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DAFÜR BIN ICH ZU ALT

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Das Allerbeste am 60. Geburtstag ist, dass man wohlonduliert und voller Selbstbewusstsein aus tiefster Überzeugung zu allem, was unpassend oder nervig scheint, sagen kann: »Danke schön, dafür bin ich zu alt.«

Mit dieser selbstbewussten Haltung unverhohlen ein solches Bekenntnis kundzutun wurde hart erkämpft. Und genau diese Aussage wurde mir zum persönlichen Mantra. Was für eine Errungenschaft ist es doch, ja welcher Luxus, alles, was mir schon immer auf den Zeiger ging, mit solch einem knappen Statement abzutun, während ich mich früher eher mühselig aus der Affäre gezogen hätte. Denn die Botschaft, die man damit liefert, bedeutet viel mehr, als für irgendetwas zu alt zu sein. Im Klartext heißt es nämlich nicht, zu alt zu sein, sondern schlau zu sein! Es ist ein Understatement, das eigentlich vermittelt: »Dafür bin ich zu smart!«

Und warum nicht gleich zur neuen Lebensphase stehen? Das hat nichts mit Alter zu tun! Eine Dreijährige ist nämlich auch schon für vieles zu alt: zum Beispiel zu alt fürs Fläschchen. Eine Vierjährige ist zu alt für den Kinderwagen, eine Elfjährige zu alt fürs Nuckeltuch – würde ich mal behaupten! Und wir sind nun mal zu alt für Blödheit! Man muss ab der Mitte des Lebens einfach gnadenlos selektieren. Sollen sich doch andere für ihren Muttispeck schämen, für ihren Truthahnhals entschuldigen und die grauen Haare als Abschied von der Jugend betrachten – nicht ich, ich bin zu alt dafür!

Ich habe mich schon als 14-Jährige zu alt gefühlt! Für mein exzentrisches Profil, meine langen Arme und Beine und meinen Schwanenhals habe ich mich auf dem Gymnasium geschämt – ja, es hat mich in der Pubertät verunsichert, anders auszusehen als die breite Masse. Ich war der Paradiesvogel der Schule, musste mit einer Handvoll Gays kooperieren, die mit ihrem Coming-out zu kämpfen hatten.

Habe ich mich einer kritischen Betrachtung im stillen Kämmerlein unterzogen, gab es kaum etwas, was mich nicht verunsichert hätte: Nichts wurde ausgelassen! Mein Haaransatz? Horror! Warum hatte ich Geheimratsecken mit zwölf? Mein Körper? Zu mager! Meine Finger? Zu lang! Meine Nase? Nach heutigen Insta-Maßstäben ein Fall für den Chirurgen. Ich habe sie mir nur deshalb nie operieren lassen, weil ich damit verdammt gut riechen kann. Und im Schatten meiner Nase ist so manches Starlet verblasst!

Nichts fühlte sich in meiner Jugend richtig an, okay, vielleicht meine Fesseln. Das war aber auch schon alles, was ich vorm Spiegel absegnen konnte. Meine herrlichen hüftlangen Haare bezeichnete ich als »straßenköterfarben«.

Was für einer Tortur wir uns unter dem Druck des allgemeinen Regimes doch aussetzen … wenn andere uns schon nicht unattraktiv finden, dann reden wir es uns selbst ein! Selbstzweifel sind wie kleine Dämonen, die auf unserer Schulter hocken und uns Unsicherheiten und Erniedrigungen ins Ohr flüstern, sobald wir uns mit anderen vergleichen.

Auch dieser 80er-Jahre-en-vogue-Look der total abgemagerten Heroin-Models war wenig tröstlich für mich. Die Supermodels sahen zwar speziell und androgyn auf eine neue, ungewöhnliche Art und Weise aus, aber auch das anarchisch gestylte Topmodel war unerreichbar: Denn es war die Ikone Kate Moss! Auf einmal waren Augenschatten in!

Das gängige Schönheitsideal wurde irgendwann neu interpretiert, aber leider fiel ich auch da wieder durchs Raster. Für eine Claudia Schiffer war ich zu unsexy, für eine Naomi Campbell nicht exotisch genug, für eine Tatjana Patitz nicht ebenmäßig genug, für eine Cindy Crawford nicht glamourös genug. Keine der Steilvorlagen sah aus wie ich! Mit aller Gewalt hätte man aus mir vielleicht noch eine Elle Macpherson machen können, aber ich hatte seinerzeit auch keinerlei Ambitionen, so was Billiges und Dubioses wie ein Wäschemodel zu werden.

Nun ja, wenn jeder modeln könnte, dann wären wir ja alle erfolgreiche Supermodels.

Jüngst habe ich eine alte Kiste ausgemistet, die jahrelang vergessen war. Sie stand auf dem Dachboden, und ich wusste nicht einmal mehr, dass ich sie noch besaß. Aber ein verregnetes Wochenende bewog mich dazu, den Dachboden zu entrümpeln, und bei der Gelegenheit knöpfte ich sie mir vor. Da saß ich nun mit meinen Fotoalben von 4 bis 40. Und ich stellte voller Überraschung fest, dass ich selbst in Zeiten tiefster Depression und größter Unsicherheiten zu jeder Zeit schön war! Immer blasser als alle anderen, mit Porzellanhaut und riesigen Augen, graziösen Gliedmaßen und einer Ausstrahlung voller Anmut und Zartheit. Genauso meine abgebildeten Freundinnen und Kolleginnen: alle bildschön! Nicht anders, als es meine Großmutter mir immer gesagt hatte: »Du bist wunderschön!« Aber ich habe es ihr nie geglaubt. Weil ich mich selbst nicht mochte. Das hatte sich geändert! Dieses einst unbefangene Lächeln meiner Jugend entwickelte sich zu dem rasanten, aparten Strahlen von heute, das von Kraft und Lebensfreude strotzt.

Nehmt es euch zu Herzen, all ihr Fans, die ihr euch noch zur Jugend zählen dürft: Warum Zeit und Energie mit Unsicherheiten verschwenden? Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich einmal im Alter von 80 Jahren meine aktuellen Fotos von heute betrachten und feststellen werde, wie jung, wie attraktiv, wie erfüllt mit Freude, Lebenslust und Schönheit ich doch als 60-Jährige ausgesehen habe. Sagenhaft attraktiv – mit einem Traumkörper und unschlagbarer Eleganz! Eine echte Diva, ob ich will oder nicht!

Ich betrachte es als Segen, einen gesunden Körper zu haben, mit dem ich anstellen kann, was ich will, sei es Tanzen, Langlaufen, Eislaufen, Schwimmen, Singen – der mich überall dort hinbringt, wo ich sein will, und der in Größe 38 einfach grandios wirkt. Ich schäme mich nicht mehr dafür, dass ich mich selbst cool und schön finde. Ich seh Hammer aus! Was gibt es da zu verstecken?

Ich fühle mich nicht zu alt für Skinny-Jeans, 6-Inch-Plateau-Stilettos, Tattoos oder grüne Haare. Ich verzichte aus anderen Gründen darauf, aber nicht, weil ich mich zu alt dafür finde! Nuttenlook steht mir einfach nicht. Ich entscheide mich lieber für Klasse, Stil und Eleganz.

Gewichtszunahme? Schlabberhaut an den Oberarmen? Das ist doch kein Drama! Einfach weniger mit Ben & Jerry’s abhängen, lockere Kleidung wählen, welche die Problemzone kaschiert, und vor allem nichts tun, was einem die Laune verdirbt. Dafür bin ich nämlich zu alt! Immerhin habe ich noch Oberarme – andere haben schon ab 40 stattdessen Spannweite!

Mobbing im Büro? Sexismus? Intrigen? Neid? Gehässigkeiten? Niedertracht? Bin ich zu alt dafür! Wer ein Arschloch ist und genau das von mir selber hören will, dem sage ich es auch.

Das Wichtigste sind der ganz normale Alltag und die Arbeit, mit der wir unser Leben verbringen! Macht der Beruf Freude und bringt Hoffnung? Ist er ein Jungbrunnen für die Seele? Arbeit sollte schwer und faszinierend zugleich sein, uns Herausforderungen bieten, an denen wir wachsen können. Damit wir uns ständig weiterentwickeln. Dies verhindert, dass man vor sich hinschrumpelt.

Ich bin zu alt für einen schlechten Geist, für vergiftetes Klima, für Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Wenn alle von einem inspirierenden Spirit getragen wären, würde diese Welt eine andere sein. Die Schlüssel zu persönlicher Kraft sind Widerstandsfähigkeit und Durchhaltevermögen. Immer wieder wird man umgehauen und hintergangen, ausgebootet sowie verraten. Aber das Einzige, was zählt, ist das Wiederaufstehen. Der allgemeinen Niedertracht sind heutzutage keine Grenzen gesetzt … Am Ende zählt nicht, wie viele Schlachten man verloren hat, sondern nur, wer den Krieg gewinnt. Und ich habe so manchen Krieg gewonnen, oh ja! Kriege gegen Borniertheit, Standesdünkel, Demütigungen, Erniedrigungen, gegen Amateure, Dilettanten, Nichtskönner, Spießer und Dummköpfe.

Bereits in der Mitte des Lebens wird man eine gewisse Routine erlangt haben, wenn es darum geht, Widersacher zu beseitigen. Wer mich nicht unterstützt, hat einfach keinen Platz in meinem Leben. Negative Kräfte, destruktive Atmosphären, das hat in meinem Umfeld nichts zu suchen. Ja, Widerstandsfähigkeit ist der Schlüssel dazu, sich wieder wie 16 zu fühlen. Und ab 50 ist man zu alt, um die Kraft darauf zu verschwenden, andere Menschen verändern zu wollen. Sie bleiben nun mal so dumm, so bekloppt, so borniert und so einfältig, wie sie sind. Dann sucht man sich eben neue Freunde. Heute weiß ich, dass man mit den Fehlern und Defiziten vorliebnehmen muss, an denen man sich einst die Zähne ausgebissen hat – ändern kann man den Charakter anderer nicht. Und sich selbst zu verändern, das hieße, sich zu unterwerfen und anzupassen. Ich baue mich doch emotional nicht um, damit ich den Psychosen anderer entspreche! So mancher macht sich selbst zum Mitwirkenden in einer Tragödie! Ich steige aus zermürbenden Freundschaften, Beziehungen, Verhältnissen etc. einfach aus. Und zwar so höflich, dass es oftmals nicht mal bemerkt wird. In dem Moment weiß man wenigstens, dass es den mentalen Kraftakt nicht wert war, den man über Jahre geleistet hat. Welch eine Erleichterung!

Natürlich kann man sein Verhalten auch modifizieren und sich geschmeidig den jeweiligen Bedingungen anpassen. Aber dieses grundsätzliche Wehklagen und Gejammere über Enttäuschungen mit Männern, Liebhabern, Ehepartnern … es ist immer dasselbe Lied! Der Mann war am Anfang schon genauso furchtbar und verlogen wie heute, das war anfangs nur überlagert vom Glanz unserer romantischen Träumereien. Man muss erst mal bereit sein, sich verletzen zu lassen, und das bin ich einfach nicht mehr! Ich bin dafür schlichtweg zu alt!

Toxische Freundschaften? Verwöhnte, verbitterte Leute? Brauche ich nicht! Immer wieder dieselben Gespräche und Probleme? Bin ich zu alt dafür! Auch Freundschaften kennen Ebbe und Flut, sie haben ihre Gezeiten und Wetterlagen – das ist nur organisches Wachstum und Entwicklung in neue Lebensphasen. Wertvolle Freunde wachsen mit. Sie rufen auch immer wieder an, ob man sich zum Geburtstag meldet oder nicht!

Bornierte Egomanen? Narzissten? Selbstsüchtige Egozentriker? Bin ich zu alt dafür!

Interessante Menschen treten immer wieder in unser Leben, wenn man es nur zulässt, und man hat immer wieder erneut das unerwartete Gefühl, als würde man sich schon ein Leben lang kennen. Ja, man ist nie zu alt für neue Leidenschaften! Am seichten Ende des Dating-Pools sieht man doch vieles wesentlich entspannter! Die Katastrophen und Enttäuschungen, die man im Gepäck hat, sind zum Schutzschild der Verwundbarkeit geworden. Man weiß halt Bescheid und hat gelernt, sich selbst zu schützen. Das war früher leider nicht der Fall.

Schlechte Manieren? Unzuverlässigkeit? Rücksichtlosigkeit? Arroganz? Kleingeistigkeit? Impertinenz? All die niederen Eigenschaften, mit denen Leute sich selbst am unteren Ende der Nahrungskette einsortieren? Bin ich zu alt dafür!

Miserable Fernsehprogramme? Dann bitte unbedingt jetzt die Beethovensonaten durchhören, die wir so sehr mochten, als wir jung waren! Gehen Sie ins Konzert, legen Sie ein Puzzle mit Enkeln, Freunden, Nachbarn – und schauen Sie endlich all die Filme, die Sie verpasst haben!

Buchen Sie einen Malkurs! Restaurieren Sie Möbel! Gehen Sie auf Flohmärkte! Bauen Sie Scheunen um! Werden Sie Rucksacktourist! Buchen Sie sich eine Woche lang in ein Fünfsterneresort ein! Entschlacken, wandern, töpfern Sie … denn wir sind zu alt, um uns mit Dingen aufzuhalten, die nicht wertvoll sind.

Mindestens einmal die Woche komme ich in eine Situation, die mich in jungen Jahren komplett aus der Bahn geworfen hätte – oder zumindest zur Folge gehabt hätte, dass mein Leben aus der Balance gerät. Heute wittere ich Ärger schon zehn Kilometer gegen den Wind. Und das ist ein Riesenfortschritt. Ich erspare mir sehr viel Kummer, indem ich Problemen schon mal prophylaktisch aus dem Wege gehe. Langweilige Partys? Miese Premierenfeiern? Billige Modenschauen? Bleib ich lieber zu Hause und stricke mal wieder einen wunderschönen Schal!

2old4this – ein Stinkefinger zu allem, was nervt, Kraft absaugt, Energie verschwendet und uns frustriert, das fehlt noch bei all den Emojis dieser Welt! Denn was diese negativen Tendenzen bewirken sollen, ist, dass sie uns zurückhalten, ausbremsen und schwächen. Und für Unterwanderung bin ich zu alt!

Wäre 2old4this nicht eine tolle App für ein junges Start-up? Gott sei Dank brauche ich sie nicht, denn auch dafür bin ich zu alt.

Ich brauche meine gesamte Energie, um die Liste meiner offenen Wünsche abzuarbeiten. Dazu gehört erst einmal die Anschaffung eines Hundes! Ein Luxus, den ich mir in meinem bisherigen Leben als ständig mobile Künstlerin nicht erlauben konnte. Das Leben, das ich bisher als reisende Gauklerin geführt habe, würde beim Tierschutzverein nicht als artgerecht gelten. Unregelmäßige Arbeits-, Essens-, Reisezeiten an ständig wechselnden Orten mit einem Großteil des Lebens in Bahnhofshallen, Flughäfen, defekten ICE-Zügen, ungeheizten Garderoben und in mehr oder minder anonymen Hotelzimmern. Fast Food oder oftmals auch gar kein Essen! Eine Zukunft zwischen Gassigehen und Gospelchor scheint mir dagegen mehr als verlockend!

Und ich mag es auch gar nicht, wenn Frauen Männer mit Hunden vergleichen. Männer sind doch keine Hunde! Hunde sind loyal. Ich habe in noch keiner einzigen Hundehütte dieser Welt Stringtangas und BHs von fremden Frauen gefunden!

Der Lack bleibt dran!

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