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Ende und Anfang

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Zermürbend langsam verging die Zeit. Es schien geradezu, als ob die Uhrzeiger den extra langsamen und äußerst bedächtigen Gang einer schleichenden Schnecke eingelegt hätten. Durst und Hunger waren schon lange gestillt. Das Gespräch am Tisch drehte und dreht und drehte sich nur noch im Kreis. Immer wieder kamen Aufmunterungen, aber alles blieb wie es war. Kein Isi, kein Pony. Vivi fühlte, dass ihr die Tränen kamen. Was, wenn Kella und Kinning irgendwo tot oder verletzt waren? Wo, wo sollte sie sie suchen? Verdammt noch einmal, wo?

Vivi war sich sicher, dass Kella und Kinning schon in der Nacht losgelaufen waren, bald nachdem sie ihr Heu gefressen hatten. Kella und Kinning waren gut trainiert. Vivi ritt Kella oft lange Strecken. Kinning, Kellas Tochter, war erst vier und noch nicht angeritten. Isländer gehörten zu den spätreifen Rassen. Frühestens mit vier Jahren begann man sehr leicht mit dem Reiten. Aber Vivi hatte Kinning oft als Handpferd mit und das auch auf längeren Ritten. Zum ersten Anreiten sollte Kinning doch schon Ausdauer haben! Vivi schluchzte. Ob sie Kinning jemals reiten könnte?

Kinning hatte doch schon so viel gelernt, ließ sich super führen, gab anstandslos die Hufe und die Bodenarbeit lief ebenfalls super! Ab und zu hatte ihre Mutter ihr mit brauchbaren Tipps zur Seite gestanden, im Grunde wie eine Reitlehrerin, eben nur sehr sporadisch und fast immer unvorbereitet aus heiterem Himmel. Vivi war fasziniert vom Pferdeverstand ihrer Mutter, die so gar keinen Pferdeduft im Haus dulden wollte. Jedes Mal wieder fragte sie sich, warum Eva nicht mehr ritt, denn früher musste sie doch geritten sein. Eva hatte allen Versuchen Vivis, sie aufs Pferd zu bekommen, getrotzt, vehement. Und Papa Kristoph wusste bestimmt mehr, schwieg jedoch wie ein vermauertes Grab.

Vivis Gedanken kehrten zurück. Sie stellte gedanklich noch einmal klar, dass die Ponys Kondition hatten. Hinzu kam ihre instinktive Pferdeseite - sie waren Fluchttiere. Zusammengenommen bedeutete dies, dass sie irgendwohin, mehr oder weniger kopflos, kilometerweit gelaufen sein konnten. Sonst wohin. Diese Gedanken munterten Vivi keineswegs auf.

„Vivi,“ riss Eva sie aus diesen Gedanken, „vom Herumsitzen wird die Arbeit nicht weniger. Du kannst genauso gut den Paddock abäppeln und alles fertig machen! Wenn jemand anruft, bin ich ja hier.“ Pragmatische Eva! Vivi wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging in die Diele und zog wieder die Fettlederschuhe an. Ihr Blick fiel auf die vereinsamten Halfter, die ordentlich an ihren Haken hingen. Noch so ein Punkt, schoss es Vivi durch den Kopf, denn wie sollte jemand die Pferde festbinden oder fangen, wenn sie nackt, halfterlos waren? Vivi selbst hatte nie Probleme, sie ohne Halfter zu fassen zu bekommen. Beide ließen sich auch sehr gut aufhalftern. Nur nicht, wenn sie gerade erst ein paar Minuten auf der Weide waren und fressen wollten. So ließ Vivi sie grundsätzlich ohne Halfter laufen, sowohl auf der Weide als auch im Paddock. Halfter waren immer Gefahrenquelle für Verletzungen, egal wie gut sie saßen. Vivi hatte zudem niemals Zweifel daran, dass sie ihre Ponys aufhalftern konnte. Ihr Vertrauen in sie war bodenlos tief.

Ja, in Vivis Augen waren die Ponys einmalig grandios. Sowohl Kella als auch Kinning waren absolut verkehrssicher, beide konnten lange Zeit ruhig angebunden stehen und sie konnte jedes Pony für sich allein nehmen, ohne dass es am anderen klebte, unwillig wurde oder ängstlich. Das hatte Vivi sehr früh mit ihren Isis geübt und war stolz darauf. Manchen guten Tipp hatte sie auch von ihrer Mama bekommen. Es blieb unglaublich, dass Eva selbst nicht ritt...

Vivis Gedanken schweiften weiter. Sie wusste, dass Kristoph sehr lange mit ihrer Mutter geredet hatte, bevor sie Kella und Kinning bekam. Irgendetwas, da war Vivi sich sicher, hielt ihre Mutter vom Reiten ab. Irgendein Erlebnis? Eva erzählte nichts und Vivi bohrte auch nicht mehr weiter, wie sie es früher versucht hatte. Sie hatte zu deutlich gespürt, dass Eva sehr abweisend und wütend werden konnte, wenn sie dieses Thema anschnitt. Außerdem fand Eva dann immer Beschäftigungen für Vivi, die vom Thema ablenkten und nicht zu Vivis bevorzugtem Zeitvertreib gehörten. Vivi zuckte mit den Achseln und murmelte: „Kommt Zeit, kommt Rat!“

Aus der kühlen und angenehm schattigen Diele trat Vivi in die späte Vormittagssonne, die schon heiß brannte. Automatisch, als ob sie programmiert wäre, ging sie zur Mistplatte und sammelte die ordentlich bereitstehenden Geräte, den Äppelboy und die Forke, auf die Schubkarre. Geräuschvoll rumpelte sie mit der beladenen Karre den Weg zum Offenstall. Keine Kette versperrte ihr den Weg...

„Vivi,“ schimpfte sie mit sich selbst, „es ist passiert, nun musst du da durch!“ Das war zwar richtig, aber auch nicht tröstlich. Vivi begann mit dem Stall, doch im Stroh lagen nur zwei verwaiste Haufen Pferdeäppel, im Auslauf, dem Paddock, waren es auch kaum mehr. Viel zu schnell war die Arbeit getan. Die Ponys mussten wirklich früh ihre Chance ergriffen haben...

Viel zu früh hatte Vivi alles nach dem Misten wieder ordentlichst weggeräumt, es gab nichts mehr zu tun. Aus der Werkstatt ihres Vaters hörte sie Bohrgeräusche. Auch Kristoph war am Werken.

Vivi füllte als letztes noch die Futtereimer für den Abend. Normalerweise waren die Pinys jetzt ein paar Stunden auf der Weide... Doch, sorry, was war an diesem herrlich sonnigen Sonntag schon normal? Vivi wollte sich beschäftigen, aber ihre Arbeit war bereits getan. An einem anderen Tag hätte sie sich darüber gefreut. Heute wünschte sie sich, dass die Arbeit ewig gedauert hätte...

„Komm, Vivi,“ munterte sie sich selbst auf, „dann putzt du endlich mal Sattel, Trense und alles andere... Muss doch auch gemacht werden!“ Sie tauchte wieder in den Schatten der Diele ein und holte sich als erstes den Sattel, welchen sie über das Paddocktor legte. Danach kramt sie Sattelfett, Lappen, Bürste, Sattelseife und einen Putzeimer hervor. In den Eimer füllte sie etwas Wasser, dann trug sie alles zum Sattel. Vivi löste gerade die Schnallen vom Sattelgurt, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte.

„Vivi! Herr Hansen hat angerufen! Seine Tochter Marit hat heute morgen zwei Ponys eingefangen und auf die Hausweide gestellt! Nun war er zum Turnierplatz gefahren , um zu fragen, ob die Ponys vermisst werden! Da bekam er unsere Telefonnummer. Also, den Ponys geht es bombig, die Nasen stecken im leckersten Gras!“

„Juchhu!!!“ Vivi rannte zu ihrer Mutter und umarmte sie erleichtert. Eva kam es vor, als ob sie erdrückt würde! Kristoph kam ebenfalls angestürzt.

„Puh,“ sagte er, „dann wollen wir mal die Ausreißer heimholen, oder? Wo wohnt denn der Herr Hansen?“ Typisch Kristoph, er war sofort wieder beim nächsten Schritt, während in Vivi alles pochte und hämmerte, in ihr alles zu jubeln und vor Freude zu hüpfen schien!

„Zwei Ortschaften weiter,“ antwortete Eva, „im Außenbereich Du musst in Hackstedt Richtung Wiel abbiegen und dann weiter fahren, am Wald vorbei und bei der nächsten Kreuzung geradeaus. Der erste Hof auf der linken Seite ist es dann. Der Stall hat grünes Blech und zur Straßenseite hin steht ein Feldstein mit ‘Hansen’ darauf.“

„Ich hole Trense, Halfter und Stricke!“ rief Vivi, die nun auch wieder handlungsfähig war und klare Gedanken fassen konnte. So schnell wie möglich wollte sie jetzt zu ihren Lieblingen. In Windeseile hatte sie alles zusammen, sämtliches Zaumzeug sowie die Putztasche und eine Bauchtasche mit Leckerlis. Kristoph packte alles in den geräumigen Kofferraum des betagten silbernen XM Breaks, den er manchmal liebevoll als seine Großraumsänfte bezeichnete. Kristoph hatte sich fasziniert in die Schwebetechnik von Citroën eingearbeitet und nahm alle Herausforderungen an, die das Instandhalten der alten Dame bot. Entsprechend hatte er sich seine Autowerkstatt eingerichtet. Im Nebengebäude von Tant’ Maries Hus war es ihm endlich möglich geworden, alles geordnet unterzubringen. So war es kaum verwunderlich, dass auch Eva einen XM fuhr und alle das Schweben über die manchmal doch etwas holprigen Wege genossen. Über akute Bastelstellen im Auto oder ungewöhnliche Techniken wie Extrakabel im Motorraum, die man an die Batterie halten musste, damit die Dame doch ihre Dienste tut, wurde großzügig hinweggesehen. Wie auch jetzt, als Vivi sich auf den Beifahrersitz setzte und ihre Füße neben den Kabelsträngen platzierte, die Kristoph gerade bearbeitete. Wahrscheinlich hätte sich Vivi im Moment sogar auf ein Fakirkissen aus Nägeln gesetzt und nichts gemerkt, so aufgeregt war sie gerade.

Eva hatte versprochen, die Polizei über das Wiederfinden zu informieren. Noch hatte der nette Polizist von heute Morgen Dienst.

Als Kristoph vom Hof auf den Weg bog, sagte er zu Vivi: „Merk’ Dir mal den Kilometerstand, am Ende des Zählers steht 18,4! Bist du echt sicher, dass du zurück reiten willst?“

„Klar, die beiden sind doch echt lieb und zuverlässig - jedenfalls wenn die Ketten zu sind!“, erwiderte Vivi entschlossen. Da mussten beide lachen und etwas der vergangenen Anspannung fiel herab. Vivi war es fast, als ob sie es plumpsen gehört hätte. Sie hatte eh schon das Gefühl, dass auf dem Platz vor dem Haus ein paar Steine mehr lagen als zuvor, so viel leichter war ihrem bangen Herzen geworden.

„Hier ist der Wald,“ sagte Vivis Vater. Die Straße war von mehr oder weniger dicht bewachsenen Knicks gesäumt, die im frischen Grün strahlten und freundliches Geleit gaben. Leicht und weit führte sie bergab. Nach einem ebenen Straßenabschnitt kamen sie auf die Kreuzung zu. Das grüne Blech des Stalls schimmerte ihnen durch alte Bäume entgegen, die den Hofplatz von der Weide trennten, die an der Straße lag. Auf der Weide war ein Fuchs zu sehen, der rotgold in der Sonne glänzte, jedoch kein Isi.

Kristoph querte die Kreuzung und bog hinter dem Feldstein mit ‘Hansen’ darauf auf den Hof ab. Auf der Auffahrt hielt er den Wagen in der Höhe des roten Backsteinhauses mit den grünen Fenstern an. Kaum hatten sie gehalten, kam aus der Klöntür der Diele, die zwischen dem alten Stall und dem Wohnhaus lag, ein älterer Bauer heraus, der einfach Herr Hansen sein musste. Er begrüßte sie freundlich und nahm sie gleich mit zu der Weide, die am Ende der Hofauffahrt lag. Hinter dem Knick, der nur durch das Weidetor unterbrochen war, konnte Vivi endlich, endlich ihre beiden Ausreißer erblicken, die zufrieden das saftige Gras fraßen. Als Vivi sie rief, blickten sie kurz auf, fraßen dann jedoch unbeirrt weiter.

„Heute Morgen,“ erzählte Bauer Hansen, „war die Überraschung riesig! Marit hörte Hufgetrappel auf der Straße und traute ihren Augen nicht, als sie die beiden Ponys erblickte. Sofort hat sie Manamas Halfter gegriffen und etwas Futter in einen Eimer getan und ist klappernd und lockend zu den Ponys gegangen. Die Ältere kam näher und ließ sich anfassen und aufhalftern. Als Marit sie zum Hof führte, kam die Junge hinterher. Marit hat sie dann auf der Weide quasi dingfest gemacht!“ Bauer Hansen lachte. „Marit meint, das die beiden Isländer sein. Stimmt das?“

„Ja, da hat sie recht! Gott sei Dank war Marit so geistesgegenwärtig und hat gehandelt! Ist sie zu Hause?“, wollte Vivi wissen.

„Nee, leider nicht. Se jobbt ein bisschen. Ich habe ihr deshalb versprochen, mich beim Turnierplatz zu erkundigen, ob jemand Ponys vermisst. Ist ja immer dumm, wenn einem die Viecher weggelaufen sind... naja, Marit wäre schon gerne hier,“ erklärte Bauer Hansen. „Marit wollte schon länger gerne mal Isländer kennen lernen, die gehen wohl irgendwie anders. Ich kann das ja nicht verstehen. Ihr Holsteinmix auf der Weide vorn scheint mir doch reeller zu sein, gerade wenn man auch anfängt, erwachsen zu werden!“

Vivi lachte innerlich und blieb ruhig. Typisch Bauer, dachte sie. Laut sagte sie jedoch:

„Du, Papa, Marit kann uns doch besuchen und Kella und Kinning richtig kennen lernen. Dann kann ich mich bei ihr auch noch einmal ordentlich bedanken!“ Diese Idee fand sofort bei allen Anklang und für Mittwoch wurde gleich ein Besuch verabredet, wobei Marits Einverständnis vorausgesetzt wurde.

„Tja,“ sagte Bauer Hansen, „wenn ihr jetzt allein zurecht kommt, mache ich Mittagstunde. Bin leider nicht so ganz gesund.“

„Natürlich!“ antwortete Vivi. Sie und Kristoph bedankten sich noch einmal sehr herzlich.

„Ist doch selbstverständlich,“ sagte Bauer Hansen, „mit den Viechern muss man sich gegenseitig helfen!“ Er schüttelte ihnen zum Abschied die Hand und verschwand hinter der Klöntür der Diele.

Vivi ging nun mit Halftern und Stricken auf die Weide und holte Kella und Kinning nach einer ausführlichen Begrüßung zum Tor, an dem sie sie festband. Beide Ponys standen ruhig und vollgefressen dar. Nachdem Vivi Kella ausgiebig geputzt hatte, putzte sie Kinning kurz über. Kristoph hatte ihr inzwischen aus dem Kofferraum Sattel und Trense geholt und nahm ihr das Putzzeug ab.

Vivi sattelte Kella routiniert und sorgfältig auf, schimpfte leise, weil der Bauch so dickgefressen war, und legte ihr anschließend die Trense an. Das Halfter hatte sie über dem Hals gelassen und knotete den Strick so fest, dass Kella nicht gestört wurde. Kinnings Strick löste sie ebenfalls vom Tor und stieg mit Kinning an der Hand auf Kella auf. Ihr Vater reichte ihr die lange blaue Gerte.

Aufmunternd schnalzte Vivi und Kella stapfte brav los, Kinning folgsam nebenher. Unter ihrem Reithelm strahlten Vivis blaue Augen mit dem sonnigblauen Himmel um die Wette. Beim Auto parierte Vivi die Ponys zum Halt und fragte: „Papa, wie viele Kilometer sind es nach Haus?“

„Augenblick, ich schaue schnell im Auto nach!“ Kristoph öffnete die Fahrertür und schaute auf das Armaturenbrett. „23,7 ist der Kilometerstand, also 5,3 km Distanz!“ Er sah Vivi fragend an, ob das machbar sei.

„Ist okay!“, sagte Vivi, „so ungefähr eine gute Stunde brauchen wir! Danke für deine Hilfe! Bis später und grüß Mama!“ Auf einem leichten Druck mit ihren Beinen setzte Kella sich in Bewegung, Kinning folgte wie gewohnt und der Heimritt begann.

Vivi bog mit den Ponys vom Hof nach rechts ab und ritt auf die Kreuzung zu, an der sie ordnungsgemäß hielt. Es war unübersehbar, dass Kella, Kinning und Vivi ein gut aufeinander eingespieltes Team waren! Vivi war sehr stolz darauf und vertraute selbstbewusst ihren Ponys. Über die freie Kreuzung ging es Richtung Wald, erst eben, dann lange und langsam ansteigend, vorbei an den grünen Knicks, die ab und zu Blicke über Weide und Felder preisgaben. Vivi ließ die Ponys bis zum Wald Schritt gehen, denn sie wusste überhaupt nicht, wie viel sie bereits gelaufen waren oder gefressen hatten. Dem dicken Bauch von Kella nach zu urteilen hatten sie eindeutig sehr viel gefressen...

Schon nach einer relativ kurzen Strecke wurde Kinning faul und widerstrebend. Vivi musste sie öfters ermahnen, weiter zu gehen. Wahrscheinlich, so dachte Vivi, sind sie einen anderen Weg entlanggelaufen und merken nicht, dass es hier nach Hause geht. Unter vielem Zureden trotteten sie bergan zum Wald. Kella schien zu verstehen, dass es nach Hause ging, aber Kinning hatte so überhaupt keinen Schwung mehr. Bei Vivi machte sich ebenfalls Müdigkeit breit, doch sie wusste, dass es jetzt zu reiten galt. Es gab keine Alternative, diese Strecke mussten sie zusammen bewältigen.

Als sie am Wald ankamen, begannen die Ponys die Ohren zu spitzen und die Abwechslung half, sie wieder aufzuwecken. Hinter dem Wald wollte Vivi einen Feldweg nutzen, den sie schon einmal mit Kella geritten war. Dort würden sie auch flotter voranschreiten können. Und richtig, als sie den Feldweg erreichten, wurde Kella lebhafter und steckte damit auch Kinning an. Jetzt war es ein leichtes, die beiden zu einem flotten Trab beziehungsweise Tölt zu motivieren. Das flotte Tempo frischte sie alle auf, Kella erkannte die Gegend wieder und wollte heim. Kinning verließ sich auf ihre Mutter und töltete flott nebenher. Jetzt konnte Vivi auch das superschöne Wetter genießen! Bis ungefähr einen Kilometer vor Tant’ Maries Hus ließ Vivi die Ponys recht flott gehen und legte nur kurze Schrittphasen ein. Dann parierte sie zum Schritt durch.

„Genug,“ sagte sie, „ihr beiden dürft jetzt gemütlich nach Hause gehen, damit ihr trocken und ruhig ankommt. Dann reicht es euch auch, was?“ Vivi hätte in diesem Moment schwören können, dass Kella, die ihren Kopf ihr kurz zuwendete, ihr einen schelmischen Blick zuwarf...

Ein paar Minuten später erreichten die drei das Haus. Eva kam heraus gerannt und umarmte Vivi freudig. Für die Ponys hatte sie jeweils ein Leckerli mitgebracht.

„Vivi, ich bin genauso glücklich wie du, dass sie wieder da sind!“, rief Eva und strahlte Vivi und die Ponys an. Vivi lachte und meinte: „Ich glaube, dass sind wir alle!“

Eva nahm Vivi Kinning ab und band sie am Paddocktor fest. Vivi stellte Kella daneben und sattelte und trenste sie ab. Danach kratzte sie beiden gründlich die Hufe aus und strich Kellas Fell noch einmal glatt. Endlich, endlich durften die Ponys wieder ins Paddock. Vivi kontrollierte geflissentlich, ob nun alle Ausgänge wirklich verschlossen waren, dann wuschelte sie beide Ponys noch einmal und wünschte ihnen eine angenehme Ruhe. Zusammen mit ihrer Mutter stand sie für eine Weile am Tor und schweigend sahen beide den Ponys einfach nur zu. Kellas Nase ging immer tiefer über den Sand, dann knickte sie ihre Beine ein und wälzte sich genüsslich hin und her. Mit einem letzten Schwung stand Kella wieder auf und schüttelte sich, so dass der Staub aus dem Fell und der Mähne nur so durch die Luft flog!

„Komm, Vivi, ich glaube, wie machen jetzt unsere späte Mittagszeit!“, beendete Eva die gemeinsame Zeit mit den Ponys. Als Antwort genügte das Knurren von Vivis Bauch voll auf! Lachend und sehr erleichtert holten Mutter und Tochter den Vater aus der Werkstatt ab, um in Ruhe zu essen.

Nach all diesen Strapazen schmeckte alles einfach doppelt so gut. Vivi hatte ordentlich zugelangt und nun das Gefühl, keinen einzigen Schritt mehr tun zu können.

„Nimm’ dir doch den Liegestuhl und die Decke mit zum Auslauf, dann kannst du um die Wette mit den Ponys dösen!“, schlug Eva ihr vor.

„Ich trage dir auch den Stuhl,“ erbot sich Kristoph sogleich.

Vivi guckte verwundert. Waren Eltern am Ende gar nicht so komisch wie angenommen?

Zuerst hatte Vivi wach gelegen und den Ponys einfach nur zugesehen, wie sie ihr Heu mümmelten und ruhten. Sie hatte sich jeden Quadratzentimeter Pony angesehen, die Mähnen, die rötlich glänzten, die Augen, die so verschieden aussahen, das Zucken, wenn eine Fliege störte, das Abwinkeln der Hufe zum Ruhen. Die Köpfe, die sich zum Dösen senkten und die Ohren, die aufmerksam Geräusche verfolgten. Jede Kleinigkeit, alles war einfach nur schön und bezaubernd, wunderbar, dass es genau das gab!

Das war so entspannend, dass Vivi unmerklich selbst eingedöst war und sogar tiefer und tiefer einschlief. Irgendwann drangen dann doch Stimmen zu ihr durch. Plötzlich und mit einem Schreck setzte sie sich auf. „Gott sei Dank!“, schoss es ihr durch den Kopf. „Die Ponys sind da!“

Kristoph lugte fröhlich um die Ecke und lud sie ein, zusammen Kaffee zu trinken.

„Danach kannst du Marit anrufen, sie wird um die Zeit zurück sein!“, stellte er ihr in Aussicht. Nun wurde Vivis Mittagslager (schade...) wieder abgebaut und auf die Terrasse zurückverlagert. Dort duftete es bereits verlockend nach Evas frischen Waffeln. Und wirklich wurde keiner enttäuscht! Eva hatte die leckeren Waffeln mit gerösteten Haferflocken gebacken, zu denen es Sahnequark mit Vanille und karamellisierte Haferflocken und Mandelblättchen gab, die alles goldbraun krönten. Bei solch einem himmlischen Genuss konnte Vivi ihre Mutter nur umarmen und sagte: „Oh, Mama, du verwöhnst uns ja! Danke!“

Vivi wusste wie viel Arbeit hinter den Waffeln steckte und war wirklich dankbar. „Du Mama, kann ich die Waffeln auch backen, wenn Marit kommt? Und wie kann ich mich sonst noch bei ihr bedanken?“

Eva und Kristoph sahen sich an. Eva hatte eine Idee: „ Marit hat doch selbst ein Pferd. Wie wäre es da mit einer großen Portion selbstgemachter Leckerlis für Pferd und Mensch?“

„Superidee! Außerdem darf sie natürlich Kella reiten, um einen echten Isländer zu spüren, sozusagen für das original Isi-Feeling!“ Es war ein sehr gemütliches Kaffeetrinken und alle waren fröhlich, dass die Ponys so wohlbehalten wieder zu Hause waren.

Um halb fünf Uhr wählte Vivi Marits Telefonnummer zum ersten Mal. Wer würde sie erwarten? Sie war gespannt. Schon nachdem sie zweimal das Klingeln vernommen hatte, meldete sch eine fröhliche Mädchenstimme: „Marit Hansen!“

„Hallo, Marit, ich bin Vivi!“, begann Vivi das Gespräch, „Ich wollte dir ganz, ganz herzlich danken, dass du meine beiden Ponys eingefangen hast! Ich bin so froh, dass Kella und Kinning wieder da sind und nichts passiert ist! Das war echt so ein Schreck, als sie weg waren!“ Bei der Erinnerung daran, fingen Vivis Knie wieder an zu zittern . „Und was glaubst du, wie überrascht ich war, als sie da waren!“ lachte Marit ins Telefon. Beide mussten vor Lachen losprusten und beide spürten instinktiv, dass sie auf einer Wellenlänge liegen.

„Du, Marit, kommst du Mittwoch zu uns?“

„Klar! Mein Vater fährt mich zu euch. Und du hast wirklich Isländer! Papa wollte das erst gar nicht glauben. Ich finde das klasse! Von denen träume ich schon ewig!“, antwortete Marit.

„Ja, Isis sind wirklich klasse. Bring deine Reitsachen mit! Wir machen uns hier einen extratollen Nachmittag!“

„Du, Vivi, darauf freue ich mich total! Aber ich muss jetzt leider an die Arbeit, denn Manama wartet und noch diverse Hausaufgaben...“

„Oh, du grüne Neune, die muss ich ja auch noch machen! Danke für die Erinnerung!“

„Gerne, gerne! Geteiltes Leid ist halbes Leid! Also bis Mittwoch!“

„Bis Mittwoch, Marit. Grüß bitte deine Eltern von mir!“ Vivi legte nachdenklich auf. Dann ging sie auf die Terrasse zurück, auf der ihre Eltern noch am Tisch saßen.

„Du, Mama, Marit ist total sympathisch!“ Eva lächelte und zwinkerte Kristoph zu.

„Ende gut, alles gut“, meinte Eva zu Vivi.

„Jedem Ende wohnt ein Anfang inne...“, fügte Kristoph sinnierend hinzu.

Tant Maries Hus

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