Читать книгу Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) - Ed Sanders - Страница 47
EINE REDAKTIONSSITZUNG
ОглавлениеEr mietete das Zweizimmerapartment Nr. 521 an der Elften Straße im Dezember 1961 für fünfundsechzig Dollar im Monat. Es lag im zweiten Stock. Ein Raum war eine Kombination von Küche und Wohnzimmer und der andere war offenbar als Schlafzimmer gedacht. Eingebaute Schränke gab es nicht, stattdessen hatte jemand einen fünfzackigen Kleiderhaken in die Schlafzimmerwand genagelt. Die beiden winzigen Zimmer waren an der Decke mit massiven, circa fünfzehn Zentimeter großen Metallstücken verkleidet, auf deren Oberfläche blätterähnliche Muster eingestanzt waren.
Die beiden Wohnzimmerfenster gaben den Blick auf eine rostige Feuerleiter frei. Sie endete in einem Hinterhof mit kreuz und quer gespannten Wäscheleinen und nassen Kleidern, die völlig versaut waren vom Auswurf des Satans, den Schornsteinen der Consolidated Edison, die nur ein paar Blocks weiter in den Himmel rotzten. An manchen Tagen wachte er auf und zog sich eine schwarze Kruste aus der Nase.
Tagsüber, nachts, am frühen Morgen schwebte vom Hinterhof spanische Musik in sein Fenster. Irgendwer in der Nähe musste einen Pfau halten, ab und zu hörte er dessen schwaches baaa. Auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses stand ein fünfreihiger Taubenschlag, der angeblich eine Familie aus dem Haus mit Nahrung versorgte. Der Hausmeister schwor jedoch hoch und heilig, die Vögel würden in ein Restaurant unten in Chinatown geschafft und dort zu Hühnerfrikassee verarbeitet.
Das Hinter- oder Schlafzimmer hatte nur ein Fenster, das allerdings versiegelt und mit unzähligen Schichten von Lichtschutzfarbe verkleistert war. Als er das Fenster aufgestemmt hatte, wusste er auch, warum. Sein Blick fiel auf eine massive, grauverputzte Mauer aus Backsteinen in etwa anderthalb Metern Entfernung, die sich über einem wilden Durcheinander von Schotter, Abfall und allem möglichen Mist erhob. In der East Side war es üblich, die vollen Müllsäcke einfach aus dem Fenster zu kippen.
Wie viele dieser Absteigen in New York hatte auch diese hier eine Durchreiche zwischen Küche und sogenanntem Schlafzimmer. Nach jahrelanger Überpinselung war die Scheibe total zugekleistert. Im Moment schimmerte sie in einem satten Avocadogrün. Der Kühlschrank stammte definitiv aus frühester amerikanischer Produktion und kriegte jedes Mal einen Schüttelanfall, wenn der Motor den Kühlmechanismus ankurbeln sollte. Die Tür fühlte sich fast genauso kalt an wie das Tiefkühlfach; außerdem hing ein Stück Gummiisolation vom Rand herunter und war schuld daran, dass sie nicht richtig schloss. Neben dem Kühlschrank war ein niedriger Spülstein installiert, dessen Größe die Annahme nahelegte, dass man ihn vor Urzeiten mal als Waschzuber benutzt haben musste. Direkt daneben stand die Badewanne mit einer abnehmbaren, porzellanüberzogenen Metallverkleidung. Oben an der Wand hingen die Küchenschränke. Ihre verzogenen Türen kriegte er nie richtig zu, und innen drin stank es nach einer grässlichen Mischung aus vergammelten Wachstüchern, massenhaft Kakerlakeneiern, Reiskörnern, die die Viecher angefressen hatten, Resten von gemahlenem Kaffee und einer schmierigen Rußschicht.
Das Klosett war in einer kleinen Rumpelkammer auf dem Flur untergebracht. Irgendwas stimmte nicht mit dem Licht, deshalb steckte er eine Kerze auf das Sims. Der Benutzer hatte nun die Wahl: entweder ließ er die Tür zum Flur auf, machte sich die Kerze an oder entleerte sich im Dunkeln. Der Wassertank gurgelte und spuckte vierundzwanzig Stunden am Tag. Kakerlaken fühlten sich magisch angezogen von dem Ort, es wimmelte nur so von ihnen. Die anfänglichen Versuche, das Klo von ihnen zu befreien, gab er schnell auf, sodass sich fortan all seine Freunde, sogar die hartgesottensten, davor ekelten, die Klobrille auch nur mit dem kleinsten Fetzen nackter Haut zu berühren.
Etwa eine dreiviertel Stunde nachdem Miete und Kaution bezahlt waren, zog Sam ein. Seine Besitztümer hielten sich in Grenzen: eine kleine silberne Wasserpfeife — äußerst hip im Jahre 1961 — sechzehn Kartons mit Büchern, eine Schreibmaschine, ein Koffer voller Klamotten, ein kleiner Speed-O-Print-Matrizendrucker mit offener Walze, eine alte Milchkanne mit Druckerfarbe, Zeichenmaterial und ein Stapel von seinem Gedichtmagazin The Shriek of Revolution.
Auf dem Fußboden lagen acht Schichten Linoleum übereinander. Er hackte sie los und karrte sie bündelweise weg. Der blanke Fußboden sah nicht so aus, als wäre er je gestrichen oder lackiert worden und bestand aus purem Holz. Er überlegte eine Weile, ob er ihn einfach so lassen sollte, wie er jetzt war. Da ihm aber beim Streichen von Decke und Wänden ziemlich viel Farbe auf die Erde gekleckert war, hielt er es am Ende doch für das Beste, ihn gleich mitzustreichen.
Er renovierte also das ganze Apartment: Fußboden, Decke, Wände und Türen wurden schwarz, bis auf eine Wand. Die tünchte er weiß, um sie später mit Wandgemälden zu verzieren. Das Wohnzimmer strahlte in knalligem Orange, als er die Wohnung mietete. Die alten Mauern waren übersät von Buckeln, Rissen und Furchen, die er beim Streichen einfach orange ließ. Danach hatte er diese irren, abstrakten roten Linien und Muster drin, die sich über die schwarze Fläche verteilten, Mannomann! In den nächsten Monaten verbrachte er viele Stunden vor der weißen Wand im anderen Zimmer und pinselte sorgfältig und geduldig bunte Keilschriftstrophen sumerischer Poesie drauf, die er sich am College angeeignet hatte.
Das war die Zeit, als die Lower East Side sich noch jeden Mittwochabend in ein kostenloses Warenhaus verwandelte. Einmal die Woche schafften alle Bewohner ihre alten Möbel, Küchenschränke, kaputten Fernseher, zusammengerollten und verschnürten Matratzen et cetera auf die Straße, wo der Sperrmüll sie am nächsten Morgen abholte. Manchmal, wenn ein Rentner ohne Familienanhang verstorben war, türmten sich auf dem Bürgersteig vor seinem Haus Kisten voll alter Klamotten, Büchertruhen, Lampen, Geschirr und dem ganzen Schmand einer fünfzigjährigen East-Side-Existenz. Dann brach das reinste Chaos aus. Es war, als ob einer Geld aus dem Fenster geworfen hätte. Kalte Schauer liefen den Anwohnern den Rücken hinunter, wenn sie ein Sporthemd aus Honolulu oder ein Photoalbum aus dem Jahre 1923 aus einem der alten Koffer fischten.
An seinem ersten Mittwochabend zog Sam los und fand prompt eine alte Sperrholzkiste aus Japan samt Deckel, die er nach Hause schleppte, schwarz anmalte und fortan als Küchentisch seiner neuen Behausung betrachtete. Manche Sachen musste er aber auch kaufen. Zu den derart erstandenen Errungenschaften gehörte eine drei Mal drei Meter große Bambusmatte, die am Rand mit schwarzem Baumwollstoff eingefasst war. Sie diente als Freudenteppich im Wohnzimmer. Sitzkisten bastelte er sich aus alten Sofas zusammen, die er auf der Straße fand. Eine kleinere Bambusmatte hängte er in die Türöffnung zwischen die beiden Zimmer. Von ihrer unteren Kante führte eine Strippe nach oben und durch einen Haken im oberen Türrahmen, sodass der Bambusvorhang sich durch einfaches Ziehen an der Strippe nach Belieben heben oder senken ließ.
Eines Abends strich Sam durch die kleinen Straßen seiner Nachbarschaft und suchte nach einer neuen Matratze. Es war wirklich ein mieser Tag für Schnorrer. Schließlich stöberte er ein vergammeltes Exemplar auf, das wie eine Roulade mit einer Schnur zusammengebunden war und an einer Mülltonne auf der Ecke Neunte Straße und Avenue C lehnte.
Das erste, was zu tun war, um eine kostenlose Straßenmatratze auszuchecken, war rauszukriegen, warum der Eigentümer sie loswerden wollte. Sam inspizierte das Ding. Sogar für geschenkt war es ein ziemlich erbärmliches Exemplar. Erstens hatten die Vorbesitzer mit Sicherheit nicht zu den Enthaltsamsten gehört, wie mehrere kalkige Fleckenspuren in der Mitte verrieten. Als er sie aber einem gründlichen Haltbarkeits- bzw. Sprungtest unterworfen hatte, machte sie doch wenigstens einen ziemlich festen Eindruck. Seiner Nase kam sie auch nicht besonders anrüchig vor und weder obendrauf noch innen drin konnte er irgendwelche Anzeichen für Läuse, Zecken, Flöhe oder Kakerlaken entdecken. Nachdem er sich dessen vergewissert hatte, packte er sich das Ding auf den Buckel und schwankte Richtung Elfter Straße zurück in sein Apartment.
Sams Küchengeschirr bestand aus zwei großen Holzschalen, zwei chinesischen Suppenlöffeln, zwei Gläsern, einem Dosenöffner, einem Messer und ein paar Töpfen. Kurz, nachdem er eingezogen war, stellte ihm das Elektrizitätswerk Licht und Strom ab und informierte ihn darüber, dass er ohne Hinterlegung einer Kaution leider auf den Service von Con-Ed verzichten müsse. Er beschloss, es durchzustehen, kaufte sich statt dessen Kerzen und lebte ein ganzes Jahr lang glücklich und ohne Strom.
An dem Tag, als Con-Ed ihm das Licht abdrehte, hatte er sich zum Lunch einen Topf Broccoli gekocht und davon Sandwiches mit Erdnussbutter gemacht. Das übriggebliebene Gemüse stellte er in den ratternden Kühlschrank, wo es innerhalb der nächsten elf Monate langsam vor sich hin faulte. Wenn jemand aus Versehen die Kühlschranktür aufmachte, kriegte er das große Kotzen. Kein Gestank, der je erfunden wurde, konnte es mit diesen stinkigen Schwaden der Verwesung aus Tales from the Crypt aufnehmen, die einem in die Nase stiegen, wenn man die Tür auch nur einen Spaltbreit aufmachte. Schon bei der bloßen Erinnerung wird es meinen Gehirnzellen speiübel.
Nachdem sein Herd also nicht mehr funktionstüchtig war, gewöhnte Sam sich an rohes Gemüse und kalten Büchsenfraß. Aus geheimnisvollen Gründen erfand er nach ein paar Tagen eine merkwürdige Komposition namens Yum. Monatelang lebte er von einer exklusiven Diät aus Yum und Vitamin C, abgesehen von gelegentlichen Seitensprüngen ins nahe Odessa-Restaurant, wo er sich Banketten von Piroggen mit saurer Sahne hingab. Und was war Yum? Ganz einfach! Zuerst kippte er eine trockene fünf Zentimeter dicke Schicht Haferflocken in seine Holzschale. Darüber kamen zwei Löffel Hellmann’s Mayonnaise und ein paar großzügige Spritzer Sojasauce. Über diesen köstlichen Boden gab er zwei frische Eier und verrührte dann das Ganze zu einer beige-gelblichen Pampe. Das war Yum! Mal probieren?
Elf glückliche Monate lang ernährte er sich Tag für Tag von Yum, von dem Tag an, wo er den Topf mit Broccoli in seinem unbrauchbaren Kühlschrank deponiert hatte, bis Ende 1962. Es machte ihm nicht im geringsten was aus, seine Yum-Schüssel mit Besuchern zu teilen, wenn sie zufällig grade zur Essenszeit vorbeikamen. Man musste allerdings eine gewisse Scheu oder Zurückhaltung konstatieren, was den tatsächlichen Verzehr betraf, wenn der Freund mitgekriegt hatte, wie Verleger Sam seinen feuchten gelben Yum-Brei angemixt hatte.
Der Geist von Yum bestimmte auch sein übriges Leben. Einmal, kurz nach der Sache mit dem Strom, wartete er auf seine kleine blonde Freundin, die die Nacht über bei ihm bleiben wollte. Plötzlich hatte er eine Idee, marschierte zu einem Großhändler drüben in der Houston Street und erstand einen Sack mit fünfundzwanzig Pfund Haferflocken.
Abends kippten die beiden dann den ganzen Sack in Sams Badewanne und vermischten den Inhalt mit großzügigen Teilen von Maisöl und heißer Milch, die sie in einer Thermosflasche mitgebracht hatte. Dann feierten sie ihr erstes Zusammensein nach Monaten mit einer unverzüglichen Liebesorgie im heißen Haferbreibad, rieben sich gegenseitig mit ölglänzenden Haferflocken ein und klebten sich wie kleine Kinder die milchigen Körner auf diverse Körperrundungen und Öffnungen. Auf ihren Brüsten glänzte eine Schicht schimmernden Haferflockenschmands. Als sie jetzt aus der Wanne stiegen, sahen sie aus wie die reinsten Höhlenmenschen. Sie liefen hinüber ins Wohnzimmer, wälzten sich auf der Bambusmatte und küssten und leckten sich die Körner der Göttin Demeter von der Haut.
Schließlich hatte Sam sein Apartment fertig renoviert und eingerichtet. Es war Zeit, die nächste Nummer von The Shriek of Revolution in Angriff zu nehmen. Seine ausgedehnte Korrespondenz mit den peripatetischen Schreiberlingen seiner Generation hatte ihm so viel gute Poesie verschafft, dass er mittlerweile schon die vierte Ausgabe des Magazins herausbringen konnte.
Zuerst tippte er die Matrizen. Das kostete immer die meiste Zeit und erforderte umständliche Korrekturen mit einem Rasiermesser und einer klebrigen Korrekturflüssigkeit, die er auf den Tippfehler pinseln und trockenpusten musste, ehe er das Wort neu schreiben konnte. Manchmal tippte er bis nach Mitternacht im Licht einer Kerze, bis der Mann von nebenan mit einem Besen gegen die Wand polterte.
Er selbst verfasste mehrere Vorworte. In einem davon rief er alle Bewohner der Lower East Side auf, die rußigen Inhalte ihrer Nasenlöcher jeden Morgen an die Con-Ed Company zu schicken, sozusagen als Protest gegen ihre qualmenden Schornsteinvulkane. Im zweiten Vorwort beschrieb er eine fiktive Sitzung der Shriek-of-Revolution-Redaktion und nannte dabei die Namen von fünf oder sechs seiner Freunde.
So wie er das Ganze schilderte, ließ die vollständig versammelte Redaktion alle entscheidenden Überlegungen bezüglich der nächsten Ausgabe vom Shriek schnellstens unter den Tisch fallen und stürzte sich stattdessen in eine handfeste Gruppenfummelei. Eine Dichterin namens Cynthia Pruitt, von ihren Freunden in Stanley’s Bar »Cynito« gerufen, spielte dabei die Hauptrolle. Cynthia war ein süßes Mädel, das in den frühen Sechziger Jahren die Versammlungen der Friedensbewegung und die Buden in der Lower East Side unsicher machte und nebenbei eine beachtliche Dichterin war. Sam hatte schon öfter Arbeiten von ihr im Shriek veröffentlicht. Als er das Vorwort tippte, dachte er nicht im Traum daran, dass seine Freunde, einschließlich der geilen Cynthia, an seiner freizügigen und detaillierten Schilderung der radikalen Sitzung Anstoß nehmen könnten.
Schließlich waren alle Matrizen fertig getippt und korrigiert. Er bestellte ein paar Ladungen blaues Umdruckpapier und kaum war das im Haus, hockte er sich hin und fing mit den Vorbereitungen zum Druck an. Zuerst platzierte er den kleinen Umdrucker auf der Metallverkleidung der Badewanne und schmierte Farbe auf die Innenseite der Druckerwalze. Dann legte er eine Matrize auf die Walze, strich sie glatt, checkte die gleichmäßige Farbgebung, füllte die Einlegevorrichtung mit Papier und drehte dann langsam am Griff. Er druckte mit einer Art entrückter Versenkung, die man schon fast religiös nennen konnte. Alles war göttlich. Die Galaxie existierte. Sternengeschwader drifteten durch das All. Er betete seinen Martizendrucker an. Er hielt ihn stets auf Hochglanz. Manchmal saß er stundenlang auf der Bambusmatte, versenkte sich in den Anblick des Speed-O-Print drüben auf der Badewanne und meditierte.
Als alle Blätter einzeln gedruckt waren, blieb nur noch der schreckliche Job des Zusammenlegens. Normalerweise hatten seine Ausgaben nicht mehr als dreißig Seiten und er ging folgendermaßen vor: Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen in Bodhisattva-Position auf die Erde — klar? — und verteilte um sich herum drei konzentrische, halbkreisförmige Reihen mit Stapeln der einzelnen Seiten. Dann beugte er sich nach vorn und legte sie Blatt für Blatt aufeinander, wobei er sich von links nach rechts durch den äußersten Kreis arbeitete, dann durch den mittleren, und am Schluss durch den inneren fegte, der seinen kreuzbeinigen Körper fast ganz umkreiste. Jedes vollständige Exemplar klopfte er einmal von oben und einmal von der Seite auf die Erde, damit er sie möglichst gerade aufeinander liegen hatte und sie später schneller klammern konnte. Langsam wuchs der Stapel, bis er am Schluss alle fünfhundert Stück der Ausgabe beisammenhatte.
Die nächste und letzte langweilige Aufgabe bestand darin, jedes fertige Exemplar Klack! Klack! Klack! dreimal an der linken Kante entlang zu heften. Puh! Am Schluss adressierte er sie, frankierte so viele, wie er sich nur leisten konnte, und schickte sie an seine Poetenfreunde, andere Verleger, seine ehemaligen Literaturprofessoren — und an seine leicht geschockten Onkel und Tanten.
Es war kurz nach Mitternacht. Wie immer hockte er in seiner Bude und las im Schein einer Kerze, als es plötzlich an die Tür klopfte. Er horchte und vernahm das hohe Winseln, Knurren und Schnaufen einer ganzen Hundemeute draußen im Flur. Jedenfalls hörte es sich so an. Als er die Tür aufmachte, trotteten zwei Deutsche Schäferhunde an ihm vorbei und machten sich schnüffelnd und sabbernd über Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer her. Sie gehörten zu einer Person, der unser Verleger bisher nur ein einziges Mal in seinem Leben begegnet war, einem äußerst nervösen Menschen namens John Carlin, schmächtig, einsachtundsechzig groß, mit sorgfältig frisiertem Haar, das er im Nacken fast ausrasiert, dafür aber in der Stirn extrem lang gelassen hatte. Es war nach vorn gekämmt und verdeckte seine Augenbrauen, drehte aber gleich darunter in einer scharfen Tolle Richtung rechte Schläfe ab. Sein kurzer Bart war sauber gepflegt. Carlin war Sprachlehrer an der Universität von New York City und wohnte in einem zweistöckigen Haus auf der Siebten Straße Ost, gleich um die Ecke vom Tompkins Square.
Er erklärte Sam, dass er reichlich sauer sei, über die Beschreibung der Redaktionssitzung in der neusten Ausgabe vom Shriek of Revolution, ganz besonders über den Teil, wo Cynthia Pruitt dem Verleger und den übrigen Redaktionsmitgliedern ihre wirklich sagenhafte Saugfähigkeit demonstriert hatte. Er war so wütend, dass er hergekommen sei, um Sam eine saftige Abreibung zu verpassen. Ein schneller Blick in die Augen seines Gegenüber und auf die beiden riesigen Köter, die vielleicht — wer weiß — darauf trainiert waren, sich auf Kehlköpfe zu stürzen, überzeugten unseren Verleger von seiner wirklich aussichtslosen Lage.
Die fragliche Passage in Sams Vorwort lautete: »Und Cynthia wälzte sich über den Fußboden und glitt mit Zunge und Lippen über den strammen Kolben des Dramenverlegers Nelson Saite, während er ihre prallen Arschbacken gegen das Dampfventil der Heizung presste und den Metallgriff in sie reinrammte.«
Nun wusste Sam zwar, dass Cynthia ein paar Wochen lang unten in Carlins Wohnung gewohnt hatte, aber bisher hatte ihm noch keiner erzählt — und solcher Klatsch verbreitete sich in der Lower East Side gewöhnlich mit Windeseile — dass Cynthia und John eine Monoverbindung eingegangen wären, dass sie also bezüglich ihrer Genitalaktivitäten einen Exklusivvertrag abgeschlossen hätten. Außerdem schoss es ihm durch den Kopf, ob Cynthia vielleicht gar selbst Carlin dazu gebracht habe, hierherzukommen, um ihm Angst zu machen. Er kam zu dem Schluss, dass das nicht sein könne. Und wenn Sam tatsächlich ein echtes Erlebnis dieser Art hätte darstellen wollen, dann hätte er Cynthia, Charlotte Nelson, Claudia Pred und seine anderen Freunde garantiert zumindest einmal bei ihren emsigen Fummelorgien beobachtet, damit das, was er bei seiner Redaktionssitzung beschrieben hatte, nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen wäre.
Auf der anderen Seite war ihm nun gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass er mit seiner Schilderung jemanden verletzt haben könnte, wo er doch eigentlich nur Freude machen wollte. Sehr gut verstand er auch, dass Eifersucht bei der ganzen Sache eine Rolle spielen könnte. Deshalb entschuldigte er sich und erklärte, dass zwar über die Hälfte seiner Zeitschriften schon verschickt sei, dass er aber mit Sicherheit auf solche Details verzichtet hätte, wenn er vorher von Johns Problemen gewusst hätte.
Nach ein paar Minuten verschwand der Typ mitsamt seinen Hunden, nicht ohne die abschließende Bemerkung, dass er Sam grün und blau geprügelt hätte, wenn er nicht wenigstens so was ähnliches wie eine Entschuldigung fertiggebracht hätte. Auf diesen Schreck stürzte der Verleger erst mal in Stanley’s Bar rüber, wo er die letzten Exemplare der neuen Ausgabe an seine Freunde verteilte. Dann ließ er sich bis vier Uhr morgens volllaufen und schwankte schließlich total benebelt nach Hause. Singend und torkelnd kletterte er in sein Bambuslager im zweiten Stock zurück.