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Der Aufbruch

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Elmonas Untertanen hatten sich im Hof des Palastes eingefunden und bildeten ein Spalier, das sie bis an den Rand des Waldes der Träumenden führte. Als sie sich im näherten, begann sich wie schon einmal auf unheimliche Weise ein Gang zu bilden, um die drei hindurch zu lassen. Kaum waren sie ein paar Meter gegangen, da schloss sich auch schon wieder hinter ihnen der Wald und als sich Sally umblickte, waren sie allein inmitten des Waldes voller fremdartiger Geräusche und dem Gestöhne der verlorenen Seelen.

Ohne miteinander zu reden, schritten sie schneller aus, um den Wald schon bald hinter sich zu bringen. Schließlich wurde es vorne hell und Sally, Ziofotta und Schnurz kamen aus dem Wald heraus. Da waren sie nun, ganz allein, ohne den Schutz des Waldes und der Zauberkraft Elmonas.

“Wir sollten uns beeilen, von hier wegzukommen”, sagte Ziofotta. “Salderas Spitzel können hier überall auf uns lauern. Sie streifen ständig um den Wald herum, nur um eine Gelegenheit zu finden, in ihn einzudringen.”

Sally nickte zustimmend. “Ja, du hast Recht. Lass uns in die Richtung des großen Baumes dort gehen. Wenn ich mich richtig an meine letzte Begegnung erinnere, dann bin ich in die entgegengesetzte Richtung auf direktem Wege zu Saldera geflogen. Sie wird uns also von dort erwarten. Wir sollten diesen Umweg einschlagen, dann wird sie uns nicht so schnell entdecken.”

“Das könnte klappen”, stimmte Ziofotta zu.

“Man könnte meinen, du machst so etwas öfter”, bemerkte sie in einem sonderbar fragenden Tonfall.

“Es wäre schön, wenn ihr eure Unterhaltung woanders fortführen könntet, ich spüre nämlich, dass sich aus südlicher Richtung etwas Unangenehmes nähert, dem ihr bestimmt nicht begegnen wollt.”

Fragend schaute Schnurz die beiden Mädchen an. Schnell schlugen sie die Richtung ein, die Sally vorgeschlagen hatte und waren dank des hohen Grases, das dort wuchs, schon bald nicht mehr zu sehen. Aus weiter Ferne hörten sie nun ein enttäuschtes Jaulen, das sie bis ins Mark erschüttern ließ.

“Das war knapp”, sagte Ziofotta.

“Weißt du, was das war?”, fragte Sally.

“Das war ein Relux”, antwortete Schnurz. “Hätte er uns erwischt, würde von uns nichts mehr übrig sein.”

“Aber kann er uns denn nicht verfolgen?”

Ängstlich schaute Sally in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

“Das ist unmöglich”, antwortete Schurz. “Sieh nur zur Erde.”

Wie durch ein Wunder waren keine Spuren zu sehen.

“Aber wie ist das möglich?” fragte Sally.

“Bis zu einer Meile um den Wald herum wirkt noch der Zauber Elmonas. Sie hat die Spuren und Gerüche, die wir hinterlassen haben verwischt. Niemand wäre in der Lage, unsere Spuren zu verfolgen. Darum auch das wütende Geheul des Relux”, erklärte Schnurz.

Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort, immer wieder anhaltend, um nach fremdartigen Geräuschen zu lauschen, aber nichts Bösartiges stellte sich ihnen in den Weg.

Nachdem sie zwei Stunden gegangen waren, legten sie eine kurze Rast ein. Sally holte die Schachtel mit den Esswaren hervor und öffnete sie. Sofort stieg ein Duft nach gebratenem Hähnchenfleisch auf. Allen lief das Wasser im Mund zusammen.

Sie breitete ein kleines Tuch aus und verteilte an Ziofotta und Schnurz die leckeren Sachen. Mit großem Hunger aßen sie und Sally musste noch zweimal in die Schachtel greifen, bis endlich alle satt waren.

Dann schüttelte Sally das Tuch aus und verstaute alles wieder sorgfältig im Rucksack. Plötzlich brodelte die Erde, dort, wo sie die Krümel hingeschüttet hatte.

“Schnell weg hier!”

Schnurz‘ Stimme überschlug sich fast, sorgte aber dafür, dass Sally und Ziofotta schnell losrannten. Keine Sekunde zu spät, denn dort, wo sie gerade noch gestanden hatten, bildete sich ein Trichter und verschlang alles in der Nähe Befindliche. Er verschwand genauso schnell, wie er sich gebildet hatte und nichts zeugte mehr von diesem unheimlichen Schauspiel.

“Was war denn das?”, fragte noch immer am ganzen Leib zitternd Ziofotta. “Das waren Kungus, der Mülleimer der Natur. Überall wo Reste übrig bleiben, erscheinen sie und sorgen dafür, dass sie verschwinden. Sie haben nichts mit Saldera zu tun, unterscheiden aber auch nicht zwischen gut und böse. Ihre einzige Aufgabe ist es, für Sauberkeit zusorgen. Ihr solltet das nächste Mal ein bisschen besser aufpassen, wo ihr unsere Essensreste hinschüttet”, sagte Schnurz.

Noch ganz verstört machten sie sich wieder auf den Weg. Nach weiteren drei Stunden Fußmarsch, gelangten sie schließlich an einen kleinen Bach, der ruhig dahinfloss.

“Wir sollten eine kleine Rast einlegen”, schlug Schnurz vor, der sich in seiner kleinen Behausung streckte und reckte. Offensichtlich wollte er sich ein wenig die Pfoten vertreten.

“Oh ja”, sagte auch Sally, “Mir tun schon richtig die Füße weh. So lange Strecken bin ich schon lange nicht mehr gelaufen. Zu Hause fahre ich meistens mit dem Fahrrad oder dem Bus.”

“Fahrrad oder Bus?”, fragte Ziofotta ungläubig, “was ist das?”

Geduldig erklärte Sally was ein Fahrrad und ein Bus ist und Ziofotta hörte zwar aufmerksam zu und nickte hin und wieder, verstand aber offensichtlich nicht so richtig, was Sally meinte, denn sie fragte zum Schluss, wie viel Drachen benötigt werden, um dieses Gefährt zu bewegen.

Wenigstens war ihr klar geworden, dass es sich um ein Fortbewegungsmittel handelt.

Mittlerweile hatte Sally die Schuhe ausgezogen, um ihre Füße ein wenig in dem Wasser des Baches abzukühlen. Gerade als sie die Füße hinein halten wollte rief Schnurz in panischer Angst zu Sally hinauf:

“Nicht das Wasser berühren! Du würdest es nicht überleben!”

Erschrocken zog Sally die Füße zurück.

“Wie meinst du das?”, fragte sie erstaunt.

“Das will ich dir zeigen!”, erwiderte Schnurz und machte sich daran, einen Käfer, der vor ihm über die Erde krabbelte ins Wasser zu befördern. Dieser schien jedoch die Gefahr zu wittern und strampelte wie wild mit seinen sechs Beinen, doch es half nichts. Mit einem kräftigen “Juuuuup” beförderte Schnurz ihn ins Wasser.

Der Käfer hatte kaum die Wasseroberfläche berührt, als auch schon aus allen Richtungen hunderte Tentakel nach ihm griffen und fortzerrten.

“Es ist aber auch wirklich gefährlich hier außerhalb des Schlosses”, bemerkte Ziofotta kopfschüttelnd.

“Es tut mir leid”, sagte Schnurz kleinlaut. “Ich hätte daran denken müssen, euch zu warnen.” Vorsichtshalber setzten sich die drei ein paar Meter weit entfernt vom Wasser in das trockene Gras und nahmen einen kleinen Imbiss zu sich.

“Wir sollten aufbrechen, damit wir heute noch ein gutes Stück weiterkommen”, schlug Sally vor. “Es wird bald dunkel und bis dahin müssen wir einen sicheren Unterschlupf für die Nacht finden.”

“Du hast Recht” pflichtete Ihr Schnurz bei. “Die Nächte können ungemütlich werden, wenn man auf offener Flur übernachten muss. Es treibt sich so einiges Getier unter dem offenen Nachthimmel herum.”

Schnell packten sie ihre Sachen zusammen und mit Bedacht schüttete Sally die letzten Krümel ihres Essens ein wenig entfernt auf die Erde und entfernte sich dann schnell. Wie schon zum Mittagsmahl erschienen die Kungus und binnen weniger Sekunden verschwanden die Reste und der Boden war wieder sauber.

“Du lernst schnell”, sagte Schnurz anerkennend.

“Der reinste Selbsterhaltungstrieb”, antwortete Sally.

“Können wir denn nun endlich losmarschieren?”, fragte nun Ziofotta ungeduldig.

Sally streckte ihre Hand aus, um Schnurz raufkrabbeln zu lassen und half ihm vorsichtig in die Tasche. Es war schon ein komisches Gefühl, in der Gesellschaft einer Maus, die noch dazu sprechen kann, durch die Gegend zu ziehen, um einen so mächtigen Feind zu besiegen. Dann gingen sie los, den Bach mit einem großen Satz überwindend.

Fast unmerklich änderte sich das Aussehen der Natur. Die eben noch saftigen grünen Wiesen wichen einer Landschaft mit dornigen Sträuchern und erste kleine Hügel wurden sichtbar. Immer wieder mussten sie den Sträuchern ausweichen und wenn sie nicht aufpassten, holten sie sich blutige Kratzer. Hier und da raschelte es im Gebüsch und sie konnten kleine fellbehaarte Körper ausmachen, die es sehr eilig hatten, aus dem Sichtfeld der kleinen Gruppe zu verschwinden.

“Was sind das für Tiere, die da vor uns flüchten?”, fragte Sally.

“Es sind entfernte Verwandte von mir”, antwortete Schnurz. “Allerdings sind sie sehr scheu, sie mögen keine Fremden. Saldera hat sie eingeschüchtert und ihnen befohlen, jeden Fremden zu melden, der ihnen in den Weg kommt.” “Aber dann sind wir ja verloren!”, rief Ziofotta erschrocken aus.

“Macht euch keine Sorgen”, beschwichtigte Schnurz. “Sie haben einen Ausweg gefunden, wie sie niemanden verraten müssen. Salderas Zauber besagt, dass sie jeden Fremden verraten müssen, der ihnen zu Gesicht kommt. Das ist aber auch der Grund, warum sie alle vor uns fliehen. Sie vermeiden es absichtlich, uns anzusehen. Es hat sich bei ihnen rumgesprochen, dass wir unterwegs sind, um gegen Saldera zu kämpfen. Sie hoffen, dass wir den bösen Zauber, der über sie gekommen ist endlich brechen und sie wieder ihre angeborene Freundlichkeit zeigen können. Wir sollten also versuchen, uns immer schön vorsichtig zu bewegen und ihnen Zeit lassen, sich zu verstecken.”

“Wir könnten ja ein kleines Lied singen. Zum einen würde die Zeit schneller vergehen und zum andern würden deine Verwandten uns schon von weitem hören und könnten sich dann schnell verstecken.”

“Oh, dass ist eine großartige Idee, wir würden keine hundert Meter weit kommen ohne dass uns die Häscher Salderas entdecken würden. Siehst du diesen gelb-braun gescheckten Strauch?”, fragte Schnurz.

“Meinst du den mit den schönen hellblauen Trichterblüten dort drüben?”

Sally zeigte auf einen Strauch, der sich ungefähr zehn Meter voraus befand. “Genau den”, antwortete Schnurz. “Und wenn du noch ein bisschen lauter sprichst, muss ich dir auch gar nicht erst erklären, wozu diese Trichterblüten da sind.”

Schnippisch schaute Schnurz zu Sally auf. “Diese Trichterblüten dienen Saldera als vorgelagertes Ohr. Wann immer fremde Geräusche auftauchen, schlagen sie Alarm. Wir wären dann unweigerlich verloren.”

Sally schaute sich nun etwas genauer um und entdeckte in regelmäßigen Abständen weitere dieser Trichterbüsche. Leise bewegten sie sich zwischen ihnen hindurch. Dann hörten sie abrupt auf. und machten einem steinigen Untergrund platz. Sie hatten die ersten Ausläufer der Berge erreicht. Die Sonne stand nun schon ziemlich tief.

“Wir sollten uns nach einem Unterschlupf umschauen”, sagte Schnurz. “Es wird gleich dunkel.”

“Seht mal dort drüben!”

Ziofotta zeigte schräg nach vorne auf einen Spalt. Als sie sich ihm näherten, stellten sie fest, dass er gerade mal groß genug war, dass man sich hindurchzwängen konnte.

“Wenn wir Glück haben, befindet sich eine Höhle hinter diesem Spalt.” Mit diesen Worten wollte Sally sich schon einmal durch den Spalt zwängen, um nachzuschauen, was sich dahinter befand.

“Du hast Recht”, sagte Schnurz, “mit ein bisschen mehr Glück läufst du auch gleich einem Bokra in die Arme und bereicherst ihn um ein Abendessen.”

“Entschuldige, ich habe nicht daran gedacht. Es fällt mir einfach unheimlich schwer, ständig darauf gefasst zu sein, hinter jeder Ecke in eine Falle zu laufen. Wo ich herkomme, brauche ich mich um so etwas nicht zu kümmern. Dort gibt es solche Gefahren nicht.”

“Das muss ein bemerkenswerter Ort sein”, seufzte Schnurz.

“Oh, ich glaube nicht, dass dir dieser Ort gefallen würde”, sagte Sally.

“Aber warum denn nicht?”, fragte Schnurz erstaunt.

“Naja, nicht jeder in meiner Welt ist so freundlich zu Mäusen. Um ehrlich zu sein, die meisten versuchen sogar, sie auszurotten. Außerdem können die Mäuse bei uns nicht sprechen und sind noch ganz anderen Gefahren ausgesetzt. Ständig müssen sie auf der Hut sein, nicht von einer Katze, einer Eule oder einer Schlange gefressen zu werden.”

Fassungslos starrte Schnurz Sally an. “Aber dass kann doch nicht wahr sein! Wisst ihr denn nicht, was für ein liebenswürdiges Volk die Mäuse sind?”

“Könnt ihr euren Streit nicht später fortführen?”, drängte Ziofotta. “Man kann ja kaum noch die Hand vor Augen erkennen.”

Sally - Magierin wider Willen

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