Читать книгу Mit dem Kopf im Himmel und den Füßen auf dem Boden - E. T. A. Hoffmann - Страница 7

Johannes Kreisler’s, des Kapellmeisters, musikalische Leiden

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Vorbemerkung

Hoffmann war nun ein anerkannter Mitarbeiter der AMZ und dort erschien im September 1810 ohne Verfasserangabe sein Fantasiestück Johannes Kreisler’s, des Kapellmeisters, musikalische Leiden, in dem sich deutliche Spuren seiner Bamberger Erfahrungen als Musiklehrer finden.

Erstmalig erscheint hier die Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler in der literarischen Öffentlichkeit, die sich zum Alter Ego Hoffmanns entwickelte.

Der ungekürzte Text folgt dem Erstdruck der AMZ von 1810.

Sie sind alle fortgegangen. – Ich hätt’ es an dem Zischeln, Scharren, Räuspern, Brummen durch alle Tonarten bemerken sollen; es war ein wahres Bienennest, das vom Stocke abzieht, um zu schwärmen. Gottlieb hat mir neue Lichter aufgesteckt und eine Flasche Burgunder auf das Fortepiano hingestellt. Spielen kann ich nicht mehr, denn ich bin ganz ermattet; daran ist mein alter herrlicher Freund hier auf dem Notenpulte schuld, der mich schon wieder einmal, wie Mephistopheles den Faust auf seinem Mantel, durch die Lüfte getragen hat, und so hoch, dass ich die Menschlein unter mir nicht sah und merkte, unerachtet sie tollen Lärm genug gemacht haben mögen. – Ein hundsföttischer, verlungerter Abend! aber jetzt ist mir wohl und leicht. – Hab’ ich doch gar während des Spielens meinen Bleystift hervorgezogen und Seite 63 unter dem letzten System ein paar gute Ausweichungen in Ziffern notirt mit der rechten Hand, während die Linke im Strome der Töne fortarbeitete! Hinten auf der leeren Seite fahr’ ich schreibend fort. Ich verlasse Ziffern und Töne, und mit wahrer Lust; wie der genesene Kranke, der nun nicht aufhören kann zu erzählen, was er gelitten, notire ich hier umständlich die höllischen Qualen des heutigen Thees. Aber nicht für mich allein, sondern für alle, die sich hier zuweilen an meinem Exemplar der Johann Sebastian Bachschen Variationen für das Klavier, erschienen bei Naegeli in Zürich, ergötzen und erbauen, bey dem Schluss der 30sten Variation meine Ziffern finden und, geleitet von dem grossen lateinischen Verte, (ich schreib’ es gleich hin, wenn meine Klageschrift zu Ende ist) das Blatt umwenden und lesen. Diese errathen gleich den wahren Zusammenhang; sie wissen, dass der Geheime Rath Röderlein hier ein ganz charmantes Haus macht und zwey Töchter hat, von denen die ganze elegante Welt mit Enthusiasmus behauptet, sie tanzten wie die Göttinnen, sprächen französisch wie die Engel, und spielten und sängen und zeichneten wie die Musen. Der Geheime Rath Röderlein ist ein reicher Mann; er führt bey seinen vierteljährigen Dinés die schönsten Weine, die feinsten Speisen, alles ist auf den elegantesten Fuss eingerichtet, und wer sich bey seinen Thees nicht himmlisch amüsiert, hat keinen Ton, keinen Geist, und vornämlich keinen Sinn für die Kunst. Auf diese ist es nämlich auch abgesehen; neben dem Thee, Punsch, Wein, Gefrornem etc. wird auch immer etwas Musik präsentirt, die von der schönen Welt ganz gemüthlich so wie jenes eingenommen wird. Die Einrichtung ist so: nachdem jeder Gast Zeit genug gehabt hat, eine beliebige Zahl Tassen Thee zu trinken, und nachdem zweymal Punsch und Gefrornes herumgegeben worden ist, rücken die Bedienten die Spieltische heran für den älteren, solideren Theil der Gesellschaft, der dem musikalischen das Spiel mit Karten vorzieht, welches auch in der That nicht solchen unnützen Lärm macht und wo nur einiges Geld erklingt. – Auf dies Zeichen schiesst der jüngere Theil der Gesellschaft auf die Fräuleins Röderlein zu; es entsteht ein Tumult, in dem man die Worte unterscheidet: Schönes Fräulein, versagen Sie uns nicht den Genuss Ihres himmlischen Talents – o singe etwas, meine Gute – Nicht möglich – Catarrh – der letzte Ball – nichts eingeübt – o bitte, bitte – wir flehen etc. Gottlieb hat unterdessen den Flügel geöffnet und das Pult mit dem wohlbekannten Notenbuche beschwert. Vom Spieltisch herüber ruft die gnädige Mama: chantez donc, mes enfans! Das ist das Stichwort meiner Rolle; ich stelle mich an den Flügel und im Triumph werden die Röderleins an das Instrument geführt. Nun entsteht wieder eine Differenz: keine will zuerst singen. »Du weisst, liebe Nanette, wie entsetzlich heiser ich bin« – »Bin ich es denn weniger, liebe Marie?« – »Ich singe so schlecht« – »O Liebe, fange nur an« etc.

Johannes Kreisler in Haustracht

Mein Einfall (ich habe ihn jedesmal!), beyde möchten mit einem Duo anfangen, wird gewaltig beklatscht, das Buch durchblättert, das sorgfältig eingeschlagene Blatt endlich gefunden, und nun geht’s los: Dolce dell’ anima etc. – Das Talent der Fräulein ist wirklich nicht das geringste. Ich bin nun fünf Jahre hier und viertehalb Jahre im Röderleinschen Hause Lehrer; für diese kurze Zeit hat es Fräulein Nanette dahin gebracht, dass sie eine Melodie, die sie nur zehnmal im Theater gehört und am Klavier dann höchstens noch zehnmal durchprobirt hat, so wegsingt, dass man gleich weiss, was es seyn soll. Fräulein Marie fasst es schon beym achten Mal, und wenn sie öfters einen Viertelston tiefer steht, als das Piano, so hat das bey so einem pikanten Stumpfnäschen nicht eben viel zu bedeuten. – Nach Endigung des Duetts, allgemeiner Beyfallschorus! Nun wechseln Arietten und Duettino’s, und ich hämmere das tausendmal geleyerte Accompagnement frisch darauf los. Während des Gesanges hat die Finanzräthin Eberstein durch Räuspern und leises Mitsingen zu verstehen gegeben: ich singe auch. Fräulein Nanette spricht: Aber liebe Finanzräthin, nun musst du uns auch deine göttliche Stimme hören lassen. Es entsteht ein neuer Tumult. Sie hat den Catarrh – sie kann nichts auswendig! – Gottlieb bringt zwey Arme voll Musikalien herangeschleppt: da wird geblättert und geblättert. Erst will sie singen: Der Hölle Rache etc. dann: Hebe, sieh etc.

dann: Ach ich liebte etc. In der Angst schlage ich vor: Ein Veilchen auf der Wiese etc.

Aber sie ist fürs grosse Genre, sie will sich zeigen, es bleibt bey der Constanze. –

O schreye du, quicke, miaue, gurgle, stöhne, ächze, tremulire, quinkelire nur recht munter: ich habe den Fortissimo-Zug getreten und orgle mich taub. – O Satan, Satan! welcher deiner höllischen Geister ist in diese Kehle gefahren, der alle Töne zwickt und zwängt und zerrt! Vier Saiten sind schon gesprungen, ein Hammer ist invalid. Meine Ohren gellen, mein Kopf dröhnt, meine Nerven zittern. Sind denn alle unreinen Töne kreischender Marktschreyer-Trompeten in diesen kleinen Hals gebannt? – Das hat mich angegriffen – ich trinke ein Glas Burgunder! Man applaudirte unbändig, und jemand bemerkte, die Finanzräthin und Mozart hätten mich sehr ins Feuer gesetzt. Ich lächelte – etwas dumm, fürcht’ ich.

Nun erst regen sich alle Talente, bisher im Verborgenen blühend, und fahren wild durcheinander; es werden musikalische Excesse beschlossen: Ensembles, Finalen, Chöre sollen aufgeführt werden. Der Canonikus Kratzer singt bekanntlich einen himmlischen Bass, wie der Tituskopf dort bemerkt, der selbst bescheiden anführt, er sey eigentlich nur ein zweyter Tenor, aber freylich Mitglied mehrerer Singe-Academien. Schnell wird alles zum ersten Chor aus dem Titus organisirt. Das ging ganz herrlich! Der Canonikus, dicht hinter mir stehend, donnerte über meinem Haupte den Bass, als säng’ er mit obligaten Trompeten und Pauken in der Domkirche; er traf die Noten excellent, nur das Tempo nahm er in der Eil’ fast noch einmal so langsam. Aber treu blieb er sich wenigstens in sofern, dass er durchs ganze Stück immer einen halben Takt nachschleppte. Die übrigen äusserten einen entschiedenen Hang zur antiken griechischen Musik, die bekanntlich, die Harmonie nicht kennend, im unisono ging: sie sangen alle die Oberstimme mit kleinen Varianten aus zufälligen Erhöhungen und Erniedrigungen, etwa um einen Viertelston. –

Diese etwas geräuschvolle Production erregte eine allgemeine tragische Spannung, nämlich einiges Entsetzen, sogar an den Spieltischen, die für den Moment nicht so wie zuvor melodramatisch mitwirken konnten durch in die Musik, eingeflochtene declamatorische Sätze: z. B. Ach ich liebte – acht und vierzig – war so glücklich – ich passe – kannte nicht – Whist – der Liebe Schmerz – in der Farbe etc. Es nahm sich recht artig aus. (Ich schenke mir ein.) Das war die höchste Spitze der heutigen musikalischen Exposition: nun ist’s aus!

So dacht’ ich, schlug das Buch zu und stand auf. Da tritt der Baron, mein antiker Tenorist, auf mich zu und sagt: O bester Hr. Kapellmeister, Sie sollen ganz himmlisch phantasiren; o phantasiren Sie uns doch Eins! nur ein wenig! ich bitte!

Ich versetzte ganz trocken, die Phantasie sey mir heute rein ausgegangen; und indem wir so darüber sprechen, hat ein Teufel in der Gestalt eines Elegants mit zwey Westen im Nebenzimmer unter meinem Hut die Bachschen Variationen ausgewittert; der denkt, es sind so Variatiönchen: nel cor mi non più sentoAh vous dirai-je, maman etc. und will haben, ich soll darauf losspielen. Ich weigere mich: da fallen sie alle über mich her.

Nun so hört zu und berstet vor Langweile, denk’ ich und arbeite drauf los. Bey No. 3. entfernten sich mehrere Damen, verfolgt von Titusköpfen. Die Röderleins, weil der Lehrer spielte, hielten nicht ohne Qual aus bis No. 12. No. 15. schlug den Zweywesten-Mann in die Flucht. Aus ganz übertriebener Höflichkeit blieb der Baron bis No. 30. und trank blos viel Punsch aus, den Gottlieb für mich auf den Flügel stellte. Ich hätte glücklich geendet, aber diese No. 30. das Thema:


riss mich fort, unaufhaltsam. Die Quartblätter dehnten sich plötzlich aus zu einem Riesenfolio, wo tausend Imitationen und Ausführungen jenes Thema’s geschrieben standen, die ich abspielen musste. Die Noten wurden lebendig und flimmerten und hüpften um mich her – elektrisches Feuer fuhr durch die Fingerspitzen in die Tasten – der Geist, von dem es ausströmte, überflügelte die Gedanken – der ganze Saal hing voll dichten Dufts, in dem die Kerzen düstrer und düstrer brannten – zuweilen sah eine Nase heraus, zuweilen ein paar Augen: aber sie verschwanden gleich wieder. So kam es, dass ich allein sitzen blieb mit meinem Sebastian Bach und von Gottlieb, wie von einem spiritu familiari bedient wurde! – Ich trinke! – Soll man denn ehrliche Musiker so quälen mit Musik, wie ich heute gequält worden bin und so oft gequält werde? Wahrhaftig, mit keiner Kunst wird so viel verdammter Missbrauch getrieben, als mit der herrlichen, heiligen Musica, die in ihrem zarten Wesen so leicht entweiht wird! Habt ihr wahres Talent, wahren Kunstsinn: gut, so lernt Musik, leistet etwas der Kunst Würdiges, und gebt dem Geweihten euer Talent hin im rechten Maas. Wollt ihr ohne das quinkeliren: nun so thut’s für euch, und quält nicht damit den Kapellmeister Kreisler und andere. – Nun könnte ich nach Hause gehen und meine neue Klavier-Sonate vollenden: aber es ist noch nicht eilf Uhr und eine schöne Sommernacht. Ich wette, neben mir beym Oberjägermeister Katzentreffer sitzen die Mädchen am offnen Fenster und schreyen mit kreischender, gellender, durchbohrender Stimme zwanzigmal: Wenn mir dein Auge strahlet – aber immer nur die erste Strophe, in die Straße hinein. Schräg über martert einer die Flöte und hat dabei Lungen wie Rameau’s Neffe, und in langen, langen Tönen macht der Nachbar Hornist akustische Versuche. Die zahlreichen Hunde der Gegend werden unruhig, und meines Hauswirts Kater, aufgeregt durch jenes süße Duett, macht dicht neben meinem Fenster (es versteht sich, daß mein musikalisch-poetisches Laboratorium ein Dachstübchen ist), der Nachbarskatze, in die er seit dem März verliebt ist, die chromatische Skala hinaufjammernd, zärtliche Geständnisse. Nach eilf Uhr wird es ruhiger; so lange bleib’ ich sitzen, da ohnedies noch weißes Papier und Burgunder vorhanden, von dem ich gleich etwas genieße. – Es gibt, wie ich gehört habe, ein altes Gesetz, welches lärmenden Handwerkern verbietet, neben Gelehrten zu wohnen: sollten denn arme, bedrängte Komponisten, die noch dazu aus ihrer Begeisterung Gold münzen müssen, um ihren Lebensfaden weiter zu spinnen, nicht jenes Gesetz auf sich anwenden und die Schreihälse und Dudler aus ihrer Nähe verbannen können? Was würde der Maler sagen, dem man, indem er ein Ideal malte, lauter heterogene Fratzengesichter vorhalten wollte! Schlösse er die Augen, so würde er wenigstens ungestört das Bild in der Phantasie fortsetzen. Baumwolle in den Ohren hilft nicht, man hört doch den Mordspektakel; und dann die Idee, schon die Idee: jetzt singen sie – jetzt kommt das Horn etc. der Teufel holt die sublimsten Gedanken! – Das Blatt ist richtig vollgeschrieben; auf dem vom Titel umgeschlagenen weißen Streifen will ich nur noch bemerken, warum ich hundertmal es mir vornahm, mich nicht mehr bei dem Geheimen Rat quälen zu lassen, und warum ich hundertmal meinen Vorsatz brach. –

Freilich ist es Röderleins herrliche Nichte, die mich mit Banden an dies Haus fesselt, welche die Kunst geknüpft hat. Wer einmal so glücklich war, die Schlußszene der Gluckschen »Armida« oder die große Szene der Donna Anna im »Don Giovanni« von Fräulein Amalien zu hören, der wird begreifen, daß eine Stunde mit ihr am Piano Himmelsbalsam in die Wunden gießt, welche alle Misstöne des ganzen Tages mir gequältem musikalischen Schulmeister schlugen. Röderlein, welcher weder an die Unsterblichkeit der Seele, noch an den Takt glaubt, hält sie für gänzlich unbrauchbar für die höhere Existenz in der Teegesellschaft, da sie in dieser durchaus nicht singen will und denn doch wieder vor ganz gemeinen Leuten, z. B. simplen Musikern, mit einer Anstrengung singt, die ihr gar nicht einmal taugt; denn ihre langen, gehaltenen, schwellenden Harmonikatöne, welche mich in den Himmel tragen, hat sie, wie Röderlein meint, offenbar der Nachtigall abgehorcht, die eine unvernünftige Kreatur ist, nur in Wäldern lebt und von dem Menschen, dem vernünftigen Herrn der Schöpfung, nicht nachgeahmt werden darf. Sie treibt ihre Rücksichtslosigkeit so weit, daß sie sich zuweilen sogar von Gottlieb auf der Violine accompagniren läßt, wenn sie Beethovensche oder Mozartsche Sonaten, aus denen kein Theeherr und Whistiker klug werden kann, auf dem Piano spielt. – Das war das letzte Glas Burgunder. – Gottlieb putzt mir die Lichter und scheint sich zu wundern über mein emsiges Schreiben. – Man hat ganz recht, wenn man diesen Gottlieb erst sechzehn Jahr alt schätzt. Das ist ein herrliches, tiefes Talent. Warum starb aber auch der Papa Thorschreiber so früh; und musste denn der Vormund den Jungen in die Liverey stecken? – Als Rode hier war, lauschte Gottlieb im Vorzimmer, das Ohr an die Saalthüre gedrückt, und spielte ganze Nächte; am Tage ging er sinnend, träumend umher, und der rote Fleck am linken Backen ist ein treuer Abdruck des Solitärs am Finger der Röderleinschen Hand, die, wie man durch sanftes Streicheln den somnambülen Zustand hervorbringt, durch starkes Schlagen ganz richtig entgegengesetzt wirken wollte. Nebst andern Sachen habe ich ihm die Sonaten von Corelli gegeben; da hat er unter den Mäusen in dem alten Oesterleinschen Flügel auf dem Boden gewüthet, bis keine mehr lebte, und mit Röderleins Erlaubnis auch das Instrument auf sein kleines Stübchen translocirt. – Wirf ihn ab, den verhassten Bedienten-Rock, ehrlicher Gottlieb, und lass mich nach Jahren dich als den wackern Künstler an mein Herz drücken, der du werden kannst mit deinem herrlichen Talent, mit deinem tiefen Kunstsinn! – Gottlieb stand hinter mir und wischte sich die Thränen aus den Augen, als ich diese Worte laut aussprach. – Ich drückte ihm schweigend die Hand, wir gingen hinauf und spielten die Sonaten von Corelli.

Mit dem Kopf im Himmel und den Füßen auf dem Boden

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