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Der geisterhafte Geschichtenerzähler

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Die Stadt Oradi ist mit ihren rund 500 Bewohnern eine der größten Städte des Südens. Die Sonne ist schon halb untergegangen, als die Zwillingsbrüder Erwin und Edwin die Stadt betreten. Äußerlich sind die Brüder kaum zu unterscheiden, selbst in ihrem hohen Alter von etwa 50 Jahren haben sie noch immer ein identisches Gesicht, dieselbe Art, ihr Haar zu tragen, und einen identischen Körperbau. Allein ihr Kleidungsstil – Edwins ist typisch für einen Elementaristen und Erwins für einen Seelensammler – macht es möglich, sie auseinanderzuhalten. Sie sind gerne gesehen und ernten viele freundliche Blicke und Grüße von passierenden Bürgern, während die beiden durch die mit Glanzstein errichteten Straßen gehen.

Im Zentrum angekommen sehen sie, wie die Händler bereits ihre Marktstände schließen und sich für die Nacht vorbereiten. Die Zwillinge allerdings interessieren sich mehr für die Gasthäuser, die vorzugsweise im Stadtzentrum vorzufinden sind. Schnell haben sie sich für eine kleine Herberge mit dem Namen „Halt des Rastlosen“ entschieden und betreten die Unterkunft durch den Vordereingang.

Beim Betreten schießt einem im Inneren sofort der Duft von frischem Braten, Gewürzen und alkoholischen Getränken entgegen. Die Fläche des Hauses mutet von außen klein an, was sich im Inneren bestätigt. Der Schankraum hat eine kleine Theke und eine Handvoll runder Tische, um die vier Stühle stehen, eine Tür, die nach hinten zur Küche führt, und eine Treppe nach oben, wo sich die Schlafzimmer befinden.

Die Brüder haben Glück, denn von den fünf Tischen ist nur noch einer unbesetzt. An drei Tischen sitzen jeweils vier Personen und an einem Tisch nahe dem freien Tisch sitzt ein Mago mit einer Maga’a.

Nachdem sie beim Wirt Abendbrot bestellt haben, hören sich die Brüder bei den anderen Gästen um. Während die Leute an den vollen Tischen einfach nur essen, trinken und Geschichten austauschen, hört sich das Gespräch zwischen dem Mago und der Maga’a für die beiden interessant an.

„Lass dich nicht wieder dabei erwischen, wie du dich im Waldstück vor der Stadt herumtreibst, wo sich das starke Zornesfeld befindet …“ Mehr können sie nicht verstehen, weil die Magonar am Nachbartisch dazwischenrufen. „Verzeihung, wir wollen euch nicht stören. Doch Ihr tragt die Roben von Elementaristen und Seelensammlern. Wir fragen uns, ob ihr vielleicht Seelen dabeihabt, die spannende Geschichten zu erzählen haben?“ Die beiden alten Zwillinge schauen erst noch den Mago an, der sie angesprochen und gefragt hat. Dann aber merken sie, dass sie der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Gasthauses sind und jeder darin die beiden erwartungsvoll ansieht.

Erwin der Seelensammler muss nicht lange überlegen und nickt sogleich lächelnd in die Menge. „In der Tat habe ich jemanden, dessen Erlebnisse Euch interessieren könnten. Sein Name ist Jockaru. Ein Entdecker und Abenteurer aus dem Magrennar-Gebiet.“

Ein freudiges Johlen geht durch den Schankraum, gefolgt von Bitten aus mehreren Richtungen, seine Geschichten hören zu dürfen. „Sehr wohl, liebe Leute, ich werde ihn für Euch beschwören. Denkt an eine kleine Spende, wenn Euch die Geschichten gefallen“, antwortet Erwin den Maginar im Raum.

Daraufhin nimmt Erwin einen der Riaberane von seinem Gürtel. Er hält diesen in seiner rechten Hand und beginnt die Beschwörung, indem er Zeige-, Mittel- und Ringfinger der linken Hand in einer Dreiecksformation dagegen drückt. Langsam leuchtet der dunkle Riaberan von innen in einem hellen Blau auf. Geisterhafter Rauch steigt aus der kleinen leuchtenden Kugel auf. Es wird immer mehr Rauch, bis eine kleine Wolke über dem Tisch schwebt, die sich zur Büste eines alten Mago formt.

Mehr als der Kopf und die Schultern erscheinen nicht. Der halb durchsichtige Geisterkopf sieht sich im Raum um und lächelt zufrieden.

„Kein sehr großes Publikum, doch wie ich sehe, ein sehr interessiertes. Mein Name ist Jockaru, Erforscher der Magrennar. Es wäre mir ein Vergnügen, Euch von meinen Entdeckungen und Erfahrungen zu erzählen.“

Das Publikum schaut gebannt auf die Erscheinung, als diese beginnt, von ihrer Reise zu erzählen. Sogar der Wirt hört aufmerksam zu, während er den Brüdern ihr Abendbrot bringt. Die Zwillinge haben nun eine Pause, sie haben die Geschichte schon oft gehört und wenden sich ihrem Mahl zu, während der geisterhafte Jockaru erzählt.

„… mit meiner verschleiernden Wind-Magie konnte ich mich gut zwischen den Pflanzen hindurchbewegen. Ihr wisst, dass manche Pflanzen, besonders junge Bäume, schon auf kleinste Berührungen reagieren und sich wehren. Doch um zu den Magrennar zu gelangen, musste ich mich ab und zu zwischen ihnen hindurchquetschen oder den einen oder anderen Ast wegdrücken. Da ich aber den Wind genutzt habe, um die Äste wegzudrücken und mich beim Durchquetschen von einem Wirbelwind umgeben habe, konnte ich sie über meine Präsenz hinwegtäuschen. Die eigentliche Herausforderung folgte erst, als ich die Magrennar dann gefunden habe. Es war eine Gemeinschaft von Wolf-Magrennar im Grundellun-Wald. Ich musste aufpassen, denn die Sinne der Magrennar sind hervorragend ausgeprägt. Wenn man nicht aufpasst, riechen oder hören sie dich, noch bevor du sie überhaupt sehen kannst. Glücklicherweise konnte ich meine Präsenz weitestgehend verbergen und die Wesen beobachten.“

Jockaru, die Seele, erzählt seine Erlebnisse wie eine Abenteuergeschichte, obwohl diese mehr wie eine Schullektion wirkt. Das stört die Zuhörenden jedoch in keinster Weise. Sie hängen ihm neugierig an den Lippen. Man merkt, dass er regelmäßig gerufen wird, um Geschichten zu erzählen, denn er macht immer wieder Sprechpausen, aber nicht um Luft zu holen. Logischerweise braucht er keine Atemluft, doch die Zuhörer brauchen Unterbrechungen, um sich das Erzählte bildlich vorstellen zu können und die Informationen sacken zu lassen.

„Meine Vorräte reichten zu dem Zeitpunkt für drei Tage und ich wollte so viel wie möglich über die Wolf-Magrennar erfahren. Während ich sie also studierte, merkte ich immer mehr, dass sie sich im Grunde mehr wie wir Maginar verhalten als wie Tiere. Sie leben nicht etwa in wilden Rudeln, in denen sie sich um Beute und Essen streiten und der Stärkste zuerst frisst, vielmehr verhalten sie sich wie Familien. Die Stärksten gehen auf die Jagd, die Schwächeren gehen sammeln und die Alten kümmern sich um die Kleinen. Dass die Magrennar ein Territorium haben und dieses gegen Eindringlinge verteidigen, ist soweit bekannt. Wenn man sie trifft, sind sie meist sehr aggressiv und viele Begegnungen hatten schon im Unleben für Maginar geendet. Daher habe ich mich sehr lange und ausführlich auf diese Expedition vorbereitet. Dies hat sich mehr als ausgezahlt. Mit eigenen Augen habe ich ihre friedvolle Natur beobachten können. Die Magrennar erziehen ihre Jungen spielerisch für die Jagd und den Kampf. Sie sprechen sogar eine Art Sprache, jenseits von Bellen und Knurrlauten. Außerdem habe ich mehrfach beobachten können, wie sie ihr Fleisch mit Pflanzen gewürzt haben. Ich konnte jedoch nicht feststellen, ob die Magrennar diese Verhaltensweisen selbst entwickelt oder ob sie diese bei uns Maginar abgeschaut haben …“

Während Jockaru die Geschichte über die Wolf-Magrennar erzählt, merkt das Publikum nicht, wie spät es inzwischen geworden ist. Der Geist selbst spürt keine Müdigkeit, doch sieht er Ermüdungserscheinungen bei seinen Zuhörern und kommt bald zu einem Ende. Der geisterhafte Erzähler zieht sich in sein Riaberan zurück. Bevor die Menge sich auflöst, lassen sie noch den einen oder anderen Luxon für den Seelensammler, der für sie den erzählenden Geist beschworen hat, da und diskutieren auf dem Weg nach Hause über das gerade Gehörte. Die Brüder bestellen sich Zimmer für die Nacht und Ruhe kehrt in das Gasthaus ein.

Die magische Welt Rialar

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