Читать книгу Mit dem Kopf im Himmel und den Füßen auf dem Boden - E. T. A. Hoffmann - Страница 8
Beethovens Instrumentalmusik
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Zu E.T.A. Hoffmanns bedeutenden Leistungen als Musikkritiker gehören auch seine Rezensionen über einige Werke Beethovens, vor allem seine analytisch-innovative Besprechung der 5. Sinfonie in c-moll, op. 67, die im Juli 1810 in der AMZ erschien. Diese Rezension verarbeitete Hoffmann später in seinem Fantasiestück Beethovens Instrumentalmusik, das als Vorabdruck der Buchausgabe im Dezember 1813 als Fortsetzungsdruck in der Zeitung für die elegante Welt erschien, dem unser gekürzter Abdruck folgt.
Sollte, wenn von der Musik als einer selbständigen Kunst die Rede ist, nicht immer nur die Instrumentalmusik gemeinet seyn, welche jede Hülfe, jede Beimischung einer andern Kunst (der Poesie) verschmähend das eigenthümliche nur in ihr zu erkennende Wesen dieser Kunst rein ausspricht? – Sie ist die romantischeste aller Künste, beinahe möchte man sagen, allein recht romantisch, denn nur das Unendliche ist ihr Vorwurf. – Orpheus Lyra öffnete die Thore des Orkus. Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt und in der er alle bestimmten Gefühle zurückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben.
Habt ihr dies eigenthümliche Wesen auch nur wohl geahndet, ihr armen Instrumentalcomponisten, die ihr euch mühsam abquälet bestimmte Empfindungen, ja sogar Begebenheiten darzustellen? – Wie konnte es euch denn nur einfallen, die in der Plastik geradezu entgegengesetzte Kunst zu behandeln. Eure Sonnenaufgänge, eure Gewitter, eure Batailles de trois Empereurs u. s. w. waren wohl gewiß gar lächerliche Verirrungen und sind wohlverdienter Weise mit gänzlichem Vergessen bestraft.
In dem Gesange, wo die Poesie bestimmte Affekte durch Worte andeutet, wirkt die magische Kraft der Musik, wie das wunderbare Elixir der Weisen, von dem etliche Tropfen jeden Trank köstlicher und herrlicher machen. Jede Leidenschaft – Lieb – Haß – Zorn – Verzweiflung etc. wie die Oper sie uns gibt, kleidet die Musik in den Pupurschimmer der Romantik, und selbst das im Leben Empfundene führt uns hinaus aus dem Leben in das Reich des Unendlichen.
So stark ist der Zauber der Musik, und immer mächtiger werdend mußte er jede Fessel einer andern Kunst zerreissen.
Gewiß nicht allein in der Erleichterung der Ausdrucksmittel (Vervollkommnung der Instrumente, größere Virtuosität der Spieler), sondern in dem tieferen innigeren Erkennen des eigenthümlichen Wesens der Musik liegt es, daß geniale Komponisten die Instrumentalmusik zu der jetzigen Höhe erhoben.
Mozart und Haydn, die Schöpfer der jetzigen Instrumentalmusik, zeigten uns zuerst die Kunst in ihrer vollen Glorie; wer sie da mit voller Liebe anschaute und eindrang in ihr innigstes Wesen, ist – Beethoven! – Die Instrumentalkompositionen aller drei Meister athmen einen gleichen romantischen Geist, welches in dem gleichen innigen Ergreifen des eigenthümlichen Wesens der Kunst liegt; der Charakter ihrer Kompositionen unterscheidet sich jedoch merklich. – Der Ausdruck eines kindlichen heitern Gemüths herrscht in Haydns Kompositionen. Seine Sinfonien führen uns in unabsehbare grüne Hayne, in ein lustiges buntes Gewühl glücklicher Menschen. Jünglinge und Mädchen schweben in Reihentanzen vorüber; lachende Kinder, hinter Bäumen, hinter Rosenbüschen lauschend, werfen sich neckend mit Blumen. Ein Leben voll Liebe, vor Seligkeit wie vor der Sünde, in ewiger Jugend; kein Leiden, kein Schmerz, nur ein süßes wehmüthiges Verlangen nach der geliebten Gestalt, die in der Ferne im Glanz des Abendrothes daher schwebt, nicht näher kommt, nicht verschwindet. So lange sie da ist, wird es nicht Nacht, denn sie selbst ist das Abendroth, von dem Berg und Hain erglühen.
In die Tiefen des Geisterreichs führt uns Mozart. Furcht empfängt uns, aber ohne Marter ist sie mehr Ahndung des Unendlichen.
Liebe und Wehmuth tönen in holden Geisterstimmen; die Nacht geht auf in hellem Purpurschimmer und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir nach den Gestalten, die freundlich uns in ihre Reihen winken in ewigem Sphärentanze durch die Wolken fliegen. (Mozarts Sinfonie in Es-Dur unter dem Namen des Schwanengesanges bekannt.)
So öffnet uns auch Beethovens Instrumentalmusik das Reich des Ungeheuern und Unermeßlichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen und uns vernichten, aber nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht; und nur in diesem Schmerz, der Liebe, Hoffnung, Freude, in sich verzehrend aber nicht zerstörend, unsere Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher! – […]
Beethovens Musik bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmerzes und erweckt eben jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der Romantik ist. Er ist daher ein rein romantischer Komponist, und mag es nicht daher kommen, daß ihm Vokalmusik, die den Charakter des unbestimmten Sehnens nicht zuläßt, sondern nur durch Worte bestimmte Affekte als in dem Reiche des Unendlichen empfunden darstellt, weniger gelingt.
Den musikalischen Pöbel drückt Beethovens mächtiger Genius; er will sich vergebens dagegen auflehnen. – Aber die weisen Richter mit vornehmer Miene um sich schauend, versichern: man könne es ihnen als Männer von großem Verstande und tiefer Einsicht aufs Wort glauben, es fehle dem guten Beethoven nicht im mindesten an einer sehr reichen lebendigen Fantasie, aber er verstehe sie nicht zu zügeln! Da wäre dann nun von Auswahl und Formung der Gedanken gar nicht die Rede, sondern er werfe nach der sogenannten genialen Methode alle so hin, wie es ihm augenblicklich die im Feuer arbeitende Fantasie eingebe.
Was ist es aber, wenn nur Eurem schwachen Blick der innere tiefe Zusammenhang jeder Beethovenschen Komposition entgeht? Wenn es nur an Euch liegt, daß ihr des Meisters, dem Geweihten verständliche Sprache nicht versteht, wenn Euch die Pforte des innersten Heiligthums verschlossen blieb? – In Wahrheit, der Meister, an Besonnenheit Haydn und Mozart ganz an die Seite zu stellen, trennt sein Ich von dem innern Reich der Töne und gebietet darüber als unumschränkter Herr. Aesthetische Meßkünstler haben oft im Shakespeare über gänzlichen Mangel innerer Einheit und inneren Zusammenhanges geklagt, indem dem tieferen Blick ein schöner Baum, Blüthen und Früchte aus einem Keim treibend, erwächst; so entfaltet sich auch nur durch ein sehr tiefes Eingehen in Beethovens Instrumentalmusik die hohe Besonnenheit, welche vom wahren Genie unzertrennlich ist und von dem Studium der Kunst gewährt wird. Welches Instrumentalwerk Beethovens bestätigt dies alles wohl im höherm Grade, als die über alle Maßen herrliche tiefsinnige Sinfonie in c moll.
Wie führt diese wundervolle Komposition in einem fort und fortsteigenden Climax den Zuhörer unwiderstehlich fort in das Geisterreich des Unendlichen. […]
Wie tief haben sich doch deine herrlichen Flügelkompositionen, du hoher Meister! meinem Gemüthe eingeprägt: wie schaal und nichtsbedeutend erscheint mir doch nun alles, was nicht dir, dem sinnigen Mozart und dem gewaltigen Genius Sebastian Bach angehört. –
Mit welcher Lust empfing ich dein siebzigstes Werk, die beiden herrlichen Trios, denn ich wußte ja wohl, daß ich sie nach weniger Uebung bald gar herrlich hören würde. Und so gut ist es mir ja denn heute Abend geworden, so daß ich noch jetzt wie einer, der mit den in allerlei seltenen Bäumen, Gewächsen und wunderbaren Blumen umflochtenen Irrgängen eines fantastischen Parks wandelt und immer tiefer und tiefer hineingeräth, nicht aus den wundervollen Wendungen und Verschlingungen deiner Trios herauszukommen vermag; die holden Sirenen-Stimmen deiner in bunter Mannigfaltigkeit prangenden Sätze locken mich immer tiefer und tiefer hinein. – Die geistreiche Dame, die heute mir, dem Kapellmeister Kreisler recht eigentlich zu Ehren das Trio No. 1. gar herrlich spielte, und vor deren Flügel ich noch sitze und schreibe, hat es mich recht deutlich einsehen lassen, wie nur das, was der Geist gibt, zu achten, alles Uebrige aber vom Uebel ist. […]
Was nun die Schwierigkeit betrifft, so gehört zum richtigen bequemen Vortrag Beethovenscher Kompositionen nichts geringeres, als daß man ihn begreife, daß man tief in sein Wesen eindringe, daß man im Bewußtseyn eigner Weihe es kühn wage, in den Kreis der magischen Erscheinungen zu treten, die sein mächtiger Zauber hervorruft. Wer diese Weihe nicht in sich fühlt, wer die heilige Musik nur als Spielerei, nur zum Zeitvertreib in leeren Stunden, zum augenblicklichen Reiz stumpfer Ohren oder zur eigenen Ostentation tauglich betrachtet, der bleibe ja davon. Nur einem solchen steht auch der Vorwurf: und höchst undankbar! zu. Der echte Künstler lebt nur in dem Werke, das er in dem Sinne des Meisters aufgefaßt hat und nun vorträgt. Er verschmäht es, auf irgend eine Weise, seine Persönlichkeit geltend zu machen, und all sein Dichten und Trachten geht nur dahin, alle die herrlichen holdseligen Bilder und Erscheinungen, die der Meister mit magischer Gewalt in sein Werk verschloß, tausendfarbig glänzend ins rege Leben zu rufen, daß sie den Menschen in lichten funkelnden Kreisen umfangen und seine Fantasie, sein innerstes Gemüth entzündend, ihn raschen Fluges in das ferne Geisterreich der Töne tragen.