Читать книгу Mit dem Kopf im Himmel und den Füßen auf dem Boden - E. T. A. Hoffmann - Страница 6
Ritter Gluck
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Im Jahr 1798 wurde die Allgemeine Musikalische Zeitung durch den Musikverleger Gottfried Christoph Härtel (1763–1827) und den Redakteur und Schriftsteller Friedrich Rochlitz (1769–1842) gegründet, sie erschien bis 1848 im Verlag Breitkopf & Härtel, der sich bleibenden Ruhm mit neuen kritischen Gesamtausgaben von Palestrina, Schütz, Mozart, Schubert und Mendelssohn-Bartholdy verschaffte. Bereits 1799 hatte E.T.A. Hoffmann vergeblich versucht, bei Breitkopf & Härtel seine Liedkomposition »fürs Klavier und Chitarra« verlegen zu lassen, doch der Verlag lehnte ab und schickte ihm sein Manuskript zurück. Friedrich Rochlitz, der Mitbegründer der AMZ, leitete deren Redaktion bis 1818 und feierte nebenbei auch Erfolge als Schriftsteller und Lustspieldichter. Rochlitz korrespondierte mit allen wichtigen Autoren seiner Zeit wie Goethe, Schiller, Wieland und Tieck.
Am 16. Oktober 1805 wurde der Regierungsrat Hoffmann in einem Bericht von Friedrich Rochlitz über die Musikalische Gesellschaft in Warschau erstmals in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung namentlich erwähnt.
Hoffmann schrieb einen nicht erhaltenen Empfehlungsbrief an Rochlitz und später auch eine nicht mehr zu identifizierende Komposition als Talentprobe. Zum Jahresende 1807 erhielt Hoffmann endlich eine positive Antwort von Rochlitz, in der dieser Hoffmanns Kompositionen rühmte und ihm das Versprechen übermittelte, eine sachkundige und unparteiische Rezension seiner Werke in der AMZ zu publizieren.
Am 9. Juni 1808 veröffentlichte Friedrich Rochlitz folgende Nachricht in der AMZ Nr. 37: »Hr. Musikd[irektor] Hoffmann, der vor einigen Jahren in Warschau angestellt, und seit der veränderten Ordnung der Dinge daselbst in Berlin sich aufhaltend, ist vom Hrn. Reichsgrafen Soden als Musikdirektor zum Bamberger Theater berufen worden. Man kann diese Bühne zur Acquisition eines so gründlichen Komponisten, so erfahrnen Singmeisters, und überhaupt so talentvollen, gebildeten und achtungswürdigen Mannes, Glück wünschen. In kurzem werden wir von ihm drey grosse charakteristische Klaviersonaten (Zürich bey Nägeli,) erscheinen, und von einer Oper, die Hr. Reichsgr. Soden gedichtet und Hr. H. in Musik gesetzt hat, ist wol auch schon im voraus anzunehmen, sie werde eine wahre Bereicherung der Bühne seyn.«
Hoffmann schrieb am 12. Januar 1809 einen umfangreichen Brief an Friedrich Rochlitz, dem das Manuskript seiner Erzählung Ritter Gluck beilag. Hoffmann berichtete Rochlitz über den Fortgang seiner Künstlerlaufbahn als Musikdirektor in Bamberg, die schon beendet schien, bevor sie richtig begonnen hatte.
»Ich wage es einen kleinen Aufsatz, dem eine wirkliche Begebenheit in Berlin zugrunde liegt, mit der Anfrage beyzulegen, ob er wohl in die Musik[alische] Zeitung aufgenommen werden könte? – Aehnliche Sachen habe ich ehmals in oben erwähnter Zeitung wirklich gefunden zB. die höchst interessanten Nachrichten von einem Wahnsinnigen, der auf eine wunderbare Art auf dem Clavier zu fantasiren pflegte. – Vielleicht könte ich mit der Redaktion der Mus[ikalischen] Zeitung in nähere Verbindung treten und zuweilen Aufsätze und auch Rezensionen kleinerer Werke einliefern.«
Dieser Brief Hoffmanns an Rochlitz ist ein taktisches Bravourstück, denn Hoffmanns, wie ein Köder hingeworfener, Hinweis auf den AMZ-Artikel über einen Wahnsinnigen stammte aus der Feder von Friedrich Rochlitz und erschien in den AMZ-Nr. 39–42 des Jahres 1804 unter dem Titel Der Besuch im Irrenhause mit Verfasserangabe und 1807 publizierte Rochlitz diese Studie sogar als Buchfassung in seinen Kleinen Romanen und Erzählungen.
Friedrich Rochlitz schluckte Hoffmanns taktischen Köder, und am 25. Januar 1809 notierte Hoffmann in seinem Tagebuch: »Einen sehr angenehmen Brief von Rochlitz aus Leipz[ig]. Er nimt den Ritter Gluck zum Einrücken, und mich zum Mitarbeiter an der Mus:Zeit: an.«
Hoffmanns konziliante Äußerungen über nicht autorisierte Kürzungen und Eingriffe in seinen Texten, die ja wie ein Freibrief für Rochlitz wirken, hätte er später sicherlich gerne zurückgenommen. Am 13. März 1809 notierte Hoffmann in seinem Tagebuch: »Den Ritter Gluk gedruckt gelesen! – Es ist sonderbar, daß sich die Sachen gedruckt anders ausnehmen als geschrieben.«
Hoffmanns erste bedeutende Erzählung war in der AMZ Nr. 20 vom 15. Februar 1809 gedruckt erschienen und noch am selben Tag schrieb er an die Redaktion der AMZ: »Mit dem was an dem Ritter Gluck geschehen ist, bin ich sehr wohl zufrieden, nur habe ich den alten Italiäner mit dem gekrümmten Finger so wie die Berliner Egoisten nicht ganz gern vermißt, wiewohl ich mich gern bescheide, daß die Züge des Gemähldes etwas zu grell aufgefaßt seyn mochten. Dagegen haben mich der zugesezte geschlossene Handelsstaat und die bösen Groschen recht sehr erfreut.«
Der Redakteur Friedrich Rochlitz hat also Hoffmanns Manuskript des Ritter Gluck nicht nur leicht gekürzt, sondern eigenmächtig ergänzt, was Hoffmann keineswegs gleichgültig hinnahm. Seinem Freund Hitzig schrieb er am 25. Mai 1809: »Sie können meinen Debut […] Ritter Gluck lesen; ein Aufsatz, der Ihnen in mancher Hinsicht merkwürdig seyn wird, dem Sie es aber auch anmerken werden daß R[ochlitz] hin und wieder nach seiner Art gefeilt hat, welches ich geschehen lassen mußte, unerachtet es mir nicht lieb war.« Seltsamerweise hat Hoffmann 1813 bei seiner Neuabschrift des Erstdrucks vom Ritter Gluck für die Buchfassung im ersten Band der Fantasiestücke in Callots Manier Rochlitz Eigenmächtigkeiten nicht wieder rückgängig gemacht, was aber ohne die ihm nicht vorliegende Manuskript-Fassung, die nicht mehr erhalten ist, auch schwer fiel.
Hoffmanns Text folgt hier ungekürzt in der originalen Orthographie nach dem Erstdruck aus der AMZ von 1809.
Der Spätherbst in Berlin hat gewöhnlich noch einige schöne Tage. Die Sonne tritt freundlich aus dem Gewölk hervor, und schnell verdampft die Nässe in der lauen Luft, welche durch die Strassen weht. Dann sieht man eine lange Reihe, buntgemischt – Elegants, Bürger mit der Hausfrau und den lieben Kleinen in Sonntagskleidern, Geistliche, Jüdinnen, Referendare, Freudenmädchen, Professoren, Putzmacherinnen, Tänzer, Offiziere u. s. w. durch die Linden, nach dem Thiergarten ziehen. Bald sind alle Plätze bey Klaus und Weber besetzt; der Mohrrüben-Kaffee dampft, die Elegants zünden ihre Zigaros an, man spricht, man streitet über Krieg und Frieden, über die Schuhe der Mad. Bethmann, ob sie neulich grau oder grün waren, über den geschlossenen Handelsstaat und böse Groschen u. s. w., bis alles in eine Arie aus Fanchon zerfliesst, womit eine verstimmte Harfe, ein paar nicht gestimmte Violinen, eine lungensüchtige Flöte und ein spasmatischer Fagott sich und die Zuhörer quälen.
Dicht an dem Geländer, welches den Weberschen Bezirk von der Heerstrasse trennt, stehen mehrere kleine, runde Tische und Gartenstühle; hier athmet man freye Luft, beobachtet die Kommenden und Gehenden, ist entfernt von dem kakophonischen Getöse jenes vermaledeyten Orchesters: da setze ich mich hin, und überlasse mich dem leichten Spiel meiner Phantasie, die mir befreundete Gestalten zuführt, mit denen ich über Wissenschaft, über Kunst, über alles, was dem Menschen am theuersten sein soll, spreche. Immer bunter und bunter wogt die Masse der Spaziergänger bey mir vorüber, aber nichts stört mich, nichts kann meine phantastische Gesellschaft verscheuchen. Nur das verwünschte Trio eines höchst niederträchtigen Walzers reisst mich aus der Traumwelt. Die kreischende Oberstimme der Violine und Flöte, und des Fagotts schnarrenden Grundbass allein höre ich; sie gehen auf und ab fest aneinander haltend in Oktaven, die das Ohr zerschneiden, und unwillkührlich, wie jemand, den ein brennender Schmerz ergreift, ruf’ ich aus:
Unter den Linden
Welche rasende Musik! die abscheulichen Oktaven! – Neben mir murmelt es:
Verwünschtes Schicksal! schon wieder ein Oktavenjäger!
Ich sehe auf und werde nun erst gewahr, dass, von mir unbemerkt, an demselben Tische ein Mann Platz genommen hat, der seinen Blick starr auf mich richtet, und von dem nun mein Auge nicht wieder loskommen kann.
Nie sah’ ich einen Kopf, nie eine Gestalt, die so schnell einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hätten. Eine sanft gebogene Nase schloss sich an eine breite, offene Stirn, mit merklichen Erhöhungen über den buschigen, halbgrauen Augenbraunen, unter denen die Augen mit beynahe wildem, jugendlichem Feuer (der Mann mochte über funfzig seyn) hervorblitzten. Das weich geformte Kinn stand in seltsamem Kontrast mit dem geschlossenen Munde, und ein skurriles Lächeln, hervorgebracht durch ein sonderbares Muskelspiel in den eingefallenen Backen, schien sich aufzulehnen gegen den tiefen, melancholischen Ernst, der auf der Stirn ruhte. Nur wenige graue Löckchen lagen hinter den grossen, vom Kopfe abstehenden Ohren. Ein sehr weiter, moderner Überrock hüllte die grosse hagere Gestalt ein. So wie mein Blick auf den Mann traf, schlug er die Augen nieder, und setzte das Geschäft fort, worin ihn mein Ausruf wahrscheinlich unterbrochen hatte. Er schüttete nämlich aus verschiedenen kleinen Düten mit sichtbarem Wohlgefallen Tabak in eine vor ihm stehende grosse Dose und feuchtete ihn mit rothem Wein aus einer Viertelsflasche an. Die Musik hatte aufgehört; ich fühlte die Nothwendigkeit, ihn anzureden.
Es ist gut, dass die Musik schweigt, sagte ich; das war ja nicht auszuhalten.
Der Alte warf mir einen flüchtigen Blick zu und schüttete die letzte Düte aus.
Es wäre besser, dass man gar nicht spielte; nahm ich nochmals das Wort.
Sind Sie nicht meiner Meynung?
Ich bin gar keiner Meynung, sagte er.
Sie sind Musiker und Kenner von Profession …
Sie irren; beydes bin ich nicht. Ich lernte ehemals Klavierspielen und Generalbass, wie eine Sache, die zur guten Erziehung gehört, und da sagte man mir unter anderm, nichts mache einen widrigern Effekt, als wenn der Bass mit der Oberstimme in Oktaven fortschreite. Ich nahm das damals auf Autorität an und habe es nachher immer bewährt gefunden.
Wirklich? fiel er mir ein, stand auf, und schritt langsam und bedächtig nach den Musikanten hin, indem er öfters, den Blick in die Höhe gerichtet, mit flacher Hand leise an die Stirn klopfte, wie jemand, der irgendeine Erinnerung wecken will. Ich sah ihn mit den Musikanten sprechen, die er mit einer imponirenden Würde behandelte. Er kehrte zurück, und kaum hatte er sich gesetzt, als man die Ouvertüre der Iphigenia in Aulis zu spielen anfing.
Mit halbgeschlossenen Augen, die verschränkten Arme auf den Tisch gestützt, hörte er das Andante an; den linken Fuss leise bewegend, bezeichnete er das Eintreten der Stimmen: jetzt erhob er den Kopf – schnell warf er den Blick umher – die linke Hand, mit auseinandergespreitzten Fingern, ruhte auf dem Tische, als greife er einen vollen Accord auf dem Flügel, die rechte Hand hob er in die Höhe: es war ein Kapellmeister, der dem Orchester das Eintreten des andern Tempo’s angibt – die rechte Hand fällt, und das Allegro beginnt! – Eine brennende Röthe fliegt über die blassen Wangen; die Augenbraunen fahren zusammen auf der gerunzelten Stirn, eine innere Wuth entflammt den wilden Blick mit einem Feuer, das mehr und mehr das Lächeln wegzehrt, das noch um den halbgeöffneten Mund schwebte. Nun lehnt er sich zurück, hinauf ziehen sich die Augenbraunen, das Muskelspiel auf den Wangen kehrt zurück, die Augen erglänzen, ein tiefer, innerer Schmerz löst sich auf in Wollust, die alle Fibern ergreift und krampfhaft erschüttert – tief aus der Brust zieht er den Athem, Tropfen stehen auf der Stirn; er deutet das Eintreten des Tutti und andere Hauptstellen an; seine rechte Hand verlässt den Takt nicht, mit der linken holt er sein Tuch hervor und fährt damit über das Gesicht. So belebte er das Skelett, welches jene paar Violinen von der Ouvertüre gaben, mit Fleisch und Farben. Ich hörte die sanfte, schmelzende Klage, womit die Flöte emporsteigt, wenn der Sturm der Violinen und Bässe ausgetobt hat und der Donner der Pauken schweigt; ich hörte die leise anschlagenden Töne der Violoncelle, des Fagotts, die das Herz mit unnennbarer Wehmuth erfüllen: das Tutti kehrt wieder, wie ein Riese hehr und gross schreitet das Unisono fort, die dumpfe Klage erstirbt unter seinen zermalmenden Tritten–
Die Ouvertüre war geendigt; der Mann liess beyde Arme herabsinken und sass mit geschlossenen Augen da, wie jemand, den eine übergrosse Anstrengung entkräftet hat. Seine Flasche war leer: ich füllte sein Glas mit Burgunder, den ich unterdessen hatte geben lassen. Er holte einen schweren Seufzer, und schien aus einem tiefen Traume zu erwachen. Ich nöthigte ihn zum Trinken; er that es ohne Umstände, und indem er das volle Glas mit einem Zuge hinunterstürzte, rief er aus: Ich bin mit der Aufführung zufrieden! das Orchester hielt sich brav!
Und doch, nahm ich das Wort – doch wurden nur schwache Umrisse eines mit lebendigen Farben ausgeführten Meisterwerks gegeben.
Urtheile ich richtig? – Sie sind kein Berliner!
Ganz richtig; nur abwechselnd halte ich mich hier auf.
Der Burgunder ist gut: aber es wird kalt.
So lassen Sie uns ins Zimmer gehen und dort die Flasche leeren.
Ein guter Vorschlag. – Ich kenne Sie nicht: dafür kennen Sie mich aber auch nicht. Wir wollen uns unsere Nahmen nicht abfragen: Namen sind zuweilen lästig. Ich trinke Burgunder, er kostet mich nichts, wir befinden uns wohl bey einander, und damit gut!
Er sagte dies alles in gutmüthigem Humor. Wir waren ins Zimmer getreten; als er sich setzte, schlug er den Ueberrock auseinander und ich bemerkte mit Verwunderung, dass er unter demselben eine gestickte Weste mit langen Schössen, schwarz sammtne Beinkleider und einen ganz kleinen, silbernen Degen trug. Er knöpfte den Rock sorgfältig wieder zu.
Warum fragten Sie mich, ob ich ein Berliner sey? begann ich.
Weil ich in diesem Falle genöthigt gewesen wäre, Sie zu verlassen.
Das klingt räthselhaft.
Nicht im mindesten, sobald ich Ihnen sage, dass ich – nun, dass ich ein Komponist bin.
Noch immer errathe ich Sie nicht.
So verzeihen Sie meinen Ausruf vorhin; denn ich sehe, Sie verstehen sich ganz und gar nicht auf Berlin und auf Berliner.
Er stand auf und ging einigemal heftig auf und ab; dann trat er ans Fenster und sang kaum vernehmlich den Chor der Priesterinnen aus der Iphigenia in Tauris, indem er dann und wann bey dem Eintreten der Tutti an die Fensterscheiben klopfte. Mit Verwundern bemerkte ich, dass er gewisse andere Wendungen der Melodieen nahm, die durch Kraft und Neuheit frappirten. Ich ließ ihn gewähren. Er hatte geendigt und kehrte zurück zu seinem Sitz. Ganz ergriffen von des Mannes sonderbarem Benehmen und den phantastischen Aeusserungen eines seltenen musikalischen Talents, schwieg ich. Nach einer Weile fing er an:
Haben Sie nie komponirt?
Ja; ich habe mich in der Kunst versucht: nur fand ich alles, was ich, wie mich dünkte, in Augenblicken der Begeisterung geschrieben hatte, nachher matt und langweilig; da liess ich’s denn bleiben.
Sie haben unrecht gethan; denn schon, dass Sie eigne Versuche verwarfen, ist kein übles Zeichen Ihres Talents. Man lernt Musik als Knabe, weil’s Papa und Mama so haben wollen; nun wird darauf los geklimpert und gegeigt: aber unvermerkt wird der Sinn empfänglicher für Melodie. Vielleicht war das halb vergessene Thema eines Liedchens, welches man nun anders sang, der erste eigne Gedanke, und dieser Embryo, mühsam genährt von fremden Kräften, genas zum Riesen, der, alles Fremde um sich her aufzehrte und in sein Mark und Blut verwandelte! – Ha, wie ist es möglich, die tausenderley Arten, wie man zum Komponiren kommt, auch nur anzudeuten! – Es ist eine breite Heerstrasse, da tummeln sich alle herum, und jauchzen und schreyen: wir sind Geweihte! wir sind am Ziel! – Durchs elfenbeinerne Thor kommt man ins Reich der Träume; wenige sehen das Thor einmal, noch wenigere gehen durch! – Abenteuerlich sieht es hier aus. Tolle Gestalten schweben hin und her, aber sie haben Charakter – eine mehr wie die andere. Sie lassen sich auf der Heerstrasse nicht sehen, nur hinter dem elfenbeinernen Thor sind sie zu finden. Es ist schwer, aus diesem Reiche zu kommen; wie vor Alzinens Burg versperren die Ungeheuer den Weg – es wirbelt – es dreht sich – viele verträumen den Traum im Reiche der Träume – sie zerfliessen im Traum – sie werden körperlos – sie werfen keinen Schatten mehr, sonst würden sie am Schatten gewahr werden den Strahl, der durch dies Reich fährt: aber nur wenige, erweckt aus dem Traume, steigen empor und schreiten durch das Reich der Träume – sie kommen zur Wahrheit – der höchste Moment ist da: die Berührung mit dem Ewigen, Unaussprechlichen! – Schaut die Sonne an; sie ist der Dreyklang, aus dem die Accorde, Sternen gleich, herabschiessen und Euch mit Feuerfaden umspinnen – Verpuppt im Feuer liegt ihr da, bis sich Psyche emporschwingt in die Sonne. –
Bey den letzten Worten war er aufgesprungen, warf den Blick, warf die Hand in die Höhe. Dann setzte er sich wieder und leerte schnell das ihm eingeschenkte Glas. Es entstand eine Stille, die ich nicht unterbrechen mochte, um den ausserordentlichen Mann nicht aus dem Geleise zu bringen. Endlich fuhr er beruhigter fort:
Als ich im Reich der Träume war, folterten mich tausend Schmerzen und Aengste!
Nacht war’s, und mich schreckten die grinsenden Larven der Ungeheuer, welche auf mich einstürmten und mich bald in den Abgrund des Meeres versenkten, bald hoch in die Lüfte emporhoben. Da fuhren Lichtstrahlen durch die Nacht, und die Lichtstrahlen waren Töne, welche mich umfingen mit lieblicher Klarheit – Ich erwachte von meinen Schmerzen und sah ein grosses, helles Auge, das blickte in eine Orgel, und wie es blickte, gingen Töne hervor und schimmerten und umschlangen sich in herrlichen Accorden, wie ich sie nie gedacht hatte. Melodieen strömten auf und nieder, und ich schwamm in diesem Strom und wollte untergehen: da blickte das Auge mich an und hielt mich empor über den brausenden Wellen – Nacht wurde es wieder, da traten zwey Kolossen in glänzenden Harnischen auf mich zu: Grundton und Quinte! sie rissen mich empor, aber das Auge lächelte: Ich weiss, was deine Brust mit Sehnsucht erfüllt; der sanfte, weiche Jüngling Terz wird unter die Kolossen treten; du wirst seine süsse Stimme hören, mich wieder sehen, und meine Melodieen werden dein seyn. –
Er hielt inne.
Und Sie sahen das Auge wieder?
Ja, ich sah’ es wieder! – Jahre lang seufzt’ ich im Reich der Träume – da – ja da! Ich sass in einem herrlichen Thal, und hörte zu, wie die Blumen tönend einander ansprachen.
Nur eine Sonnenblume schwieg und neigte traurig den geschlossenen Kelch zur Erde. Unsichtbare Bande zogen mich hin zu ihr – sie hob ihr Haupt – der Kelch schloss sich auf, und aus ihm strahlte mir das Auge entgegen. Nun zogen die Töne, wie Lichtstrahlen, aus meinem Haupte zu den Blumen, die begierig sie einsogen. Grösser und grösser wurden der Sonnenblume Blätter – Gluthen strömten aus ihnen hervor – sie umflossen mich – das Auge war verschwunden und ich im Kelche. –
Bey den letzten Worten sprang er auf und eilte mit raschen, jugendlichen Schritten zum Zimmer hinaus. Vergebens wartete ich auf seine Zurückkunft: ich beschloss daher, nach der Stadt zu gehen.
Schon war ich in der Nähe des Brandenburger Thores, als ich in der Dunkelheit eine lange Figur hinschreiten sah und alsbald meinen Sonderling wiedererkannte. Ich redete ihn an:
Warum haben Sie mich so schnell verlassen?
Es wurde zu heiss, und der Euphon fing an zu klingen.
Ich verstehe Sie nicht!
Desto besser.
Desto schlimmer, denn ich möchte Sie gern ganz verstehen.
Hören Sie denn nichts?
Nein.
– Es ist vorüber! – Lassen Sie uns gehen. Ich liebe sonst nicht eben die Gesellschaft; aber – Sie komponieren nicht – Sie sind kein Berliner. –
Ich kann nicht ergründen, was Sie so gegen die Berliner einnimmt? Hier, wo die Kunst geachtet und in hohem Masse ausgeübt wird, sollt’ ich meynen, müsste einem Manne von Ihrem künstlerischen Geiste wohl seyn!
Sie irren! – Zu meiner Quaal bin ich verdammt, hier, wie ein abgeschiedener Geist, im öden Raume umher zu irren.
Im öden Raume, hier, in Berlin?
Ja, öde ist’s um mich her, denn kein verwandter Geist tritt auf mich zu. Ich stehe allein.
Aber die Künstler! die Komponisten!
Weg damit! Sie kritteln und kritteln – verfeinern alles bis zur feinsten Messlichkeit, wühlen alles durch, um nur einen armseligen Gedanken zu finden; über dem Schwazzen von Kunst, von Kunstsinn und was weiss ich – können sie nicht zum Schaffen kommen, und wird ihnen einmal so zu Muthe, als wenn sie ein paar Gedanken ans Tageslicht befördern müssten: so zeigt die furchtbare Kälte ihre weite Entfernung von der Sonne – es ist lappländische Arbeit.
Ihr Urtheil scheint mir viel zu hart. Wenigstens müssen Sie die herrlichen Aufführungen im Theater befriedigen.
Ich hatte es über mich gewonnen, einmal wieder ins Theater zu gehen, um meines jungen Freundes Oper zu hören – wie heisst sie gleich? – Ha, die ganze Welt ist in dieser Oper! durch das bunte Gewühl geputzter Menschen ziehen die Geister des Orkus – Alles hat hier Stimme und allmächtigen Klang – Teufel, ich meyne ja Don Juan! Aber nicht die Ouvertüre, welche Prestissimo, ohne Sinn und Verstand abgesprudelt wurde, könnt’ ich überstehen; und ich hatte mich durch Fasten bereitet dazu, weil ich weiss, dass der Euphon von diesen Massen viel zu sehr bewegt wird und unrein anspricht!
Wenn ich auch eingestehen muss, daß Mozarts Meisterwerke grösstentheils auf eine kaum erklärliche Weise hier vernachlässigt werden, so erfreuen sich doch Glucks Werke gewiss einer würdigen Darstellung.
Meynen Sie? –Ich wollte einmal Iphigenia in Tauris hören. Als ich ins Theater trete, höre ich, dass man die Ouvertüre der Iphigenia in Aulis spielt. Hm – denke ich, ein Irrthum; man giebt diese Iphigenia! Ich erstaune, als nun das Andante eintritt, womit die Iphigenia in Tauris anfängt, und der Sturm folgt. Zwanzig Jahre liegen dazwischen! Die ganze Wirkung, die ganze wohlberechnete Exposition des Trauerspiels geht verlohren. Ein stilles Meer – es entsteht ein Sturm – die Griechen werden ans Land geworfen, die Oper ist da! – Wie? hat der Komponist die Ouvertüre ins Gelag hineingeschrieben, dass man sie, wie ein Trompeterstückchen, abblasen kann, wie und wo man will?
Ich gestehe den Missgriff ein. Indessen man thut doch alles, um Glucks Werke zu heben.
Ey ja! sagte er kurz und lächelte dann bitter und immer bittrer. Plötzlich fuhr er auf und nichts vermochte ihn aufzuhalten. Er war im Augenblicke wie verschwunden, und mehrere Tage hinter einander suchte ich ihn im Thiergarten vergebens. – –
Einige Monate waren vergangen, als ich an einem kalten regnichten Abende mich in einem entfernten Theile der Stadt verspätet hatte und nun nach meiner Wohnung in der Friedrichsstrasse eilte. Ich musste bei dem Theater vorbey; die rauschende Musik, Trompeten und Pauken, erinnerten mich, dass gerade Glucks Armida gegeben wurde, und ich war im Begriff hineinzugehen, als ein sonderbares Selbstgespräch, dicht an den Fenstern, wo man fast jeden Ton des Orchesters hört, meine Aufmerksamkeit erregte.
Jetzt kommt der König – sie spielen den Marsch – o paukt, paukt nur zu! – ›s ist recht munter! ja, ja, sie müssen ihn heute eilfmal machen – der Zug hat sonst nicht Zug genug – Ha ha – maestoso – schleppt euch, Kinderchen – Sieh, da bleibt ein Figurant mit der Schuhschleife hängen – Richtig, zum zwölften mal! und immer auf die Dominante hinausgeschlagen – O ihr ewigen Mächte, das endet nimmer! Jetzt macht er sein Kompliment – Armida dankt ergebenst – Noch einmal? – Richtig, es fehlen noch zwey Soldaten! Jetzt wird ins Recitativ hineingepoltert – Welcher böse Geist hat mich hier festgebannt?
Der Bann ist gelöst, rief ich. Kommen Sie!
Ich fasste meinen Sonderling aus dem Thiergarten – denn niemand anders war der Selbstredner – rasch beym Arm und zog ihn mit mir fort. Er schien überrascht und folgte mir schweigend. Schon waren wir in der Friedrichsstrasse, als er plötzlich stillstand.
Ich kenne Sie, – sagte er. Sie waren im Tiergarten – wir sprachen viel – ich habe Wein getrunken – habe mich erhitzt – nachher klang der Euphon zwey Tage hindurch – ich habe viel ausgestanden – es ist vorüber!
Ich freue mich, dass der Zufall Sie mir wieder zugeführt hat. Lassen Sie uns näher mit einander bekanntwerden. Nicht weit von hier wohne ich; wie wär‹ es …
Ich kann und darf zu Niemand gehen.
Nein, Sie entkommen mir nicht; ich gehe mit Ihnen.
So werden Sie noch ein paar hundert Schritte mit mir laufen müssen. Aber Sie wollten ja in’s Theater?
Ich wollte Armida hören, aber nun –
Sie sollen jetzt Armida hören! kommen Sie! –
Schweigend gingen wir die Friedrichsstrasse hinauf; rasch bog er in eine Querstrasse ein, und kaum vermochte ich ihm zu folgen, so schnell lief er die Strasse herab, bis er endlich vor einem unansehnlichen Hause stillstand. Ziemlich lange hatte er gepocht, als man endlich öffnete. Im Finstern tappend erreichten wir die Treppe und ein Zimmer im obern Stock, dessen Thüre mein Führer sorgfältig verschloss. Ich hörte noch eine Thüre öffnen; bald darauf trat er mit einem angezündeten Lichte hinein und der Anblick des sonderbar ausstaffirten Zimmers überraschte mich nicht wenig. Altmodisch reich verzierte Stühle, eine Wanduhr mit vergoldetem Gehäuse, und ein breiter, schwerfälliger Spiegel gaben dem Ganzen das düstere Ansehn verjährter Pracht. In der Mitte stand ein kleines Klavier, auf demselben ein grosses Tintenfass von Porzellan, und daneben lagen einige Bogen rastrirtes Papier. Ein schärferer Blick auf diese Vorrichtung zum Komponiren überzeugte mich jedoch, dass seit langer Zeit nichts geschrieben seyn musste; denn ganz vergelbt war das Papier und dickes Spinnengewebe überzog das Tintenfass.
Der Mann trat vor einen Schrank in der Ecke des Zimmers, den ich noch nicht bemerkt hatte, und als er den Vorhang wegzog, wurde ich eine Reihe schön gebundener Bücher gewahr mit goldnen Aufschriften: Orfeo, Armida, Alceste, Iphigenia u. s. w., kurz, Glucks Meisterwerke sah ich beisammen stehen.
Sie besitzen Glucks sämmtliche Werke? rief ich.
Er antwortete nicht, aber zum krampfhaften Lächeln verzog sich der Mund, und das Muskelspiel in den eingefallenen Backen verzerrte im Augenblick das Gesicht zur schauerlichen Maske. Starr den düstern Blick auf mich gerichtet, ergriff er eins der Bücher – es war »Armida« – und schritt feyerlich zum Klavier hin. Ich öffnete es schnell und stellte den zusammengelegten Pult auf; er schien das gern zu sehen. Er schlug das Buch auf, und – wer schildert mein Erstaunen, als ich rastrirte Blätter, aber mit keiner Note beschrieben erblickte.
Er begann: Jetzt werde ich die Ouvertüre spielen! Wenden Sie die Blätter um, und zur rechten Zeit! –
Ich versprach das, und nun spielte er herrlich und meisterhaft, mit vollgriffigen Accorden, das majestätische Tempo di Marcia, womit die Ouvertüre anhebt, fast ganz dem Original getreu: aber das Allegro war nur mit Glucks Hauptgedanken durchflochten. Er brachte so viele neue, geniale Wendungen hinein, dass mein Erstaunen immer wuchs. Vorzüglich waren seine Modulationen frappant, ohne grell zu werden, und er wusste den einfachen Hauptgedanken so viele melodiöse Melismen anzureihen, dass jene immer in neuer, verjüngter Gestalt, wiederzukehren schienen. Sein Gesicht glühte; bald zogen sich die Augenbraunen zusammen und ein lang verhaltener Zorn wollte gewaltsam losbrechen, bald schwamm das Auge in Thränen tiefer Wehmuth. Zuweilen sang er, wenn beyde Hände in künstlichen Melismen arbeiteten, das Thema mit einer angenehmen Tenorstimme; dann wusste er, auf ganz besondere Weise, mit der Stimme den dumpfen Ton der anschlagenden Pauke nachzuahmen. Ich wandte die Blätter fleissig um, indem ich seine Blicke verfolgte. Die Ouvertüre war geendet, und er fiel erschöpft mit geschlossenen Augen in den Lehnstuhl zurück. Bald raffte er sich aber wieder auf, und indem er hastig mehrere leere Blätter des Buchs umschlug, sagte er mit dumpfer Stimme:
Alles dieses, mein Herr, habe ich geschrieben, als ich aus dem Reich der Träume kam.
Aber ich verrieth Unheiligen das Heilige, und eine eiskalte Hand fasste in dies glühende Herz! Es brach nicht; da wurde ich verdammt, zu wandeln unter den Unheiligen wie ein abgeschiedner Geist – gestaltlos, damit mich niemand kenne, bis mich die Sonnenblume wieder emporhebt zu dem Ewigen. – Ha – jetzt lassen Sie uns Armidens Scene singen!
Nun sang er die Schlussscene der Armida mit einem Ausdruck, der mein Innerstes durchdrang. Auch hier wich er merklich von der wirklichen Partitur ab: aber seine veränderte Musik war die Glucksche Scene gleichsam in höherer Potenz. Alles, was Liebe, Hass, Verzweiflung, Raserey, in den stärksten Zügen ausdrücken kann, fasste er gewaltig in Töne zusammen. Seine Stimme schien die eines Jünglings, denn von tiefer Dumpfheit schwoll sie empor zur durchdringenden Stärke. Alle meine Fibern zitterten – ich war ausser mir.
Als er geendet hatte, warf ich mich ihm in die Arme und rief mit gepresster Stimme:
Was ist das? Wer sind Sie? –
Er stand auf und mass mich mit ernstem, durchdringendem Blick; doch als ich weiter fragen wollte, war er mit dem Lichte durch die Thüre entwichen und hatte mich im Finstern gelassen. Es hatte beynahe eine Viertelstunde gedauert; ich verzweifelte, ihn wiederzusehen, und suchte, durch den Stand des Klaviers orientirt, die Thüre zu öffnen, als er plötzlich in einem gestickten Gallakleide, reicher Weste, den Degen an der Seite, mit dem Lichte in der Hand hereintrat.
Ich erstarrte; feierlich kam er auf mich zu, fasste mich sanft bey der Hand und sagte, sonderbar lächelnd:
Ich bin der Ritter Gluck!