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ОглавлениеWas ist Fibromyalgie?
Fibromyalgie oder FMS (Fibromyalgie-Syndrom) ist eine chronische, bislang nicht heilbare Erkrankung unbekannter Ursache. Weitverbreitete Schmerzen wechselnder Lokalisation und Intensität, vor allem in der Muskulatur, eine generell erhöhte Reizempfindlichkeit sowie Schlafstörungen, Müdigkeit und Erschöpfung sind die Hauptsymptome. Fibromyalgie ist in jedem Fall keine primär organische oder psychische Erkrankung.
Die Medizingeschichte der Fibromyalgie ist kurz. Erste Hinweise auf die Schmerzkrankheit finden sich im 19. Jahrhundert. Die heute anerkannte Fibromyalgie ist erst 30 Jahre alt. Belegbare Fallgeschichten über typische Teilsymptome gibt es schon seit der Antike, oder sie stammen aus anderen Kulturkreisen. Die Erforschung der beiden Hauptsymptome chronischer Schmerz und Erschöpfung ist die Basis des heutigen Fibromyalgie-Konzepts.
INFO
WAS IST FIBROMYALGIE?
♦ | Fibromyalgie ist eine der Ursachen für chronische, über den Körper verteilte (generalisierte) Schmerzen (chronic widespread pain, CWP). |
♦ | Fibromyalgie kennzeichnet Extremzustände innerhalb eines Kontinuums von Schmerz und Empfindung. |
♦ | Der chronische Schmerz ist die Krankheit selbst. |
Terminologie
Der Begriff Fibromyalgie ist aus drei Wortbestandteilen zusammengesetzt und bedeutet wörtlich »Faser-Muskel-Schmerz«: »Fibro« von lateinisch fibra (Faser), »myo« von griechisch myos (Muskel), »algie« von griechisch algos (Schmerz). Die Medizin benutzt bevorzugt den Begriff Fibromyalgie-Syndrom (FMS), um auf das Sammelsurium gleichzeitig vorliegender, unterschiedlicher Beschwerden (Syndrom) hinzuweisen.
Symptome
Hauptsymptom des FMS sind chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen: im Rücken (Nacken, Brustkorb, Wirbelsäule) sowie in den Armen und Beinen. Darüber hinaus fallen Müdigkeit (Erschöpfung) und Schlafstörungen auf.
Weitere häufige Begleitsymptome sind Morgensteifigkeit oder Schwellungen in Händen, Füßen oder dem Gesicht (Ödemneigung). Viele Betroffene leiden zusätzlich an Beschwerden durch Fehlfunktionen innerer Organe (Reizmagen/-darm/-blase), an Kopfschmerzen und Reizüberempfindlichkeit sowie psychischen Problemen (Gedächtnis-, Konzentrationsstörungen, Antriebsschwäche, Angst, Depression).
Definitionen
Seit mehr als drei Jahrzehnten suchen Medizin, Wissenschaft und Forschung weltweit nach verlässlichen Diagnose- und Klassifizierungskriterien für das rätselhafte Fibromyalgie-Syndrom. In den USA und Deutschland werden FMS-Leitlinien fortlaufend aktualisiert.
Die derzeit international anerkannte FMS-Definition stammt vom Amerikanischen Kollegium für Rheumatologie (ACR, 1990): Eine Person hat länger als drei Monate anhaltende Schmerzen in mehreren Körperregionen (Wirbelsäule, Nacken, linke/rechte Körperhälfte, ober-/unterhalb der Taille) sowie mindestens 11 von 18 druckschmerzhafte Tenderpoints (Druckpunkte an Muskel-Sehnen-Übergängen). Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Fibromyalgie mit dem Code M 79.00 gelistet. In der aktuellen deutschen Krankheitenliste (ICD 10 German Modification 2008) hat die Fibromyalgie einen eigenen Code unter den Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und der Bindegewebe (M 79.7).
ACR-1990-FMS-Kriterien
1. Über den Körper verbreitete Schmerzen sind länger als drei Monate nachweisbar (CWP); Schmerzen auf beiden Körperhälften (links/rechts) sowie unter- und oberhalb der Taille und am Achsenskelett (Brust/Rücken).
2. Mindestens 11 von 18 definierten Druckschmerzpunkten (Tenderpoints) bei einem Daumendruck von vier Kilogramm sind schmerzhaft.
FMS-Kriterien 2008
1. Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen;
2. typische Symptome wie Steifigkeits-/Schwellungsgefühl, Müdigkeit, Schlafstörungen, vegetative und psychische Beschwerden;
3. 11 von 18 definierten Tenderpoints schmerzhaft.
Existiert das Fibromyalgie-Syndrom wirklich?
PD Dr. med. Winfried Häuser, anerkannter FMS-Experte und Hauptautor der aktuellen deutschen FMS-Leitlinie (2012) äußert sich folgendermaßen:
»Manche Ärzte, beispielsweise Orthopäden und ärztliche Gutachter der medizinischen Dienste von Rentenversicherungsträgern und Landesämtern, weigern sich, die Diagnose eines FMS anzuerkennen. Manche Psychiater und Psychosomatiker behaupten, dass das FMS eine Variante einer Depression bzw. einer somatoformen Störung ist. Die orthopädischen, psychosomatischen und psychiatrischen Fachgesellschaften haben sich an der Leitlinie beteiligt und die Vorstände haben der Leitlinie zugestimmt. Wenn also ein Orthopäde, Psychiater oder Psychosomatiker behauptet, dass es das FMS nicht gibt, so äußert er seine persönliche Meinung, die im Widerspruch zu dem seiner Fachgesellschaft und der Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation steht.«
FMS-Kriterien 2010
1. Die Höhe des regionalen Schmerzindexwertes und der Symptomstärkegrad sind entscheidend;
2. Symptome mindestens drei Monate;
3. Beschwerden nicht durch andere Erkrankungen verursacht.
FMS-Kriterien 2012
FMS wird nun als »funktionelles somatisches Syndrom« klassifiziert (= Beschwerdekomplex mit körperlichen Funktionsstörungen). Man plädiert für die Abschaffung der Diagnosekategorie »somatoforme Störung« und betont explizit, dass FMS mit depressiven Störungen vorkommt, selbst aber keine depressive Störung ist.
FMS ist relativ leicht zu erkennen, wenn ein chronisches Schmerzproblem vermutet wird.
Ursachen
Eine einzelne, nur auf das Beschwerdebild des FMS zutreffende Ursache ist nicht bekannt. Nach heutigem Wissensstand geht man von der Kombination einer Veranlagung mit verschiedenen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren aus, die das Auftreten und den Fortbestand eines FMS verursachen. Die Medizin kann derzeit keine Behandlungsmethode anbieten, die eine Heilung des FMS ermöglicht.
INFO
WER IST BETROFFEN?
♦ | etwa 1 bis 5 Prozent der Gesamtbevölkerung westlicher Industriestaaten an FMS, etwa 10 bis 14 Prozent an chronisch generalisierten Schmerzen |
♦ | Frauen siebenmal häufiger als Männer (FMS) |
♦ | etwa 7 Prozent aller Frauen im Alter von 60 bis 80 Jahren (FMS) |
♦ | zunehmend auch Kinder und Jugendliche (FMS) |
♦ | in Deutschland etwa fünf Millionen Schmerzkranke (Quelle: Gesundheitspolitik) bzw. elf Millionen (Quelle: Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten) |
♦ | davon spezifisch schmerztherapeutisch behandlungsbedürftig etwa 600.000 (Quelle: Gesundheitspolitik) bzw. 900.000 (Quelle: Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten) |