Читать книгу Eden ohne Gott? - Dr. René-Lou van Brock - Страница 6
Was ist heute noch so interessant an Eden?
ОглавлениеIm Kapitel 2 Mose; Vers 16 geschieht etwas Besonderes: Da tritt kein allgewaltiger Schöpfer auf, der in wenigen Tagen das Universum entstehen lässt. Sondern Gott erscheint als Kommunikator. Er spricht nicht nur so allgemein in den Raum oder zu sich selbst wie bei der Schöpfung des Universums. Sondern er richtet das Wort gezielt an den Menschen, den er zuvor gemacht und in den Garten Eden gesetzt hat. Dabei übermittelt er spezifische Ge- und Verbote. 'Gott' schafft hier nicht mehr in rigoroser Endgültigkeit (wie zuvor geschildert) universale Tatsachen sondern er macht sozusagen 'Vorschläge'. Er gibt Anweisungen, deren Folgeleistungen er zwar nahelegt, mit denen er aber dem Menschen einen gewissen Freiraum, einen Handlungsspielraum gestattet. Er überlässt dem Menschen, ob er Folge leistet oder nicht. 'Gott' scheint sich hier zu wandeln vom ultimativen Schöpfer zum Kommunikator, und es sieht so aus als begäbe er sich damit auf eine völlig andere Ebene des Seins. Allerdings erscheint uns der qualitative Unterschied zwischen dem Metier 'Schöpfung' und dem Metier 'Kommunikation' derart grundsätzlich und die Zäsur so tiefgreifend, dass wir prinzipiell nicht annehmen, es könnte sich hier um denselben 'Gott' handelt. Wir gehen also davon aus, der kommunikative 'Gott' von Eden ist eine ganz andere, in sich geschlossene Interaktions-Entität mit einer, was Eden betrifft, ganz begrenzten Absicht. Dieser 'kommunikative Gott' begegnet uns zuerst in Eden — und nur da können wir ihn auch widerlegen.
Eden hat von Anfang an Projekt-Charakter. Deswegen ist der Stoff auch als Geschichte sehr handlich und hat schon in der kurzen Darstellung der Bibel in etwa den Charakter einer short story. Inhaltlich und formal trennen wir die Eden-Geschichte von der universalen Schöpfungsgeschichte vollkommen ab und nehmen sie als eigenständige formale und dramatische Einheit, als einen in sich geschlossenen Plot.
Wenn wir nun die Eden-Story hier neu erzählen, stellen wir alsbald fest, aktuelle Bezüge zur Gegenwart drängen sich immer wieder auf. Hier nur kurz einige, wenige Beispiele:
> Wir erwähnten schon, die Schöpfung Adams steht in der vorliegenden Eden-Geschichte überhaupt nicht in Konkurrenz zur allgemein akzeptierten Evolutionstheorie! Bei unserer Lesart von Eden handelt sich nicht etwa um eine Alternative zur Evolutionstheorie sondern um eine Ergänzung. Und hier ist die Nahtstelle, wo sie hineinpasst:
In der menschheitsgeschichtlichen Entwicklungskette verzeichnet die Paläoanthropologie nämlich einen 'qualitativen Sprung', einen Bruch in der Verlaufsform. Da meint man eine Lücke im Verlauf der phylogenetischen (stammesgeschichtlichen) Entwicklung ausgemacht zu haben, die bisher nicht schlüssig zu erklären ist. Man vermutet da ein fehlendes Bindeglied. Es wird als missing link bezeichnet. Die Wissenschaft geht davon aus, es müsse dort, an einer bestimmten Stelle, zwingend ein Bindeglied geben, das den Entwicklungsschritt zum Menschen kennzeichnet. Nur sei das Glied (z. B. mit archäologischen Methoden) noch nicht gefunden worden.
Dem halten wir nun auf der Basis unserer Eden-Geschichte entgegen: Hier 'fehlt‘ gar nichts dergleichen, sondern Eden markiert das 'missing link‘ der Paläoanthropologie. Hier in Eden ist in vitro (im Reagenzglas) der Mensch (Adam) entstanden, der in der Kontinuität der Evolution nicht nachweisbar ist — einfach weil es an dieser Stelle eben gar keine Kontinuität geben kann. Adam ist das 'missing link'.
Wir gehen also weder davon aus, dass der Mensch in Eden von Ursprung an neu geschaffen worden ist (creatio ex nihilo, aus dem Nichts)noch ist er eine Creatio ab ovo (vom Ei an) — wie das in den theologischen Proseminaren immer wieder diskutiert wird. Der Mensch ist nach unserer Version eine artifizielle Weiterentwicklung der Lebensformen, die auf der Erde vorrätig waren — ergänzt durch das Genom des 'Gottes' von Eden (' … nach seinem Bilde'!). Eden ist also ein experimenteller Quereinstieg in die laufende phylogenetische Entwicklung auf der Erde. Eden markiert damit das 'missing link' der Paläoanthropologie. (Übrigens: Logischerweise lehnen auch die Christen die paläoanthropologische These vom 'missing link' ab — natürlich mit dem gleichen Argument: Die 'Schöpfung' Adams.)
Einige der relativ hoch entwickelten Hominiden werden für die genetischen Versuche in Eden eingesammelt und später auf einer höheren, gleichsam 'veredelten' Stufe als Menschen (Adam, Eva), nach der Abwicklung von Eden als eigene Art wieder in die phylogenetische Entwicklung entlassen, mit der Auflageversehen, sich nie mehr mit den anderen Geschöpfen der Erde zu vermischen. Vor allem die Bestrafung 'Sodoms' und die Strafmaßnahme 'Sintflut' dokumentieren eindrucksvoll wie ernst es dem 'Gott' von Eden mit dem genetischen Reinheitsgebot des beseelten Menschen ist.
Interessant wäre natürlich, zu wissen, ob auch ohne Eden, d. h. nur auf dem Wege der kontinuierlichen Evolution, ein Mensch wie wir entstanden wäre. Aber das werden wir wohl nie erfahren.
> Eine rigorose Neuinterpretation von Eden ist auch besonders deswegen so interessant, weil wir kurz davor stehen, dieselben Fehler zu machen, derentwegen die damaligen 'Götter' in und an Eden gescheitert sind. Die brisante Aktualität des Stoffs trifft in ganz überraschender Weise auf unser heutiges Interessen-Spektrum. Stichworte sind etwa: Pränatal-Diagnostik (PND), Gen-Manipulation, Designer-Mensch, 'ewiges Leben' u. a. Wir können aus Eden nur lernen.
> Und dann natürlich dieser Punkt: Durch fehlgeleiteten Glauben ist in den letzten Jahrtausenden so viel unsägliches Leid über die Erde gekommen … Das alles aufzuzählen würde diesen Text in einem Meer von Blut versenken. (Während wir diese Zeilen Korrektur lesen, fliegen die Sprengsätze der Islamisten in Brüssel in die Luft.) Oder der tausendfache Missbrauch … und die Kirche schaut dazu nur etwas betreten beiseite. Dem Eden-Prinzip muss das Prinzip Bildung entgegenstehen: Wissen macht den Mächtigen Angst. Oder warum sprengen die Taliban in Pakistan ganze Schulen in die Luft und ermorden ganze Mädchenklassen?! Hier wird das sogenannte Eden-Prinzip (glauben — nicht wissen) in grausamster Weise ad absurdum geführt. Solche unfasslichen Verirrungen lassen sich nur durch Aufklärung verhindern.
> Hat man nun 'Gott' als mythologisches Prinzip weggenommen und den Rest der Eden-Geschichte vom metaphorischen Blei befreit, dann bleibt neben der allgemeinen quasi 'historischen‘ Erkenntnis nicht zuletzt ein äußerst spannender und unterhaltsamer Plot: Die Beteiligten (incl. die dort versammelten 'Götter') verwandeln sich plötzlich zu ganz konkreten Akteuren in einem unvergleichlichen, lebendigen Drama voller Irrtümer, Intrigen und Verräter. Das berichtete Geschehen in Eden bekommt wie von selbst einen realen und hoch dynamischen Bezug zu unserer Gegenwart. Regisseure wie Spielberg, Scott, Nolan oder auch Tykwer fänden hier einen hervorragenden Stoff — nur, es traut sich wohl keiner ...
> Und zuletzt vielleicht der spannendste Punkt, weil das zugrundeliegende Problem bis heute noch immer so überaus wirksam ist: Das Spannungsverhältnis zwischen Sexualität und Liebe: Dieser Konflikt ist in Eden entstanden und setzt sich bis heute fort — a never ending story.