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Kapitel Eins

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Rain

Auf dem Weg zur Wohnzimmerwand nahm Rain mit dem Arsch beinahe eine Lampe, einen Stapel Porno-DVDs und eine noch warme Pizzaschachtel mit. Mit einem dumpfen Knall schlug er gegen die Wand. Er hatte kaum Zeit aufzukeuchen, bevor sich auch schon Lippen an seinen Hals drückten und Hände unter seine Kleidung glitten, um zu seiner Brust hochzuwandern.

»Fuck«, zischte Rain. Sein Herz dröhnte infolge des Aufpralls. Er hob ein Bein und versuchte, es um Clays Taille zu legen.

Rain war groß und schlank, aber dieser Typ bestand nur aus Muskeln. Mit Leichtigkeit drängte er Rain gegen die Wand, und das mit nicht mehr als einem Rollen seines Beckens. Die Grenze zwischen Adrenalin und Erregung war dünn und machte süchtig.

Er hatte Clay vor einer knappen Stunde kennengelernt und sie hatten den größten Teil der Zeit damit verbracht, sich gegenseitig zu betatschen, Pizza zu essen und einen alten Schwulenporno zu gucken, während sie über die Schnurrbärte der Darsteller gelacht hatten. Wirklich die beste Art, jemanden abzuschleppen.

Keine verschwendete Zeit, in der man sich gegenseitig bewertete oder sich kennenlernte, wie die meisten Leute es nannten.

Rain war so hart, dass es wehtat, aber gleichzeitig stieg etwas in ihm auf und bekämpfte die Stimmung. Und er wusste genau, worum es sich handelte.

Sollte der verdammte Desmond Curtis doch zur Hölle fahren.

Rain hatte ihn vor drei Monaten abserviert, um in seine Heimatstadt Hart's Bay zurückzukehren. Er war sich Des' Taktik bewusst geworden – Männer aufzuspüren, die keine anderen Gelegenheiten hatten, und sie bis auf die Knochen auszusaugen –, aber die Gier nach Sex hatte nicht nachgelassen.

Grob, schnell und unerbittlich.

»Bitte«, keuchte Rain und legte den Hinterkopf an die Wand, um einem Fremden seine Kehle zu präsentieren. Es war eine unglaublich verletzliche Geste und Clay ließ sich die Chance nicht entgehen.

Er strich mit den Zähnen über Rains Kehle, sein Atem floss heiß über Rains Haut. »Bitte was?«

»Lass mich die Kontrolle verlieren«, flüsterte Rain.

Im Hintergrund des schäbigen Wohnzimmers ertönte das Stöhnen von Männern. Es war irgendein Streifen über eine Sauna mit vermeintlich heterosexuellen Männern. Wenn Rain die billigen Übergänge und verblassten Farben ignorierte, half er ihm, ihn heißzumachen.

Bis Clays Zähne sich seitlich in seinen Hals gruben und er heftig gebissen wurde.

»Au!«, wimmerte Rain. Er versuchte zu ignorieren, wie sehr sein Schwanz zur Antwort auf die besitzergreifende Geste pulsierte. So gut es sich anfühlte, war es heute Abend zu viel.

Er wollte sich um den Verstand ficken lassen, aber nicht heute und nicht von Clay.

Verdammt, es war ihm wie eine gute Idee vorgekommen. Es eine Stunde von seiner winzigen Heimatstadt entfernt mit einem Fremden zu treiben, war sicher, dort musste er ihn nie wiedersehen. Keine Veranlassung, seine Geschichte zu erklären, wenn er verschwand, wie er es jeden Moment vorhatte.

Okay, vielleicht doch nicht jeden Moment. Clays Zunge glitt in Rains Mund. Daher ließ er es zu, dass sich seine Augen schlossen, während er einen Lustlaut niederrang. Seine Nervenenden standen in Flammen, auch wenn das leere Gefühl in der Magenkuhle blieb.

Clays Hand schloss sich um seinen in der Jeans gefangenen Schwanz. Er rieb ihn in kleinen, ruckartigen Bewegungen, die Rain Schauder das Rückgrat hoch- und runterlaufen ließen. Ihm war, als könnte er in der ihn umgebenden Hitze verschwinden.

»Ich werde dich ficken, bis du um mehr bettelst.« Mit seiner freien Hand drehte Clay Rain um, während seine andere Hand nach wie vor um Rains Schwanz lag wie um einen Haltegriff. Rain stolperte und gab mit weichen Knien nach.

Dann drückte Clay Rain beinahe mit dem ganzen Körper gegen die Wand, sein breiter Oberkörper hielt ihn gefangen. Wenigstens hatte seine Hand die wichtigsten Stellen geschützt.

»Ich… ich bin mir nicht sicher«, murmelte Rain.

Clay zog die Hand zurück und Rains empfindliche Länge beschwerte sich sofort. Er sehnte sich danach, wieder angefasst zu werden; so sehr, dass es sich in seinem Kopf drehte. »Was war das gerade?« Clay hatte sich noch nicht zurückgezogen, sondern presste Rain immer noch gegen die Wand.

Rain seufzte und legte die Stirn an die Wand, einen der wenigen Körperteile, den er frei bewegen konnte. »Mir ist nicht nach Vögeln.«

»Tja, ich dachte, deswegen bist du hergekommen.« Clays Stimme klang nun schroff. Endlich zog er sich zurück und ließ Rain halb zusammengesunken an der Wand stehen. Er schnaubte hart und verärgert.

»Ich auch.« Rains Kräfte kehrten zurück und der Nebel der Erregung begann sich aus seinem Verstand zurückzuziehen. Er schüttelte einmal heftig den Kopf, um klar zu werden. »Aber ich kann nicht.«

Es war die richtige Entscheidung, denn die Erleichterung, die sein Eingeständnis begleitete, überstrahlte beinahe die Enttäuschung, die mit seinen dicken Eiern einherging.

Das Letzte, was Rain wollte, war, vor einem Fremden zusammenzubrechen. Er hatte die vage Ahnung, dass es dazu kommen würde, wenn sie das durchzögen – seine erste wirklich interessante Verabredung seit der Trennung.

»Tja… Scheiße.« Wenigstens klang Clay nicht wütend. Nur frustriert.

Ein Lächeln legte sich um Rains Lippen. Er wusste, was Clay meinte. »Ja. Geht mir auch so. Ich verschwinde besser«, fügte er mit abgewandtem Blick hinzu.

Wenigstens waren sie noch vollständig bekleidet. Kein Umherkriechen auf der Suche nach verlorenen Socken oder der Versuch herauszufinden, wem welches T-Shirt gehörte. Es dauerte nicht lange, an der Tür seine Schuhe einzusammeln und aus der Wohnung zu flüchten, um seinen Wagen zu erreichen.

Er stand draußen auf der Straße. Ein kleines, unscheinbares Auto, das sich zu den anderen in diesem Vorort von… wo zum Teufel er auch war… gesellte.

Rain konnte nicht richtig denken und sein Gehirn half ihm gerade mal mit dem Bundesstaat aus: Oregon. Es fühlte sich zu sehr nach Colorado an; nach dem Ort, von dem er vor ein paar Monaten geflohen war.

Bis er sein Auto erreicht hatte, gelang es ihm, seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten. Einmal dort angekommen, kämpfte er mit den Schlüsseln. Schließlich legte er eine Hand um das Schloss und spreizte die Finger darum, um den Schlüssel ins Schloss zu führen und umzudrehen.

Endlich ließ Rain sich in den Wagen fallen und zog die Tür zu. Dann schloss er die Augen und ließ das Schaudern durch seinen ganzen Körper rollen.

Verdammte Scheiße, dachte er. Wenn er nur zulassen könnte, dass jemand wenigstens das für ihn tat. Wenn das Leben nur leicht wäre. Wenn nur, wenn nur…

Sobald das Zittern nachgelassen hatte, drehte Rain den Schlüssel in der Zündung, befestigte sein Handy in der Halterung und tippte seine Heimatstadt ein. Kein Grund, eine genaue Anschrift anzugeben.

***

Rains Miene verriet ihn, sobald er Cher's End Table – die einzige Kneipe der Stadt – betrat.

»Cher? Ein Bier für meinen Kumpel hier.« Justin saß an der Bar und winkte Rain beim Sprechen zu sich.

Zum Glück war es ein ruhiger Abend, es waren nur wenige Gäste da. Auf den Barhockern war Justin der Einzige, abgesehen von Cher, der Barkeeperin und Besitzerin. Rain konnte ihnen die Wahrheit erzählen. Abgesehen davon waren sie die einzigen beiden Menschen in der Stadt, die wussten, dass er schwul war.

Und das war Teil einer weiteren rührseligen Geschichte, über die er nicht nachdenken wollte.

»Kommt sofort.«

Rain sackte auf einen Stuhl und verschränkte die Arme auf dem Tresen. Er sah sich um, die Unterlippe gekräuselt, bevor er es endlich über sich brachte, seinem besten Freund in die Augen zu sehen.

»So schlimm, hm?« Justin klopfte ihm auf den Rücken, während Cher ihm ein Bier hinschob.

Rain gab vor, nicht zu bemerken, dass sie in der Nähe das Ende der Bar schrubbte. Sie wusste sowieso bereits über alles Bescheid. Sie hatte das einzige Date zwischen Rain und Justin ausgerichtet und die Bar für die Öffentlichkeit geschlossen, sodass sie in Sicherheit waren und sich ein bisschen normaler verhalten konnten. Chers Herz war zu groß, selbst wenn sie es gut verbarg.

»Ja. So schlimm«, seufzte Rain. »Überhaupt kein Funke.«

Es war eine Geschichte, die Justin akzeptieren würde. Letztendlich hatte sie zwischen ihnen der Wahrheit entsprochen. Er hatte Justin vor ein paar Monaten kennengelernt. Sie arbeiteten in der gleichen Baucrew und bevor Rain dazugestoßen war, war Justin der Neuling gewesen.

Sie hatten genug Zeit miteinander verbracht, dass eine Verabredung nicht nach der schlechtesten Idee geklungen hatte. Aber selbst, nachdem sie den ganzen Abend zusammen verbracht hatten, hatte die Chemie einfach nicht gestimmt. Offensichtlich reichte es nicht, dass sie beide schwul waren.

Gegen Ende ihres Dates hatte die Kunstgalerie in Flammen gestanden und ihre Chemie – oder ihr Mangel daran – hatte die platonische Natur ihrer Verbindung mehr oder weniger zementiert. Sie hatten hinterher nicht einmal gekuschelt, um sich zu trösten. Wenigstens war für Rain ein Freund dabei rausgesprungen und den brauchte er dringender als Sex.

Aber im Augenblick war sein Schwanz ganz anderer Meinung als sein Kopf. Denn was immer er Justin erzählt hatte, zwischen Clay und ihm waren die Funken geflogen, egal, wie wenige. Er hatte nur zu viel Schiss gehabt, um es durchzuziehen.

»Ach Mann. Das passiert. Es schwimmen eine Menge Fische im Meer, hm?« Justin versuchte Rain aufzuheitern. Seine Stimme klang frustrierend aufmunternd.

Rain zwang ein Lächeln auf sein Gesicht und stieß mit seiner Bierflasche gegen Justins. »Klar«, stimmte er zu.

Sein matter Tonfall musste Chers Aufmerksamkeit erregt haben. »He, er war aber kein Arschloch, oder?« Sie sprach leise, was nicht zu ihr passte. Normalerweise bestand ihre Vorstellung von leise in einem unterdrückten Bellen.

»Nee«, versicherte Rain schnell und zuckte die Schultern. »Nur nicht kompatibel, weißt du?«

»Nun, du weißt ja, wo du hinkommen kannst, falls du noch einmal Privatsphäre brauchst.« Es war ein merkwürdiges Angebot, da Chers Bar normalerweise der am wenigsten private Ort der Stadt war. Adleraugen entdeckten zuverlässig jede knospende Romanze – oder Affäre. Aber ihr Angebot war lieb. »An jedem Abend außer am Wochenende«, fügte sie entschlossen hinzu. »Freitags bist du auf dich gestellt. Mama muss ihre Rechnungen bezahlen.«

Das brachte Rain endlich zum Grinsen. »Ja, klar. Verstehe. Danke, Cher.«

Als sie ging, fiel Rains Blick auf das Bild hinter dem Tresen. Zwei Männer hielten sich an den Händen und sahen über die Klippen, die man zu Fuß in zehn Minuten erreichen konnte.

So nah und doch so fern.

Außerdem war das Kunstwerk eine Erinnerung an unerledigte Angelegenheiten für ihn. Rain hatte in der Nacht des Feuers seinen Hals riskiert, um den Künstler und seine Freunde zu verteidigen und… Nun, sie waren zu einem wackeligen Waffenstillstand gekommen.

Für die anderen war es vorbei. Für ihn dagegen war es das tägliche Leben.

»Gott«, sagte Rain, als ihm etwas einfiel, und ließ den Kopf auf den Tresen sinken. »Es ist ja Samstag.«

»Ja…?«

»Morgen ist das einmal monatliche sonntägliche Mittagessen mit meiner Familie.« Rain ließ das Wort so rasch über die Lippen fließen, als ob er damit eine Scheidung erreichen könnte. Als ob es dadurch seine Bedeutung verlieren könnte und damit auch die Macht, ihn zu verletzen.

»Ah.« Justin räusperte sich und klopfte Rain erneut den Rücken. »Du wirst es schon überstehen. Einfach lächeln und nicken. Nächste Woche komme ich vorbei. Wir können uns ein Spiel anschauen und über sie lästern.«

Rain richtete sich wieder auf und wandte sich zu Justin um. Dann griff er nach seiner Flasche. Justin hatte recht. Es gab wirklich nichts, worüber er sich beklagen konnte. »Ja«, stimmte er zu. »Klingt nach einem guten Plan.«

Das Klappern und Zuschlagen der Tür ließ ihn aufblicken.

Oh Scheiße.

Er hatte nie an einen bestimmten Typ geglaubt – wenigstens nicht, was hypothetische Lebensgefährten in spe anging. Persönlichkeit sei wichtiger als das Aussehen, hatte er gesagt.

In diesem Moment musste er jedes einzelne Wort zurücknehmen.

Der Mann in der Tür sorgte dafür, dass Rain sich langsam auf dem Hocker umdrehte, bis er ihm mit dem ganzen Körper zugewandt saß. Es war, als ob die Schwerkraft selbst zur Seite gekippt war, um Rain auf ihn zuzuziehen. Er war ein Schwarzes Loch und hatte Rains Umlaufbahn auf den Kopf gestellt.

Der Fremde war groß und sein Rücken so breit, dass er sich vorsichtig durch die Tür schieben musste. Er füllte beinahe ihren ganzen Rahmen aus. Er hatte die Schultern nach hinten gedrückt, sodass sein dunkelgraues Jackett spannte.

Sein Kinn war erhoben, die Lippen dünn – oder vielleicht auch nur zusammengepresst. Hohe Wangenknochen und die gerade Nase verliehen ihm einen Ausdruck von Arroganz, verstärkt durch die Art, in der er sich umsah und langsam einen Fuß hob, um vorwärtszugehen, als erwartete er, dass der Boden klebrig und von Erdnussschalen bedeckt sei.

Vielleicht wollte er den Schmutz von Hart's Bay nicht an seinen glänzenden schwarzen Lederschuhen haben.

Gott, sein Haar war genauso perfekt wie seine manikürten Nägel. Helle Highlights zogen sich durch die mit Gel aufgerichteten Strähnen. Er sah aus, als käme er direkt aus einem Sitzungssaal.

Nur, dass es in Hart's Bay definitiv keine Sitzungssäle gab; es sei denn, man wollte das Hinterzimmer von Jacks Surf Shack dazuzählen.

Rain grinste über seinen Witz, aber damit stand immer noch die Frage im Raum, was der Fremde hier tat. Vielleicht war er auf dem Highway liegen geblieben und wollte kein Motoröl an seinen hübschen, kleinen Händen haben.

Rain musste nicht lange warten, um herauszufinden, was der Fremde vorhatte. Er ging direkt auf ihn zu und Rains Herzschlag, der sich während der Heimfahrt beruhigt hatte, legte wieder zu, bis er förmlich donnerte.

Für einen verrückten Moment versuchte Rain, sich zu entsinnen, ob er vielleicht irgendein dramatisches Coming-out geplant hatte. Aber er würde sich bestimmt daran erinnern, wenn er für so etwas bezahlt hätte. Er würde sich an alles erinnern, was mit diesem Mann zu tun hatte.

Oh. Eine Sekunde später kam Rain sich dumm vor. Wo zum Teufel war denn dieser Gedanke hergekommen?

»Ein Bier und ein paar Informationen.« Der Fremde sprach mit Cher und lehnte an der Bar, als würde sie ihm gehören. Dann fügte er beinahe wie in einem Nachsatz ein Bitte hinzu.

Cher nahm eine drohende Haltung ein, aber schenkte ihm ein höfliches, steriles Lächeln. »Klar. Was darf's sein?« Sie ließ den Verschluss einer Bierflasche abspringen und reichte es ihm.

»Danke«, sagte er zu Cher, was man ihm knapp anerkennen musste. Er schob einen Zehner über den Tresen und winkte das Wechselgeld beiseite, dann trank er von seinem Bier. »Wem gehören die runtergekommenen Lagerhäuser unten am Wasser?« Er deutete auf die Tür, als stünden sie direkt vor der Bar. »Die, die schon fast auseinanderfallen?«

Rain klappte der Mund auf. Selbst nachdem er ein Leben lang trainiert hatte, seine Reaktionen vor seiner Familie zu verbergen, verblüfften ihn die groben Worte.

Chers Augenbrauen hoben sich zunehmend. »Die am Hafen?« Man musste ihr zugutehalten, dass ihr Blick kein einziges Mal zu Rain huschte. »Warum?«

Das gab Rain ein paar Momente, um eine Maske der Ruhe und schwachen Neugier aufzulegen. Als ob das Auftreten des Kerls ihm nicht bereits durch und durch ginge.

»Ich suche nach billigem Land zum Kaufen.«

Oh Gott. Ärger ließ Rains Wangen rot anlaufen. Er konnte nicht anders, als etwas dazu zu sagen. »Nichts, das es wert ist, es zu besitzen, ist billig zu haben.«

Der Fremde wandte sich ihm zu und für einen Moment weiteten sich seine Augen, als er Rain musterte. Ein kurzer Blick von Kopf bis Fuß und wieder zurück zu Rains Gesicht und seine Lippen hoben sich zu einem Lächeln.

»Wir werden sehen. Und du bist?«

»Rain.« Er biss sich auf die Unterlippe. Er unterstellt mir besser nicht, dass ich billig bin, dachte er.

Was noch ärgerlicher war, war die Tatsache, dass ein kleiner Teil von ihm flüsterte, dass ihm das sogar gefallen könnte. Dass es ihm gefallen könnte, von jemandem herumgescheucht zu werden, der so cool und selbstsicher auftrat. Die Kontrolle abgeben und jemandem für ein paar kostbare Stunden sein Vertrauen schenken…

Nein, sagte Rain sich. Wirf dich nicht jedem Arschloch an den Hals, das dir über den Weg läuft. Es gelang ihm, seinen Zorn an jener Stelle in der Mitte seiner Brust köcheln zu lassen, wo er ihn immer verwahrte, wenn er es nicht herauslassen konnte.

Manchmal jahrelang.

Der Typ musterte Rain, während er trank. »Rain, hm? Wie das Wetter?«

»Kurzform von Rainier.«

»Wie der Vulkan.« Er grinste. »Ganz naturverbunden also. Genau, wie ich es mag.«

In Rain sträubte es sich und Hitze stieg ihm in die Wangen. Die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, würde ihn vermutlich in größere Schwierigkeiten bringen, als sie es wert war.

Willst du's rausfinden? Er wollte so verzweifelt aus den engen Regeln ausbrechen, die sein Leben bestimmten, und den Fremden bitten, eine Nacht lang seine wildesten Träume zu erfüllen.

Gemessen an ihren Blicken, die sich gefunden und nicht wieder losgelassen hatten, würde seinem Gegenüber diese Idee gefallen. Sprach sein Blick von Ärger oder von Sex?

Ein leises Husten hinter ihm beförderte ihn zurück in die Wirklichkeit. Verdammt. Justin war hier, genau neben ihm, und beobachtete alles. Er würde nicht zulassen, dass Rain einen Fremden aufriss, oder? Und er hätte recht. Es war nicht daran zu denken, dass niemand sah, wie Rain diesen Mann mit nach Hause nahm. Wenn er es tat, würde bis zum nächsten Morgen jeder in der Stadt wissen, dass er schwul war.

»Und du bist?«, fügte Rain ein bisschen brüsker hinzu, als er es meinte.

»Colt.«

»Wie die Fünfundvierziger?«, hakte Rain nach.

»Oder das Pferd.« Ein junges, männliches Pferd. »Kann nicht behaupten, dass es nicht zu mir passt.« Colts Augen glänzten unter einem Anflug von Selbstironie. War er bestückt wie ein Pferd? Oder genauso stur wie eins?

Oh Gott. Rain hätte es besser wissen sollen. Er hätte nicht direkt in die Bar kommen sollen, nachdem er erst scharfgemacht und dann ohne Befriedigung geblieben war. Das war, als würde man hungrig einkaufen gehen. Aber er hatte heute Abend bei Cher auch kein Büfett erwartet.

Rain grinste. »Tja, mir hat man schon gesagt, dass ich ziemlich explosiv bin. Mach daraus, was du willst.«

Cher schnaubte und überließ sie sich selbst. »Einer wie der andere«, murmelte sie in sich hinein, während sie wegging.

»Hey…«, begann Colt und sah ihr nach.

»Wenn du mehr über die Lagerhäuser wissen willst, bin ich derjenige, mit dem du reden musst.« Rain wollte Colt immer noch nicht mit dem Wissen rüsten, dass sie ihm gehörten, aber er war neugierig, was dessen Absichten anging.

Immerhin könnte das ein Ausweg aus seinem finanziellen Chaos sein.

Oder eine Gelegenheit, sein Verhandlungsgeschick zu testen.

Oder – nur vielleicht – auch bedeutend mehr.

Colt neigte mit neuem Interesse den Kopf. Er sah Rain wieder an. »Ich bin froh, das zu hören. Ich wollte mit dir reden. Jetzt habe ich eine gute Ausrede.«

Justin brummte kopfschüttelnd. »Hmm. Ich gehe besser heim. Ich überlasse euch euch selbst.« Er klopfte Rain auf die Schulter, als er aufstand, aber sein Blick war unleugbar neugierig. Und es lag auch eine Spur einer Warnung darin.

Rain nickte leicht, als er die Wachsamkeit in Justins Augen bemerkte. Er würde vor der ganzen Bar nichts anstellen, von dem er nicht wollte, dass seine Familie sofort davon erfuhr.

Dann hob er die Hand, um zu winken. »Wir sehen uns, Mann.« Justin ruckte mit dem Kinn und ging nach draußen, sah sich jedoch über die Schulter noch einmal nach ihnen um.

Sobald er fort war, richtete Colt wieder den Blick auf Rain und hielt ihn damit fest. Als wäre er ein Baum, dessen Wurzeln sich in die Erde wanden, stand Rain unter Colts Aufmerksamkeit reglos da.

»War das dein Lover?«

Das löste die Wurzeln. Eine Welle aus Angst und Erregung schwappte über Rain hinweg. Er war sich ziemlich sicher gewesen, dass Colt flirtete, doch die Frage hatte es bestätigt. Was zugleich ein großes Problem war, wenn man bedachte, wo sie sich befanden.

Rain schnaubte und gab sein Bestes, um sich auf der dünnen Linie zwischen Wahrheit und Lüge zu halten. Sie waren sicher nicht zusammen, aber er wollte, dass ihn alle Bekannten für hetero hielten. Gleichzeitig wollte er es mit seiner Reaktion nicht übertreiben und dadurch seine Chance bei Colt verspielen.

»Nee. Ganz weit daneben.«

Colt sah überrascht aus. Er schloss seine hübschen Lippen wieder um die Flasche, während er ein paar Schlucke trank. Dann wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Passiert mir nicht oft. Mein Fehler. Meinst du, du könntest mir dann die Lagerhäuser zeigen?«

Rain seufzte aufgesetzt, während er auf seine halb leere Flasche spähte. »In einer Minute.« Er hielt seinen Tonfall ausdruckslos und gelassen, aber sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als wollte es abheben.

Es war schwer, weder zu begierig noch zu desinteressiert rüberzukommen. Heute Abend brachte er einige Gratwanderungen hinter sich. Eine von ihnen sollte sich besser lohnen.

»Lass dir Zeit.« Colt klang beinahe höhnisch, als hielte er seine Zeit für sehr viel kostbarer als die jedes anderen. Beinahe so, als würde er Rain einen Gefallen tun statt andersherum.

Verdammt, Rain kam mit dieser Haltung nicht zurecht. Ein Teil von ihm wollte Colt einfach aus der Stadt jagen. Wenn ihm sonst schon nichts blieb, wäre das wenigstens eine Befriedigung gewesen. Es wäre ein besseres Ventil für seine Frustration, als hier mit dicken Eiern zu sitzen und sich zu wünschen, dass ihn ein Hengst drei Städte weiter in die Matratze vögelte.

Rain legte den Kopf nach hinten und trank, bis die Flasche leer war, dann schob er sie von sich.

»Komm«, sagte er und ging zur Tür, ohne sich umzusehen, ob Colt ihm folgte. Er war sich sehr bewusst, dass die wenigen Leute in der Bar sie gemeinsam gehen sahen. Daher fügte er hinzu: »Es sind keine fünf Minuten von hier.«

»Du hast die Schlüssel bei dir?« Also folgte Colt ihm wirklich. Rain merkte es am Kribbeln seiner Haut und an dem vagen Eindruck, dass jemand seinen Hintern anstarrte.

»Zu deinem Glück habe ich das.«

Colts Atem strich heiß über Rains Nacken, als er hinter ihm innehielt, sodass Rain die Tür öffnen konnte. »Heute ist mein Glückstag«, sagte er, aber leise genug, dass nur Rain ihn hören konnte.

Rains Hände zitterten beinahe unter dem Adrenalinrausch, der ihn bei diesen Worten erfasste. Dennoch würde er sich nicht so leicht ergeben.

»Wir werden sehen.« Rain öffnete die Tür, ohne sich nach Colt umzusehen, und trat hinaus auf den Hart's Square und das sterbende Licht eines Septemberabends.

Colts Antwort entfachte einen lächerlich hellen Funken unter seiner Haut und tanzte von seinem Bauch bis hinab zu seinen Zehen. Und definitiv in seinen Schwanz.

»Das habe ich vor.«

Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt

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