Читать книгу Tant Maries Hus - Dörte Nibbe - Страница 6

Dienstag

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Vivi saß in der Schule und träumte. Gestern, am Montag, hatte sie den Ponys einen Ruhetag gegönnt und ausnahmsweise so viele ihrer Hausaufgaben erledigt, wie es ging. Schließlich wollte sie am Mittwoch Zeit für Marit haben. Schule fand Vivi so lala. Am wenigsten lagen ihr die Sprachen, alles andere ging besser. Sie war nicht die beste in ihrer Klasse, aber im vorderen Drittel und das genügte ihr - jedenfalls in den meisten Fächern. In den Naturwissenschaften lag sie mehr vorn, in den Sprachen holperte und stolperte es etwas. Bezog man jedoch ihren Einsatz für die Schule mit ein, dann konnte sie absolut zufrieden sein mit den Resultaten. Irgendwie hatte sie sich ein System entwickelt, dass sie instinktsicher die Hausaufgaben und den zu lernenden Stoff bewerten ließ. Sie handhabte alles möglichst einfach und machte das, was sie machte, ordentlich. Wie genau sie es so hinbekam, wusste Vivi selbst nicht, aber es funktionierte und sie hatte so Zeit genug für ihre Lieblinge. Manchmal meinte Vivi auch, dass sie genau wegen ihrer Ponys so effektiv mit der Zeit umging und durch die Beschäftigung mit dem realen Leben außerhalb der Schule besser mit der Schule selbst zurechtkam. Vivi nahm die Schule zwar ernst, im Zweifelsfall die Ponys jedoch ernster... Allmählich fühlte sie sich auch auf dieser Schule etwas mehr zu Hause. Der Umzug in Tant Maries Hus hatte auch einen Schulwechsel mit sich gebracht.

Mit ihrem Pferdetick war sie in der Schule nicht allein, mit ihrer Philosophie dahinter aber kaum konform zu den anderen Mädels, die sich auf Warmblüter und Turniere stürzten, sich über den Azubi im städtischen Reitstall ausließen sowie die neueste Reitmode. Naja, so kam es Vivi jedenfalls vor. Einige waren schon extrem, andere etwas abgemildert. Sie hingegen war höchstens das Landei mit dem Zuckelponys... Doch nach dem Motto: „Leben und leben lassen!“ hatten sie sich inzwischen arrangiert und kamen miteinander gut zurecht, denn Vivi war hilfsbereit und konnte auch in den Naturwissenschaften gut erklären. Insofern wurde sie durchaus ernst genommen und geachtet.

Vivis schulfreie Zeit war mit den Pferden gefüllt, was sie selbst als angenehm empfand. Natürlich waren die Ponys nicht umsonst zu haben und dadurch war Vivis Budget immer etwas schmal, was Vivi prinzipiell nicht störte, sie aber erfolgreich davon abhielt, mit den anderen ihrer Klasse bezüglich Klamotten oder Kino mitzuhalten. Vivi setzte ihre Prioritäten gerne bei den Pferden und trug das, was ihr selbst am besten gefiel, Jeans und T-Shirt oder Pulli, wenn’s kalt war auch gerne mit Halstuch. Die Sachen waren soundso praktischer als so manche Bluse, die nur mit Kette oder anderen Accessoires wirkte, manchmal auch nur mit entsprechender Schminke. Ich bin ich, war da Vivis Motto. Natürlich mochte sie das eine oder andere auch manchmal leiden oder wollte dies oder jenes auch ausprobieren, doch im Großen und Ganzen fühlte sie sich nur in ihren gewohnten Klamotten so richtig frei und wohl, unversteckt, eben sie selbst.

In der Klasse gab es noch ein paar andere, die auch ihren eigenen Weg gingen, irgendwie eigen waren und etwas „sonderbar“. Diese kleine Gruppe von Sonderlingen hatte sich zusammengefunden und trotz der sehr unterschiedlichen Interessen kamen sie alle wunderbar miteinander aus und konnten sich in den Pausen gut unterhalten. Außerhalb der Schule waren sie selten zusammen, aber es gab schon hier und da Treffen miteinander.

Endlich, nachdem der Lehrer zum x-ten Mal das Zinsrechnen erklärt hatte und einige immer noch mit grellbunten Fragezeichen in den Augen dasaßen, klingelte es zur Pause vor. Vivi wurde aus ihren Träumen gerissen. Die Zeit bis zum Pausenklingeln nutzte der Lehrer, um ihnen die Hausaufgaben zu verkünden. Ernst, so hieß der Lehrer, machte wieder Ernst. Sie sollten ausrechnen, was passiert, wenn sie drei Jahre lang jeden Monat zehn Euro sparen und das Guthaben mit 4% Zinsen pro Jahr verzinst würde. Die Verzinsung sei dabei pro Monat zu berücksichtigen.. Ein allgemeines Stöhnen ging durch das Klassenzimmer.

Auch Vivi stöhnte innerlich, denn alles brauchte doch nur in die Formel eingesetzt zu werden... Im Grunde langweilig und einfach! Schema F anwenden und fertig! Leute, regt euch ab...

Doch einige redeten sich einfach ein, dies nicht zu können und dann war es auch so. In Mathe, in Physik,... Vivi fiel es zwar schwer, sich an die Grammatik zu gewöhnen, doch trotzdem las sie englische Bücher, weil sie es gerne wollte. Und es ging - auch ohne Grammatik zu pauken...

Nach der Pause, in der sie ihren Tee getrunken hatte und an der frischen Luft gewesen war, hatten sie Englisch bei Thiemecke. Der Lehrer war schon etwas älter, grauhaarig, jedenfalls die noch vorhandenen Haare, und ein sehr eigener Typ mit einem humorigen Witz- wenn man ihn einfach annehmen konnte. Gut, manchmal war er langatmig und er wurde zusehends schwerhöriger, aber er vermittelte auch tiefe Inhalte. Nur nicht auf dem modernen Aktions- und Schmusekurs, den ein paar andere Lehrer aufzogen. Diese Inhalte sprachen Vivi an, denn sie konnte manches einfach erspüren. So kam sie sogar in Englisch voran. Heute hatten sie ein wunderbares Gedicht über Landschaft und Sehnsucht. Vivi hatte ihre Interpretationen dazu und brachte sie ein. Dabei hielt sie sich an Evas Tipp, nur kurze Sätze und klare Aussagen zu verwenden. Das funktionierte super. Tja, selbst Englisch konnte ein Erfolg sein, dachte Vivi.

So verließ Vivi fröhlich und beschwingt die Schule und schwang sich auf ihr Fahrrad. Sie wohnten acht Kilometer entfernt und entsprechend lang war ihr Heimweg. Morgens nahm ihr Vater sie oft mitsamt Fahrrad mit. Auf dem Rückweg atmete Vivi die frische Luft in vollen Zügen ein und die Bewegung ließ sie das lange Sitzen in der Schule vergessen und so manchen Frust auch verrauchen.

Fahrradfahren war Vivi auch schon vor dem Umzug gewohnt, denn sie musste früher von der Wohnung zum Ponyhof fahren, auf dem Kella und Kinning standen, nach dem Reiten dann noch zurück. Auch das waren schon sechs bis sieben Kilometer gewesen. Entschieden bevorzugte Vivi die jetzige Situation, denn so konnte sie sogar noch schnell mal heimlich im Schlafanzug zu den Ponys schleichen...

Zu Hause angekommen stellte sie das Fahrrad rasch in den alten Stallteil neben der Diele, der jetzt als Unterstand für Fahrräder, Rasenmäher, Gartengeräte und andere Dinge diente.

Dann stürmte sie die Küche, in der Eva schon das Essen aufgedeckt hatte. Auch Kristoph kam herein.

„Du, Vivi, wir müssen nachher mal ausrechnen, wie viel Heu und Stroh wir für die Ponys brauchen. Bauer Ingwersen rief an und wollte das gerne für seine Planung wissen!“

„Okay, nach dem Mittag mache ich mir Gedanken! Jetzt habe ich Hunger! Und das riecht so lecker!“

Eva freute sich, dass es allen schmeckte, ihr Blick glitt aber zu dem schmutzigen Geschirr und Töpfen neben der Spüle.

„Vivi, hilf mir doch bitte gleich beim Abwasch!“

„Mach ich, dann übst du nebenbei mit mir Französisch?“ Vivi wusste, dass sie unbedingt die Vokabeln üben musste, um nicht den Anschluss zu verlieren. Sie hatte zwar nicht so viel Lust dazu, aber jetzt faul sein bedeutete später wesentlich mehr Zeit investieren zu müssen, um die Lücken zu schließen. Ponys zwingen einen manchmal, vernünftig zu sein, dachte Vivi.

„Abgemacht!“, willigte Eva ein.

„Ich geh dann in die Werkstatt,“ sagte Kristoph. „Denk bitte an Bauer Ingwersen, Vivi. Am besten schriftlich...“

„Klar, bekommst du später! Ähm, in deutsch, englisch oder französisch?“, antwortete Vivi.

„In Zahlen!“, erwiderte Kristoph schelmisch grinsend.

Vivi genoss es, dass das Leben mit ihren Eltern Hand in Hand ging. Manchmal musste sie mehr helfen als andere in ihrer Klasse, aber sie durfte auch vieles einfach tun. Französisch übend verging der Abwasch schnell und Vivi fühlte sich gut, da sie zumindest in den Vokabeln nun firm war. Irgendwann würde sie vielleicht auch noch mal die Grammatik kapieren und nicht so eine Hemmung beim Sprechen mehr haben. Mathe war innerhalb von fünf Minuten erledigt.

Nun nahm Vivi sich die Heu- und Strohkalkulation vor. Mmh, Vivi wusste aus Erfahrung, dass sie pro Stalltag etwa einen Ballen Stroh benötigte. Im Sommer brauchte sie alle drei Tage etwa einen Ballen, damit die Ponys im Paddock etwas knabbern konnten. So ungefähr brauchte sie also sechs mal 31 Klapp Stroh für den Winter und sechs mal 12 Klapp für den Sommer. Das machte 258 Klapp Stroh zusammen. Mit vier Klapp Heu kam sie im Winter ca. fünf Tage weit, dazu hatte sie noch etwa einen Monat Übergangszeit. Also brauchte sie für sieben volle Monate Heu. Hier rechnete sie sieben mal 30 Tage durch fünf mal vier und kam auf 168 Klapp. Vorausgesetzt, schloss, Vivi ihre Rechnungen ab, dass jedes Klapp zehn Kilogramm wiegt. Fein säuberlich schrieb sie alles auf einen Zettel und händigte diesen Kristoph aus. Inzwischen war es fast halb vier.

„Mama, ich reite jetzt Kella auf dem Platz! Danach mache ich den Paddock.“

„Ist gut! Viel Spaß!“

Vivi holte beide Ponys von der Weide. Kinning ließ sie im Paddock frei, Kella band sie ans Tor und putzte sie. Bei dem kurzen Sommerfell ging das wirklich flott. Satteln und Trensen war eh Routine.

Auf dem Platz stellte sich Vivi Hütchen auf und begann mit Aufwärmen im Schritt, nach ein paar Runden begann sie mit Schlangenlinien, Richtungswechseln, Anhalten, Rückwärtsrichten und so weiter. Darauf folget eine Zeit mit flottem Trab und Galopp. Vivi versuchte abzuspüren, wann Kella Entspannung brauchte und wann sie sie fordern konnte. Grundsätzlich arbeitete Vivi auf dem Platz nicht zu lang, um Kella nicht sauer zu machen. Nach einer besonders schönen Folge von Richtungswechseln, Tempowechseln und Gehorsamkeitsübungen lobte sie Kella und ließ sie am langen Zügel entspannen. Auch das Abreiten nahm Vivi sehr ernst. Anne hatte ihr das so beigebracht und wert auf Disziplin gelegt:

„Du bist für das Pferd verantwortlich! Wenn es nicht tut, was du möchtest, ist es wahrscheinlich dein eigener Fehler! Finde erst heraus, was du besser machen kannst, ehe du dem Pferd die Schuld gibst. Pferde kommen nicht verdorben auf die Welt, sie werden erst verdorben!“ Anne ging ausgezeichnet mit Pferden um. Und Anne sah immer erst das Wohl des Pferdes bevor sie an sich selbst dachte. Deshalb hatte sie auch Kella und Kinning Vivi überlasen als sie auswanderte. Anne war mal Papas Freundin.

Inzwischen war Kella abgeschwitzt. Wieder am Paddock putzte Vivi Kella noch einmal kurz über, wohl ahnend, das dem noch ein Staubbad folgen würde. Richtig, kaum war Kella im Paddock, sank erst die Nase und dann das ganze Tier in den Staub. Über eine pferdemäßige Fellpflege ging doch nichts!

Im Anschluss machte Vivi den Paddock sauber und versorgte die Ponys für die Nacht. Das war schnell erledigt. Dann ging sie ins Haus.

„Vivi, du stinkst nach Pferd!“, empörte sich Eva gespielt. „Vor dem Essen gehst du bitte duschen. Das Haus ist schließlich kein Stall!“ Vivi zwinkerte Eva zu und verschwand im Badezimmer. Sie legte die duftende Pferdekleidung ab und verschwand in der Dusche. Als das Brausen erklang, strömte an ihren Füßen ein bräunlicher Fluss in Richtung Abfluss, der sich erst nach und nach entfärbte... Mit dem Handtuch um den Kopf und in frischen Klamotten erschien Vivi zum Abendessen.

„Welch ungewohnter Duft am Tische!“, witzelte Kristoph.

„Haha!“, kommentierte Vivi, fühlte sich aber so frisch geduscht sehr wohl.

„Nach dem Essen schreibe ich an Anne,“ sagte Vivi etwas versöhnlicher.

„Gute Idee“, lobte sie Eva. „Grüße sie bitte von uns ganz herzlich!“

Kristoph und Eva lächelten sich liebevoll zu. Irgendwie hatte Vivi das Gefühl, dass ihre Welt unheimlich in Ordnung sei und genoss dies sehr.

Tant Maries Hus

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