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Erstes Kapitel: Mord und Plünderung
ОглавлениеDurch den dunkelgrünen Urwald zog eine seltsame Truppe dahin. Sie marschierte in beinahe militärischer Ordnung. Der bunt zusammengewürfelte Haufen bestand aus Schwarzen, braunhäutigen Arabern und einem Weißen. Sie trugen alle eine uniformähnliche Bekleidung aus schilfgrünem Leinen. Bei näherem Zusehen entdeckte man sogar etwas wie militärische Rangabzeichen, die offenbar jeweils von der untergebenen Kaste streng respektiert wurden.
Corporal Thomas Wolf stapfte missmutig durch den backofenheißen Dschungel. Innerlich verfluchte er längst das Unternehmen, dem er sich angeschlossen hatte. Aber nach seiner Flucht aus der Legion war ihm nichts anderes übrig geblieben, als in die Dienste des reichen Arabers Imad Batuta zu treten, der seine Bande von Elfenbeinräubern und Schmugglern gern als seine Truppe bezeichnete. Und sich selbst ließ er mit dem Titel General schmeicheln.
Der Corporal war mit einigen anderen desertierten Legionären gerade in dem Augenblick zur Bande gestoßen, als die britische Kolonial-Polizei ihrem Treiben energisch Einhalt zu gebieten suchte.
Imad Batuta hatte sich mit seinen Leuten weiter in den unzugänglichen Urwald zurückgezogen und hier einige feste Lager aufgeschlagen. An Zuzug von Gesindel aller Farbschattierungen fehlte es ihm nicht. Denn so lange die Geschäfte gut gingen, war er in der Lage, regelmäßig hohe Löhne zu zahlen und die Leute zu verpflegen. Den entlaufenen Legionären war die Aufgabe zugefallen, die Truppe des geschäftstüchtigen Arabers zu einer halbmilitärischen Formation auszubilden. Nur mit einer solchen schlagkräftigen Bedeckungsmannschaft ließen sich weiterhin kostbare Transporte auf Schleichwegen durch den Urwald und über die Gebirge bringen.
Das Eingreifen der Kolonial-Polizei hatte indessen dazu geführt, dass es mit dem Nachschub an Verpflegung nicht mehr recht klappte. Deshalb war der Corporal mit einigen Dutzend Leuten ausgeschickt worden, um einsame Farmen zu überfallen und möglichst große Beute zu machen.
Vor dem Anführer dieser Gruppe marschierte die Hälfte seiner Leute. Hinter ihm folgte der Rest des Trupps. Dadurch verringerte der tapfere Corporal die ringsum drohenden Gefahren des Dschungels für sich selbst auf ein Minimum. Er schnauzte die schwarzen Krieger an, weil sie ihm nicht schnell genug marschierten. So oft er einem aufsässigen Blick begegnete, zuckte seine Hand nach dem Pistolenkolben. Die Deserteure hatten den wilden Haufen in eiserne Disziplin genommen. Hier konnten sie alles anwenden, was sie in den Jahren ihres Legionär-Daseins gelernt hatten.
Weit hinter sich hörte Thomas Wolf seinen arabischen Unterführer Mujahid el-Chergui in barschem Ton die Schwarzen antreiben. Die dunkelhäutigen Krieger ließen ihrerseits die aufgestaute Wut an den ihnen untergebenen Trägern aus, denen sie mit Messerspitzen und Kolbenstoßen hart zusetzten.
An der Spitze des Zuges stolperten zwei Gefangene. Es waren Neger, die man bei irgendeinem Kraal einfach aufgegriffen und als Führer durch den weglosen Dschungel mitgenommen hatte. Die beiden Neger waren durch eine schwere Eisenkette, die man ihnen um die Hälse gewunden hatte, miteinander verbunden.
Die Wut des Corporals stieg immer mehr, je klarer es ihm wurde, dass diese Führer ihn irregeleitet hatten. Es machte keinen Unterschied, dass die verängstigten Burschen weniger aus böser Absicht als vielmehr aus Unkenntnis den Weg verloren hatten. So weit waren sie noch nie zuvor in den Urwald vorgedrungen. Sie fürchteten sich vor den Tieren des Dschungels mindestens ebenso sehr wie vor dem tobenden Weißen. Dass Wolf die beiden Führer nicht auf der Stelle tötete, lag nur daran, dass er immer noch eine leise Hoffnung hegte, mit ihrer Hilfe die einsame Farm zu finden, die sich nach zuverlässigen Informationen in dieser Gegend befinden musste.
Die armen Neger versicherten immer wieder, dass sie bald den Weg wiederfinden würden. Inzwischen liefen sie der Truppe voran auf einem gewundenen Wildpfad, der sich durch den sonst unberührten Urwald hinzog. Zahllose Generationen von allerlei Getier hatten den Pfad, der zu irgendeiner fernen Wasserstelle führen mochte, tief ausgetreten.
Hier zog Tantor, der Elefant, entlang, wenn er von seinem Staubbad zum Wasser zog. Und Buto, das Rhinozeros, stapfte blindlings dahin in seiner einsamen Majestät. In der Nacht gehörte der Pfad den schleichenden Großkatzen, die auf ihm zu der weiten Ebene gelangten, wo ihre reichsten Jagdreviere lagen.
Der Saum dieser Ebene stieß unversehens und völlig unerwartet mit dem Rande des Urwaldes zusammen. Es war als hörte eine Welt auf, um ohne Übergang einer völlig anderen Welt Platz zu machen. Die beiden Buschneger verhielten den Schritt und hoben hoffnungsvoll die Köpfe. Vielleicht würde der Weiße jetzt mit ihnen zufrieden sein?
Der Corporal atmete erleichtert auf. Der tagelange Marsch durch das Halbdunkel des Urwaldes war zu Ende. Lautlos trat Mujahid, der Araber, neben ihn.
»Wir haben Glück«, flüsterte er. »Siehst du - dort drüben?« Beide hoben ihre Ferngläser an die Augen und suchten das weite, offene Gelände ab. Die Feldstecher blickten nach einigem Suchen beide in die gleiche Richtung.
»Wir haben es geschafft«, frohlockte Corporal Wolf. »Dort ist die Farm. Wir werden Proviant in Menge finden. Vielleicht mehr, als unsere Träger fortschaffen können. Sie werden es schaffen«, knurrte der Araber mit bösem Blick auf die Schwarzen, die ängstlich zurückwichen. »Sonst helfe ich mit der Peitsche nach.«
»Die Gebäude werden sorgsam umstellt«, ordnete der Corporal an. »Wissen unsere Boys, mit wem sie es hier zu tun haben?«
»Ich habe ihnen nicht gesagt, dass wir die Farm von Tarzan, dem Affenmenschen, angreifen wollen. Ich habe nur verlauten lassen, dass das Gehöft einem John Clayton, Lord Greystoke, gehört. Die Kaffern haben keine Ahnung, dass dies Tarzans bürgerlicher Name ist. Hoffentlich ist er daheim. Es würde beim General einen guten Eindruck machen, wenn wir ihm einen Sieg über den berühmten Waldmenschen melden könnten. Also los, lass die Leute ausschwärmen.«
Die Gebäude wurden von allen Seiten umzingelt. Es zeigte sich aber keinerlei Widerstand. Im Gegenteil - als die beiden Anführer sich dem Wohnhaus näherten, erschien eine Frau unter der Tür, um sie freundlich zu begrüßen.
Lady Jane, Tarzans Frau, hatte noch nichts von den umherschweifenden Dschungelbanditen gehört. Obwohl berittene Polizisten in den letzten Tagen alle Farmer besucht und sie gewarnt hatten, war die Botschaft zu dem von aller Welt weit abgeschiedenen Besitz Tarzans noch nicht vorgedrungen. Die Herrin des Hauses vermutete in den Ankömmlingen Mitglieder einer Expedition und wies ihre Leute an, die beiden Anführer im Haus zu bewirten, während den Begleitmannschaften und den Trägern im Hof ein schnelles Mahl aus den Vorräten des Hauses bereitet werden sollte.
Zu dieser Zeit befand sich Tarzan weit im Osten. Er war auf dem Rückwege von Nairobi zu seiner Farm. In Eilmärschen machte er sich auf den Weg. Denn in der Stadt hatte er schreckliche Neuigkeiten von den Untaten einer starken Räuberbande gehört, die mehrere einsame Farmen ausgeraubt und die Bewohner rücksichtslos niedergemacht hatte. Deswegen eilte er heimwärts, um seine Frau an einem sicheren Platz zu verbergen, bis die Kolonial-Polizei, verstärkt durch reguläre Truppen, die Ruhe wieder hergestellt haben würde. Tarzan hatte eine Anzahl seiner schwarzen Krieger bei sich. Aber selbst diese trainierten Waldläufer vermochten das Tempo des Affenmenschen nicht lange mitzuhalten.
Wenn immer es notwendig war, konnte Tarzan die dünne Schale der Zivilisation abstreifen und sich in den nackten Wilden zurückverwandeln, als der er aufgewachsen war. Es war kein wohlerzogener Engländer mehr, der sich plötzlich durch die Äste der Urwaldbäume vorwärtsschwang, sondern ein Affenmensch. Er dachte nicht mehr an Lady Jane Greystoke, die es zu retten galt. Es war einfach der Gedanke an das Weib, das er einst unter Einsatz aller seiner riesigen Kräfte errang, der ihn jetzt mit größter Eile vorwärtsstreben ließ.
Manu, der kleine Schimpanse, saß schwatzend und schnatternd hoch im Wipfel eines Baumes. Er verstummte, als er tief unter sich den riesigen Affenmenschen durch die Zweige hangeln und schwingen sah. Seit langer Zeit hatte er den großen weißen Affen, den Tarmangani, nicht so gesehen.
Und Numa, der Löwe, lag still zur Tagesrast in der Nähe des gehörnten Bocks, den er in der vergangenen Nacht gerissen hatte. Die gelbgrünen Augen der großen Katze blinzelten und der gelbe Schweif streckte sich, als der leise Wind ihm verriet, dass sein großer Feind durch den Urwald strich.
Natürlich nahm auch Tarzan auf seinem Wege nach Westen alle die Tiere wahr, in deren Nähe er vorüberkam. Das Leben in der Zivilisation hatte nicht im geringsten die Feinheit aller seiner hochentwickelten Sinne beeinträchtigen können. Seine Nase hatte Numas Lagerplatz ausgemacht, noch ehe der Löwe selbst den Affenmenschen gewahrte. Er hörte auch den kleinen Manu hoch im Baum und vernahm sogar das sanfte Rascheln, das Sheeta, der Panther, im Busch verursachte, lange ehe die Tiere seine Gegenwart entdeckten.
Trotz aller übermenschlichen Kraft gehörte Tarzan zu den sterblichen Wesen. Zeit und Entfernung mussten auch von ihm überwunden werden. Er wusste genau, wie viel er sich selbst zumuten durfte. Während der Nacht musste er für kurze Stunden rasten. Er hielt sich nicht lange mit der Jagd auf. Natürlich musste er essen. Wenn Wappi, die Antilope, oder Horta, der schwarze Eber, ihm gerade in den Weg liefen, machte Tarzan schnelle Beute. Er nahm sich nicht Zeit zu einer geruhsamen Mahlzeit, sondern riss ein saftiges Steak von den getöteten Tieren und schlang das Fleisch hastig hinunter.
Endlich hastete er, von einer unbestimmten Furcht getrieben, durch den letzten Zipfel des Urwaldes. Am Rande der weiten Ebene verhielt er und schaute über das weite Land, das sein Eigentum war.
Sofort verengten sich seine Augen und die mächtigen Muskeln spannten sich. Selbst aus dieser Entfernung konnte er sehen, dass etwas nicht stimmte. Eine dünne Rauchfahne stand rechts vom Bungalow, wo sich die Scheuern befanden. Aber es waren keine Vorratshäuser mehr zu erblicken.
Genau wie die Tiere schien auch Tarzan, der Affenmensch, einen sechsten Sinn zu besitzen. Lange bevor er seine Heimstatt erreichte, stand vor seinem geistigen Auge das Bild, dem er sich schließlich in der Tat gegenübersah.
Das weinumsponnene Landhaus lag tot und still. Rauchende Asche kennzeichnete den Platz, wo sich die große Scheune befunden hatte. Die schindelgedeckten Hütten seines Gesindes waren niedergebrannt. Leer die Felder, die Wiesen und die Korrals. Hier und dort flatterten Aasgeier auf und kreisten über den Leichnamen von Menschen und Tieren.
Ein Schauer überlief den riesigen Körper des Affenmenschen, als er endlich das Haus betrat. Im Wohnzimmer erwartete ihn ein Anblick, der ihn vor Hass und Rachsucht erzittern ließ. An die Wand des Zimmers gekreuzigt fand er Wasimbu, den riesenhaften Sohn des treuen Muviro, seit mehr als einem Jahr der persönliche Beschützer von Lady Jane.
Die umgestürzten Möbel, die Blutlachen auf dem Fußboden und die blutigen Handabdrücke an den Wänden sagten genug über den furchtbaren Kampf aus, der sich hier abgespielt hatte. Über den Stutzflügel hingeworfen lag der Körper eines weiteren Toten. Vor der Tür zu Lady Greystokes Zimmer fand er die Leichen von drei treuen Dienern des Hauses.
Langsam, wie mit bleiernen Füßen ging Tarzan zur verschlossenen Tür. Zögernd griff er nach der Klinke. Dann streckte er mit einem Ruck seinen gewaltigen Körper, riss die mächtigen Schultern zurück und stieß die Tür auf. Kein Muskel bewegte sich in dem versteinerten Antlitz.
Aus dem Zimmer drang ihm kalter Brandgeruch entgegen. In schwarzen Flocken wirbelte Ruß auf. Man hatte einen Brand angelegt, der jedoch bei dicht verschlossenen Fenstern und Türen bald erstickt war. Die Flammen hatten zwar die Möbel vernichtet, das harte Edelholz der Wände und der Decke jedoch nur anfressen können.
Am schlimmsten sah es in der Ecke bei der kleinen Couch aus. Tarzan stand lange und schaute auf den leblosen Körper der Frau herab, der bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war. Sein Herz krampfte sich zusammen. Zu diesem Raum, der seine süßesten Erinnerungen barg, hatten nur er selbst und seine geliebte Frau jemals Zutritt gehabt. War es wirklich Jane Clayton, die hier vor ihm lag? Wo war ihr herrliches Haar, das Ebenmaß ihrer Formen? Eine leise Hoffnung regte sich in Tarzans Brust.
Doch dann kniete er plötzlich an der Seite der Toten nieder und hob die von der Couch herabhängende, verbrannte Hand auf. Mühsam richtete er sich auf. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Die Ringe an diesen Fingern kannte er genau.
Nicht eine Träne trübte das Auge des Affenmenschen. Nur der Gott, der ihm sein Schicksal auferlegte, mochte die Gedanken kennen, die jetzt durch Tarzans immer noch halbwildes Gehirn schossen. Lange stand er so und schaute auf den toten Körper herab. Dann trat er zurück und hob die Leiche in den Armen empor. Jetzt erst übermannte ihn der Schmerz. Laute unmenschlicher Wut, wilden Zornes und unbändigen Hasses brachen aus Tarzans Kehle hervor.
Er warf einen Blick auf zerbrochene Waffen, ein zerschlagenes Feldglas und eine zertrampelte Mütze, die einer Soldatenmütze nicht unähnlich war. Er wusste sofort, wer dieses entsetzliche und völlig sinnlose Verbrechen begangen hatte.
In stiller Trauer, mit aller Liebe und Andacht beerdigte Tarzan seine tote Frau in dem kleinen Rosengarten, der immer Jane Claytons Lieblingsplatz gewesen war. Neben ihr fanden die großen, schwarzen Krieger ihre letzte Ruhestatt, die ihr Leben im Kampfe für diese Frau gelassen hatten.
An der einen Seite des Hauses entdeckte Tarzan ein frisches Grab, das nur oberflächlich zugeschüttet war. Die hier beerdigten Leichen bewiesen mit letzter Sicherheit, wer in seiner Abwesenheit die Farm in so gräulicher Weise überfallen hatte.
Als die Sonne sank, befand sich Tarzan bereits auf der noch gut sichtbaren Fährte seiner Feinde. Nach und nach verwandelte sich seine dumpfe Trauer in das Gefühl eines unsagbaren Hasses, der hinfort seine Wege bestimmen sollte bis der letzte dieser Verbrecher seine Strafe erhalten hatte.
Nachdem er nun die letzten äußeren Zeichen der Zivilisation abgeworfen hatte, verwandelte sich Tarzan in das Mensch-Tier zurück, als das er in der Wildnis aufgewachsen war. Die Regeln der Zivilisation, denen er sich aus Liebe zu seiner Frau unterworfen hatte, waren für Tarzan immer spürbare Fesseln gewesen. Zivilisation - dieses Wort bedeutete für Tarzan, den Affenmenschen, eine Beschneidung der Freiheit in allen Richtungen - Freiheit der Tat, Freiheit des Denkens, des Liebens und des Hassens. Er verabscheute Kleider. Sie waren ihm unbequem, lächerlich und unnütz. Kleider waren ihm der Ausdruck jener unsinnigen Ansicht, mit der die Zivilisation zu leben und zu sterben schien. Der Ansicht nämlich, dass man sich seines Körpers schämen müsse, den doch Gott zu seinem Ebenbilde geschaffen hat. Tarzan wusste auch wie blöd und dumm Tiere der niederen Gattungen aussahen, wenn man sie in menschliche Bekleidung steckte. Oft genug hatte er diesen scheußlichen Anblick im Zirkus erleben müssen, als er noch in Europa lebte. Der Affenmensch hatte von jeher Bewunderung gehegt für jeden wohlproportionierten, muskulösen Körper - ganz gleich ob es sich um Löwen, Antilopen oder Menschen handelte. Er hatte niemals begriffen, wie man Kleider für schöner halten konnte als eine reine, gesunde Haut. Oder wie man Jacke und Hose eleganter finden mochte als das weiche Spiel gerundeter Muskeln unter einer schmiegsamen Haut, die den gesunden Menschen auszeichnet.
Im Leben der Zivilisation hatte Tarzan mehr Selbstsucht und Grausamkeit gefunden als in seinem heimatlichen, wilden Dschungel. Die Zivilisation hatte ihm eine geliebte Frau geschenkt und Freunde dazu, die er achtete und bewunderte. Dennoch war er niemals in ihr so heimisch geworden wie wir alle, die wir nichts anderes kennengelernt haben. Mit einer Art von Erleichterung warf Tarzan nun alles zivilisatorische Beiwerk ab und kehrte in den Dschungel zurück mit nichts als einem Lendenschurz und seinen Waffen.
Das Jagdmesser seines Vaters hing an seiner Hüfte. Den Bogen und den Pfeilköcher hatte er über die Schulter genommen. Quer über die Brust, von einer Schulter zur anderen Hüfte unter dem Arm hindurch geschlungen, trug er das lange Gras-Tau. Ohne dieses Seil würde sich Tarzan nackter gefühlt haben als ein Mann, der plötzlich in Unterhosen auf einer belebten Straße steht. Ein schwerer Kriegsspeer, den er manchmal in der Hand, manchmal in einer Schlinge auf dem Rücken trug, vervollständigte seine Ausrüstung.
Sein diamantbesetztes Medaillon mit den Bildern seiner Eltern, das er stets zu tragen pflegte, bis er es am Hochzeitstage Jane Clayton als kostbarstes Andenken überreichte, fehlte ihm. Seine Frau hatte es stets getragen. Aber er hatte es bei der Leiche nicht gefunden. Es war geraubt worden. Also verband sich nun sein Verlangen nach Rache mit dem Wunsch, das verlorene Kleinod zurückzugewinnen.
Gegen Mitternacht begann Tarzan zu fühlen, dass sogar seiner übermenschlichen Muskelkraft Grenzen gesetzt waren. Während der ersten Stunden seines Marsches war er zu sehr in Trauer, später in Rachegedanken versponnen gewesen. Jetzt erst spürte er die erste Müdigkeit. Aber immer noch erfüllten ihn die Gedanken an eine furchtbare Rache, bei der er sich nicht mit dem Satz Auge um Auge, und Zahn um Zahn zufrieden geben würde.
Innerlich und äußerlich hatte sich Tarzan zum Tiermenschen zurückverwandelt. Im Leben eines Tieres aber spielt die Zeit eine untergeordnete Rolle. Das Tier lebt vollkommen nur im Jetzt. Der Affenmensch hatte nach seinen Erfahrungen in der Zivilisation natürlich ein gewisses Zeitempfinden gewonnen. Aber genau wie ein Tier bewegte er sich ohne erkennbare Eile auf der Fährte vorwärts.
Tarzan orientierte sich kurz im Busch und schlug dann die Richtung nach einem riesigen Baum ein, in dessen Krone er mehr als eine Nacht zugebracht hatte.
Dunkle Wolken jagten über den Himmel. Von Zeit zu Zeit enthüllten sie das bleiche Antlitz Goros, des Mondes. Der Affenmensch wusste, dass ein Sturm aufkam, auch wenn sich im Dschungel noch kein Blatt rührte. Tiefe Dunkelheit war ringsumher. Doch Tarzan setzte ohne Zögern seinen Weg fort, wenn auch mit höchster Wachsamkeit.
Mit leichtem Sprung schwang sich Tarzan in einen Baum und setzte den Weg durch die unteren Lagen der Äste fort. Seine feine Nase hatte ihm verraten, dass Numa, der Löwe, weiter vorn auf dem Pfad auf Beute lauerte. Zur Erde zurückgekehrt, sprang der Affenmensch eine Meile weiter plötzlich mit lautlosem Satz seitwärts in die Büsche, um Buto, dem Rhinozeros, den Weg freizugeben. Tarzan nahm jeden Kampf auf, der ihm unumgänglich erschien. Aber er vermied unnötigen Streit, so lange es ging.
Schließlich fand er den Baum, der ihm Nachtquartier gewähren sollte. Hand über Hand greifend schwang er sich in den Ästen empor. Der Mond hatte sich hinter einer dicken Wolke verkrochen. Die Kraft des Windes nahm zu und ließ die Äste wild schwanken. Das Sausen des Sturmes erstickte alle anderen Geräusche im Busch. Immer weiter stieg Tarzan hinauf zu einer gewaltigen Astgabel, in die er vor langer Zeit eine Plattform aus trockenen Zweigen gebaut hatte. Die Dunkelheit nahm immer noch zu, je stärker die Wolkenschicht vor dem Mond wurde.
Der Affenmensch hielt im Klettern inne. Mit bebenden Nasenflügeln sog er die Düfte um sich hei; ein. Plötzlich warf er sich mit der Schnelligkeit einer riesigen Katze weit hinaus auf einen im Sturm schwankenden Zweig, sprang ins Dunkel hinauf und ergriff den nächsten Ast, dann noch einen und noch einen, bis er weit oben abermals innehielt.-
Was hatte Tarzan veranlasst, seinen geruhsamen Aufstieg in der Nähe des sicheren Stammes plötzlich zu unterbrechen und dann einen gefährlichen Umweg durch die äußeren Äste zu nehmen? Kein menschliches Auge hätte in dieser Finsternis etwas zu unterscheiden vermocht. Nicht einmal die kleine Plattform, die sich einen Augenblick zuvor noch dicht über Tarzan befunden hatte und die jetzt schon ein beträchtliches Stück unter ihm lag. Man hörte ein drohendes Fauchen und als der Mond hinter einer Wolke für Sekunden hervortrat, ließ sich auf der Plattform ein dunkler Körper erkennen. Es war Sheeta, der Panther.
Der Affenmensch beantwortete das Fauchen der Katze mit einem gereizten Knurren, das grollend aus seiner mächtigen Brust stieg. Es war ein warnendes Knurren, um dem Panther klar zu machen, dass er sich in einem fremden Lager befand, wo er nichts zu suchen hatte. Aber Sheeta war nicht geneigt, den guten Platz ohne weiteres aufzugeben. Den schönen Kopf nach oben gerichtet, fauchte er zu dem großen, braunhäutigen Tarmangani hinauf.
Ganz langsam bewegte sich der Affenmensch dem Stamme zu, bis er sich direkt über dem Panther befand. In der Hand hielt er das Jagdmesser seines längst verstorbenen Vaters - jenes Messer, das ihm zu einem ersten Aufstieg über die Tiere des Dschungels verholfen hatte. Er hoffte indessen, dass er es nicht würde gebrauchen müssen. Denn Tarzan wusste gut, dass mehr Streitigkeiten im Dschungel mit wildem Fauchen und Knurren als mit tatsächlichem Kampf ausgetragen werden. Nur wenn es um das Fressen ging oder um ein Weibchen, griffen die großen Tiere einander mit Fängen und Tatzen an.
Tarzan stemmte sich fest gegen den Stamm des Baumes und lehnte sich näher zu Sheeta herab.
Der Panther setzte sich auf. Seine entblößten Reißzähne glänzten nur wenige Fuß vom höhnisch verzogenen Gesicht des Affenmenschen entfernt. Tarzan knurrte und fauchte wild. Einmal schlug er mit dem Messerrücken nach dem Gesicht der großen Katze.
»Ich bin Tarzan, der Affenmensch«, besagte sein Knurren und Fauchen. »Das Lager gehört mir. Geh, oder ich werde dich töten.«
Tarzan bediente sich der Sprache der großen Dschungelaffen. Deshalb war es zweifelhaft, ob Sheeta ihn verstehen konnte. Die große Katze begriff indessen sehr wohl, dass der riesige haarlose Affe von diesem guten Lager Besitz ergreifen wollte. Und gerade diesen Platz hatte Sheeta, der Panther, so sorgsam ausgesucht, weil drunten auf dem Pfad während der Nacht und zum Morgen hin allerlei jagdbares Getier vorüberkommen musste.
Wie ein Blitz ließ die Katze ihre riesige Tatze mit den scharfen Krallen emporzucken. Der furchtbare Schlag hätte Tarzans Gesicht zerrissen, wenn er sein Ziel erreichte. Der Hieb traf aber nicht. Tarzan war schneller als der Panther.
Breitbeinig behauptete Sheeta seinen Platz auf der Plattform. Tarzan löste den Speer aus der Schlinge und hielt die Spitze dicht vor das Gesicht der Großkatze. Sheeta schlug mit den Pranken nach der Waffe. Dabei setzten beide ihr Duett blutrünstigen Fauchens und Knurrens fort.
Halb verrückt vor Wut versuchte der Panther endlich, den Ruhestörer anzugreifen. So oft er aber zum Sprung nach dem Ast ansetzte, auf dem sich Tarzan befand, tanzte ihm die Spitze des Speeres vor dem Fang umher. Und so oft Sheeta zum Anlauf einige Schritte zurücktrat, wurde er mit der Speerspitze an seinen empfindlichsten Stellen gekitzelt. Schließlich überwand die Wut in ihm alle gebotene Vorsicht. Mit einem mächtigen Satz gewann der Panther Halt am rissigen Stamm und erreichte den Ast, den Tarzan zu verteidigen suchte. Nun standen sich die beiden auf gleicher Höhe gegenüber. Sheeta sah bereits eine schnelle Rache und ein Abendessen überdies vor sich. Der haarlose Affenmensch mit den winzigen Fängen und den lächerlich kleinen Pranken schien ihm hilflos ausgeliefert.
Der dicke Ast bog sich unter dem Gewicht der beiden riesigen Körper, als Sheeta vorsichtig vorwärts zu kriechen begann, während sich Tarzan, immer noch knurrend, langsam rückwärts zur Spitze des Astes hinschob.
Der Sturm hatte sich mittlerweile zum Orkan entwickelt. Sogar die Giganten unter den Urwaldbäumen schwankten sausend hin und her. Der Ast, auf dem sich Tarzan und Sheeta befanden, fegte auf und nieder wie ein Schiff, das in schwerer Dünung treibt.
Goro, der Mond, war jetzt vollkommen verschwunden. Weithin zuckten Flächenblitze über den Himmel und gossen in kurzen Abständen ihr Licht über den grimmigen Schlussakt eines leidenschaftlichen Kampfes im schwankenden Geäst.
Immer weiter kroch Tarzan zurück und lockte so Sheeta vom Stamm des Baumes hinweg. Immer unsicherer wurde der Halt für die Katze. Durch kurze Speerstöße zu wilder Wut aufgestachelt, vergaß der Panther alle Vorsicht. Er war bereits soweit vorwärts gekrochen, dass er auf dem dünner werdenden Ast kaum noch zu liegen vermochte.
Diesen Augenblick wählte Tarzan für seinen Angriff. Mit einem Brüllen, das sich mit dem rollenden Donner am Himmel vermischte, sprang er den Panther an. Sheeta konnte nur rasch eine seiner Pranken zum Schlag erheben, da er sich mit den Krallen der anderen Füße festhalten musste. Der Affenmensch kam nicht in den tödlichen Halbkreis, den die zuschlagende Pranke beschrieb.
Im Bogen übersprang er gewandt die drohenden Klauen und den schnappenden Fang. Mitten in der Luft warf sich Tarzan herum und landete rittlings auf dem Rücken der riesigen Katze. Im gleichen Augenblick stieß er das Jagdmesser tief in die lohfarbene Flanke des Gegners. Schmerz, Hass und Wut ließen Sheeta blindlings um sich schlagen und beißen. Er warf sich hin und her, um den unerwünschten Reiter loszuwerden. Es gelang ihm nicht. Seine wilden Bemühungen führten nur dazu, dass die Klauen und Pranken von dem Holz des schwankenden Astes abrutschten. Einen Augenblick noch hielt sich Sheeta, der Panther, mit den Krallen der Vorderpfoten. Zwischen Himmel und Erde schwebend, stieß er ein halb klägliches, halb wütendes Fauchen aus. Dann stürzte er ab. Tarzan aber saß noch immer auf seinem Rücken.
Krachend stürzten beide durch die zersplitternden Zweige. Nicht eine Sekunde lang dachte der Affenmensch daran, den Feind aus dem tödlichen Zugriff zu lassen. Dieser Kampf ging jetzt auf Leben oder Tod, getreu dem Gesetz des Dschungels. Einer von ihnen musste sein Leben lassen - oder beide.
Sheeta landete nach Art der Katzen auf allen vieren. Seine gespreizten Beine hatten nicht genug Kraft, das Gewicht des auf seinem Rücken festgeklammerten Tarzan abzufangen. Der Aufprall drückte Sheeta zu Boden. Abermals traf ihn das breite Messer in die Flanke. Noch einmal versuchte der Panther auf die Füße zu kommen. Er sank kraftlos in sich zusammen.
Tarzan fühlte, wie die Muskeln der großen Katze erschlafften. Sheeta war tot.
Der Affenmensch erhob sich und setzte einen Fuß auf den Körper des verendeten Gegners. Er hob sein Gesicht zum donnergrollenden Himmel empor. Ein Blitz zuckte auf. In Wildbächen schossen die Regenströme durch die Zweige abwärts. In das Tosen des Unwetters mischte sich Tarzans wilder Siegesruf, wie ihn die Bullen unter den großen Menschenaffen nach der Vernichtung des Gegners auszustoßen pflegen.
Sein Ziel war erreicht, der Feind vom Lagerplatz vertrieben. Tarzan sammelte einen Armvoll großer Farnwedel und klomm zu seinem vor Nässe triefenden Lager hinauf. Auf einer Schicht Farnkraut legte er sich nieder. Mit dem Rest deckte er sich zu, um wenigstens etwas Schutz vor dem Regen zu finden. Trotz des heulenden Sturmes und des grollenden Donners fiel er sofort in tiefen Schlaf.