Читать книгу Sally - Magierin wider Willen - Edgar Sigmanek - Страница 3

Das Dorf

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Sally folgte der kleinen Elfe gehorsam. Staunend blickte sie in die Runde. Noch nie zuvor hatte sie solch sonderbare Bäume gesehen. Die Blätter schienen wirklich auf der Oberseite golden und auf der Unterseite silbern zu sein. Das merkwürdigste aber war, das obwohl der Wind durch die Blätter wehte, kein einziges Geräusch zu hören war. Fast wäre Sally gegen einen Baum gelaufen, als sie den Pfad erreichten, so war sie in Gedanken versunken. Zum Glück bemerkte die kleine Elfe, dass sie träumte. “Pass doch auf, sonst holst du dir noch eine Beule!”

Ganz verstört drehte sich Sally um und blieb erschrocken wenige Zentimeter vor einem der Bäume stehen. Als sie neugierig die Hand nach einem Blatt ausstreckte, schrie die Elfe erschrocken auf. “Fass sie nicht an!” Wie in Trance blickte Sally sie an, drehte sich dann aber wieder zu dem Baum um und führte ihre Hand weiter in Richtung eines der Blätter. Es ging eine magische Kraft von ihnen aus, der sie nicht widerstehen konnte. Die Elfe erkannte die Gefahr, in der Sally schwebte. Sie musste schnell handeln, bevor es zu spät war. Schnell riss sie sich ein weiteres goldenes Haar aus, warf es in die Luft und begann sich wie ein Kreisel zu drehen. Die Elfe wurde größer und größer, bis sie schließlich so groß wie Sally war. Deren Finger waren nur noch wenige Millimeter vom Blatt entfernt, als Elmona sie zurückriss. Es war, als wenn ein Stromschlag durch ihren Körper ging. Sie wurde jäh aus ihrer Trance gerissen. Aus weit aufgerissenen Augen blickte sie die Elfe an: “Was ist los, wer bist du? Wo ist die kleine Elfe geblieben?” “Schau mich doch an”, erwiderte diese, “erkennst du mich denn nicht? Wenn du weiterhin solche Dummheiten machst werde ich bald keine Haare mehr haben.”

Sally starrte die Elfe wie einen Geist an. “Aber du warst doch eben noch ganz klein. Was ist denn eigentlich passiert? Warum hast du mich so grob zurückgerissen? Ich wollte doch nur eins der Blätter anfassen. Abgerissen hätte ich es bestimmt nicht.”

“Dazu wärst du auch gar nicht mehr gekommen”, sagte die Elfe. “Wir nennen sie die ‚Bäume der Träumenden‘. Hättest du eines der Blätter berührt, wärst du in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem du nie wieder aufgewacht wärst. Selbst ich hätte dir dann nicht mehr helfen können. Du scheinst in einem Land zu leben, in dem es keine Gefahren gibt, sonst wärst du etwas vorsichtiger. Hier allerdings musst du ständig auf der Hut sein. Hinter jeder Ecke kann das Böse auf dich warten. Dabei ist das, was am unscheinbarsten ist, am gefährlichsten. Nun sollten wir uns aber beeilen. Der Weg ist nur noch kurze Zeit offen. Er ist nur unseretwegen aufgemacht worden. Diese Bäume beschützen uns vor Eindringlingen. Bisher hat es noch niemand geschafft, durch sie bis zu uns vorzudringen.”

Schweigend gingen sie den Weg durch den fremdartigen Wald entlang. Aus seiner Tiefe drangen leise Geräusche an sie heran. Es schien so, als würde jemand stöhnen und aus einer anderen Richtung waren Klagelaute zu hören.

“Was sind das für Laute?”, flüsterte Sally leise.

“Das sind die Verdammten, die nicht so viel Glück hatten wie du”, sagte die Elfe.

“Sie waren so unvorsichtig, die Blätter zu berühren und irren nun bis in die Ewigkeit in diesem Wald umher. Erst wenn sie von einem Bulk erlöst werden, werden sie selber zu einem Baum und fangen unvorsichtige Wanderer oder Eindringlinge. Sie machen keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. Sie ziehen jeden in ihren Bann, der sich ihnen zu weit nähert.”

Als Sally sich umblickte, sah sie, wie sich weit hinten die Äste neigten und den Weg somit verschlossen. Schon längst war die Lichtung nicht mehr zu sehen. Dafür weitete sich vor ihnen der Weg und gab den Blick auf ein kleines Dorf frei. Immer mehr Einzelheiten waren zu erkennen. Die Häuser, kreisförmig angeordnet, hatten alle nur ein Stockwerk, und ein fünfeckiges Dach, das in einer Spitze endete. Auf dieser befand sich eine goldene Kugel, die Dächer aber waren silberfarben. Sie hatten kleine Fenster und Türen mit einem Rundbogen. Vor einigen Häusern brannten kleine Feuer, über denen Kochtöpfe hingen, aus denen es dampfte. Zwischen den Häusern tobten Kinder und hier und da standen in kleinen Gruppen Leute zusammen und diskutierten. Sie hatten bunt schillernde Kleidung an und einige trugen breitkrempige Hüte. Als sie von den Ersten Bewohnern bemerkt wurden, kam plötzlich Bewegung in die Menschen. Sie kamen auf einmal auf sie und die Elfe zugestürmt, wild mit den Händen in der Luft rumfuchtelnd. Hier und da konnte sie einige Wortfetzen auffangen:

“.. .st sie ja. .iedergeko n.”

Auf einmal wurden sie von Männern mit Langbögen umringt, die alle auf Sally zielten.

“Halt!”, rief Elmona. Sie hat mich gerettet, sie will uns nichts Böses tun.”

Erst zögerten sie noch, dann nahmen sie aber doch einer nach dem anderen die Bögen herunter, immer darauf bedacht, sofort wieder auf sie anzulegen, wenn sie eine verdächtige Bewegung machen würde. Die Menschenmenge war auf einmal verstummt und blickte gebannt mal auf Sally und mal auf die Elfe. Die Elfe setzte zum Reden an:

“Liebe Freunde, dieses Mädchen hat mich vor den Boten der schwarzen Saldera gerettet. Ihnen zu trotzen hat bisher noch niemand gewagt. Sie hat sich damit ihren vollen Zorn zugezogen. Vielleicht ist sie ja aber auch diejenige, von der unsere Legenden erzählen, die Unscheinbare mit dem reinen Herzen, die uns von dem schwarzen Übel befreien kann.”

Sallys Augen wurden immer größer und ihr Mund blieb offen stehen. Alle blickten nun voller Hoffnung auf sie.

“Aber das waren doch nur zwei kleine Vögel”, stammelte sie.

Doch die Elfe winkte ab. “Sie wären niemals vor dir geflüchtet, wenn du nicht eine besondere Ausstrahlung hättest. Ich habe dir doch gesagt, das Unscheinbare ist oftmals das Gefährlichste. Sie wären ohne weiteres in der Lage gewesen, dich in tausend Stücke zu zerreißen.”

Jetzt lief Sally doch ein kalter Schauer über den Rücken. “Aber nun komm erst einmal mit, ich glaube ich bin dir einige Antworten schuldig.” Mit diesen Worten ging sie in Richtung des Stadtzentrums, wo sich ein wunderschöner Palast vor den Häusern abhob. Die Fenster waren aus buntem Glas, die Dächer golden und 5 Türme um den Palast angeordnet. Auf jedem dieser Türme stand einer der Langbogenschützen, den Blick immer wieder gen Himmel gerichtet. Die Sonne stand nun hoch im Zenit.

Sie hatten den Palast erreicht, umringt von einer großen Menschenmenge und nun öffneten sich die Tore. Sie waren riesig und schienen sich von ganz allein zu bewegen. Es war keine Konstruktion zu erkennen, die das Öffnen bewerkstelligte und sie schwangen völlig lautlos auf. Langsam schritten Sally und die Elfe hindurch. Die Menschen aber, die sie bis hier her begleitet hatten, blieben vor dem Tor stehen. Dann schlossen sich die riesigen Flügel wieder mit einem dumpfen Geräusch. Sie befanden sich nun im Inneren des Palastes.

Im Vergleich zu den Häusern draußen wirkte er gigantisch. Eine breite Treppe führte hinauf zu einer großen, offenen Eingangstür, an der schon zwei Frauen auf sie warteten.

Der Weg war eingefasst von wunderschönen Blumen die in den Farben eines Regenbogens schimmerten. Der Gärtner verstand sein Handwerk. Noch nie im Leben hatte Sally einen so wunderschönen Garten gesehen. Langsam gingen sie die Treppe hinauf. Als sie sich umsah, tauchten über den Toren die ersten Türme der Häuser auf. Weit hinten waren die gold-/silbernen Bäume zu sehen, deren Fängen sie nur mit knapper Not entgangen war. Dann hatten sie die Eingangstür erreicht. Die beiden Frauen verneigten sich tief und sie gingen an ihnen vorbei in das Innere des Palastes. Es war ein komisches Gefühl, aufrecht hinter der Elfe her zu gehen, während sich die anderen alle vor ihr verneigten. Sie betraten die große Eingangshalle. Als die Diener ihre Herrin bemerkten, hielten sie inne und senkten ehrfurchtsvoll die Köpfe.

“Wir haben Besuch! Schnell, deckt den Tisch und erweist unserem Gast alle Ehren. Sie ist eine große Magierin und kommt aus einem fernen Land.”

Sally war vor Überraschung ganz sprachlos. “Aber ich bin ich meine ”

“Ihr müsst Nachsehen mit ihr haben, ab und zu stottert sie etwas, aber sie hat großen Mut bewiesen, als sie mich vor den schrecklichen Helfern der Saldera rettete.”

Allein der Name “Saldera” führte dazu, dass den Anwesenden das Blut in den Adern zu gefrieren schien. Alle hier schienen große Angst vor dieser “Saldera” zu haben.

“Elmona, äh ich meine eure königliche Hoheit, äh wer ist denn diese Saldera? Warum habt Ihr solche Angst vor Ihr?”

Ein tiefes Raunen ging durch die Anwesenden.

“Dein Gast muss von sehr weit her kommen, dass sie Saldera nicht kennt”, sagte eine alte Frau, die dicht neben der Elfe stand.

Noch bevor Sally antworten konnte, sagte sie:

“Oh ja, sie ist alleine durch Gedankenkraft zu uns gekommen. Sie ist eine große Magierin.”

“Aber warum kennt sie dann nicht die böse Saldera und was will sie hier?”, fragte die Alte. “Steckt sie womöglich mit Saldera unter einer Decke und will uns ausspionieren?”

Vor Schreck blieb Sally der Mund offen stehen. Sie brachte kein Wort heraus. Das Raunen rings um wurde immer lauter. Schon befürchtete sie von der Leibgarde erfasst und in das tiefste Verlies gesperrt zu werden, als Elmona erneut das Wort ergriff: “Das glaube ich nicht! Fast hätte sie die Bäume der Träumenden berührt. Gegen diese Macht ist selbst Saldera und ihre Gehilfen hilflos wie ihr ja alle wisst.”

“Das konnte aber auch Berechnung gewesen sein”, wandte eine andere Anwesende ein.

“Ich habe sie beobachtet”, erwiderte Elmona, “und wie ihr alle wisst, bleibt mir nicht verborgen, wenn jemand seine wahren Absichten verbirgt.”

“Du hast Recht”, stimmte die Alte zu. “Wenn das stimmt, was du da alles erzählt hast, könnte sie die Auserwählte sein.”

“Ja, das habe ich auch schon vermutet”, erwiderte Elmona.

Gerade wollte Sally etwas sagen, als jemand von der Leibgarde in den Tronsaal gestürzt kam.

“Sie hat es geschafft , sie hat es geschafft , der Schutzwall wurde durchbrochen.”

Eine Totenstille breitete sich aus, alle standen wie versteinert da. Dann, nach einigen Schrecksekunden, stürmte Elmona auf eine Säule mitten im Raum zu. Sally bemerkte sie erst jetzt. Auf ihrer Spitze befand sich ein fünfeckig geschliffener grüner Kristall. Als die Elfe ihre Hände an die Seiten der Säule legte glomm dieser auf, um nach wenigen Augenblicken hell zu erstrahlen. Ein leises Summen war zu hören. Alle starrten wie gebannt auf Elmona, dessen Muskeln vor Anspannung zuckten. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Das Summen wurde immer lauter, bis es zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen anschwoll. Gerade wollte Sally sich die Ohren zuhalten, als plötzlich Ruhe eintrat. Mit einem leisen Schrei taumelte Elmona zurück und konnte gerade noch rechzeitig von den umstehenden aufgefangen werden. Sie war einer Ohnmacht nahe.

“Ihr Zorn muss übermächtig sein, wenn Saldera es wagt einen Angriff auf den Palast zu starten.”

Die Alte war herangekommen und blickte ernst auf Elmona herab, die zu Boden gesunken war. “Nie zuvor hat sie es geschafft, so weit bis zu uns vorzudringen.”

“Was ist geschehen?”, fragte Sally mit völlig verstörtem Blick. “Was hast du gerade getan?”

“Sie hat den Angriff Salderas abgewehrt, der augenscheinlich dir gegolten hat”, antwortete die Alte. “Du hast dich offen gegen sie aufgelehnt und nun trifft dich ihr ganzer Zorn.”

“Aber ich wusste doch gar nicht...”

“Das macht nichts, Saldera unterscheidet nicht zwischen Leuten, die sich bewusst oder unbewusst gegen sie auflehnen. Wer sich gegen sie stellt, verschwindet in den dunklen Tiefen ihres Palastes, aus denen noch nie jemand wieder zurückgekehrt ist.”

Die Worte der Alten erschütterten Sally bis ins Mark und sie begann leicht zu zittern.

“Wenn du die Auserwählte bist, bist du die Einzige, die ihr trotzen und sie besiegen kann. Du kannst uns für immer von ihr befreien.”

Plötzlich kam sich Sally ganz klein und hilflos vor. Wie sollte sie, ein kleines Mädchen, etwas gegen eine Zauberin ausrichten können, vor der ein ganzes Volk Angst hat. Langsam kam Elmona wieder zu sich und richtete sich auf.

“Das war knapp!”

Sie hatte die Worte fast nur gehaucht und doch hatten sie alle gehört und jubelten los.

“Wir sollten für die Nacht die Wachen verdoppeln, damit sie nicht noch einmal durchbrechen kann und erst einmal schlafen gehen. Morgen, in aller Frühe, sollten wir uns dann im großen Rat zusammen setzen um die Lage zu besprechen”, sagte die Alte mit ernstem Gesicht. “Ziofotta wird dir dein Zimmer zeigen. Du solltest schlafen gehen, damit du morgen früh hellwach bist.”

Ein kleines hageres Mädchen mit langen blonden Haaren kam auf Sally zu und führte sie durch eine Nebentür auf einen Gang, der durch zahlreiche Fackeln erhellt wurde. Der im Vorbeigehen entstehende Windhauch ließ an der Wand Schatten entstehen, aus denen man alle nur erdenklichen Monster erkennen konnte, wenn man nur genug Fantasie dazu hat. Aber war es wirklich nur Fantasie, die Sally hinter der neben ihr befindlichen Fackel einen so gruseligen Kopf erscheinen ließ? Wie war es möglich, dass hinter dieser ein Schatten auftauchte? So etwas kann es doch gar nicht geben. Und dann diese Augen, war da nicht ein mordgieriges Flackern? Sally kniff die Augen zusammen um sie im nächsten Augenblick wieder zu öffnen. Und dann waren sie weg, die Schatten. Es war also doch nur eine Täuschung. Erleichtert schloss sie zu Ziofotta auf, die Sally’s Bummeln nicht bemerkt hatte und schon ein gutes Stück voraus war. Schließlich hielten sie vor einer dicken Holztür. Aber es war keine gewöhnliche Tür, sie hatte weder Drücker noch Knauf zum Öffnen. Schon wollte Sally fragen, wie sie sie denn öffnen solle, als Ziofotta die Hand ausstreckte und diese nur leicht berührte. Völlig geräuschlos schwang die Tür nach innen auf und gab den Blick auf ein geräumiges Zimmer frei, durch dessen Fenster gerade noch die untergehende Sonne zu sehen war. In der Mitte stand ein kleiner Tisch mit leckeren Speisen, bei dessen Anblick sich sofort der Hunger zurückmeldete.

“Dies ist dein Zimmer für die Dauer deines Aufenthaltes”, sagte Ziofotta und verneigte sich, um sich zurückzuziehen.

“Bitte bleib doch”, presste Sally hastig hervor.

Erstaunt hob Ziofotta den Kopf. “Hast du noch einen Wunsch?”

“Ich würde gerne mehr über euch erfahren, wie ihr so lebt und wer diese böse Saldera ist. Kannst du nicht noch einen Augenblick bleiben?”

“Es tut mir leid, aber ich habe Anweisungen, sofort zurückzukehren und dich nicht weiter zu belästigen. Du brauchst unbedingt Ruhe, um morgen ausgeruht zu sein.”

Mit diesen Worten verneigte sie sich noch einmal, drehte sich um und verließ das Zimmer.

Da stand sie nun, allein und hilflos, ohne einen Freund. Aber war sie denn wirklich ohne Freunde? Die Elfen schienen ihr gegenüber sehr freundlich, doch waren sie wirklich ihre Freunde? Und wie sollte sie wieder nach Hause kommen. Traurig ging sie auf den Tisch zu und setzte sich auf den Stuhl, um einen Bissen zu sich zu nehmen. Es war ein reichhaltiges Angebot an fremdartigsten Speisen. Da gab es Obst, wie sie es noch nie gesehen hatte und Fleisch, das so herzhaft roch, dass sie kaum noch anhalten konnte, es zu probieren. Sie biss ein Stück davon ab und stellte fest, dass es nach Hähnchen und irgendwie fruchtig, wie eine Mischung aus Ananas und Eiscreme schmeckte. Aber das war doch gar nicht möglich. Sie probierte ein weiteres Stück, dieses Mal schmeckte es nach Erdbeere. Vor Verblüffung wäre ihr fast das Reststück aus der Hand gefallen. Ein weiterer Versuch brachte Toast mit Honiggeschmack zu Tage. Das machte sie dann doch stutzig.

Sally startete einen Versuch, sie dachte ganz fest an Kirschtorte mit Schlagsahne und probierte ein weiteres Stück und wirklich, ein unverwechselbarer Geschmack nach Kirschtorte mit Schlagsahne machte sich in ihrem Mund breit. Dann gab es kein halten mehr für Sally. Genussvoll machte sie sich über die Speisen her, immer neue Geschmacksrichtungen ausprobierend, bis sie schließlich nicht mehr konnte.

Erschöpft lehnte sie sich zurück und blickte aus dem Fenster, durch das vor wenigen Minuten noch die letzten Sonnenstrahlen in das Zimmer gefallen waren.

Nun waren dort nur noch Finsternis und das Flackern der Kerze, die in Ihrem Zimmer brannte. Aber da war noch etwas, anfangs nur ein Flackern, dann ein Schemen, der immer mehr Gestalt annahm und zu einem Schatten wurde, einem schrecklichen Schatten, der sie anstarrte. Sally sprang auf und stieß dabei den Stuhl um, auf dem sie gerade noch gesessen hatte. Erschrocken fuhr sie zusammen, traute sich jedoch nicht, ihren Blick vom Fenster wegzudrehen. Sally wurde wie magisch von diesem Schatten angezogen. Sie konnte ihren Blick einfach nicht abwenden. Eine Stimme schien Ihr etwas zuzuflüstern, das sie jedoch nicht verstehen konnte. Wie eine Traumwandlerin begann sie auf das Fenster zuzugehen. Ganz langsam, Schritt für Schritt näherte sie sich dem Fenster, und der Schatten wurde größer und größer. Schon konnte sie Einzelheiten erkennen.

Es war ein seltsames Geschöpf, so groß wie eine Eule, aber mit einem Kopf wie ein Zwerg und einem dünnen Hals. Es hatte lange schmale Ohren und messerscharfe Zähne. Mit einem grässlichen Lachen blickte es sie an, so, als wenn es sich seiner Beute schon völlig sicher war. Und seine Beute kam immer näher. Schon war Sally am Fenster und hob die Hand, um es zu öffnen.

Im tiefsten Innern wusste sie, das wenn sie es tat, sie verloren sein würde, aber diese Augen befahlen ihr einfach weiterzumachen. Die Stimme in ihrem Kopf wurde nun schon deutlicher. “Komm und lass mich herein ”, drang es in ihr Unterbewusstsein. Sie wollte sich dagegen wehren um Hilfe schreien, aber es war vergebens. Schon war ihre Hand am Fenstergriff. “Dreh ihn herum und öffne das Fenster!”, war da wieder die Stimme.

Und Sally begann zu drehen. Sie kam allerdings nicht mehr dazu, ihre Bewegung zu Ende zu führen. Ein Schmerz ließ sie aufschreien und die Hand zurückzucken. Irgendetwas hatte sie in den Fuß gebissen.

Noch völlig benommen wandte sie den Blick vom Fenster ab und schaute nach unten. Dort saß eine Maus und putzte sich die Barthaare mit den Vorderpfoten. “Aber das kann doch nicht ”, begann sie los zu stottern, schaute aber sofort wieder ängstlich zum Fenster, ob der Schatten noch da wäre.

Da, wo er bis vor wenigen Sekunden noch war, gab es jetzt nur noch schwarze Leere.

“Was tust du Einfallspinsel denn da? Musstest du mich denn unbedingt beim Abendmahl stören?”, piepste es von unten.

Beinahe hätte Sally die Beherrschung verloren, behielt dann aber doch die Fassung.

“Wer bist du und was machst du hier?”, fragte sie, sich gerade noch rechtzeitig an die erste Begegnung mit Elmona erinnernd in gesengtem Tonfall.

“Ich bin Schnurz, dein persönlicher Beschützer.”

“Aber du bist doch nur , ich wollte sagen, ich meine ”

“Ja, man hat mich schon vorgewarnt, dass du ab und zu stotterst, aber nichts desto trotz werde ich mein Bestes geben, dich zu beschützen.”

“Wer oder was war das dort eben am Fenster?”, fragte Sally, die sich schon wieder etwas gefasst hatte.

“Das war ein Schatten, der von der bösen Saldera geschickt wurde, um dich in ihre Gewalt zu bringen. Hättest du das Fenster aufgemacht, wärest du verloren gewesen. Dann hätte ich nichts mehr für dich tun können.”

“Aber ich dachte, ich wäre hier sicher bei den Elfen.”

Mutlos ließ sie die Schultern hängen. “Nun mach dir mal keine Sorgen, damit so etwas nicht passiert, sind wir ja da. Uns können diese Schatten nicht beeinflussen. Im Gegenteil, wenn sie erscheinen bemerken wir sie sogar schon vor den Elfen.”

“Aber vorhin im Flur war schon einmal so ein Schatten”, begehrte Sally nun auf.

“Das kann nicht sein” piepste Schnurz. Die Schatten erscheinen immer nur an den Fenstern und immer nur, wenn es dunkel ist. Du kannst unmöglich einen im Gang gesehen haben.”

“Aber das habe ich. Als wir an den Fackeln vorbeigegangen sind, erschien einer direkt daneben. Erst dachte ich, ich hätte mich getäuscht, aber nun weiß ich, dass ich mich nicht geirrt habe. Er war da.”

Sally muss sehr überzeugend gewesen sein, denn Schnurz wurde plötzlich ganz ernst.

“Was du da erzählst, bereitet mir große Sorgen, denn das heißt, dass sich die böse Saldera einen neuen Zauber ausgedacht hat. Aber vielleicht ist es auch den Bokras gelungen, sich einen Weg zu uns zu bahnen. Das wäre furchtbar, denn dann wären wir Saldera hilflos ausgeliefert. Wir können die Elfen zwar vor den Schatten warnen, aber wenn die Bokras zu uns vordringen, sind wir alle verloren. Ich werde sofort die anderen davon unterrichten, damit wir Gegenmaßnahmen einleiten können.”

Mit diesen Worten verschwand Schnurz, ohne dass Sally noch etwas erwidern konnte. Wieder war sie allein. Diesmal vermied sie es jedoch, zum Fenster zu blicken, traute sich aber auch nicht, ihm den Rücken zuzuwenden. Nach wenigen Minuten, die Sally wie eine Ewigkeit vorkamen, kehrte Schnurz zurück.

“Wo warst du? Ich hatte solche Angst. Was, wenn der Schatten wieder gekommen wäre?”

“Wie ich schon sagte, ich kann die Schatten spüren, lange bevor sie Kraft über euch erlangen. Du warst absolut sicher. Sie brauchen immer eine ganze Weile, bis sie sich materialisieren. Aber wir sollten trotzdem kein weiteres Risiko eingehen. Zieh die Vorhänge zu und vermeide es, tief in den Wald hinein zu blicken. Saldera würde den Blick auffangen und wieder versuchen, Gewalt über dich zu erlangen.”

Seitwärts näherte sich Sally dem Fenster und zog, ohne direkt das Fenster anzuschauen die Vorhänge zu. Sofort war das Unbehagen wie weggepustet und sie konnte wieder frei atmen.

“Leg dich erst einmal schlafen, während ich Wache halte. Morgen werden wir dann im großen Rat das Problem erörtern.”

Schnurz’s Worte ließen keinen Widerspruch zu. Sally spürte nun auch wirklich, wie ihre Glieder immer schwerer wurden und schaffte es gerade noch so ins Bett. Oder war auch dies wieder irgendein Zauber? Sie kam nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, denn im nächsten Augenblick fiel sie in einen tiefen Schlaf, in dem sie sich immer wieder hin und her wälzte, von kleinen Trollen und hässlichen Kreaturen träumte und schließlich durch Schnurz zum Frühstück geweckt wurde.

Sally fühlte sich ausgeruht und hatte einen Bärenhunger. Automatisch schaute sie zum kleinen Tisch und stellte mit Verwunderung fest, dass er bereits gedeckt war. Es roch nach heißer Schokolade und Toastbrot, so, als würde sie zu Hause an den Frühstückstisch kommen. Mit Wehmut dachte sie an daheim. Was würden wohl ihre Eltern denken, sie würden sich bestimmt schon Sorgen machen.

Ein Piepsen unterbrach ihre Gedankengänge.

“Wenn du mit Träumen fertig bist, könntest du ja endlich anfangen zu frühstücken, der große Rat wartet nämlich nicht gerne auf Nachzügler und ich bin für meine Pünktlichkeit bekannt.”

Da stand sie wieder, die kleine Maus, die Arme verschränkt und blickte zu Sally hinauf.

“Entschuldige bitte, ich werde mich beeilen.”

Schnell setzte sie sich an den Tisch und begann zu essen.

“Möchtest du mir nicht ein wenig Gesellschaft leisten und etwas mitessen?”, fragte Sally die kleine Maus.

“Ich dachte schon, du würdest mich nie fragen”, antwortete Schnurz, flink am Stuhlbein hochkletternd und sich gegenüber von Sally auf dem Tisch niederlassend.

“Weist du, es ist hier so Sitte, dass die Beschützermäuse zusammen mit ihren Schützlingen essen. Ich hatte schon befürchtet, hungrig zum großen Rat gehen zu müssen.”

Mit diesen Worten ging Schnurz zum Teller mit dem Toastbrot, nahm sich eine Scheibe und begann daran zu knabbern.

“Möchtest du auch etwas Milch dazu?”, fragte Sally.

Schnurz wollte antworten, hatte aber ein so großes Stück vom Toastbrot in den Mund genommen, das er sich verschluckte und zu husten begann. Sally musste sich sehr anstrengen, nicht laut loszuprusten. Schnell goss sie etwas Milch auf ihre Untertasse und schob sie Schnurz zu, der sich sofort auf die Milch stürzte und in gierigen Schlucken zu trinken begann.

“Du hast einen guten Geschmack, ich habe noch nie etwas so Gutes gegessen.” Schmatzend setzte Schnurz sich auf sein Hinterteil und peitschte mit dem Schwanz hin und her.

“Vielen Dank, aber ich habe doch gar nicht den Tisch gedeckt”, antwortete Sally.

“Du hast noch viel zu lernen.”

Sekundenlang sah Schnurz zu Sally auf und griff dann erneut zu, um sich eine Erdbeere zu nehmen.

“Weist du denn wirklich nicht, dass du diejenige bist, die das Frühstück zusammengestellt hat?”, fragte Schnurz nun erstaunt an Sally gewandt.

“Wieso ich? Ich bin doch gerade erst aufgewacht und als ich mich umsah, stand das Essen bereits auf dem Tisch. Zugegeben, es ist meine Lieblingsspeise, aber ich habe nichts damit zu tun.”

“Dieser Tisch gehorcht dem Bewohner des Zimmers. Da du der Gast der Elfen bist und dir dieses Zimmer zugeteilt wurde, muss er deine Wünsche erfüllen.” Schnurz hatte sich bei diesen Worten auf die beiden Hinterpfoten aufgerichtet und stand mit einer erhobenen Hand da, gerade wie ein Lehrer, der seinen Schülern etwas erklärt.

Sally musste daran denken wie Schnurz vor einer Klasse Mäusen stand und ihnen das Alphabet beibrachte. Ein leichtes Schmunzeln zog bei diesem Gedanken über ihr Gesicht.

Den Rest des Frühstücks aßen beide ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln. Dann stand Schnurz auf, putzte sich noch einmal die Barthaare und sprach:

“Lass uns gehen, sonst kommen wir wirklich noch zu spät. Ach ja, über dem Stuhl dort drüben hängt ein Gurt, hänge ihn dir bitte um und lass mich in die kleine Tasche, die dort eingearbeitet ist, kriechen. Sie sind extra für uns Mäuse angefertigt worden, damit wir jederzeit unserer Beschützerfunktion nachgehen können.”

Verwundert betrachtete Sally den Gurt, tat dann aber, was Schnurz von ihr verlangte. Zu tief saß noch der Schreck der vergangenen Nacht, als dass sie diese Aufforderung nicht ernst nehmen würde. Sie legte den Gurt quer über ihren Oberkörper an und er begann sich der Größe Sallys anzupassen. Dann streckte sie die Hand aus, damit Schnurz raufklettern konnte und lies ihn in die kleine Tasche krabbeln. Schnurz machte es sich darin bequem und nur noch sein Kopf mit den kleinen klugen Augen schaute heraus.

Wenn sie das zu Hause erzählte, niemand würde ihr glauben.

Sie verließen beide das Zimmer und Schnurz wies Sally den Weg zum Versammlungsraum.

Sie durchquerten eine Vielzahl von Räumen, bogen des Öfteren mal links, mal rechts ab und gelangten schließlich zu einer großen, doppelflügeliegen Tür.

Eine große Anzahl von Schnitzereien verzierte sie. Diese waren so lebendig gearbeitet dass Sally jeden Moment erwartete, dass eine der Figuren zu ihr sprechen würde. Und das Wunder geschah. Kaum hatte sie die Hand gehoben, um die Tür zu öffnen, begann eine von ihnen zu sprechen. Es war ein kleines, scheinbar sehr altes Männlein mit einem langen Bart.

“Ich grüße dich, oh große Magierin Sally aus einem fernen Land. Tritt ein, du wirst schon erwartet.”

Mit offen stehendem Mund sah sie zu, wie sich die Tür langsam öffnete und den Blick auf einen hellen Raum freigab, in dessen Mitte an einer großen runden Tafel dreizehn Elfen saßen. Alle wandten sich Sally zu und sie bemerkte, dass zwölf von ihnen schon sehr alt sein mussten. In der dreizehnten Elfe erkannte sie Elmona wieder, die ihr zuwinkte. Ehrfurchtsvoll betrat Sally den Raum und hinter ihr schloss sich leise die Tür.

“Nun komm schon näher, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!”, rief Elmona aufgeregt. “Es gibt Neuigkeiten. Nachdem uns Schnurz den Überfall von gestern Abend gemeldet hatte, ist eine Menge passiert.”

Schnell kam Sally nun näher und setzte sich an den einzigen noch freien Platz.

“Wie gesagt, gleich nachdem Schnurz uns den Überfall gemeldet hatte, begannen wir damit, unsere Schutzeinrichtungen zu überprüfen und mussten feststellen, dass diese an einer Stelle schon fast durchbrochen waren. Dadurch war es Saldera gelungen, einen ihrer Schatten in die inneren Gänge unseres Palastes zu schleusen. Du hattest Glück, dass du nur flüchtig zu dem Schatten geschaut hattest, sonst hätte er Besitz von dir ergriffen. Wir werden dir ein Amulett geben, dass dich innerhalb unserer Mauern gegen diese Art von Zauber schützt”, sagte Elmona.

“Aber ich dachte Schnurz ist mein Beschützer?”

Bei diesen Worten zeigte sie auf die kleine Maus, die sich plötzlich in die Tasche zurückgezogen hatte.

“So, hat er dir das erzählt?”, fragte Elmona drohend. “Schnurz hat da wohl ein bisschen übertrieben. Sicher haben die Beschützermäuse die Gabe, die Schatten Salderas frühzeitig zu spüren, aber ausrichten können sie gegen sie nichts. Dieses Amulett hingegen schützt dich gegen den Zauber.”

Elmona reichte ihr ein silbernes Amulett mit einer feinen silbernen Kette. Vorsichtig griff Sally nach dem Amulett, jeden Moment darauf gefasst, dass irgendetwas passiert wenn sie es berührt, etwa ein Funke überspringt oder ähnliches, aber nichts dergleichen geschah. Es war ein schönes Amulett mit fremdartigen Zeichen, die sich nicht mit einem Blick auffangen ließen. Sie schienen in ständiger Bewegung zu sein. Vorsichtig legte sie sich das Amulett um den Hals.

“Du musst nicht so ängstlich damit sein, die Kette kann nicht reißen. Es kann dir auch niemand wegnehmen. Nur du selbst kannst es aus freien Stücken wieder abnehmen. So schützt es dich in jeder Gefahr.”

Die Alte von gestern Abend hatte diese Worte gesprochen und nickte ihr aufmunternd zu.

“Ich bin Montanella, die Vorsitzende des großen Rates. Wir haben dieses Amulett eigens für dich angefertigt, da du mit den Gefahren auf unserer Welt noch nicht so vertraut zu sein scheinst. Aber nun lasst uns endlich anfangen, es stehen ernste Punkte auf der Tagesordnung.”

Nun war es wieder Elmona, die das Wort ergriff:

“Wie ihr alle wisst, sagt die alte Prophezeiung, dass eines Tages eine große Magierin erscheinen wird, mächtiger noch als Saldera, um das Land der Elfen von dem bösen Treiben zu befreien. Sally hat es geschafft, mit bloßer Kraft der Gedanken von ihrer Welt zu unserer zu gelangen. Wer, wenn nicht eine große Magierin, wäre dazu in der Lage. Nicht einmal die böse Saldera beherrscht diesen Zauber. Ich glaube, wir alle können hoffen, dass nun endlich die Zeiten der Angst und des Schreckens vorbei sind.”

Alle Elfen, rund um den Tisch, nickten zustimmend mit dem Kopf. Sally wurde ganz mulmig zumute.

“Aber ihr wisst doch gar nichts über mich. Ich weiß ja selber nicht, wie ich hier hergekommen bin.”

“Seht ihr, ich habe es euch gesagt, die Prophezeiung wird sich erfüllen. Es steht geschrieben, dass eines Tages eine mächtige Magierin erscheinen wird, nichts ahnend von ihren eigenen Fähigkeiten und dass Land von allem Bösen befreit. Diese Magierin kann nur Sally sein.”

Mit diesen leidenschaftlichen Worten zeigte Elmona auf Sally.

“Ich möchte euch ja gerne weiterhelfen, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich die bin, auf die ihr so lange gewartet habt. Im Grunde bin ich doch nur ein einfaches Mädchen. Wenn ich wüsste wie, würde ich so schnell wie möglich versuchen wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht könnt ihr mir ja dabei helfen?”

Hoffnungsvoll blickte Sally in die Runde. Ihr Gegenüber, eine kleine langhaarige Elfe ergriff das Wort.

“Die Einzige, die dir helfen kann, wieder nach Hause zu gelangen wurde schon vor langer Zeit von Saldera entführt und mit einem Zauber belegt. Nur wenn es uns gelingt, Saldera zu bezwingen, hast du eine Chance wieder nach Hause zu gelangen.”

Tränen standen in Sallys Augen. Wie sollte sie denn gegen eine böse Zauberin ankommen? Schon der Gedanke an den Zahnarzt trieb ihr Schweißperlen auf die Stirn und nun sollte sie gegen ein Wesen kämpfen, dass ihr weit überlegen war und sie wahrscheinlich mit einem Handstreich vernichten konnte.

Aber es war die einzige Hoffnung, wieder nach Hause zu gelangen. Somit willigte sie ein:

“Also gut, ich bin zwar keine große Magierin, wie ihr immer behauptet, aber ich will euch gerne bei eurem Kampf gegen Saldera helfen.”

Zufrieden nickte ihr Montanella zu.

“Wir sollten uns nun die weitere Vorgehensweise überlegen”, sagte sie. “Saldera schöpft ihre Kraft aus den Seelen derer, die sie verhext hat und in ihren dunklen Verliesen gefangen hält. Irgendwie müssen wir versuchen, diese Gefangenen zu befreien. Das Problem daran ist nur, dass sie die Anwesenheit von Elfen schon mehrere Meilen entfernt spürt. Hier bist du unsere Hoffung. Du hast schon einmal ihre Helfer überrascht, es sollte dir noch einmal gelingen. Mit deiner Hilfe können wir in den Palast kommen um die Seelen der Gefangenen zu befreien.”

Der Gedanke daran, in Salderas Schloss eindringen zu müssen, brachte Sallys Herz zum rasen. Ein dicker Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet und sie brachte kein Wort hervor. Die anderen sahen dies als Zustimmung.

“So sei es denn”, sprach Elmona. “Ziofotta wird dich bis zum Tal der verlorenen Seelen begleiten. Von da an wirst du auf dich allein gestellt sein. Ihr werdet noch heute aufbrechen.”

Elmona hatte mit so einer Bestimmtheit gesprochen, dass Sally gar nicht wagte, zu widersprechen. Die Ratsmitglieder erhoben sich und strömten der Ausgangstür zu. Nur Elmona und Montanella blieben zurück.

“Wir werden dich natürlich noch mit dem Notwendigsten ausstatten, aber helfen werden wir dir nicht können. Du hast ja erlebt, wie Saldera auf mich Jagd gemacht macht. Sie würde uns sehr schnell aufspüren und vernichten. Dann wäre alles umsonst gewesen.”

Sie verließ den Raum, um wenig später mit allerlei merkwürdigen Dingen wiederzukommen.

“Ich habe dir hier einige Sachen mitgebracht, die du sicher gut gebrauchen kannst.”

Elmona legte ein Sammelsurium von Dingen auf den runden Tisch.

“Da wäre zunächst einmal diese Schachtel. Gib gut auf sie Acht, denn sie versorgt dich ständig mit Essen. Solltest du sie verlieren, würdest du Gefahr laufen zu verhungern, denn es gibt eine Vielzahl von Pflanzen die giftig, den Essbaren aber täuschend ähnlich sind. Dann dieser Kristall, wenn du einmal nicht mehr weißt wo du bist, nimm ihn in deine rechte Hand, schließe die Augen und stell dir vor, er wäre ein Fenster, durch das du schaust. Du wirst dich dann selber aus einer Vogelperspektive sehen und den gewünschten Weg finden.

Als weiteres habe ich hier diese Garnrolle. So unscheinbar sie auch wirkt, sie besteht aus einem Material, das selbst mein lieber Drache nicht zerreißen könnte. Solltest du einmal etwas brauchen, um dich abzuseilen, benutze das Garn, es wird dir sicheren Halt geben.

Dann haben wir hier noch diese zwei Stäbe der Feuerpflanze. Reibst du sie aneinander, wird die Reibestelle glühend heiß und du kannst dir damit ein Feuer machen.

Und dann haben wir da noch diese kleine Holzpfeife. Pfeifst du hinein, wird es mein Drache hören und zu dir kommen. Der Ton ist für uns kaum hörbar, wird aber von Drachen über große Entfernungen hin wahrgenommen.”

Staunend betrachtete Sally die Sachen, die da vor ihr ausgebreitet lagen.

“Ich habe noch nie so wundersame Sachen gesehen”, antwortete Sally und nahm den Kristall in die Hand um ihn von allen Seiten zu betrachten. Er schillerte in allen Farben des Regenbogens und tief in seinem Innern glomm ein schwaches Fünkchen. Sally schloss die Hand um den Kristall und spürte eine leichte Wärme. Das Fünkchen schwoll an zu einem leichten Glimmen. Dann schloss Sally die Augen und konzentrierte sich auf den Stein. Das Glimmen verstärkte sich zu einem Leuchten und die Wärme in Ihrer Hand nahm spürbar zu. Erste Umrisse ließen sich erahnen. Erst Schatten, dann deutlicher werdend der Palast Elmonas. Das Licht im Innern des Kristalls begann zu pulsieren. Gleichzeitig veränderte sich das Bild vor Sallys innerem Auge. Der Palast wurde immer kleiner und sie bewegte sich in einem rasenden Tempo über Wiesen und Wälder hinweg, überquerte mühelos Schluchten und Berge, bis schließlich in der Ferne ein anderer Palast auftauchte. Es war ein großer Palast mit zwölf kleinen Türmen, die sechseckige spitze Dächer hatten und einem großen dreizehnten Turm in der Mitte des Palastes, auf dessen Dach sich ein riesiger Kristall befand, der ebenfalls in einem hellen Licht pulsierte.

Dann wurde der Blick auf einen Balkon frei, auf dem eine Person in schwarzem Umhang stand. Sie starrte Sally entgegen, die Hände in Richtung des großen Kristalls gerichtet. Sally war jetzt ganz dicht an der Person dran und starrte in hasserfüllte Augen. Plötzlich drangen Worte zu ihr durch, leise aber deutlich wahrnehmbar.

“Du hast dich gegen mich erhoben, dafür wirst du büßen! Ich werde dich zermalmen wie ein Gerstenkorn und deine Seele wird meine Kraft ins Unermessliche steigen lassen. Es gibt keinen Ort, an dem du dich verstecken kannst, ich werde dich überall finden. Reich mir deine Hand und ich werde deine Qualen verkürzen.”

Gehorsam streckte Sally langsam die Hände in Richtung der bösen Saldera aus.

Dann wurde sie wie in einer Achterbahn durchgerüttelt und öffnete erschrocken die Augen.

“Mach die Augen auf! Komm zurück! Du darfst ihr nicht gehorchen!”

Das Bild der Saldera war verschwunden und vor ihr stand Elmona und rüttelte sie an den Schultern.

“Das war knapp!”, sagte Elmona mit schreckgeweiteten Augen. “Ich glaubte schon, wir hätten dich verloren. Was ist nur passiert? Was hast du gesehen?”

“Ich habe erst deinen Palast aus großer Höhe gesehen und bin dann über die Ebene geflogen, über Wälder und Flüsse, bis ich schließlich zu einem großen Schloss kam. Dort hat eine schwarz gekleidete Person versucht, mich zu sich zu holen.”

“Aber das ist unmöglich! Das ist vorher noch nie jemandem gelungen. Noch nie ist es jemandem gelungen, mit Hilfe des Steines durch die Gegend zu reisen, geschweige denn die Gespräche anderer zu hören.”

Fassungslos starrte Elmona sie an.

“Aber sie hat ja gar nicht zu mir gesprochen. Ich meine, sie hat nicht wirklich ihren Mund bewegt, ich habe ihre Stimme direkt in mir gehört.”

“Dann musst du eine besondere Gabe haben, eine Gabe, die sonst niemand hier hat. Das macht es aber auch für dich besonders gefährlich. Du solltest die dir anvertrauten Gegenstände so wenig wie möglich benutzen. Augenscheinlich ziehst du die Aufmerksamkeit Salderas an, wenn du dich der Zauber bedienst.”

“Aber wenn sie mich überall ausfindig machen kann, wie soll ich mich ihr dann unbemerkt nähern?”

Resignierend ließ Sally die Schultern hängen, den Tränen nah.

“Ein Nachteil kann sich durchaus zum Vorteil wandeln, wenn man es versteht, richtig damit umzugehen” antwortete Elmona.

“Ich verstehe nicht, was du damit meinst”, sagte Sally immer noch zweifelnd, ob sie es jemals schaffen würde, Saldera zu besiegen.

“Nun, wenn du lernst, den Kristall richtig zu benutzen, könntest du Saldera irreführen. Du könntest ihr vorspielen, dass du dich aus einer ganz anderen Richtung näherst, solltest dich aber niemals zu dicht an sie heranwagen, sondern immer rechtzeitig den Kontakt abbrechen. So wird sie ihre Kraft an der falschen Stelle konzentrieren und dir wird es leichter fallen, in ihr Schloss einzudringen.”

Hoffnung machte sich in Sally breit.

“Und du meinst, dass es klappen könnte?”

“Warum nicht? Einen Versuch wäre es allemal wert. Sollte es nicht klappen, kannst du immer noch auf den Gebrauch des Kristalls verzichten.”

“Also gut, ich werde es probieren, aber ich brauche deine Hilfe. Ich muss ein bisschen üben, um mich an den Gebrauch des Kristalls zu gewöhnen und du solltest bei mir sein, um mich rechtzeitig zurückzuholen, falls irgendetwas schief geht.”

So übte Sally zusammen mit Elmona den ganzen Vormittag über den Gebrauch des Kristalls.

Mal besuchte sie die Köchin und schaute ihr beim Mittagessen bereiten zu, dann wieder schmuggelte sie sich zwischen Elmonas Leibwache und stiftete Verwirrung, indem sie ihnen unverständliche Worte zuflüsterte. Sie versuchte in den Wald der Träumenden einzudringen, kam aber nie mehr als einen halben Meter bis an ihn heran. Schließlich war es soweit.

“Du solltest nun aufbrechen, nachdem du so viel Verwirrung unter meinem Volk gestiftet hast.”

“Entschuldige bitte, aber die Versuchung war einfach zu groß. Ich hoffe es ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.”

“Mach dir darüber mal keine Gedanken”, antwortete Elmona. “Schließlich ist es für einen guten Zweck und niemand wird es dir übel nehmen.”

Ziofotta betrat den Raum und half Sally, alle Sachen in einen kleinen Rucksack zu verstauen, den sie sich auf den Rücken schnallte, Dann prüfte sie noch einmal den Gurt, der Schnurz als Reisegelegenheit diente und verabschiedete sich von Elmona und Montanella.

Die kleine Gesellschaft begann ihre Reise in das Ungewisse, mit dem einen Ziel, der Vernichtung Salderas und der Befreiung der gefangenen Seelen.

Sally - Magierin wider Willen

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