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Allein mit Fernseher und Kirschlikör

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Neulich im Supermarkt: Vor Sophie stand in der Schlange an der Kasse eine alte Dame ohne Einkaufswagen, beladen mit zwei Literflaschen Mineralwasser. „Darf ich die Wasserflaschen schon mal aufs Band legen, sie sind ziemlich schwer?“, fragte sie die vor ihr stehende Kundin. „Wissen Sie, ich habe Arthrose und Osteoporose, neulich habe ich mir das Schultergelenk gebrochen. Es ist zwar inzwischen verheilt, schmerzt aber immer noch.“

Die Angesprochene antwortete nicht, nickte nur, schaute gleich wieder in eine andere Richtung, sichtlich genervt von der Aufzählung der Krankheiten. Die ältere Dame schien nichts von dem Unmut der Kundin zu bemerken und redete ununterbrochen weiter: „Ich habe noch etwas vergessen“, sagte sie schließlich und verschwand zwischen den Regalen. Die andere wandte sich an Sophie, verdrehte die Augen: „So eine Nervensäge.“

Schon kam die alte Dame zurück, schob sich an Sophie vorbei, legte eine Flasche Kirschlikör auf das Band. „Haben Sie den schon einmal versucht?“ Wieder kam keine Antwort, ja, die Angesprochene schaute demonstrativ in eine andere Richtung. „Ich genehmige mir jeden Abend zwei Gläschen davon. Man hat ja sonst nichts. Seit dem Tod meines Mannes vor einem Jahr bin ich allein. Den ganzen Tag laufen bei mir Radio oder Fernseher, damit ich menschliche Stimmen höre. Ab und zu besucht mich meine Tochter. Aber sie nimmt dann jedes Mal eine meiner Zeitschriften, setzt sich in die Ecke, liest und unterhält sich nicht mit mir.“

Jetzt wandte sie sich an den Kassierer. Während dieser die Waren scannte, hörte er, trotz der Hektik an seinem Arbeitsplatz, freundlich lächelnd zu, gab Antwort, als die alte Dame über das Wetter klagte, das ihre Beschwerden mit den Knochen noch verstärke.

Die andere Kundin war fertig, schob mit ihrem Einkaufswagen davon, zwinkert Sophie zu – sichtlich erleichtert, weil die alte Dame ein neues Opfer gefunden hatte.

Jetzt verabschiedete sich die alte Dame von dem Kassierer, der ihren Gruß herzlich erwiderte und ihr einen schönen Abend wünschte. Auch Sophie war fertig, bezahlte, packte ihre Einkaufstasche und eilte hinaus. Wie isoliert muss ein solcher Mensch leben, dem Kunden und Kassierer im Supermarkt die einzigen Ansprechpartner sind, überlegte sie. Vielleicht sollte ich die Einsame zu einer Tasse Kaffee einladen und ihr eine Viertelstunde zuhören? Aber Sophie konnte ihren Vorsatz nicht in die Tat umsetzen. Die alte Dame war verschwunden – zu einem weiteren Abend alleine zu Hause mit Fernseher und Kirschlikör.


Meistens kunterbunt, manchmal grau

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