Читать книгу Fibromyalgie. Kompakt-Ratgeber - Eberhard J. Wormer - Страница 6

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Was ist Schmerz?

Jeder glaubt zu wissen, was Schmerz ist. Versucht man, das Schmerzphänomen zu definieren, zeigt sich rasch, dass dieses Unterfangen schwieriger ist, als vermutet.

Es handelt sich offenbar um eine sehr komplexe Empfindung.

Akuter und chronischer Schmerz

Akuter Schmerz ist ein lebenswichtiges Warnzeichen, das vor körperlichen und auch psychischen Risiken schützt. Schmerz tritt beispielsweise unmittelbar bei Verletzungen, als Zahn-, Bauch- oder Kopfschmerz, als Muskelkater, bei Verbrennungen, extremer Hitze, Kälte oder auch bei Lautstärke auf. Die Schmerzen sind meist zeitlich und örtlich begrenzt. Sie verschwinden, wenn man die Ursache der Schmerzen beseitigt oder Störungen behandelt.

Chronischer Schmerz kann sich aus akutem Schmerz entwickeln, Wochen oder Monate anhalten, sich schubweise verstärken oder abschwächen, lokalisiert oder im Körper ausgebreitet auftreten. Lässt sich keine Ursache finden, die man beseitigen kann, ist der Schmerz selbst die Krankheit.

Chronischer Schmerz führt zu komplexen Veränderungen in wichtigen Körpersystemen (Hormone, Nervensystem, Kreislauf, Motorik) und zu Anpassungsvorgängen an die vermeintliche Dauerbedrohung, die stressbedingte Funktionsstörungen und schwer beeinflussbare Symptome nach sich ziehen.

Die schmerzhafte Erfahrung

Betrachtet man die eigene Alltagserfahrung, so wird jeder Mensch, der Schmerz erleidet, bestätigen, dass er Schmerz als »negativ«, widrig und als Bruch seiner bisherigen »Normalität« im bislang schmerzfreien Körper erlebt. Da man dem eigenen Schmerz nicht entfliehen kann, wird er nach und nach die volle Aufmerksamkeit erhalten. Schmerz totalisiert. Dieses »Getroffenwerden« vom Schmerz wird eine ohnmächtige Reaktion auf die nicht mögliche Flucht und die vergebliche Rückzugsbewegung hervorrufen. Davon zeugt der Ausdruck des Leidens. Und mit zunehmender Stärke der Schmerzen wird der Mensch sich gezwungenermaßen auf ihn konzentrieren müssen: Die Außenwelt verliert an Bedeutung, die innere Dominanz des Schmerzerlebens verstärkt sich. Eine der wenigen spezifischen Beschreibungen der Schmerzerfahrung, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, ist die medizinische Schmerzdeutung. Aber für den Schmerzpatienten ist eine solche Festlegung problematisch: Er kann zwar auf Erklärungsangebote der Medizin mit Therapie- und Heilungsversprechen zurückgreifen, dennoch werden diese Angebote nicht der subjektiven Schmerzerfahrung des Betroffenen gerecht. Der Patient weiß mehr über den eigenen Schmerz als jeder Arzt, möge er auch noch so gut ausgebildet sein.

Die schmerzhafte Empfindung

Im Jahr 1965 stellten Melzack und Wall die Theorie der »Schmerzschwelle« (Gate-Control-Theorie) auf: Im Hinterhorn des Rückenmarks soll es eine Art »Schranke« geben, die Empfindungssignale passieren lässt, filtern oder blockieren kann. Dieses Modell war lange sehr populär, hat sich aber als unzureichend erwiesen. Auch ein Schmerzzentrum im Gehirn, etwa analog zum Sehzentrum, ist bislang nicht gefunden worden. Die aktuelle neurophysiologische Forschung geht davon aus, dass an der Schmerzempfindung das gesamte zentrale Nervensystem beteiligt ist und dass die Lern- und Anpassungsfähigkeit des Gehirns (Neuroplastizität) ein wesentlicher Mechanismus der Schmerzverarbeitung ist: Die Fähigkeit, jede Art von Lernprozessen zu vollziehen und »im Fleisch zu speichern«. Diesen gespeicherten Schmerz wird man nur schwer wieder los.

Das Bild des schmerzkranken Menschen: Eine Patientin beschreibt die Fibromyalgie.


Der schmerzkranke Mensch

Chronische Schmerzen wirken zerstörerisch auf den ganzen Menschen. Der eigene Bewegungsspielraum wird eingeschränkt. Die Welt schrumpft. Die Wahrnehmung der Realität verändert sich, stimmt nicht mehr mit der Wahrnehmung Außenstehender überein. Jede Wahrnehmung und Erfahrung des schmerzkranken Menschen ist vom Dunst der Schmerzen durchdrungen. Eine unüberwindliche Mauer trennt den Schmerzkranken vom Rest der Welt. Chronischer Schmerz verringert auf diffuse Weise den Bewegungsspielraum des Betroffenen. Raum und Zeit verengen sich. Soziale Beziehungen und Kommunikation schwinden.

Für den FMS-Patienten ist der Schmerz endlos. Er schwankt in der Intensität, wandert im Körper, kann schubweise kommen und gehen. Er kann so unerträglich werden, dass normale Lebensaktivität qualvoll und nahezu unmöglich wird. Der Albtraum des FMS-Patienten ist zudem die Gewissheit, dass er zwar hin und wieder seine Beschwerden günstig beeinflussen kann – der immer wiederkehrende Schmerz aber immer wieder alle Bemühungen und scheinbaren Erfolge komplett zunichte machen wird.

Ein schmerzkranker Mensch, der zum Gefangenen seiner Schmerzerfahrung geworden ist, wird sich mit der Zeit ausschließlich über sein Schmerzsyndrom definieren. Mediziner haben dann häufig das Etikett »Schmerzpersönlichkeit« zur Hand. Fehlt eine Diagnose, oder wird das vorliegende Dauerschmerzproblem gar geleugnet, wird der Betroffene noch stärker in die soziale Isolation getrieben. Widersprüchliche Aussagen der verschiedenen behandelnden Ärzte verunsichern seine Selbstwahrnehmung. Das Leiden nimmt zu.


Schmerz ist eine komplexe subjektive Sinneswahrnehmung, die als akutes Geschehen den Charakter eines Warn- und Leitsignals aufweist und in der Intensität von unangenehm bis unerträglich reichen kann. Als chronischer Schmerz hat es den Charakter des Warnsignales verloren und wird heute als eigenständiges Krankheitsbild (chronisches Schmerzsyndrom) gesehen und behandelt.

(Quelle: wikipedia.de, 2014)

Fibromyalgie. Kompakt-Ratgeber

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