Читать книгу Tarzan – Band 6 – Tarzans Dschungelgeschichten - Edgar Rice Burroughs - Страница 7

Tarzan gefangen

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Die schwar­zen Krie­ger ar­bei­te­ten in der feuch­ten Hit­ze müh­sam un­ter den er­sti­cken­den Schat­ten des Dschun­gels. Mit den Spee­ren lo­cker­ten sie den fes­ten dunklen Lehm und die tie­fe Lage ver­mo­der­ter Pflan­zen. Mit ih­ren Fin­ger­nä­geln kratz­ten sie die zer­klei­ner­te Erde aus der Mit­te der ur­al­ten Wald­fähr­te. Oft hiel­ten sie in der Ar­beit an, hock­ten sich auf den Rand der Gru­be, die sie an­leg­ten, ruh­ten sich aus, lach­ten und schwatz­ten. Wäh­rend sie mit ih­ren Spee­ren gru­ben, lehn­ten ihre lan­gen ova­len Schil­de aus di­cker Büf­fel­haut an den na­hen Baum­stäm­men. Ihre glat­te, schwar­ze Haut, un­ter der sich die schö­nen, vol­len Mus­keln in der run­den Form volls­ter Ge­sund­heit straff­ten, glänz­te vom Schweiß.

Eine Rie­dan­ti­lo­pe zog vor­sich­tig auf dem Wege zur Was­ser­stel­le die Fähr­te ent­lang, als ihr das Ge­läch­ter zu Ge­hör kam. Sie stand einen Au­gen­blick bis auf die wit­tern­den Nüs­tern be­we­gungs­los, dann wen­de­te sie sich und floh ge­räusch­los aus der schreck­li­chen Nähe der Men­chen.

Hun­dert Schrit­te da­von ent­fernt im Dickicht des un­durch­dring­li­chen Dschun­gels hob der Löwe Numa sei­nen mas­si­gen Kopf. Numa hat­te heu­te fast bis zum Ta­ge­s­an­bruch ge­fres­sen, so­dass er erst durch den großen Lärm ge­weckt wur­de. Jetzt hob er die Schnau­ze, zog die Luft ein und fing die schar­fe Wit­te­rung des Ried­bocks und die dump­fe des Men­schen auf. Aber Numa war wohl ge­sät­tigt. Mit ei­nem lei­sen, un­zu­frie­de­nen Grun­zen er­hob er sich und schlich da­von.

Bunt­ge­fie­der­te Vö­gel mit hei­se­ren Stim­men schos­sen von Baum zu Baum. Klei­ne Af­fen schwan­gen sich schnat­ternd und schel­tend über den schwar­zen Krie­gern durch die schwan­ken Zwei­ge. Und doch fühl­ten sich die­se al­lein, denn der gleich den Stra­ßen ei­ner Groß­stadt von My­ria­den Le­be­we­sen wim­meln­de Dschun­gel wirkt auf je­den wie der ein­sams­te Fle­cken auf Got­tes großer Welt.

Aber wa­ren sie wirk­lich al­lein?

Über ih­nen wieg­te sich ein grau­äu­gi­ger Jüng­ling auf ei­nem dicht­be­laub­ten Ast und be­wach­te mit re­ger Auf­merk­sam­keit jede ih­rer Be­we­gun­gen. Das zu­rück­ge­hal­te­ne Feu­er des Has­ses glomm un­ter des Jun­gen of­fen­ba­rem Wunsch, her­aus­zu­fin­den, wel­chen Zweck die Ar­beit der Schwar­zen hat­te. Ei­ner so wie die­se da hat­te sei­ne ge­lieb­te Kala ge­tö­tet. Er konn­te nur bit­te­re Feind­schaft für sie he­gen, aber er be­lausch­te sie ger­ne, weil er be­gie­rig war, das Be­neh­men der Men­schen bes­ser ken­nen­zu­ler­nen.

Er sah die Gru­be tiefer wer­den, bis ein großes Loch von der Brei­te der Fähr­te gähn­te – ein Loch, groß ge­nug, um alle sechs Schwar­zen zu­sam­men in sich auf­zu­neh­men. Tar­zan konn­te sich den Zweck ei­ner sol­chen Rie­sen­ar­beit nicht vor­stel­len. Als sie lan­ge Stan­gen schnit­ten, am obe­ren Ende zu­spitz­ten und in Ab­stän­den senk­recht in den Bo­den der Gru­be setz­ten, stieg sein Er­stau­nen. Und als sie dann schwa­che Qu­er­stä­be dar­über leg­ten und mit ei­ner sorg­fäl­tig an­ge­brach­ten Lage aus Blät­tern und Erde ihr Werk je­dem Blick ver­deck­ten, wur­de er nicht klü­ger dar­aus.

Als die Schwar­zen fer­tig wa­ren, be­trach­te­ten sie ihr Werk mit Zei­chen volls­ter Zufrie­den­heit und Tar­zan be­trach­te­te es gleich­falls so. Selbst für sein ge­üb­tes Auge blieb kaum eine Spur da­von, dass die alte Wild­fähr­te in ir­gend­ei­ner Wei­se an­ge­rührt wor­den war.

Der Af­fen­mensch war so sehr in sei­ne Mut­ma­ßun­gen über den Zweck der über­deck­ten Gru­be ver­tieft, dass er die Schwar­zen nach ih­rem Dor­fe ohne die üb­li­che Het­ze ent­kom­men ließ, die ihn zum Schre­cken von Mbon­gas Stamm ge­macht hat­te und für ihn gleich­zei­tig ein Mit­tel zur Ra­che und eine un­er­schöpf­li­che Quel­le der Un­ter­hal­tung dar­stell­te.

Aber wie sehr er sich auch den Kopf zer­brach, er konn­te das Rät­sel der ver­deck­ten Gru­be nicht lö­sen, denn die Sit­ten der Schwar­zen wa­ren für Tar­zan im­mer noch et­was Un­be­kann­tes. Sie wa­ren erst vor kur­z­em in den Dschun­gel ein­ge­wan­dert – die ers­ten ih­rer Gat­tung, um den Tie­ren dort ihre ur­al­te Vor­herr­schaft auf­zu­drän­gen. Für den Lö­wen Numa, für Tan­tor, den Ele­fan­ten, für die großen und die klei­nen Af­fen, für all und je­den der My­ria­den Ge­schöp­fe die­ser rau­en Wild­nis wa­ren die Mit­tel und Wege des Men­schen neu. Sie muss­ten noch vie­les ler­nen, was die­se schwar­zen, haar­lo­sen Ge­schöp­fe be­traf, die auf­recht auf den Hin­ter­pfo­ten gin­gen – und sie lern­ten lang­sam und im­mer zu ih­rem größ­ten Kum­mer.

Bald nach dem Ab­zug der Schwar­zen schwang sich Tar­zan auf die Fähr­te hin­ab. Vor­sich­tig wit­ternd um­kreis­te er die Rän­der der Fal­le. Er hock­te sich hin und kratz­te das Ende ei­nes Qu­er­trä­gers frei. Dann beroch er ihn, be­rühr­te ihn, leg­te den Kopf auf die Sei­te und be­schau­te ihn erst ein paar Mi­nu­ten lang. Schließ­lich brach­te er die Stel­le wie­der sau­ber in Ord­nung, schwang sich hin­auf in die Zwei­ge und mach­te sich auf die Su­che nach sei­nen be­haar­ten Ge­fähr­ten, den großen Af­fen von Ker­schaks Hor­de.

Als ihm da­bei der Löwe Numa über den Weg lief, hielt er einen Au­gen­blick an, warf sei­nem Feind eine wei­che Frucht in das knur­ren­de Ge­sicht und schimpf­te ihn Aas­fres­ser und Bru­der der Hyä­ne Dan­go. Numa starr­te mit sei­nen feu­ri­gen, run­den, gelb­grü­nen Au­gen voll tie­fem Hass auf die tan­zen­de Ge­stalt oben. Sei­ne di­cken Ba­cken zit­ter­ten un­ter lei­sem Knur­ren und die Wut setz­te sei­nen ge­schmei­di­gen Schweif in schar­fe peit­schen­de Be­we­gung. Aber aus al­ter Er­fah­rung wuss­te er, wie zweck­los es war, mit dem Af­fen­menschen auf wei­te Ent­fer­nung zu ver­han­deln, des­we­gen schlug er sich als­bald seit­wärts in die Bü­sche, die ihn den Bli­cken sei­nes Quäl­geis­tes ent­zo­gen.

Tar­zan schnitt sei­nem ab­zie­hen­den Fein­de eine af­fen­ar­ti­ge Gri­mas­se und schrie ihm eine letz­te Dschun­gel­be­lei­di­gung nach, ehe er sei­nen Weg fort­setz­te.

Eine Mei­le wei­ter trug ihm ein Wind­hauch einen schar­fen ver­trau­ten Ge­ruch ganz aus der Nähe in die Nase und gleich dar­auf sah er un­ter sich ein un­ge­heu­res grauschwar­zes Un­ge­tüm ge­ra­de­wegs durch den Dschun­gel sich Bahn bre­chen. Tar­zan griff ne­ben sich und knick­te einen klei­nen Zweig und schon mach­te der wuch­ti­ge Kör­per bei dem plötz­li­chen Knacken halt. Gro­ße Ohren klapp­ten nach vor­ne und ein lan­ger, wei­cher Rüs­sel hob sich, um rasch auf der Su­che nach feind­li­cher Wit­te­rung hin- und her­zu­schwan­ken, wäh­rend zwei schwach­sich­ti­ge, klei­ne Au­gen arg­wöh­nisch aber er­folg­los nach dem Ur­he­ber des Geräusches späh­ten, das sei­nen fried­li­chen Weg ge­stört hat­te.

Tar­zan lach­te laut und kam dicht über den Kopf des Dick­häu­ters.

Tan­tor! Tan­tor! schrie er. Bara, der Hirsch, ist nicht so ängst­lich wie du – du, Tan­tor, der Ele­fant, der größ­te von al­lem Dschun­gel­volk. Du, mit der Stär­ke von eben­so viel Nu­mas als ich Fin­ger und Ze­hen habe! Tan­tor, der die größ­ten Bäu­me aus­rei­ßen kann, du zit­terst vor Angst, wenn ein klei­ner Zweig knackt!

Ein ra­scheln­des Geräusch, das eben­so ein Zei­chen der Ver­ach­tung wie der Er­leich­te­rung sein konn­te, war Tan­tors ein­zi­ge Ant­wort, als er den hoch­er­ho­be­nen Rüs­sel und die Ohren senk­te und sei­nen Schwanz wie­der wie ge­wöhn­lich hän­gen ließ. Nur die Au­gen such­ten wei­ter nach Tar­zan. Tan­tor brauch­te nicht lan­ge zu war­ten, denn eine Se­kun­de spä­ter sprang der Jüng­ling auf den brei­ten Kopf sei­nes al­ten Freun­des her­ab. Dort streck­te er sich lang aus, trom­mel­te mit den Ze­hen auf der Haut und kratz­te mit den Fin­gern die zar­te­ren Stel­len hin­ter den großen Ohren, wäh­rend er Tan­tor den gan­zen Dschun­gel­klatsch er­zähl­te, als ob das große Tier je­des sei­ner Wor­te ver­stün­de.

Tar­zan konn­te Tan­tor vie­les ver­ständ­lich ma­chen und ob­gleich sein Ge­schwätz von der Jagd über die Be­grif­fe des großen, grau­en Dschun­gel-Fürch­te­nichts ging, stand die­ser doch mit fun­keln­den Au­gen und lei­se schwin­gen­dem Rüs­sel, als ob er je­des Wort mit volls­tem Ver­ständ­nis in sich auf­neh­me. In Wirk­lich­keit lieb­te er die an­ge­neh­me freund­li­che Stim­me, die lieb­ko­sen­den Hän­de hin­ter den Ohren und die enge Ver­trau­lich­keit des Freun­des, den er schon so oft auf dem Rücken ge­tra­gen hat­te. Tar­zan hat­te sich einst noch als klei­nes Kind dem großen Tier furcht­los ge­naht, weil er bei dem Dick­häu­ter die glei­chen freund­li­chen Ge­füh­le vor­aus­setz­te, die sein ei­ge­nes Herz er­füll­ten. Tar­zan hat­te in den Jah­ren ih­rer Freund­schaft ent­deckt, dass er eine un­er­klär­li­che Macht be­saß, sei­nen mäch­ti­gen Freund zu lei­ten und zu len­ken. Von so weit her als Tan­tor mit sei­nen schar­fen Ohren die schril­len durch­drin­gen­den Rufe des Af­fen­menschen noch ver­neh­men konn­te, kam er auf des­sen Ruf her­bei, und wenn Tar­zan dann auf sei­nem Kop­fe hock­te, brach Tan­tor in je­der Rich­tung durch den Dschun­gel, die ihn sein Rei­ter zu ge­hen hieß. Es war das Über­ge­wicht des mensch­li­chen Ver­stan­des über den des Tie­res und die Wir­kung war ge­ra­de so, als ob sie bei­de den Grund ge­wusst hät­ten, ob­gleich kei­ner von ih­nen eine Ah­nung da­von hat­te.

Eine hal­be Stun­de lang spreiz­te sich Tar­zan dort auf Tan­tors Rücken. Ei­nen Zeit­be­griff kann­ten sie bei­de nicht. Das Le­ben, wie sie es auf­fass­ten, be­stand haupt­säch­lich aus der Auf­ga­be, sich den Ma­gen zu fül­len. Für Tar­zan war die­se Ar­beit we­ni­ger schwer als für Tan­tor, denn Tar­zans Ma­gen war klei­ner und als Om­ni­vo­re, als Al­les­fres­ser, fand er leich­ter Nah­rung. Wenn er die eine Art nicht bald ge­nug fand, gab es im­mer noch vie­le an­de­re, um den Hun­ger zu stil­len. Er war in der Le­bens­wei­se nicht so ei­gen wie Tan­tor, der von ei­ni­gen Bäu­men nur die Rin­de fraß, das Holz wie­der von an­de­ren, wäh­rend ihm wie­der von noch an­de­ren nur das Laub schmeck­te und auch das nur zu be­stimm­ten Jah­res­zei­ten.

In­fol­ge­des­sen muss­te Tan­tor den größ­ten Teil sei­nes Le­bens da­mit zu­brin­gen, sei­nen Ma­gen für die Be­dürf­nis­se sei­ner mäch­ti­gen Mus­keln zu fül­len. So geht es al­len Tie­ren – ihr Le­ben ist mit Nah­rungs­su­che und Ver­dau­ung so voll be­schäf­tigt, dass ih­nen we­nig Zeit für an­de­re Er­wä­gun­gen bleibt. Zwei­fel­los hat sie die­se Be­las­tung ge­hin­dert, sich eben­so rasch wie der Mensch, dem mehr Zeit zum Nach­den­ken über al­les bleibt, wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.

Doch ließ sich Tar­zan durch sol­che Ge­dan­ken nur we­nig stö­ren und Tan­tor schon gar nicht. Der ers­te­re wuss­te nur, dass er sich in der Ge­sell­schaft Tan­tors wohl­fühl­te. Wa­rum, wuss­te er nicht. Er ver­stand nicht, dass er als Mensch – als nor­mal emp­fin­den­der, ge­sun­der Mensch – sich nach ei­nem Le­be­we­sen sehn­te, dem er sei­ne Zu­nei­gung schen­ken konn­te. Die Spiel­ge­fähr­ten sei­ner Kind­heit un­ter Ker­schaks Af­fen wa­ren nun­mehr große, mür­ri­sche Bes­ti­en ge­wor­den. Sie konn­ten Vor­lie­be we­der he­gen noch er­we­cken. Mit den jün­ge­ren Af­fen spiel­te Tar­zan noch ge­le­gent­lich und lieb­te sie in rau­er Wei­se, aber als Ka­me­ra­den wa­ren sie we­der be­frie­di­gend noch ru­hig ge­nug. Tan­tor da­ge­gen war ein Berg von Ruhe, Ge­setzt­heit und Zu­ver­läs­sig­keit. Es war eine Er­ho­lung und Be­frie­di­gung, sich auf sei­nem rau­en Schä­del aus­zu­stre­cken und ihm un­kla­re Hoff­nun­gen und Zie­le in sei­ne großen Ohren zu er­zäh­len, die dann so ge­wich­tig und ver­ständ­nis­in­nig vor- und zu­rück­klapp­ten. Seit ihm Kala ge­nom­men war, heg­te Tar­zan von al­lem Dschun­gel­volk für Tan­tor die größ­te Lie­be. Manch­mal hät­te Tar­zan ger­ne ge­wusst, ob Tan­tor die­se Zu­nei­gung er­wi­der­te, aber es war schwer, das her­aus­zu­fin­den.

Die Stim­me des Ma­gens – die drin­gends­te und be­stän­digs­te For­de­rung, wel­che der Dschun­gel kennt – brach­te schließ­lich Tar­zan wie­der auf die Bäu­me und auf die Nah­rungs­su­che, wäh­rend Tan­tor sei­nen un­ter­bro­che­nen Marsch in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung wie­der auf­nahm.

Eine Stun­de lang ging der Af­fen­mensch auf Nah­rung aus. Ein luf­ti­ges Nest gab sei­nen fri­schen, war­men In­halt her. Früch­te, Bee­ren und zar­te Pi­sang­ba­na­nen fan­den ih­ren Platz auf sei­ner Menü­kar­te in der Rei­hen­fol­ge, in wel­cher er auf sie stieß, denn nach sol­cher Nah­rung such­te er nicht erst. Fleisch, Fleisch, Fleisch! Af­fentar­zan jag­te im­mer nach Fleisch; nur be­kam er es manch­mal nicht, wie zum Bei­spiel heu­te. Wäh­rend er den Dschun­gel durch­strich, be­fass­te sich sein leb­haf­ter Geist nicht nur mit sei­ner Jagd, son­dern auch mit vie­len an­de­ren Din­gen. Ge­wohn­heits­mä­ßig rief er sich die Er­eig­nis­se der ver­gan­ge­nen Tage und Stun­den ins Ge­dächt­nis zu­rück. Er er­leb­te wie­der eine Be­geg­nung mit Tan­tor, er dach­te an die gra­ben­den Ne­ger und die merk­wür­di­ge, zu­ge­deck­te Gru­be, die sie zu­rück­ge­las­sen hat­ten. Wie­der und wie­der frag­te er sich, was wohl de­ren Zweck sein könn­te. Er ver­glich sei­ne Wahr­neh­mun­gen und kam da­bei zu Ur­tei­len. Dann ver­glich er sei­ne Ur­tei­le und ge­lang­te zu Schlüs­sen, die wohl nicht im­mer rich­tig wa­ren, aber er ge­brauch­te sein Ge­hirn zu dem Zweck, für wel­chen es Gott be­stimmt hat­te, und da er nicht durch das meist ir­ri­ge Ur­teil an­de­rer vor­her be­ein­flusst war, fiel ihm der rech­te Ge­brauch nicht so schwer.

Und wäh­rend er sich so we­gen der Gru­be den Kopf zer­brach, tauch­te plötz­lich vor sei­nen Au­gen im Geis­te eine mas­si­ge, schwarz­graue Ge­stalt auf, wel­che ge­wich­tig eine Dschun­gel­fähr­te ent­lang tram­pel­te. Im Nu spür­te Tar­zan schlag­ar­tig eine Ge­fahr da­hin­ter. Ent­schluss und Aus­füh­rung fie­len bei dem Af­fen­menschen ge­wöhn­lich zu­sam­men, und schon rann­te er durch die be­laub­ten Zwei­ge da­von, ehe er die Be­deu­tung der Fall­gru­be im Geis­te noch ganz er­fasst hat­te. Von ei­nem we­hen­den Ast zum an­de­ren sich schwin­gend, eil­te er durch die mitt­le­re Ter­ras­se, in wel­cher die Bäu­me am dich­tes­ten mit den Zwei­gen an­ein­an­ders­tie­ßen, dann sprang er wie­der zu Bo­den und schnell­te sich leicht­fü­ßig über den Tep­pich aus ver­mo­der­ten Pflan­zen, bis er wie­der in die Bäu­me hin­auf­klet­ter­te, wenn ihm dich­ter Un­ter­wuchs das ra­sche­re Vor­wärts­kom­men auf dem Bo­den ver­wehr­te.

In sei­ner Hast ver­gaß er alle Vor­sicht. Die War­nung der tie­ri­schen In­stink­te war von der red­li­chen Freund­schaft des Men­schen über­tönt, und so konn­te es kom­men, dass er eine große, baum­lee­re Lich­tung be­trat, ohne vor­her dar­an zu den­ken, ob nichts dort sei, was ihn den Weg strei­tig ma­chen könn­te.

Er war schon halb über die Lich­tung hin­weg, als ge­ra­de vor ihm auf dem Wege in nur we­ni­gen Schrit­ten Ent­fer­nung aus ei­nem Fle­cken großer Grä­ser ein hal­b­es Dut­zend schnat­tern­de Vö­gel auf­flo­gen. Tar­zan schlug sich auf die Sei­te, denn er wuss­te gut ge­nug, was für ein Ge­schöpf die klei­nen Schild­wa­chen ver­rie­ten. Buto, das Nas­horn, raff­te sich auf sei­ne kur­z­en Bei­ne und schoss wü­tend zum An­griff vor. Buto rennt aufs Ge­ra­te­wohl drauf los. Mit sei­nen schlech­ten Au­gen sieht es selbst auf kur­ze Ent­fer­nung nicht viel, und es ist schwer zu ent­schei­den, ob sein irr­sin­ni­ges Drauf­los­stür­zen von sinn­lo­ser Angst beim Flüch­ten oder von dem jäh­zor­ni­gen Cha­rak­ter, den man ihm zu­schreibt, her­rührt. Üb­ri­gens ist das auch für einen, den Buto an­greift, ziem­lich ne­ben­säch­lich, denn wenn er ge­fasst und ge­spießt ist, lässt sich zehn ge­gen eins wet­ten, dass er nach­her we­nig In­ter­es­se für die­se Fra­ge hat.

Heu­te schoss nun Buto zu­fäl­lig ge­ra­de über die we­ni­gen tren­nen­den Schrit­te Gras­flä­che auf Tar­zan los. Er hat­te die Rich­tung nach dem Af­fen­menschen ge­nom­men und griff ihn mit Schnau­fen und Schnar­ren an, als er ihn vor sei­ne schwa­chen Au­gen be­kam. Die klei­nen Nas­horn­vö­gel flat­ter­ten im Krei­se um ih­ren großen Be­schüt­zer, über ein Dut­zend Af­fen drü­ben in den Zwei­gen an der Ecke der Lich­tung schnat­ter­ten und schal­ten, als sie das lau­te Schnar­chen der wü­ten­den Bes­tie er­schreck­te und in Ver­wir­rung in die hö­he­ren Zwei­ge jag­te. Nur Tar­zan schi­en gleich­gül­tig und hei­ter.

Er stand dem An­sturm mit­ten im Wege. Es war kei­ne Zeit, jen­seits der Lich­tung auf den Bäu­men Ret­tung zu su­chen, aber Tar­zan hat­te auch gar nicht die Ab­sicht, Bu­tos we­gen sei­nen Weg zu ver­zö­gern. Er war dem dum­men Vieh schon frü­her be­geg­net und hat­te nur höchs­te Ver­ach­tung da­für.

Jetzt hat­te Buto ihn er­reicht, der mas­si­ge Kopf senk­te sich und das lan­ge, schwe­re Horn neig­te sich für den furcht­ba­ren Ge­brauch, zu dem es die Na­tur be­stimmt hat­te. Aber als Buto auf­wärts fuhr, spieß­te sei­ne Waf­fe in die lee­re Luft, denn der Af­fen­mensch war mit ei­nem kat­zen­ar­ti­gen Sat­ze in die Höhe und weit über dem dro­hen­den Horn auf den brei­ten Rücken des Nas­horns ge­schnellt. Noch ein Sprung, er war hin­ter dem Tier auf dem Bo­den und saus­te wie ein Hirsch nach den Bäu­men.

Ge­är­gert und an­ge­führt durch das merk­wür­di­ge Ver­schwin­den sei­nes Op­fers wand­te sich Buto und schoss wü­tend nach ei­ner an­de­ren Rich­tung, aber das war nicht die von Tar­zans Flucht, der Af­fen­mensch kam zu den de­cken­den Bäu­men und setz­te sei­nen ei­li­gen Weg durch den Wald fort.

In ei­ni­ger Ent­fer­nung vor ihm be­weg­te sich Tan­tor ste­tig auf der stark aus­ge­tre­te­nen Ele­fan­ten­fähr­te vor­wärts, wäh­rend ein schwar­zer, schlei­chen­der Krie­ger vor Tan­tor an­ge­strengt mit­ten auf dem Pfad lausch­te. Jetzt hör­te er das er­hoff­te Geräusch – den kra­chen­den, schnap­pen­den Ton, wel­cher das Na­hen ei­nes Ele­fan­ten ver­kün­det.

Zur Rech­ten und Lin­ken an an­de­ren Stel­len des Dschun­gels wach­ten wei­te­re Krie­ger. Ein lei­se wei­ter­ge­ge­be­nes Zei­chen mel­de­te auch dem Ent­fern­tes­ten, dass die Beu­te nahe war. Rasch schwenk­ten sie nach der Fähr­te zu ein und pos­tier­ten sich ge­gen den Wind auf Bäu­men, an de­nen Tan­tor vor­bei muss­te. Sie war­te­ten schwei­gend und wur­den bald durch den An­blick ei­nes mäch­ti­gen Ele­fan­ten be­lohnt, der eine sol­che Men­ge El­fen­bein in sei­nen lan­gen Stoß­zäh­nen trug, dass ih­nen das gie­ri­ge Herz im Lei­be lach­te.

So­bald er an ih­ren Stel­lun­gen vor­bei war, klet­ter­ten sie von ih­ren Sit­zen. Aber sie wa­ren nicht mehr still, sie klatsch­ten in die Hän­de und schri­en, so­bald sie auf dem Bo­den wa­ren. Tan­tor, der Ele­fant, blieb einen Au­gen­blick mit hoch­er­ho­be­nem Rüs­sel und aus­ge­streck­tem Schwanz ste­hen und spitz­te sei­ne großen Ohren, dann schwang er sich in ra­schem, schlei­fen­dem Gang, die Wild­fähr­te ent­lang – ge­ra­de­wegs auf die ver­deck­te Gru­be mit den ge­schärf­ten Pfäh­len auf dem Bo­den zu.

Hin­ter ihm ka­men die heu­len­den Krie­ger und jag­ten ihn in ra­sche­re Flucht, da­mit er nicht den Bo­den vor sich prü­fen konn­te. Tan­tor, der Ele­fant, der sei­ne Geg­ner mit ei­nem ein­zi­gen An­griff hät­te in alle Win­de zer­streu­en kön­nen, floh; er floh wie ein ge­hetz­ter Hirsch – ei­nem schreck­li­chen, qual­vol­len Tode ent­ge­gen.

Erst hin­ter der gan­zen Hetz­jagd kam Af­fentar­zan, der mit der Eile und Ge­wandt­heit ei­nes Eich­hörn­chens durch den Dschun­gel­forst ras­te, weil er die Rufe der Krie­ger ge­hört und sie rich­tig ge­deu­tet hat­te. Ein­mal hat­te er einen gel­len­den Schrei aus­ge­sto­ßen, der durch den Dschun­gel dröhn­te, aber Tan­tor hör­te ent­we­der nicht mehr in sei­ner heil­lo­sen Angst oder er wag­te nicht dar­auf zu ach­ten.

Jetzt war der große Dick­häu­ter nur noch we­ni­ge Schrit­te vor dem im Wege lau­ern­den Tode. Die Schwar­zen wa­ren ih­res Er­fol­ges be­reits ganz si­cher, schri­en, tanz­ten, schwan­gen ihre Spee­re und fei­er­ten schon im Voraus den Ge­winn des pracht­vol­len El­fen­beins an ih­rer Beu­te und au­ßer­dem das Fest­mahl an Ele­fan­ten­fleisch, das sie die­se Nacht ha­ben wür­den.

Sie wa­ren so er­picht dar­auf, sich Glück zu wün­schen, dass ih­nen das lei­se Vor­bei­hu­schen des Tier­menschen über ih­ren Köp­fen ganz ent­ging. Auch Tan­tor sah und hör­te nicht, ob­gleich ihm Tar­zan Halt zu­rief.

Noch ein paar Schrit­te und Tan­tor muss­te in die spit­zen Pfäh­le stür­zen. Tar­zan flog der­weil ge­ra­de­zu durch die Bäu­me, bis er das flüch­ti­ge Tier ein­ge­holt und dann über­holt hat­te. Vor dem Rand der Gru­be sprang der Af­fen­mensch in der Mit­te der Fähr­te zu Bo­den. Tan­tor war fast auf ihm, ehe er mit sei­nen schwa­chen Au­gen den al­ten Freund er­kann­te.

Halt! schrie Tar­zan und das große Tier hielt vor der er­ho­be­nen Hand.

Tar­zan stieß ei­ni­ges Busch­werk zur Sei­te und ent­hüll­te die Gru­be. Tan­tor sah und ver­stand.

Kämp­fe! groll­te Tar­zan, sie sind hin­ter dir! Aber Tan­tor, der Ele­fant, ist ein großes Bün­del Ner­ven und jetzt war er vom Schre­cken halb ver­stört.

Vor ihm gähn­te die Gru­be, wie weit wuss­te er nicht, aber rechts und links blieb noch der jung­fräu­li­che, von Men­schen un­be­tre­te­ne Ur­wald. Mit ei­nem Quie­ken dreh­te sich das Rie­sen­tier um einen rech­ten Win­kel und brach sich ge­räusch­voll einen Weg durch den fes­ten Wall ver­wach­se­ner Pflan­zen, der je­dem an­de­ren als ihm den Durch­bruch ver­wehrt hät­te.

Tar­zan auf dem Ran­de der Gru­be lä­chel­te über Tan­tors wür­de­lo­se Flucht. Die Schwar­zen muss­ten bald kom­men. Er war bes­ser, dass Af­fentar­zan von der Sze­ne ver­schwand. Er woll­te einen Schritt vom Rand der Gru­be weg­tun, aber als das gan­ze Ge­wicht sei­nes Kör­pers auf dem lin­ken Fuß al­lein ruh­te, gab die Erde nach. Tar­zan mach­te eine ein­zi­ge her­ku­li­sche An­stren­gung, sich noch nach vor­ne zu wer­fen, aber es war zu spät. Er fiel rück­wärts hin­ab auf die spit­zen Pfäh­le un­ten in der Gru­be.

Als die Schwar­zen einen Au­gen­blick spä­ter an­ka­men, sa­hen sie schon aus der Fer­ne, dass ih­nen Tan­tor ent­kom­men war, denn das Loch in der Gru­ben­be­de­ckung war zu klein, um den ge­wal­ti­gen Kör­per ei­nes Ele­fan­ten durch­ge­las­sen zu ha­ben. Sie dach­ten erst, ihre Beu­te sei mit ei­nem der großen Füße durch die De­ckung ge­tre­ten und habe sich, da­durch ge­warnt, zu­rück­ge­zo­gen. Aber als sie an die Gru­be ka­men und hin­un­ter­sa­hen, mach­ten sie vor Er­stau­nen große Au­gen, denn auf dem Bo­den lag still und stumm der nack­te Kör­per ei­nes wei­ßen Rie­sen.

Ei­ni­ge, die die­sen Wald­gott schon flüch­tig ge­se­hen hat­ten und ihm seit ei­ni­ger Zeit die Wun­der­kräf­te ei­nes Dä­mons zu­schrie­ben, zo­gen sich voll Scheu vor sei­ner Ge­gen­wart zu­rück. Aber an­de­re dach­ten nur an Ge­fan­gen­nah­me ei­nes Fein­des, dräng­ten sich vor, spran­gen in die Gru­be hin­ab und ho­ben Tar­zan her­aus.

Eine be­son­de­re Ver­let­zung war an sei­nem Kör­per nicht zu ent­de­cken. Kei­ner der spit­zen Pfäh­le hat­te ihn durch­bohrt – nur eine Ge­schwulst am Hin­ter­kopf zeig­te an, dass er beim Rück­lings­fal­len mit dem Kopf ge­gen die Sei­te ei­nes Pfah­les ge­schla­gen war und da­durch das Be­wusst­sein ver­lo­ren hat­te. Die Schwar­zen be­eil­ten sich nach die­ser ra­schen Fest­stel­lung, dem Ge­fan­ge­nen Arme und Bei­ne zu bin­den, ehe er das Be­wusst­sein wie­der­er­lang­te, denn sie heg­ten einen heil­lo­sen Re­spekt vor die­sem merk­wür­di­gen Tier­menschen, der mit den be­haar­ten Baum­leu­ten zu­sam­men­leb­te.

Noch ehe sie den Af­fen­menschen weit ge­tra­gen hat­ten, blin­zel­te er mit den Au­gen. Er schau­te einen Au­gen­blick ver­wun­dert um sich, dann kam ihm mit dem vol­len Be­wusst­sein auch so­fort Klar­heit über den Ernst sei­ner Lage. Von Kind auf ge­wohnt, sich nur auf sei­ne ei­ge­nen Hilfs­mit­tel zu ver­las­sen, dach­te er nicht erst an frem­de Hil­fe, son­dern über­leg­te sich, wel­che Mög­lich­kei­ten zu ent­kom­men in sei­ner ei­ge­nen Macht la­gen. Er wag­te kei­nen Ver­such, sei­ne Fes­seln zu zer­rei­ßen, so­lan­ge ihn die Schwar­zen tru­gen, da­mit die­se sie nicht aus er­weck­ter Be­fürch­tung ver­stärk­ten. Als sei­ne Hä­scher her­aus­fan­den, dass er bei Be­sin­nung war, hat­ten sie kei­ne Lust mehr, den schwe­ren Men­schen in der Dschun­gel­hit­ze zu tra­gen, sie stell­ten ihn auf sei­ne ei­ge­nen Bei­ne und zwan­gen ihn zum Vor­wärts­ge­hen, in­dem sie ihn ab und zu mit ih­ren Spee­ren sta­chen, wo­bei sie aber ihre aber­gläu­bi­sche Scheu vor ihm nicht ganz ver­ber­gen konn­ten.

Da sie ent­deck­ten, dass das Ste­chen kei­ne Zei­chen von Schmer­zen her­vor­rief, wuchs ihr Schau­der noch, so­dass sie die Quä­le­rei bald sein lie­ßen, weil sie schon halb und halb glaub­ten, dass der frem­de, wei­ße Rie­se ein über­na­tür­li­ches We­sen sei, dem man kei­nen Schmerz zu­fü­gen konn­te.

Als sie dem Dor­fe nä­her­ka­men, stie­ßen sie ih­ren lau­ten Sie­ges­ruf aus, so­dass um die Zeit, als sie das Tor tan­zend und speer­schwin­gend er­reich­ten, eine große Men­ge von Män­nern, Wei­bern und Kin­dern zu ih­rer Be­grü­ßung ver­sam­melt war, um die Er­zäh­lung ih­res Aben­teu­ers zu hö­ren.

Die Au­gen der Dorf­be­woh­ner blick­ten starr auf den Ge­fan­ge­nen und die großen Mäu­ler stan­den ih­nen vor Stau­nen und Ungläu­big­keit weit of­fen. Seit Mo­na­ten leb­ten sie in stän­di­ger Angst vor ei­nem un­heim­li­chen, wei­ßen Dä­mon, und nur we­ni­ge, die ihn ge­se­hen hat­ten, wa­ren am Le­ben ge­blie­ben, um ihn zu be­schrei­ben.

Krie­ger wa­ren schon in Sicht des Dor­fes mit­ten auf dem Wege und aus der Mit­te ih­rer Ka­me­ra­den so ge­heim­nis­voll und spur­los ver­schwun­den, als ob sie die Erde ver­schlun­gen hät­te und spä­ter in der Nacht wa­ren ihre Lei­chen wie vom Him­mel her­ab auf die Dorf­stra­ße ge­fal­len.

Die­ses fürch­ter­li­che We­sen war nachts in den Hüt­ten er­schie­nen, hat­te ge­tö­tet und hat­te beim Ver­schwin­den au­ßer den Ge­tö­te­ten in den Hüt­ten noch er­schre­cken­de An­zei­chen sei­nes un­heim­li­chen Sin­nes für Hu­mor hin­ter­las­sen.

Aber jetzt war er in ih­rer Ge­walt und konn­te sie nicht län­ger er­schre­cken! Lang­sam däm­mer­te ih­nen die Er­kennt­nis die­ser Tat­sa­che. Ein Weib sprang mit ei­nem Schrei vor und schlug den Af­fen­menschen in das Ge­sicht. Dann kam eine an­de­re und wie­der eine, bis Af­fentar­zan von ei­nem schla­gen­den, krat­zen­den, brül­len­den Hau­fen der Wil­den um­ge­ben war.

Aber der Häupt­ling Mbon­ga ging zwi­schen sie hin­ein und hieb kräf­tig mit dem Speer nach den Schul­tern sei­ner Leu­te, bis er sie von ih­rem Op­fer weg­trieb.

Wir wol­len ihn für heu­te Abend auf­he­ben, sag­te er. Weit drau­ßen im Dschun­gel stand Tan­tor, der Ele­fant, mit hoch­ge­stell­ten Ohren und pen­deln­dem Rüs­sel. Sei­ne an­fäng­li­che sinn­lo­se Angst hat­te sich ge­legt. Aber was ging in den Win­dun­gen sei­nes wil­den Ge­hir­n­es vor sich? War es mög­lich, dass er nach Tar­zan such­te? Konn­te er sich an den Dienst, den ihm der Af­fen­mensch ge­leis­tet hat­te, er­in­nern und sei­ne Be­deu­tung er­mes­sen? Das steht au­ßer Zwei­fel. Aber fühl­te er wohl Dank­bar­keit? Hät­te er wohl sein ei­ge­nes Le­ben ge­wagt, um Tar­zan zu ret­ten, wenn er die Ge­fahr ge­kannt hät­te, die sei­nem Freun­de droh­te? Da­ran kann man zwei­feln. Je­der, der mit Ele­fan­ten ver­traut ist, wird es be­zwei­feln. Auch die Eng­län­der, wel­che in In­di­en viel mit Ele­fan­ten ge­jagt ha­ben, er­klä­ren stets, dass kein Fall be­kannt ist, in wel­chem ein sol­ches Tier ei­nem Men­schen in der Ge­fahr zu Hil­fe ge­kom­men wäre, wie oft auch der Mensch sich ihm freund­lich ge­zeigt hat­te. Es war also mehr als zwei­fel­haft, ob Tan­tor ver­su­chen wür­de, sei­ne in­stink­ti­ve Angst vor den schwar­zen Men­schen so weit zu be­zwin­gen, dass er Tar­zan zu Hil­fe kom­men konn­te.

Die Schreie der wü­ten­den Dorf­be­woh­ner dran­gen schwach an sei­ne emp­find­li­chen Ohren, er schwenk­te wie er­schro­cken her­um und dach­te an Flucht. Aber ir­gen­det­was hielt ihn zu­rück, er dreh­te sich wie­der um, hob den Rüs­sel und ließ ein schril­les Trom­pe­ten er­tö­nen.

Dann blieb er lau­schend ste­hen.

In dem ent­fern­ten Dor­fe, wo Mbon­ga mitt­ler­wei­le Ruhe und Ord­nung wie­der her­ge­stellt hat­te, war Tan­tors Stim­me für die Schwar­zen kaum ver­nehm­bar, aber für das schar­fe Ge­hör Tar­zans brach­te sie eine Bot­schaft.

Sei­ne Hä­scher führ­ten ihn ge­ra­de nach ei­ner Hüt­te, in der er bis zur nächt­li­chen Or­gie sei­nes mar­ter­vol­len To­des ein­ge­schlos­sen und be­wacht wer­den soll­te. Als er Tan­tors Ruf hör­te, hob er den Kopf hoch und stieß einen schau­er­li­chen Schrei aus, dass es die aber­gläu­bi­schen Schwar­zen kalt über­lief und dass selbst die ihn be­wa­chen­den Krie­ger ein paar Schrit­te zu­rück­wi­chen, ob­gleich dem Ge­fan­ge­nen die Arme auf dem Rücken ge­bun­den wa­ren.

Mit er­ho­be­nen Spee­ren um­ga­ben sie ihn, wäh­rend er noch einen Au­gen­blick lau­schend stand. Ganz schwach ließ sich aus der Fer­ne ein an­de­res Trom­pe­ten als Ant­wort hö­ren und Af­fentar­zan dreh­te sich be­frie­digt um und ging ru­hig nach der Hüt­te, in der sie ihn ein­sperr­ten.

Der Nach­mit­tag ver­ging. Der Af­fen­mensch hör­te rund her­um im Dor­fe ge­schäf­ti­ge Geräusche zur Vor­be­rei­tung des Fes­tes. Durch den Ein­gang der Hüt­te sah er die Wei­ber die Koch­feu­er an­zün­den und ihre ir­de­nen Töp­fe mit Was­ser fül­len. Aber sei­ne Ohren wa­ren dem Dschun­gel zu­ge­wen­det und lausch­ten ge­spannt auf Tan­tors Kom­men.

Selbst Tar­zan konn­te nur halb dar­an glau­ben, dass er kom­men wür­de. Er kann­te Tan­tor bei­na­he bes­ser als die­ser sich selbst. Er wuss­te, welch fei­ges Herz in dem rie­si­gen Kör­per steck­te. Er wuss­te auch, welch sinn­lo­se Angst die Wit­te­rung der Go­man­ga­ni je­ner wil­den Brust ein­flö­ßte und je nä­her die Nacht kam, de­sto mehr erstarb in sei­nem Her­zen die Hoff­nung, und er be­rei­te­te sich mit der stoi­schen Ruhe des wil­den Tie­res, das er ja auch im Grun­de war, dar­auf vor, sei­nem ihn er­war­ten­den Ge­schick zu be­geg­nen.

Den gan­zen Nach­mit­tag hat­te er an den Fes­seln um sei­ne Ge­len­ke ge­zerrt, ge­zerrt, ge­zerrt. Ganz lang­sam ga­ben sie et­was nach. Vi­el­leicht be­kam er die Hän­de frei, ehe sie ihn zu der Schläch­te­rei hin­aus­führ­ten, und dann – Tar­zan lä­chel­te kalt und grim­mig. Sie soll­ten sei­nen Grimm zu kos­ten be­kom­men, ehe sie mit ihm fer­tig wür­den!

Schließ­lich ka­men sie – be­mal­te, fe­der­ge­putz­te Krie­ger – noch scheuß­li­cher, als sie die Na­tur schon ge­schaf­fen hat­te. Sie ka­men und stie­ßen ihn durch die Öff­nung ins Freie, wo sein Er­schei­nen von dem ver­sam­mel­ten Dor­fe mit wil­dem Ge­brüll be­grüßt wur­de. Sie führ­ten ihn nach dem Mar­ter­pfahl, ge­gen den sie ihn rau stie­ßen, um ihn zu­nächst für den bald be­gin­nen­den To­de­stanz fest­zu­bin­den. Da spann­te Tar­zan sei­ne mäch­ti­gen Mus­keln und zer­riss mit ei­nem ein­zi­gen, mäch­ti­gen Ruck die ge­lo­cker­ten Fes­seln sei­ner Hän­de. Schnell wie ein Ge­dan­ke sprang er un­ter die nächs­ten Krie­ger. Ein Faust­schlag streck­te den einen zu Bo­den, wäh­rend der Af­fen­mensch knur­rend und schnar­rend dem nächs­ten an die Keh­le sprang. Im Nu gru­ben sich sei­ne Zäh­ne in die Hals­ader des Geg­ners, und dann sprang ein hal­b­es Hun­dert Schwar­zer auf ihn und riss ihn zu Bo­den.

Hau­end, krat­zend, bei­ßend kämpf­te der Af­fen­mensch – er kämpf­te, wie es ihn sei­ne Pfle­ge­el­tern ge­lehrt hat­ten – kämpf­te wie ein Raub­tier, das in die Ecke ge­drängt ist. Sei­ne Stär­ke, sei­ne Ge­wandt­heit, sein Mut und sei­ne Klug­heit lie­ßen ihn wohl ei­nem hal­b­en Dut­zend Schwar­zer im Hand­ge­men­ge ge­wach­sen sein, aber selbst Af­fentar­zan konn­te es nicht auf die Dau­er er­folg­reich mit ei­nem hal­b­en Hun­dert auf­neh­men.

Lang­sam über­wäl­tig­ten sie ihn, ob­gleich ein Dut­zend von ih­nen aus bö­sen Wun­den blu­te­te, wäh­rend zwei schon ganz still un­ter den tram­peln­den Fü­ßen und den her­um­rol­len­den Kör­pern der Rin­ger la­gen.

Über­wäl­ti­gen konn­ten sie ihn wohl. Aber ob sie ihn auch zum Bin­den fest­hal­ten konn­ten? Eine hal­be Stun­de der ver­zwei­fels­ten An­stren­gung be­wies ih­nen, dass sie dazu nicht im­stan­de wa­ren, und Mbon­ga, der sich wie alle tüch­ti­gen An­füh­rer im si­che­ren Hin­ter­grun­de ge­hal­ten hat­te, be­fahl ei­nem, mit dem Speer da­zwi­schen zu ge­hen und das Op­fer zu durch­boh­ren. Lang­sam nä­her­te sich der Krie­ger durch den Stru­del kämp­fen­der Män­ner sei­nem Ziel.

Er hob den Speer über den Kopf und war­te­te auf den Au­gen­blick, der ihm einen Teil des Af­fen­menschen frei­ge­ben wür­de, ohne dass der Stoß einen Schwar­zen ge­fähr­de­te. Nä­her und nä­her dräng­te er sich zwi­schen die Be­we­gun­gen der rin­gen­den, sich win­den­den Kämp­fer. Bei dem Knur­ren des Af­fen­menschen lief es dem Krie­ger mit kal­tem Schau­er das Rück­grat hin­ab und er woll­te erst recht vor­sich­tig sein, um nicht bei ei­nem ers­ten Fehl­stoß selbst den er­bar­mungs­lo­sen Zäh­nen und mäch­ti­gen Hän­den preis­ge­ge­ben zu sein.

End­lich er­sah er eine Blö­ße. Hö­her hob er sei­nen Speer, die Mus­keln un­ter der glän­zen­den, glat­ten, schwar­zen Haut spann­ten sich wie Sei­le – als aus dem Dschun­gel ge­ra­de hin­ter der Pa­li­sa­de ein don­nern­des Kra­chen kam.

Der Schwar­ze hielt mit dem Spee­re an und sah nach der Stö­rung zu­rück wie die an­de­ren, die nicht mit dem Nie­der­hal­ten des Af­fen­menschen be­schäf­tigt wa­ren.

Sie sa­hen im Feu­er­schein eine rie­si­ge Mas­se ge­gen die Wand stür­men, sie sa­hen die Pa­li­sa­de schwan­ken und nach in­nen sin­ken. Sie sa­hen noch, wie sie zer­split­ter­te, als ob sie aus Stroh ge­baut wäre und dann don­ner­te Tan­tor, der Ele­fant, auf sie ein.

Mit Schre­ckens­schrei­en flo­hen die Schwar­zen nach rechts und links. Ei­ni­ge, oben­auf im Hand­ge­men­ge mit Tar­zan, hör­ten es und brach­ten sich in Si­cher­heit, aber ein hal­b­es Dut­zend von ih­nen war so in wahn­sin­ni­ger Kampf­wut ver­bis­sen, dass sie selbst die An­kunft des rie­si­gen Ele­fan­ten über­hör­ten.

Tan­tor griff die­se mit wü­ten­dem Trom­pe­ten an. Über ih­nen stand er, schwenk­te sei­nen emp­find­li­chen Rüs­sel, und jetzt hat­te er Tar­zan auf dem Bo­den her­aus­ge­fun­den, zwar blu­te­te die­ser, aber er kämpf­te im­mer noch.

Ei­ner der Krie­ger sah aus dem Hand­ge­men­ge auf. Über ihm türm­te sich der rie­si­ge Ko­loß des Dick­häu­ters, das Licht des Feu­ers glänz­te aus den klei­nen Au­gen – bos­haft, fürch­ter­lich, schre­cken­er­re­gend sa­hen sie her­ab. Der Krie­ger schrie, aber schon um­fass­te ihn der bieg­sa­me Rüs­sel, hob ihr hoch em­por und schleu­der­te ihn hin­ter dem Hau­fen Flie­hen­der her. Mann für Mann riss Tan­tor die an­de­ren vom Kör­per des Af­fen­menschen und schleu­der­te sie nach rechts und links, wo sie dann stöh­nend oder ganz still lie­gen blie­ben, je nach­dem sie der Tod lang­sam oder so­fort er­eil­te.

Mbon­ga sam­mel­te in ei­ni­ger Ent­fer­nung sei­ne Krie­ger. Sei­ne gie­ri­gen Au­gen hat­ten die großen Stoß­zäh­ne des Ele­fan­ten be­merkt. Als der ers­te Schreck vor­bei war, jag­te er sei­ne Leu­te mit den schwe­ren Ele­fan­ten­spee­ren zum An­griff vor. Aber als sie ka­men, schwang Tan­tor Tar­zan auf sei­nen brei­ten Kopf, schwenk­te her­um und tram­pel­te durch die große Bre­sche, die er in die Pa­li­sa­den­wand ge­bro­chen hat­te, wie­der in den Dschun­gel hin­aus.

Die Ele­fan­ten­jä­ger mö­gen recht ha­ben, wenn sie be­haup­ten, dass die­ses Tier ei­nem rich­ti­gen Men­schen einen sol­chen Dienst nicht er­wie­sen ha­ben wür­de, aber für Tan­tor war Tar­zan kein Mensch – er war ihm ein Ka­me­rad aus den Dschun­gel­tie­ren.

Und da­mit er­füll­te Tan­tor, der Ele­fant, eine Dan­kes­pflicht ge­gen den Af­fentar­zan und kit­te­te ihre alte Freund­schaft noch fes­ter. Denn sie be­stand schon zwi­schen ih­nen, seit Tar­zan noch als klei­ner, brau­ner Kna­be un­ter den Gestir­nen des Äqua­tors auf Tan­tors mäch­ti­gem Rücken durch den mond­be­schie­ne­nen Dschun­gel ge­rit­ten war.

Tarzan – Band 6 – Tarzans Dschungelgeschichten

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