Читать книгу Die Suche - Eckhard Lange - Страница 4
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ОглавлениеNein, ich heiße weder Caspar noch Melchior noch Balthasar. Und mein Name tut auch überhaupt nichts zur Sache. Schließlich bin ich keine Berühmtheit, nicht einmal in der kleinen Stadt, in der ich wohne. Die Leute nennen mich manchmal scherzhaft den Sterngucker, aber tatsächlich bin ich nur der Lehrer an unserer Schule, und nebenbei verrichte ich den Dienst eines Priesters an unserem Tempel. Er ist dem höchsten Gott geweiht, doch damit ist noch nicht viel gesagt. Wir leben zwar im Parther-Reich, doch unsere Stadt ist seit langem griechisch geprägt, wie so viele Städte entlang dem großen Fluß Tigris, seitdem der Mazedonier Alexander auch dieses Gebiet hier unterworfen hatte. Also beten wir zu Zeus, dem Vater der Götter, aber viele einfache Leute rufen immer noch Marduk an, so wie in längst vergangenen Zeiten, als unser Land von Babylon aus regiert wurde.
Wenn Ihr mich fragt, so sind das nur verschiedene Namen für die eine Gottheit, und persönlich halte ich es eher mit der parsischen Lehre, die den einen großen Schöpfer verehrt, den Freund der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Und insgeheim nenne ich seinen heiligen Namen – Ahura Mazda, den Ewigen – wenn ich dem Zeus Opfer bringe; denn dieser griechische Göttervater scheint mir doch allzu menschlich zu sein mit seinen Affären und Liebschaften, seinen Ränken und Intrigen. Nein, der wahre Gott ist einzig, ist groß, ist wahrhaftig und gut, so wie unser Prophet Zoroaster ihn geschildert hat. Da mag das einfache Volk anders denken, weil es zu großen Gedanken nicht fähig ist, wir gelehrten Männer sollten es besser wissen!
Ich bin also Lehrer und Priester, und ich bemühe mich wirklich, Wissen und Moral weiterzugeben, auch wenn der Same oft auf steinigen Boden fällt. Dennoch schmeichle ich mir, für diese Mühe auch Anerkennung zu erhalten wenigstens bei allen redlichen Bürgern in unserer Stadt. Nun ja, reich werden kann man dabei trotzdem nicht; was die Eltern meinen Schülern mitgeben als Gaben für ihren Lehrmeister, reicht zumeist kaum zum Leben. Bei manchen mag es ja die Armut sein, die sie geizig macht, doch viele wissen es wenig zu schätzen, wenn ich neben dem Schreiben und Rechnen auch tieferes Wissen weitergeben möchte – all die Geheimnisse dieser Welt, verborgen in den Mythen und Legenden, all die wundersamen Erkenntnisse, abzulesen aus dem Lauf der Gestirne.
Ja, es ist war: Ein Sterngucker bin ich, auch wenn diese Wort nur sehr ungenau beschreibt, was ich am liebsten tue, wenn die Mühen des Tages, die vielen kleinen Enttäuschungen mit meinen Schülern, die oberflächliche Opferschau im Tempel hinter mir liegen und der dunkle Nachthimmel den Blick freigibt auf das wahrhaft Göttliche, den wunderbaren Glanz der Sterne, ihren klaren, seit Ewigkeit festliegenden Verlauf, ihre stete Wiederkehr nach dem Willen des Höchsten, wie er in Ahura Mazda uns entgegentritt. Denn ihm ist jener einzigartige Planet zu eigen, der seine Bahn über den Himmel zieht; erhaben und machtvoll erscheint er mir. Marduk, so nennen wir Gelehrten diesen Planeten nach der Überlieferung aus Babylon, denn in diesem schon so lange untergegangenen Reich stand die Kunst, den Gang der Sterne vorherzusagen und zu bestimmen, in hoher Blüte, wie man in ihnen auch Abbilder der Götter sah.
Das alles hat mich bereits von klein auf beschäftigt, sehr zum Kummer meines Vaters, der ein erfolgreicher Fernhändler war und gerne gesehen hätte, ich würde ihm darin nachfolgen. Aber ich verweigerte mich diesem unsteten und zugleich gewinnbringenden Leben. Zwar begleitete ich den Vater auf einigen Reisen und lernte so manches kennen, was mir sonst verschlossen geblieben wäre. Einmal überquerten wir nach anstrengenden Wochen sogar den Indus und begegneten vielen fremden Völkern weit im Osten, meist jedoch führte unser Weg auf den alten Karawanenstraßen gen Westen, über den Euphrat nach Syrien und nach Damaskus, dieser quirligen Handelsstadt. Damals war Syrien gerade von den Römern besetzt worden, und so lernte ich deren merkwürdig nüchterne Religion kennen. Auch wenn sie ihre Götter denen der Griechen gleichsetzen, sind sie doch ganz anders, streng und tugendhaft zumeist. So erfuhr ich einmal, daß man den Planeten Marduk dort dem Jupiter beigab, der dem Zeus der Griechen entsprach. Und auch die anderen Namen lernte ich, weil ich schon damals immer Verlangen trug nach Neuem aus der Welt des Göttlichen, und das sind doch die Sterne. Daher weiß ich heute, daß der Planet Kajamanu bei den Römern Saturn genannt wird, und dieser Kajamanu sollte ja später noch eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Aber ich will nicht vorgreifen.
Jedenfalls sah mein Vater nach mancherlei Versuchen endlich ein, daß ich nicht zum Kaufmann tauge, und gab mich bei einem Schulvorsteher in die Lehre, damit ich es wenigstens in den Wissenschaften zu Ansehen und Einfluß bringen sollte. Ich fürchte, auch darin habe ich ihn enttäuscht, denn ich blieb in unserer kleinen Stadt, leite nun die hiesige Schule für die Knaben der Handwerker und Krämer und vollziehe nebenher den Opferkult am Tempel des Zeus, weil die Reste der Opfergaben dem Priester zufallen und mich so ernähren können, wenn das Schulgeld wieder einmal ausbleibt. Ein rechter Priester bin ich dennoch wohl nicht, mir fehlt diese innere Hingabe an einen Gott, den ich selber nur für ein Phantasiegebilde des einfachen Volkes halte. Und Ahura Mazda zu dienen, dazu bedarf es keiner Räucheropfer, keiner geschlachteten Tiere, keiner Weihegaben aus tönernen Statuen. So lebe ich ein zweifaches Leben – jenes für die anderen und ihre Bedürfnisse, dieses für mich selbst, für die Wissenschaft und für den einen, erhabenen Gott, der alleine herrscht, rein von aller Unvollkommenheit.
Ihr sollt nicht denken, daß ich deswegen unglücklich bin. Ich stelle ja keine großen Ansprüche an das Leben, was sollte mir also Reichtum und Wohlstand, erlesene Speisen und ein Haus voller Polster schon bedeuten! Ich begnüge mich mit dem Einfachen, wenn ich nur zum Himmel aufschauen kann, wenn ich in den Schriften gelehrter Männer lesen und ihre Erkenntnisse studieren kann. Wer die Harmonie der Sternenbahnen schätzen gelernt hat, dessen Seele kann auch in Harmonie mit dieser Welt leben. Und ich bin ja nicht allein mit diesem Streben nach Weisheit und Einsicht. Ich habe Freunde, die ebenso denken und ebenso forschen. Ja, die habe ich, und dafür bin ich dankbar. Manchen bin ich nur durch Zufall begegnet, andere kamen zu mir, um irgendwelche Auskünfte einzuholen, und jeder von ihnen brachte dann weitere Männer mit in diesen Kreis. Nun treffen wir uns regelmäßig, um eigene Erkenntnisse vorzutragen, von den Ergebnissen unserer Studien bei den Alten zu berichten und im Gespräch zu neuer Weisheit zu gelangen.
Nicht immer sind wir dabei der gleichen Meinung, zu unterschiedlich ist ja auch unsere Herkunft: Zwei meiner Freunde stammen aus dem Süden des Zweistromlandes, sie haben noch Zugang zu den alten Bibliotheken Babylons gehabt und wissen viel über die Wege der Planeten, die tiefere Bedeutung der Sternbilder zu berichten. Es erstaunt mich immer wieder, wie genau doch schon vor Jahrhunderten der nächtliche Himmel vermessen worden ist, wie exakt alle Bahnen der Gestirne bereits damals berechnet und vorausgesagt wurden. Ja, diese Männer haben mir erst den großen Schatz an Wissen vermittelt, mit dem ich nun selber weiter forschen kann. Einige andere haben ihre Wurzeln eher im Nordwesten, da, wo der Euphrat sich noch durch hohe Berge schlängelt. Sie kennen die tiefsinnigen Mythen der Völker dort, uralte Erzählungen von Helden und Göttern, vom Werden des Erdkreises und vom Streben nach Unsterblichkeit, auch wenn diese uns niemals vergönnt sein wird. Dann wohnen hier in unserer Stadt zwei Philosophen, griechisch gebildet und reich an Kenntnissen über all das, was man einst in Athen diskutierte. Es sind zwei höhere Beamte unseres Staates, aber auch sie betrachten diesen Dienst nicht als ihre einzige Aufgabe, sondern haben sich ihre Neugier, ihre Lust am gelehrten Disput bewahrt. Mit mancher kritischen Frage haben sie uns schon ins Grübeln gebracht, uns gezwungen, alles genau zu bedenken, was wir vielleicht vorschnell für Wahrheit hielten.
Schließlich sind da noch zwei Freunde ganz besonderer Art. Einer von ihnen ist der Vorsteher der jüdischen Synagoge, die im Nachbarort steht, denn dort hat sich eine israelitische Gemeinde versammelt – Familien, die schon seit jenen Tagen, als Judäas Oberschicht hierher verschleppt wurde, hier am Tigris leben. Einige sind auch erst kürzlich hergezogen, weil die Geschäfte ihre Anwesenheit erforderten oder weil sie vor der römischen Herrschaft geflohen sind. Elieser, so heißt unser jüdischer Freund, ist ein schwieriger Mann, aber eben auch ein interessanter Gesprächspartner. Einerseits verfolgt er mit großer Strenge all die vielen Gebote, die seine Religion ihm auferlegt, und ist stolz darauf, zu dem auserwählten Volk eines Gottes zu gehören, der sich selbst für den einzigen hält. Andererseits denke ich manchmal, Elieser lässt sich so gerne auf ein Streitgespräch mit uns ein, nur um sich selbst zu beweisen, daß allein sein Glaube der rechte ist. Dennoch hat er kluge Gedanken und verfügt über ein großes Wissen, vor allem, was die Völker am großen Meer betrifft.
Der letzte, von dem ich berichten muß, ist eigentlich ein Zauberer, eine Art Medizinmann, ein Wahrsager und Heiler. Das sind alles Dinge, die mir eigentlich sehr fremd sind, die mir wenig wissenschaftlich erscheinen. Aber immer wieder überrascht er uns mit einer Voraussage, die tatsächlich eintrifft; mit einem Kräutersud, der entgegen aller Annahme Leiden lindern und sogar heilen kann. Nein, seine Art, sich mit Weihrauch zu umgeben, berauschende Blätter zu kauen, um sich in eine göttliche Sphäre zu versetzen, wie er es nennt – das alles wird mir wohl ewig fremd und auch verdächtig erscheinen. Doch dann verkündet er plötzlich eine Erkenntnis, die so klar und einleuchtend ist, daß sie uns in pures Erstaunen versetzt. Und weil er trotz all seiner Magie ein fröhlicher und geselliger Mensch ist, haben wir auch ihn in unseren Kreis aufgenommen.
Ihr seht, ich bin keineswegs einsam mit meinen Gedanken, meinen Fragen und meinen Erkenntnissen, obwohl mir immer noch das liebste ist, eine Nacht ganz allein auf dem flachen Dach meines bescheidenen Hauses zu verbringen und mit meinen astronomischen Geräten nachzumessen, ob all die uralten Vorhersagen tatsächlich ihre Gültigkeit haben oder ob ich neues Wissen hinzufügen kann. Stets habe ich eine Wachstafel dabei, um alles zu notieren und später den Papyrusblättern anzuvertrauen, auf denen ich meine Beobachtungen eintrage. Und ich habe bereits eine umfängliche Sammlung solcher Blätter, alle mit genauem Datum versehen und mit mancherlei Berechnungen, die ich vielleicht einmal einer großen Bibliothek zukommen lasse. Doch noch sind sie erst der Anfang für ein Werk, das ich der Nachwelt so gerne hinterlassen möchte.
Daß ich weder Weib noch Kinder habe, das mögt Ihr bereits aus all dem, was ich berichtete, entnommen haben. Eine Familie will ja nicht nur gegründet, sondern auch ernährt und gekleidet werden, und das würde mir schon schwerfallen. Doch ich gestehe, dies ist ein vorgeschobener Grund. Die Wahrheit ist, daß ich die Unruhe scheue, die dann in mein Haus einziehen könnte. Mir reicht das Geschwätz meiner Schüler, ihre kindischen Späße, ihre Unaufmerksamkeit gegenüber dem Lehrer und seinen Lehren. Wer sagt mir, daß nicht eigene Kinder ebenso sein werden. Und auch die Anwesenheit eines Weibes, ihre aufdringliche Neugier, ihre oberflächliche Putzsucht, vielleicht sogar ihre Herrschsucht – das alles wäre mir zutiefst zuwider, hat mich bewogen, lieber allein zu bleiben mit meinen Gedanken und meinen Büchern.