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2.

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Dann jedoch geschah etwas, was mein bisheriges Leben sehr verändert hat, auch wenn es mit einem ganz alltäglichen Besuch begann: Nabu-Nassir, unser babylonischer Freund aus dem Nachbardorf, kam eines abends zu mir, während ich gerade die letzten Schüler verabschiedete. Er trug eine Schriftrolle in der Hand und winkte mir freundlich zu. „Wie lange betrachtest du eigentlich schon das Firmament?“ fragte er mich nach der ersten Begrüßung. „Nun, es werden wohl schon mehr als zwei Jahrzehnte sein,“ antwortete ich. „Warum willst du das wissen?“ Er sah mich an: „Wenn es mehr als zwei Jahrzehnte sind, lieber Freund, wirst du wohl ein bestimmtes Ereignis beobachtet haben, das sich nur alle zwanzig Jahre einmal ereignet. So jedenfalls habe ich es in den Aufzeichnungen unserer Sternkundigen gefunden, und du weißt, sie haben sich selten geirrt. Aber ich will dich nicht lange auf eine Erklärung für meinen Besuch warten lassen. Du verfolgst, wie ich weiß, mit großem Interesse die Bahnen, die Marduk – oder, wie man jetzt auch sagt: Jupiter – über den Himmel zieht. Und du weißt sicher auch, daß dieser Planet nun bald durch das Haus der beiden Fische wandert, das nach dem Glauben meiner Vorfahren der Ishtar geweiht ist, unserer großen Göttin. Jetzt aber wird geschehen, was eben nur alle zwanzig Jahre am Himmel zu sehen ist: Marduk und Kajamanu werden sich begegnen, Jupiter und Saturn werden sich die Hand reichen.“

Ich hatte davon gehört, allerdings hatte ich vor zwanzig Jahren noch nicht auf diese Begegnung geachtet. „Ich danke dir, Nabu-Nassir, daß du mich darauf hinweist,“ sagte ich, „ich hätte es wohl bemerkt, aber die himmlischen Gesetze, denen sie folgen, waren mir nicht bekannt. Umso eifriger werde ich ihre Bahnen verfolgen. Zwanzig Jahre, sagst du, wird es dauern, bis sie sich wieder treffen? Wer weiß, ob ich das dann noch einmal erleben werde.“ Der Freund lächelte geheimnisvoll. „Vielleicht wirst du es sogar noch dreimal erleben, wenn die Götter dir bis zum kommenden großen Regen Gesundheit schenken, was ich von Herzen wünsche.“ Ich muß ihn wohl sehr erstaunt angesehen haben, denn er entrollte die Schrift, die er so lange in der Hand gehalten hatte, und zeigte mir eine Spalte, die mit allerlei Zeichen und Linien bedeckt war.

„Mein Freund,“ sagte er feierlich, „wenn die Weisen von Babylon recht behalten, werden wir Zeugen eines besonderen Geschehens, ja es mag sein, sogar einer Zeitenwende. Es wird etwas Außergewöhnliches geschehen auf der Welt, da bin ich sicher, und wir sollten gemeinsam mit den Freunden nachforschen, was das bedeutet, ob es ein gutes oder ein böses Zeichen ist für die kommenden Jahrhunderte.“ Ich sah ihn nachdenklich an: „Nicht alle unsere Freunde kennen sich aus mit dem Lauf der Gestirne, und auch deren Bedeutung für unser Leben, für das Schicksal dieser Erde ist manchen nicht geläufig,“ sagte ich. „Wollen wir wirklich mit allen darüber sprechen?“

Nabu-Nassir rollte sein Pergament sorgfältig wieder zusammen. „Wenn wirklich eintrifft, was die Priester Marduks und Ishtars vor so langen Zeiten schon erkannt haben, wenn die beiden Planeten tatsächlich dreimal einander unter dem Dache der Ishtar die Hand reichen, dann ist die Bedeutung groß für uns alle,“ antwortete er. „Aber du hast recht, wir sollten abwarten, ob es wirklich so geschieht. Dann aber ist das Zeichen geschehen, und wir müssen es deuten.“

Ich lud den Freund zu einem Becher Honigbier in mein Haus, und wir sprachen noch lange über das, was wir in kurzer Zeit erwarten konnten. Worin mag der Unterschied liegen zwischen jener Konjunktion der beiden Planeten, wie sie jedes zweite Jahrzehnt zu beobachten ist, und diesem besonderen Ereignis, das so lange auf sich warten ließ? Auf jeden Fall beschloß ich, die Bahnen der beiden von nun an täglich zu beobachten, ihren Weg noch genauer zu berechnen und auch dem Haus der Fische meine Beachtung zu schenken, denn dort hatten sie sich noch nie einander genähert.

Marduk, Kajamanu und Isthar vereint – welche Botschaft hatten sie für uns Menschen? Noch wusste ich es nicht, aber es würde ein göttliches Zeichen sein, das schien mir sicher. Daß Jupiter, daß Marduk den höchsten Gott repräsentiert, gleich wie er heißen mag im Glauben der vielen Völker, das war ganz sicher, und für mich war er der Stern Ahura Mazdas, des Allgewaltigen, des Einzigen. Was aber bedeutete dann Kajamanu, was das Haus der Ishtar – denn daß sie Götter seien, wie viele Sternkundige glaubten und wie auch die Babylonier lehrten, das schien mir absurd, wenn es denn nur den Einzigen gab. Ich würde viel zu lesen haben, das wurde mir bewusst, als ich Nabu-Nassir spät am Abend verabschiedete.

Von diesem Tag an galt mein besonderes Augenmerk diesen beiden Planeten, wenn ich in den Nachthimmel aufblickte, und ich sah mit wachsendem Staunen, wie Marduk hinter Kajamanu auftauchte und ihm Woche für Woche näherkam. Während Kajamanu langsam und bedächtig seine Bahn zog, schien der strahlende Marduk ihm mit großen Schritten nachzueilen, während im Hintergrund die Sterne leuchtete, die wir mit dem Namen der Fische zu bezeichnen pflegen – das Himmelszeichen der Göttin Ishtar, die einst große Verehrung genoß, galt sie doch als die große Mutter, die den Menschen, dem Getier und auch dem Ackerboden ihre Fruchtbarkeit verleiht, die uns die Liebe schenkt, in der wir uns vereinen, um neues Leben zu schaffen. Ich nahm mir vor, meine beiden babylonischen Freunde zu bitten, mir doch von den vielen Mythen zu erzählen, die sich um Ishtar einstmals rankten. Sicher würden sie helfen, das zu deuten, was sich dort oben am Himmelsgewölbe abspielte, auch wenn Ishtar für mich keine wirkliche Göttin mehr war.


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