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I. Einführung 1. Was ist ein Archiv?

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Keine Frage beantwortet der Archivar so oft wie die nach Art und Gegenstand seiner Arbeit, wie diejenige, was ein Archiv eigentlich sei. Man ordnet die Archive ohne klare Abgrenzung dem Bereich der Bibliotheken und Museen zu und der Archivar selbst galt lange Zeit als spitzweghafter Sonderling, der in verstaubten Gewölben mit spinnwebüberzogenen Folianten und uralten Pergamenten hantiert, um vergessene Geschehnisse aus ferner Vergangenheit ans Tageslicht zu ziehen. Die Schauvitrinen mancher Staats- und Stadtarchive mochten das noch unterstützen, wenn sie mit berechtigtem Stolz vor allem Kostbarkeiten aus den historischen Beständen, Siegelurkunden, Pergamenthandschriften und alte Briefe vorführten. Auch der interessierte Besucher macht sich dabei kaum klar, dass diese historischen Altbestände längst nur noch einen Teil, häufig sogar den raummäßig geringeren Teil des Archivinhalts bilden.

Das Wort „Archiv“ und die entsprechenden Bezeichnungen in den meisten übrigen Sprachen der Gegenwart gehen zurück auf das lateinische archivum. Die weitere Ableitung führt über griechisch archeion nicht etwa zu archaios/ alt oder „archaisch“, sondern zum Stammwort arché/ die Behörde, die Amtsstelle. Nicht die Sicherung altehrwürdiger, historischer Dokumente, sondern die Verwahrung von Behörden-, von Verwaltungsschriftgut war die ursprüngliche Aufgabe der Archive. Verwahrt wurde der Teil des aus der Verwaltung selbst erwachsenen Schriftguts, der zu rechtlichen und administrativen Zwecken über den Tag hinaus oder auf Dauer erhalten werden sollte. Erst eine spätere Zeit machte die Archive zum Quellenreservoir der Historiker, zum wichtigsten Datenspeicher der Vergangenheit, eine Entwicklung, die ihre fortdauernde rechtlich-verwaltungsmäßige Funktion zeitweilig fast vergessen ließ. In den meisten Staatsarchiven der Gegenwart findet sich neben Urkunden, Amtsbüchern und Akten vergangener Jahrhunderte das erst vor einigen Jahren ausgeschiedene Aktengut der heutigen Verwaltung und manches neu begründete Archiv reicht in seinen Beständen nur einige wenige Jahrzehnte zurück.

Die einstmalige Beschränkung des Archivs auf scripturae publicae, auf Gerichts- und Verwaltungsschriftgut mit öffentlichem Glauben, ist lange gefallen. Gegenstand archivischer Verwahrung und Betreuung sind heute das gesamte Schrift-, Bild- und Tongut, die als dokumentarischer Niederschlag der Tätigkeit staatlicher und nichtstaatlicher Dienststellen, aber auch sonstiger Einrichtungen, Verbände, Betriebe oder Einzelpersonen erwachsen, soweit sie wegen ihres rechtlich-verwaltungsmäßigen, ihres historischen, aber auch ihres wissenschaftlich-technischen oder künstlerischen Quellenwertes als „archivwürdig“ zu dauernder Aufbewahrung bestimmt werden. Hierzu zählen neben Staatsverträgen und Ministerialakten, Kirchenbüchern und Personenstandsregistern durchaus auch die Vorstandsprotokolle eines Konzerns, die Pläne und Risse eines Bergwerks, die Tonbänder eines Rundfunkarchivs oder die persönlichen Nachlässe von Politikern, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern. „Neuartiges Archivgut“ – so schon das Thema des Internationalen Archivkongresses 1988 in Paris – sind auch die elektronischen Datenträger des Computerzeitalters, soweit sie dauernd aufzubewahrende Informationen speichern.

Archive sind Behörden und Einrichtungen, die ausschließlich oder doch vorrangig mit der Erfassung, Verwahrung und Erschließung derartigen Archivguts befasst sind, das im Regelfall von den Stellen, bei denen es erwachsen ist, an die Archive abgeliefert wird. Wie die Bibliotheken, wie die Museen, mit denen sich ihre Arbeit in vieler Beziehung verzahnt und sogar überschneidet, wirken auch die Archive im weitgefassten Rahmen des sogenannten IuD-Bereichs „Information und Dokumentation“, wenn man Letztere mit dem Institut International de Documentation als „Sammlung, Ordnung und Verbreitung von Dokumenten aller Art für alle Bereiche menschlicher Tätigkeit“ versteht. Was die Archive von Bibliotheken, Museen und anderen Dokumentationsinstituten abhebt, ist nicht die gelegentlich etwas grobschlächtig angewandte Scheidung nach handschriftlichen, gedruckten und materiellen Dokumenten, eher schon der besondere funktionale Zusammenhang des organisch erwachsenen Archivguts, das nur zu einem kleinen Teil von vornherein als dauerndes Zeugnis rechtlicher Vorgänge angelegt wurde. Die Masse des Archivguts entsteht bei Behörden, Einrichtungen oder Einzelpersonen in Erfüllung verwaltungsmäßiger, rechtlicher, geschäftlicher oder sonstiger Aufgaben, um dann erst später, nach der Sichtung und ordnenden Erschließung durch den Archivar, zur Quellengrundlage für historische und andere Forschungen zu werden.

Einführung in die Archivkunde

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