehen und fühlen wollten – dann gibt es plötzlich doch Hypothesen, weshalb das passieren konnte.

Fehlende Verantwortungsübernahme indiziert Schutzlosigkeit für diejenigen, für die Verantwortung zu tragen wäre. Populäre Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. butterfly effect) zum Zwecke der Rechtfertigung, Verantwortung nicht tragen zu müssen, nährt den Boden des „Nichtwissen- oder -ahnenkönnens“ im Menschen und erzeugt Werteverschiebungen. Grenzenlosigkeit a là „Es wird schon gut gehen, egal wie viele und welche Grenz- und Richtwerte nicht eingehalten werden“ beschreibt eine extreme und verantwortungslose Haltung ebenso wie „Es wird einmal ein Wunder geschehen“ und „Alles wird gut!“ mystische Hoffnungs- und Glaubenslehren fördern. Beide tragen als gemeinsames Merkmal fehlende Verantwortung und prägen damit gleichfalls eine Zukunft, die maßgeblich blind durch fehlende emotionale Kenntnis, Faktenlage und Bewältigung der Vergangenheit ist und durch gegenwärtige Reaktionen auf Symptome an der Oberfläche gestaltet wird. Die Zeit, auf Teufel komm raus Fehler zu machen, muss einer Zeit weichen, aus der aus Fehlern zu lernen ist. Wissen und Fakten liegen genügend vor. Gegenwärtig lebt vermutlich die größte Zahl studierter und informierter Menschen auf Erden, die es überhaupt jemals gab. Aber Wissen und Erkenntnis über Mensch und Natur wird zu deren Nachteil und Schaden eingesetzt, statt zu deren Erhalt. Wissen und Erkenntnis waren jedoch Triebfedern, um deren Willen immer weiter geforscht, gelehrt und experimentiert wurde. Nun ist all dieses Wissen, Erfahrung und Erkenntnis unter dem Hammer der Ökonomie einer kapitalistischen Wirtschaft gelandet, die wie ein Junky an der Nadel des Profits hängt und sich nicht in den oft zitierten ethischen und moralisch formulierten Griff bekommt. Profit ist die in Gesellschaften und Menschen künstlich implantierte und wirkende Entelechie des Kapitalismus. Die Seele, die Aristoteles noch als die Entelechie eines Körpers hypostasierte, ist von Menschen, die sich für den lieben Gott, für universale Weltenmacher halten, abgelöst worden. Alles, jede Regung, jede Lebensäußerung, jeder Gedanke und jede Zelle ist schlussendlich auf den Geldwert getrimmt. Die Fehler, die in der Ökonomie gemacht wurden und deren Folgen Verluste von Profit bedeuteten, sind bestens analysiert. Gleichfalls wurde Technik und Systematik von Organisations- und Kommunikationsstrukturen immer weiter verfeinert und verbessert: Konsequenz dieser Entwicklung war immer, sie gegen die Seele, die Psyche, menschliche Körper und Natur einzusetzen.

Harald Schmidt freut sich währenddessen diebisch, wie im Interview mit Tina Hildebrandt („Ich will mehr Skandale“, in: Die ZEIT, Nr. 10., 28.2.2008, S. 6): „Ich habe kürzlich eine sensationelle Sendung im WDR gesehen: drei Hartz-IV-Empfänger, die mit ihrem Leben zufrieden sind. Die Reporter waren verzweifelt, die wollten hören: ‚Ich will einen Job, lasst mich hier nicht so hängen. Aber die Leute saßen rauchend in einer schönen Wohnung und sagten: ‚Ne, danke, reicht!’ Der zufriedene Hartz-IV-Empfänger - das ging wirklich schon ins Philosophische.“ Wohlwollend könnte man Harald Schmidt unterstellen, er übertriebe, um den Hartz-IV-Empfängern bewusst zu machen, dass hier lediglich Oberfläche mitgeteilt sein solle. Letztendlich wirkt die Begeisterung Harald Schmidts jedoch eher wie Hohn und Zynismus. Eine derart an Flachheit interessierte Skandalphänomenologie, die darauf bedacht ist, den Weg für immer wieder herbei zu redende Ideologiefreiheit zu räumen und einen falsch verstandenen Homo Ludens (Huizinga, 1956) – ebenso falsch verstanden und benutzt wie im ökonomischen globalistischen Schlagwort „Wettbewerb“ – unausgesprochen favorisiert, wird sich auch weiterhin an der existenziellen Zerreißprobe zwischen Unten und Oben erfreuen. Es geht halt immer noch ein bisschen flacher – und auch immer noch ein bisschen doller. Verletzung von Grenzen durch Zynismus, intellektuelle Überlegenheit und Wissen wird zur beklatschten Pseudo-Philosophie.

Letztendlich bin ich der Meinung, dass die Freude am Phänomen, Skandal und Deutungsvielfalt nicht in legitimierte generelle Bestätigung unhaltbarer Verhältnisse münden sollte. Möglicherweise kann die Lektüre des vorliegenden Buches zur notwendig weiter zu führenden Differenzierung und einem erweiterten Verständnis beitragen, weshalb die Hartz-IV-Empfänger sich im Interview in der oben beschriebenen Form präsentier(t)en.

Dies jedoch als möglichen Beleg zu verwenden, es sei in Deutschland alles in Ordnung, da Hartz-IV-Empfänger rauchend in ihrem Wohnzimmer sitzen und Zufriedenheit zur Schau tragen, und damit Anpassungsleistungen im Unten auch noch der doppelten Lächerlichkeit wie Demütigung preiszugeben, ist schon stark. Zwischen Oben und Unten sollte zumindest noch ein Rest von Anstand existieren, wenn schon die Einfühlung in andere Menschen fehlt. Schließlich wollte man doch seitens Ökonomie und einer mittels Medien manipulierten Kultur, dass Menschen möglich nichts mehr merken und gegen ihre eigenen, menschlichen Interessen handeln. Dann sollte man auch konsequent auf diesem Strang lebend und denkend, den Deckel drauf lassen und es anderen überlassen, ihn zu lüften! Denn es bliebe zu klären, wie es zu solch paradox anmutenden Verhalten kommt. Schamtheorien bieten hier eine Basis zur Betrachtung der Szene, die Fremdscham beim Leser oder Zuschauer freisetzen könnte.

Die fehlende Einfühlung drückt sich täglich in neuen wirtschaftlichen Entscheidungen gegen Menschen aus, die in Lebensstrukturen à la Hartz-IV hinein gestoßen werden. Es geht eher darum zu verstehen, wie Menschen eine solche Anpassungsleistung in sozial augenscheinlich völlig ungerechten politischen Verhältnissen dennoch ausbilden, dass sie schlussendlich auch noch zur Legitimation dieser gesellschaftlichen Vorgänge beitragen, sie bestätigen und noch oben auf zur Belustigung beitragen! Zynisch könnte man sagen, die Nebenwirkungen unserer Kultur sind auch in dieser Hinsicht unerschöpflich. Hier ist der Hofnarr zum Beispiel durch Harald Schmidts Wahrnehmung und Intellekt in Deutschland geboren. Und wer hat sie bezahlt? Haben diese Hartz-IV-Empfänger ein Honorar vom WDR erhalten? Wohl kaum, dieses Statement, mir geht’s gut, kostet nichts. Es reicht zur Legitimation wie zur ironischen Lachnummer in der Kultur.

Diese ausschließlich an Profit- und Erfolg orientierte Oben-Haltung wird Menschen nicht retten, nicht gesunden lassen und vor allem nichts auf der Welt besser werden lassen. Menschen werden so, wie sie sind, in alle Ewigkeit konserviert – und damit auch Rechts- und Unrechtsstrukturen.

Wenn wir sehen, was sich im Namen der Zufälligkeit durch fehlende konkrete und generelle Verantwortungsübernahme im Leben von Menschen und weiter, in der Welt ereignet, werden wir es vielleicht hinterher nicht mehr sehen wollen, weil die Gefühle uns überschwemmen. Ein weiterer Grund, Verantwortung abzulehnen. Schutz bietet hier als letzte Abwehr Gefühlskälte. Dann kann man sich auf Kosten anderer amüsieren. Vielleicht sehen wir aber auch gar nichts, weil es uns abgenommen wurde, noch etwas sehen zu können oder überhaupt zu wollen: Weil uns gesagt wird, wie wir etwas zu sehen und zu verstehen haben – oder uns wird gar ein völlig falscher Film gezeigt. Bei diesem vielen „Sehen“ kann einem schwindelig werden, aber nur dann, wenn man seine eigene Geschichte nicht genau weiß und einem Schwindel unterliegt, wie man so sagt. Denn ansonsten würde man fühlen, was die eigene Wahrheit ist, und Krankheits- wie Sozialsymptomen auf die Spur kommen wollen und können. Dann weiß man einfach, wo die Wahrheit zu suchen wäre. Denn, so meine Hypothese, es gibt ihn immer noch, den klaren Blick und das untrügliche Gefühl für Wahrheit.

Das ist die gute Botschaft. Aber wer wagt sich angesichts von allumfassender Komplexität noch an Grundsatzfragen heran und bescheinigt sich selbst, zu wissen, wie sich was verhält und was die Wahrheit ist?

Wie bekannt, gibt es in jeder Familie „Filme“, die die ganze Familie im stillen Einverständnis und unangesprochen immer wieder sieht. Entsprechend laufen das gesamte Familienleben und deren Bedeutungsgebung ab. Wenn aber ein Familienmitglied darunter ist, das sagt: „Da stimmt doch was nicht!“, wird derjenige, der nicht mehr mitspielt, konsequent ausgeschlossen, bevor auch noch der Rest der Familie in seiner Meinung einbricht und vielleicht anderen Sinnes wird. Mit Meinungsmache sorgt man auch politisch dafür, dass alle wieder auf Spur kommen. Man versucht, die alte Tradition, die alte Sichtweise, den alten Film zum Schaden der Mehrheit wie zum letztlich eigenen Schaden aufrecht zu erhalten und weiter abzuspulen, um sich selbst wie denjenigen vermeintlich zu schützen, der droht, entlarvt zu werden, wenn die Wahrheit ans Tageslicht käme. Die Abwehr muss nicht einmal bewusst sein, nicht einmal böse gemeint sein. Sie ist dann allerdings umso wirkungsvoller. Aber sie ist und wird böse – daran geht kein Weg vorbei –, wenn sie immer weiter verfeinert und gefestigt wird. Ein schwieriger und steiniger Weg! Denn wer wollte den im Grunde so lieben Menschen, ob in Familie oder Politik oder in der Wirtschaft etwas nachsagen wollen? Realisiert wird in solchen Fällen weder in Familien noch offenbar in Politik und Wirtschaft, dass man damit unzählige Schäden, Verletzungen, Krankheiten und Strukturierungen von Lebensläufen, Ungerechtigkeiten wissentlich oder unwissentlich in Kauf nimmt. Nur zu einem Zweck: Alles bleibt, wie es immer war – schön aufgeteilt in Besitzende und Besitzlose. Man will partout nicht begreifen, was diese Haltung inhaltlich für das Leben bedeutet.

Die Frage, welches Land und welcher Boden einem Menschen zugehörig ist, ist ebenso brisant wie die Frage, ob dem Menschen noch seine Seele gehört. Der Körper ist ihm nachhaltig abgeknöpft worden: Körper sind Materie, mit der man wirtschaftlich arbeiten und die als Munition in Kriegszeiten eingesetzt wurde und wird. Die Methoden, ihn zu benutzen und strategisch einzusetzen, sind ungezählt wie die Formen, mit ihm Geld zu machen. Lebt diese „Materie“ als der jeweilige Mensch weiter, hat sie/er das Erlebte nicht vergessen, und ob es jemals vollends psychisch und körperlich verarbeitet wird und die Sehnsucht nach Einheit und Gesundheit erfüllt, ist stark zu bezweifeln. (Siehe unten auch zu Hustvedt in: „Die doppelte Frau.“)

Nun hat das mächtigste Organ der Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat, unter der Nummer 1820, eine Resolution verfasst, für deren Anerkennung Frauen seit Jahrzehnten gekämpft haben: Sexuelle Gewalt habe das Ausmaß einer globalen Krise angenommen. Diese Resolution wurde auf dem Hintergrund der Tatsache verfasst, dass im Ostkongo 70 % aller Frauen seit 1997 durch Rebellen, Soldaten und Milizionäre vergewaltigt worden sind: „Seit 2002 herrscht im Kongo offiziell Frieden. Die Vergewaltigungen gehen weiter.“ (Andrea Böhm, 2008, Titelseite).

Der Sicherheitsrat hat anerkannt, „dass Vergewaltigungen immer wieder als Kriegsstrategie eingesetzt werden und als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Teil eines Völkermordes zu ahnden sind. (...) Systematische sexuelle Gewalt ist kein soldatisches Kavaliersdelikt mehr, sondern – so steht es ausdrücklich in der Resolution 1820 – eine Gefahr für Frieden und Sicherheit. Genau wie Waffenschmuggel, Hunger und Terrorismus.“ (ebd. 2008.) Warum ist Vergewaltigung so wirksam? Antwort: „Der Körper des Opfers als Nachricht, als Aufforderung an die ganze Gruppe, zu fliehen. Für diese Form der Vertreibung müssen die Täter nicht mal Gewehrkugeln verschwenden. Und sie wissen, dass die meisten Opfer und ihre Familien aus Scham schweigen.“ (Böhm, 2008)

Im Oktober 2008 erhielt die Kölner Ärztin Monika Hauser den alternativen Nobelpreis, weil sie sich seit 15 Jahren gegen Vergewaltigung von Frauen einsetzt. Sie eröffnete 1993 das Therapiezentrum Mecia Zenica in Zentralbosnien und danach auch in Köln im „medica mondiale“, in dem sie weiblichen Kriegsflüchtlingen hilft. Sie sagt: „ Die Geschichten der vergewaltigten Frauen seien ‚tief in ihr vergraben’. Sie sind unvergessen, belastend, aber treiben sie auch an, im Kampf gegen die Kriegsverbrechen an Frauen, ‚die immer noch mit einem Handstreich vom Tisch der Geschichte gefegt werden.“ (Ruhr Nachrichten, 2.10.2008) Monika Hauser lehnte das Bundesverdienstkreuz 1996 wegen des Beschlusses der deutschen Innenministerkonferenz, die bosnischen Flüchtlinge trotz der damals instabilen und katastrophalen Zustände in Bosnien „zurückzuführen“, ab.

Vor über 30 Jahren wurde, gleichfalls wie in zig anderen Städten in Deutschland, über den Verein Frauen helfen Frauen ehrenamtlich ein Frauenhaus in Dortmund initiiert und nach vielen Querelen hinsichtlich der Finanzierung erkämpft. Eine ambulante Beratungsstelle für Frauen folgte in der Stadtmitte. An dieser Stelle möchte ich an die vielen Frauen erinnern, die ohne einen Pfennig für ihre Arbeit zu bekommen, Jahre und Jahrzehntelang für diese Möglichkeiten der Versorgung vergewaltigter, geschlagener und missbrauchter Frauen und Kinder kämpf(t)en. Sie werden in diesen politischen Zusammenhängen gleichfalls gern vom Tisch gefegt und ggf. für andere politische Zwecke benutzt. Wie Monika Hauser vergraben auch sie die gehörten und gefühlten Geschichten der Frauen tief in sich, die sie immer wieder antreiben, initiativ zu werden – so, wie mich selbst auch. Diese Geschichten leben in den Seelen und dem Leib der Opfer und derjenigen, die gegen Vergewaltigung, Missbrauch und Gewalt vorgehen und anarbeiten, weiter. Da Menschen, die wenig Berührung mit diesem Thema haben und deren Phantasie schnell ausgeht, was da zwischen Menschen im Falle von Vergewaltigung, Missbrauch und Gewalt vor sich geht und erlebt wird, könnte angeregt werden, diese Geschichten anonym zu sammeln und zu veröffentlichen – und wenn es möglich wäre, den weiteren Lebensweg zu erfragen und zu beschreiben, kann vielleicht verstanden werden, was es bedeutet, Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung erlebt zu haben. Die Schwierigkeit bei Opfern ist zum einen, über das, was sie erlebten zu sprechen. Sie erlebten tiefe Scham aufgrund der tiefen Verletzung ihres Selbstwertes und zusätzlich körperlicher Schäden und Verstümmelungen. Zum anderen wird diese gesteigert durch die hinzutretende gesellschaftliche Stigmatisierung und Vermutung, sie hätten die Tat provoziert und seien selbst Schuld an dem, was ihnen widerfahren ist. Warum Opfer dies so empfinden, beschreibe ich an anderer Stelle. Dass der Umgang mit derartigen Delikten immer noch emotional zwiespältig gepflegt werden kann, ist rückführbar auf Machtstrukturen, die von Männern gnadenlos gegen Frauen zum Zwecke der (abartigen) sexuellen Befriedigung, Genugtuung aufgrund von Rache oder anderen Vorteilen, wie politischen Vorteilen in Kriegsgeschehen (oder in Familien) zu verwirklichen. Um die Opfer zu schützen und sie keinen weiteren Traumatisierungen bzw. Retraumatisierungen auszusetzen, wäre mein Vorschlag, dass diejenigen anonymisiert berichten, die diese Geschichten von den Frauen unter Tränen und Schmerzen erzählt bekamen und diese tief in sich während der letzten 30 Jahre in Deutschland vergruben. Zu prophezeien wäre, wird dieser die Erlebnisse dieser Geschichten konservierende Deckel, geöffnet, verbreitet sich ein bestialischer Gestank über Deutschland und den Rest der Welt – nicht aufgeilend und pervertiert wie in den „Feuchtgebieten“ (Roche, 2008) zu lesen und nun auch noch hölzern auf der Bühne zu sehen, dafür hart an der seelischen Realität von Millionen von Frauen (und auch Männern). Männer, die diese Taten verüben und verübten, gehören zu diesen Erlebnissen dazu. Geschichte wird mit derartig nicht gesagten und verheimlichten Geschichten geschrieben und dient Machtstrukturen, die sich aus Schweigen und Scham erhalten. So zeigte eine repräsentative Umfrage, dass rund 40 Prozent aller Frauen ab dem 16. Lebensjahr in Deutschland körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Dr. Cornelia Goesmann teilte weiter mit, dass oftmals schlimmer als die unmittelbaren Auswirkungen von Gewalt die langfristigen Folgen für den Gesundheitszustand der Betroffenen sind. Weiter: „Menschen mit chronischen Schmerzen und mit chronischen psychischen Behinderungen haben in großem Ausmaß frühe Gewalt erlitten; Frauen, die als Kind geschlagen wurden, leiden etwa elfmal so häufig an Gelenk- und Rückenschmerzen wie Frauen, die eine glückliche Kindheit hatten; Kinder, die sexuell missbraucht wurden, leiden später an einem dreimal höheren Risiko für chronische Schmerzen – einem der Hauptprobleme in der allgemeinärztlichen Praxis.“ (Thomas Gerst, 2008, S. 560) Spätfolgen seien schwierig zu erkennen, wie auf dem Symposium am 30./31.Oktober 2008 unter dem Titel „Gewalt macht krank – Herausforderung an das europäische Gesundheitssystem“ mitgeteilt wurde. Ebenso wurden unter dem Titel „Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter – handeln statt misshandeln“ ältere Menschen bezüglich ihrer Erfahrungen thematisiert.

Angesichts der immer noch in Kauf genommenen Gewalt in der Gesellschaft wäre weiter eine Unterstützung einer Studie mit dem Titel „Was kostet die Gewalt?“ anzuregen, wie es Harald Schickedanz formuliert und damit gerade sein Studium "Betriebswirtschaft im Krankenhaus" abschließt. Er erstellt als Semestereinsendearbeit eine Investitionskostenrechnung zu einer Präventionsmaßnahme. Diese Maßnahme ist: „Die Stadt Dormagen schickt jeder Familie mit einem Neugeborenen eine Sozialpädagogin/Fachfrau ins Haus, um das "Klima" zu prüfen in Richtung Hilfsbedarf und hat, wie ich hörte, damit gute Erfahrungen." (E-Mail-Verteiler Michaela Huber 29.12.2008), die diese Anfrage von ihm nach Unterstützung an Kollegen weitergab, mit. Das ist eine sehr gute Frage, die zu erweitern ist, was Gewalt in jeglicher Form, also nicht nur an Säuglingen und Kindern, sondern auch an Jugendlichen, Frauen und auch an Männern, die in Kriege geschickt werden, neben all dem Leid, was sie ertragen mussten und müssen, kostet.

Ergänzt sei, dass Dr. med. Angelika Claußen, niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, dem Verein IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomskrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung“ seit 2005 vorsitzt. Sie sagt in einem Interview mit Sunna Gieseke und Dr. med. Birgit Hibbeler: „Wir Ärzte sind aus unserem beruflichen Verständnis heraus für das Leben und für die Gesundheit der Bevölkerung zuständig. Krieg ist das größte Desaster überhaupt – eine menschengemachte Katastrophe, die verhinderbar ist. Wir sehen es daher als unsere ärztliche Aufgabe an, etwas für die Verhärtung von Kriegen zu tun. (...) Selbstverständlich helfen wir kranken Soldaten, aber wir lassen uns nicht für den Krieg instrumentalisieren. Wenn ein Soldat an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt, dann stellt der Krieg die Ursache für diese Erkrankung da.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1 Januar 2010, S. 8 –9)

Die Frage, warum Ärzte ihre Hilfestellung nicht verweigern, wird so von Claußen beantwortet „Weil diese Soldaten Hilfe brauchen, weil ihre innere Welt, ihre Seele, zerbrochen ist, weil sie mit sich selbst und ihren Angehörigen und Freunden nicht mehr zurechtkommen.“ (ebda, S. 9) Die Anzahl traumatisierter Soldaten wird durch die Einsätze in Afghanistan weiter steigen – wie können sie versorgt werden:

„Selbst wenn die Bundeswehr Psychotherapeuten aus dem zivilen Bereich mit einbezieht, wird das nicht leicht. Es ist einfach eine Realität, dass es nicht einmal für zivile Traumatisierte ausreichende Behandlungsplätze gibt.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1, Januar 20010, S. 9)

Ein Psychiater und Neurologe, der zusätzlich psychotherapeutisch arbeitet und in New York praktiziert, wird im Spiegel im Rahmen des Artikels „ Die doppelte Frau“, in dem es um ein Buch von Siri Hustvedt geht, wiedergegeben:

„Und wenn man ihn fragt, wie es denn sein könne, dass eine Gesellschaft, die doch im Vergleich zu den meisten Epochen in relativem Frieden und Wohlstand lebt, so viele empfindsame Menschen hervorbringe,, ,dann schüttelt er nur den Kopf: ‚Man sieht oft die psychischen Auswirkungen der vergangenen Kriege, und dann gibt es immer neue, so dass in dieser Hinsicht gar nichts wirklich besser werden kann. Dies ist die Stadt des 11. September. Und dann gibt es Kriege in den Familien – nicht nur in den USA scheitert jede zweite Ehe, und das bringt unzählige Scheidungskinder hervor. ‚Menschen kämpfen immer mit Verlust. Manchmal wird das psychisch, aber oft nur körperlich ausgedrückt.’“ (Susanne Beyer, 2010, S. 113 – 114)

Huestvedt macht sich in ihrem Buch „Die zitternde Frau – Die Geschichte meiner Nerven“ selbst zum Objekt auf der Suche nach einer Erklärung für ihre Krankheit und ärgert sich über die Trennung von Geist und Körper in der Medizin, findet aber keinen Ursprung für ihre Verdoppelung: „Je vertrauter die zitternde Frau wird, umso mehr geht sie von der dritten in die erste Person über, kein gehasstes Double mehr, sondern ein zugegebenermaßen behinderter Teil meines Selbst.“ (Spiegel, 2/ 2010, S. 11) Hier wird der Kampf einer Frau mit einer Nervenkrankheit beschrieben.

Realität ist, dass Millionen von Menschen täglich mit Verdoppelungen kämpfen, die an Symptomen ablesbar werden und das Leben von Menschen spalten, wenn nicht vollends zerstören, weil sie schlicht nicht mehr so ihr Leben gestalten können, wie sie das möchten.

Angesichts der vielfältigen und nachteiligen Entwicklungen des Kapitalismus – und Kriege und deren Auswirkungen waren immer ein Mittel neben zahlreichen anderen, um die Wirtschaft in Schwung zu halten und Macht zu etablieren und damit Unterordnung zu erhalten – bleibt nur zu hoffen, dass es auch Schmetterlinge gibt, die uns aus dem gegenwärtigen Chaos des Wettbewerbs sicher zu anderen Ufern tragen, um wieder Mensch zu werden, um als Mensch und Menschheit leben zu können. Gesund, munter und sicher. Das wird aber nur mit Menschen, die Verantwortung übernehmen, gelingen. Diese Menschen werden sich dann auch dem Tageslicht aussetzen, so wie der eben zitierte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Wir leben konzentriert und fixiert in einer Zeit, in der Vergangenes danach schreit, aufgearbeitet, gefühlt, verstanden und integriert zu werden − und gleichzeitig müssen die richtigen Grenz- und Richtwerte in jeglicher Hinsicht gefunden werden, damit wir zukünftig noch sehen und fühlen können, wie weit wir entweder gegangen sind oder nicht hätten gehen sollen oder doch letztlich richtig entschieden haben. Die Verantwortung, die wir gegenwärtig tragen, ist immens: Weil wir inzwischen mehr erfahren haben. Weil wir inzwischen alle mehr wissen: Wir wissen, dass Kriege und Repressionen weit über die Gegenwart hinaus wirken. Wir wissen um Kinder in Vietnam, die heute noch mit Verstümmelungen durch den Einsatz chemischer Waffen während des Krieges, den ihre Eltern leibhaftig erlebten, geboren werden und leiden. Wir wissen auch, dass Menschen seelisch zerstört werden können, wenn der Körper nicht verstümmelt ist. Das wissen wir inzwischen anerkannter Maßen aufgrund von Studien bezüglich Missbrauchs-, Vergewaltigungs- und Kriegsopfern. Diese Art und Weise der Methodik wie die Zahl der Opfer, ist leider aufgrund ökonomistischer Reduktion des Menschen weltweit zu erhöhen. Dieses Wissen fordert im Prinzip ein Mehr an Verantwortungsübernahme – diese erfolgt aber nicht.

Was also vermögen und wollen wir? Wofür übernehmen wir Verantwortung? Gibt es Momente, die alles andere außer Kraft setzen und alles verändern? Und inwiefern erlauben wir uns Dinge zu tun, nur, weil sie gehen? Politiker führen Anti-Terrorgesetze ein, weil sie glauben, Terroristen könnten durch diese Maßnahmen entdeckt und festgesetzt werden. Dahinter steht der Gedanke, es gäbe Terroristen, „weil es geht“, terroristische Attentate umzusetzen. Also will man alles hermetisch kontrollieren, damit nichts passieren kann und sperrt gleichzeitig alle Bürger mit in den Käfig der Beobachtung durch Staatswege. Kontrollen sollen dieses Risiko minimieren. Realiter scheint sich jedoch etwas anderes zu etablieren: Mittels Datenaustausch können Menschen schachmatt gesetzt werden. Die Ärmsten der Armen können Opfer der Staatsbürokratie werden. Mit ihnen werden Staatskassen aufgefüllt? Am 10. September 2008 ist in der Tageszeitung unter der Überschrift „Gutachten aus Gefälligkeit“ zu lesen:

„Vieles ist im Argen bei dem Jobcenter ARGE. Das Sozialgericht Dortmund wird seit Anfang 2005 mit Inkrafttreten von Harz IV von einer Klagewelle überrollt. Die Fallzahlen steigen weiter. Und bei den Sozialrichtern kursiert der Verdacht, dass die ARGE mittels ärztlicher Atteste manchen Arbeitslosen aus der Statistik kicken will.“ (Ruhr-Nachrichten. 10.9.2008). Der Sozialrichter Ulrich Schorn erläutert: „Die ARGE versucht, Menschen als nicht mehr erwerbsfähig einzustufen, damit sie dann dem Sozialhilfebereich zugewiesen werden können. Dadurch fallen sie auch aus der Arbeitslosenstatistik heraus.“ (Ebda.) Allgemein verweist der Ulrich Schorn auf hohe Fehleranfälligkeit bei den Mitarbeitern der ARGE, die auf Kompliziertheit der Gesetzgebung basiert.

Nicht beachtet worden ist in der Gesellschaft generell die Gefahr, Gefühle allgemeiner Verfolgung und Verweigerung von Hilfeleistungen wach zu rufen, aus denen wiederum Gefühle der Unfreiheit resultieren. Das Gefühl, dass es immer den kleinen Mann oder den Ärmsten trifft, scheint zunehmend mittels Zahlen und Folgen belegt zu werden. Der Terror der Bürokratie, der das Leben von Millionen von Menschen zur Marter werden lässt, scheint in Deutschland kein Thema zu sein. Zum Thema sollte jedoch werden, was Hartz-IV-Empfängern alles von der Unterstützung abgezogen wird, wenn sie sich etwas dazu verdienen oder sie erst aufbrauchen müssen, wenn sie noch über Sparbücher verfügen.

Ökonomistische Entscheidungen mit immensen Auswirkungen auf Menschenleben werden hingegen nicht gesetzlich hinreichend definiert. Wirtschaft kann diesbezüglich nicht kontrolliert und festgelegt werden. Infolgedessen auch nicht als menschenverachtend und in den sozialen Auswirkungen als psychoterroristisch eingestuft werden. Es müsste inzwischen in der Gesellschaft emotional und mental ein Konsens darüber bestehen, dass derartige wirtschaftliche Entscheidungen wie ad hoc- Entlassungen ebenfalls wie psychoterroristische Akte auf Menschen, die jahrelang ihrer Arbeit nachgingen, einwirken. Sie dienen keineswegs der Sicherung des Lebens von Millionen von Menschen im Sinne des Grundgesetzes und der internationalen Menschenrechte – und sie wirken dementsprechend wie eine Bombe auf Seele, Psyche und Lebensplanung der Betroffenen. Derartige wirtschaftliche Entscheidungen liegen gleichfalls auf dem Strang des weil es geht.

Festzuhalten ist, es gibt Millionen Opfer in Deutschland und zusätzlich rund um die Welt, die Opfer wirtschaftlicher Entscheidungen geworden sind, die auf Seele, Psyche und Körper der betroffenen Opfer in den Auswirkungen wie terroristische Angriffe wirken.

Weltenmacher sind Menschen, die Ursache und Wirkung anders erscheinen lassen, als sie sich tatsächlich ursächlich zueinander verhalten.

Ob bewusst oder unbewusst, muss geklärt werden und muss jeder auch für sich klären. Informationen, Tatsachen, Fakten oder was auch immer fehlen mag, werden nicht mitgeteilt; Geheimnisse werden bewahrt, die meist egoistischen Zwecken und Vorteilen dienen – ob in Familie, Politik oder Wirtschaft.

Halbheiten Analysen und Interpretationen zu unterziehen, bringt weder Wahrheit noch Sicherheit hervor, sondern das Gegenteil: Misstrauen. Die Inaugenscheinnahme von Hierarchien ist dabei wesentlich: Es macht wenig Sinn, Verantwortliche alleinig Oben oder Unten zu suchen. Noch weniger aufklärerisch ist es, Schuld und Fehlhaltung hin- und her zu schieben.

Dennoch ist der Faktor Macht und Einfluss wesentlich: Will man also grundsätzlich Veränderung zum Besseren in der Welt, scheint es mir angemessen, danach zu schauen, wer die Werte vorgibt und welche Interessen an ihrem Erhalt bestehen.

Was ist das Wichtigste in der gegenwärtigen Welt? Da gibt es leider nur einen unumstößlichen, hermetisch von allen Seiten gesicherten Wert, nach dem sich alles ausrichtet: Das Kapital und deren Vermehrung.

So wie die Verteidigung dieses Wertes innerhalb von 200 Jahren kapitalistischer Wirtschaftsordnung auf- und ausgebaut wurde, ist kein Mensch auf der Welt gesichert und geschützt. Der Mensch wurde immer ungeschützter, manipulierbarer und benutzbarer. Sukzessive wurden immer umfangreicher Seele und Natur des Menschen mit zunehmender Beschleunigung des Kapital- und Geldmachens mittels Lähmung und Ohnmacht entsichert. Gesellschaftsordnung und mit ihr im Schlepptau Versicherungen, versprachen und lösten oftmals nicht ein, was im Vorfeld ver- und besprochen worden war. Man hatte sich wohl versprochen? Oder hätte man wissen müssen, das Alchimisten, die sich in der Umwandlung von lebendigen und seelischen in totes und unwirksames Material pervers mittels Versprechen und Vertrag kommunikativ perfektionierten, sich mit dem Ziel aufgemacht hatten, nur die mit Geld und Kapital in der Sonne stehenden Menschen zu unterstützen und die anderen mittels Vertröstung in den existenziellen Sumpf zu verbannen?

Inwiefern überlassen wir den Weltenmacher an oberster Spitze (Wirtschaft und Politik) mit ihrer Schmetterlingszucht, dem Schleier wissenschaftlich akzeptierter Zufälligkeiten, für die niemand Verantwortung übernimmt, unsere Gegenwart und Zukunft? Nur, weil es geht? Der Spalt zwischen Oben und Unten wird auf diese Weise vertieft statt geschlossen. Welche Bedeutung haben dann Demokratie, Wahlfreiheit und Menschenrechte?

Welche Bedeutung hat der Mensch? Welche Bedeutung haben Seele, Leib und Leben? Die Anforderung an die psychische Verarbeitung in Menschen eines derart durch kapitalistische Wirtschaft und Geschichte gestalteten Lebens provoziert emotionale Erfahrungen in Menschen, die traumatisch genannt werden können.

Da ich ein Restvertrauen in unsere demokratische Grundordnung behalten habe und ich täglich von Menschen lesen oder sie im Fernsehen sehen und hören kann, denen es so geht wie mir, sprich, die über Informationen, Fakten, Erfahrungen und Konsequenzen nicht mehr hinwegsteigen können, veröffentliche ich meine Bücher zur Heillosen Kultur, in der Hoffnung, das Verhältnis, wie der Mensch zum Menschen steht, mit in eine positivere Richtung verändern zu können: dazu sind Ungleichbehandlungen im System zu betrachten, und gleichfalls Orientierungen an Mensch und Seele, die in unserer Gesellschaft zu kurz kommen.

Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1

Подняться наверх