Читать книгу Meistens kunterbunt, manchmal grau - Edda Blesgen - Страница 4
Ein Fall von seelischer Grausamkeit – oder Sophies lustigstes Weihnachtsgeschenk
ОглавлениеWenn Sophie in einem Roman erst wenige Zeilen gelesen hat, will sie schon wissen, wie er ausgeht, blättert zur letzten Seite und liest den Schluss. Darüber ärgert sich jedes Mal, wenn er sie dabei ertappt, ihr Mann, das Goldstück.
Bei dem Buch, das er ihr letztes Jahr zu Weihnachten schenkte, wollte er Sophies Neugier überlisten. Unbarmherzig schnitt er aus dem Krimi ihrer Lieblingsautorin – Ruth Rendell – die letzte Seite heraus, legte sie in einen Umschlag, klebte diesen zu und versteckte ihn in seinem Büro.
Zwischen Weihnachten und Neujahr schmökerte Sophie stundenlang, mit schadenfroher Miene von ihrer besseren Hälfte beobachtet. Sie nutzte die Situation sogar schamlos aus – Strafe muss sein – indem sie einmal das Kochen unterließ: „Das Buch ist zu spannend, ich kann jetzt nicht aufhören. Nimm eine Pizza aus der Gefriertruhe und schiebe sie in den Backofen.“
„Siehst du“, erwiderte das Goldstück, diabolisch grinsend, „ich habe es dir ja immer gesagt. Ein Buch ist viel fesselnder, wenn man den Schluss nicht kennt.“
Sophie machte ihm die Freude und mimte Ungeduld, schmunzelte dabei aber ihrerseits stillvergnügt vor sich hin. Denn damit hatte er nicht gerechnet – und er weiß bis heute nicht – Sophie war längst in einen Buchladen gegangen, hatte ein Ansichtsexemplar des betreffenden Krimis aus dem Regal genommen und die letzte Seite gelesen.