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4. Kapitel

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Der Polizist, der an der Bennet Street Ecke Hyde Lane stand, hatte sein Reich für sich allein. Es war gegen drei Uhr an einem trüben Frühlingsmorgen; kein Lüftchen wehte, und es war unangenehm schwül. Irgendwo im Süden Londons entlud sich ein Gewitter; man hörte den Donner in unregelmäßigen Zwischenräumen grollen. Gute und Böse in Mayfair schliefen – mit Ausnahme von Mr. I. G. Reeder, dem Hüter des Gesetzes und dem Schrecken der Verbrecher. Der Schutzmann Dyer sah das gelbe Licht hinter dem Schiebefenster und lächelte wohlwollend.

Die Nacht war so still, daß er bei dem Geräusch eines Schlüssels in einem Türschloß über seine Schulter blickte, weil er glaubte, es käme von dem Hause direkt hinter ihm. Aber diese Tür blieb verschlossen. Dagegen sah er aber eine Frauengestalt auf der obersten Stufe des Treppenabsatzes fünf Häuser weiter weg erscheinen. Sie war spärlich bekleidet.

»Schutzmann!«

Die Stimme klang leise, gebildet und sehr dringlich. Er ging schneller auf sie zu, als man dies im allgemeinen von Polizisten gewöhnt ist.

»Irgend etwas nicht in Ordnung, Miß?«

Ihr Gesicht, er war erfahren genug in diesen Dingen, war »zurechtgemacht«; die Wangen waren stark geschminkt und die Lippen für jemand, der sich fürchtete, – überraschend rot. Er nahm an, daß sie unter normalen Verhältnissen hübsch war, konnte sich aber über ihr Alter kein Urteil bilden. Sie trug einen langen, schwarzen Schlafrock, der bis zum Kinn hinauf geschlossen war. Außerdem bemerkte er, daß die Hand, die sich am Treppengeländer festhielt, im Lichte der Straßenlampen funkelte.

»Ich weiß nicht... genau. Ich bin allein im Haus, und mir war, als... hätte ich etwas gehört.«

Drei Worte in einem Atem. Augenscheinlich war sie in großer Angst.

»Haben Sie keine Dienstboten im Hause?«

Der Schutzmann war überrascht und ein wenig unruhig.

»Nein. Ich bin erst gegen Mitternacht von Paris zurückgekommen – wir haben das Haus möbliert gemietet – und ich befürchte, die Dienstboten haben sich im Datum meiner Rückkehr geirrt. Ich bin Mrs. Granville Fornese.«

Er entsann sich dunkel dieses Namens, er mußte ihn irgendwann schon mal gehört haben – er klang vornehm, wie der Name einer hochstehenden Persönlichkeit. Und Bennet Street war eine Gegend wo »solche« Leute wohnten.

Der Polizist starrte forschend in den dunklen Vorraum.

»Wenn Sie Licht machen wollten, Madam, will ich mal nachsehen.«

Sie schüttelte den Kopf; er fühlte beinahe, wie sie zitterte.

»Das Licht ist nicht in Ordnung... und das hat mich ja so entsetzt. Als ich um ein Uhr zu Bett ging, funktionierte die Beleuchtung noch. Irgend etwas weckte mich auf... ich weiß nicht, was es war... ich schalte die Lampe auf meinem Nachttisch ein... und sie brennt nicht. Ich hatte in meiner Handtasche eine kleine Taschenlampe... die fand ich glücklicherweise und machte Licht.«

Sie hielt inne und zeigte ihre Zähne in einem gezwungenen Lächeln. Dyer sah, wie ihre dunklen Augen ins Leere starrten.

»Ich sah... ich weiß nicht, was es war... einen schwarzen Schatten, wie wenn jemand an der Wand entlang kroch. Auf einmal war er verschwunden... Und die Tür von meinem Zimmer stand weit offen... Und ich hatte sie doch zugemacht und abgeschlossen, als ich zu Bett ging.«

Der Schutzmann öffnete die Tür ganz weit und ließ den Schein seiner Lampe in den Gang fallen. An der Wand stand ein kleines Tischchen und auf diesem ein Tischtelephon. Er trat in die Halle und nahm den Hörer auf. Der Apparat funktionierte nicht.

»Ist das...«

Er hielt plötzlich inne und lauschte.

Irgendwo über sich hörte er ein schwaches aber anhaltendes Geräusch – das Knacken einer lockeren Diele. Mrs. Fornese stand immer noch in der offenen Tür, und er ging zu ihr zurück.

»Haben Sie einen Schlüssel für die Haustür?« fragte er, aber sie schüttelte ihren Kopf.

Er fühlte an der Innenseite des Schlosses, fand die Riegelsicherung und schob diese hoch.

»Ich muß von irgendwo anders telephonieren. Es ist besser, Sie ...«

Was war das Beste für sie? ... Er war ein einfacher Schutzmann und stand einer heiklen Situation gegenüber.

»Können Sie nicht einstweilen woanders hingehen ... zu Bekannten?«

»Nein,« sagte sie entschieden und fügte dann hinzu: »Wohnt denn nicht Mr. Reeder gegenüber? Irgendwer hat mir erzählt ...«

Im Hause auf der anderen Seite der Straße brannte Licht. Mr. Dyer sah unsicher nach dem erleuchteten Fenster. Es war allgemein bekannt, daß dort die elegante Wohnung eines Mannes war, der im Rang über dem Polizeioberst stand. Bennet Street Nr. 7 war vor kurzem in einzelne Wohnungen aufgeteilt worden, und in eine von ihnen war Mr. Reeder aus seiner Wohnung in der Vorstadt gezogen. Warum er gerade in dieser vornehmen und eleganten Gegend gemietet hatte, wußte kein Mensch. Die Verbrecherwelt hielt ihn für fabelhaft reich; zweifellos lebte er in guten Verhältnissen.

Der Schutzmann zögerte, suchte dann in seinen Taschen das kleinste Geldstück des Königreiches, ging über die Straße und warf den halben Penny gegen das Fenster – die Dame war in der Türschwelle stehen geblieben. Eine Sekunde später öffnete sich das Fenster.

»Entschuldigen Sie, Mr. Reeder, könnte ich Sie mal einen Augenblick sprechen?«

Der Kopf und die Schultern des Mannes verschwanden, und in sehr kurzer Zeit erschien Mr. Reeder in der Tür. Er war so vollständig angezogen, daß man glauben konnte, er hätte diese Aufforderung erwartet. Der Gehrock war fest zugeknöpft, der Hut saß auf seinem Hinterkopf und auf seiner Nase balancierte der Kneifer, durch den er niemals blickte.

»Irgend etwas nicht in Ordnung, Schutzmann?« fragte er freundlich.

»Könnte ich mal Ihr Telephon benutzen?... Da drüben wohnt eine Dame – Mrs. Fornese... sie ist ganz allein... hat jemand im Hause gehört... ich auch...«

Er hörte einen kurzen Schrei... einen Krach und fuhr herum. Die Tür von Nr. 4 war geschlossen und Mrs. Fornese verschwunden.

In sechs Sprüngen war Mr. Reeder über die Straße und an der Tür. Er bückte sich, drückte die Klappe des Briefkastens zurück und lauschte. Kein Geräusch als das Ticken einer Uhr... ein schwacher, seufzender Ton.

»Hm!« Mr. Reeder kratzte nachdenklich seine lange Nase. »Hm... wollen Sie mir, bitte, diese ganzen... hm... Vorgänge noch einmal erzählen?«

Der Beamte wiederholte die Geschichte mehr zusammenhängend.

»Sie sperrten das Schloß, damit es nicht zuschnappen konnte? Sehr vernünftig!« Mr. Reeder runzelte die Stirn. Ohne ein weiteres Wort ging er über die Straße und verschwand in seiner Wohnung. An der Rückwand seines Schreibtisches war ein kleines Fach, das er aufschloß. Er nahm einen ledernen Werkzeugbehälter heraus, rollte ihn auf, suchte drei kleine merkwürdige Stahlinstrumente, die beinahe wie kleine Haken aussahen, heraus, setzte einen in den hölzernen Griff und ging zu dem Schutzmann zurück.

»Ich fürchte, das ist... ich will nicht sagen ›gesetzwidrig‹, denn ein Mann in meiner Stellung ist nicht imstande, eine gesetzwidrige Handlung zu begehen... wollen wir sagen ›ungebräuchlich‹?«

Während der ganzen Zeit, in der er in leiser und wie um Verzeihung heischender Weise sprach, arbeitete er an dem Schloß herum, indem er das Instrument bald in dieser, bald in jener Richtung drehte. Endlich faßte der Haken, mit einem kleinen »Schnapp« drehte sich das Schloß, und Mr. Reeder stieß die Tür auf.

Er nahm die elektrische Taschenlampe ans der Hand des Polizisten und ließ einen weiten Lichtkreis durch die Vorhalle schweifen. Nichts rührte sich. Er leuchtete nach der Treppe und lauschte, mit gesenktem Haupte. Er vernahm keinen Laut und ging geräuschlos weiter in die Halle hinein.

Der Gang führte an dem Fuß der Treppe vorbei und endigte an einer Tür, die wahrscheinlich zu den Dienstbotenräumen im Hause führte. Zum Erstaunen des Schutzmanns war es diese Tür, die Mr. Reeder zuerst untersuchte. Er drehte den Türknopf, aber die Tür öffnete sich nicht; dann beugte er sich nieder und schielte durch das Schlüsselloch.

»Es war jemand... oben,« begann der Schutzmann mit achtungsvollem Zögern.

»Es war jemand oben,« wiederholte Mr. Reeder abwesend. »Sie hörten eine Diele knacken, glaube ich.«

Er ging langsam nach dem Fuß der Treppe zurück und blickte hinauf. Dann leuchtete er mit seiner Lampe auf den Fußboden der Vorhalle.

»Keine Sägespäne,« sagte er zu sich selbst, »das kann es also nicht sein.«

»Soll ich nach oben gehen, Sir?« fragte Dyer und hatte seinen Fuß schon auf der untersten Treppenstufe, als Mr. Reeder ihn mit einer Kraft, die man in einem so müde aussehenden Manne nicht vermutete, zurückriß.

»Lieber nicht, mein Freund,« sagte er fest. »Wenn die Dame oben ist, muß sie unsere Stimmen gehört haben. Sie ist aber nicht oben.«

»Denken Sie, daß sie vielleicht in der Küche ist?« fragte der verdutzte Polizist.

Mr. Reeder schüttelte traurig den Kopf.

»Leider versäumen unsere modernen Frauen ihre Zeit nicht in der Küche!« sagte er, und stieß einen ungeduldigen, glucksenden Laut aus, ob als Protest gegen das Seltenwerden der häuslichen Tugenden der heutigen Frauen, oder ob das ›tschk'd‹ einen anderen Grund hatte, war schwer zu sagen. Er war von seinen Gedanken völlig in Anspruch genommen.

Er leuchtete wieder nach der Tür.

»Das dachte ich,« sagte er, und seine Stimme klang erleichtert. »Da stehen zwei Spazierstöcke in dem Garderobenständer. Wollen Sie mir mal einen geben, Schutzmann?«

Der Beamte gehorchte verwundert und brachte Mr. Reeder einen langen Stock aus Kirschbaumholz mit gebogener Krücke, den er im Lichte der Lampe untersuchte.

»Verstaubt und von dem früheren Bewohner zurückgelassen. Die Spitze anstelle einer Zwinge beweist, daß er in der Schweiz gekauft wurde. Wahrscheinlich haben Sie kein Interesse für Detektivgeschichten und haben niemals von dem Manne gelesen, dessen Methode ich hier nachmache?«

»Nein, Sir,« erwiderte Dyer, der nichts von alledem begriff.

Mr. Reeder untersuchte den Stock noch einmal.

»Es ist jammerschade, daß es keine Angelrute ist,« sagte er. »Bleiben Sie hier stehen und rühren Sie sich nicht.«

Dann kroch er langsam auf den Knien die Treppe hinauf und fuchtelte dabei mit seinem Stock in der lächerlichsten Art und Weise hin und her. Er hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Höhe und schlug beim Hinaufkriechen gegen unsichtbare Hindernisse. Er kroch höher und höher, und sein Schattenbild zeichnete sich scharf gegen den Schein der Lampe in seinen Händen ab. Der Schutzmann Dyer sah ihm mit offenem Munde zu.

»Könnte ich denn nicht ...«

Weiter kam er nicht. Eine ohrenbetäubende Explosion erfolgte. Die Luft war plötzlich mit Rauch- und Staubwolken angefüllt; er hörte das Krachen von Holz, und der beißende Geruch von etwas Brennendem kam zu ihm. Verwirrt und unfähig, sich zu bewegen, starrte er Mr. Reeder an, der auf einer Stufe saß und kleine Holzsplitter von seinem Rock absuchte.

»Ich glaube, Sie können jetzt ohne jede Gefahr heraufkommen,« sagte Mr. Reeder sehr ruhig.

»Was ... was war das?« stotterte der Schutzmann.

Der geschworene Feind aller Verbrecher staubte zärtlich seinen Hut ab, was aber Dyer nicht sehen konnte.

»Sie können heraufkommen.«

Mr. Dyer lief die Treppe hinauf und folgte dem anderen über den breiten Treppenflur, bis dieser stehenblieb und im Scheine der Lampe einen merkwürdig aussehenden und allem Anschein nach selbstangefertigten Selbstschuß betrachtete, dessen Mündung so durch das Treppengeländer gerichtet war, daß sie die Treppe deckte, die er heraufgekommen war.

»Quer über die Stufen,« erklärte Mr. Reeder eingehend, »war ein schwarzer Faden gespannt, so daß jeder, der an den Faden rührte oder ihn zerriß, den Selbstschuß zum Entladen bringen mußte.«

»Aber ... aber ... die Dame ...?«

Mr. Reeder hüstelte.

»Ich glaube nicht, daß sie noch im Hause ist,« sagte er in immer gleichem, freundlichem Ton. »Ich nehme vielmehr an, daß sie durch die Hintertür entwischte. Da ist doch ein Wirtschaftseingang, nicht wahr? Sie tut mir eigentlich leid – dieser kleine Zwischenfall ereignete sich zu spät für die Morgenausgaben, und sie wird leider bis zu den ersten Sportberichten warten müssen, bevor sie erfährt, daß ich noch am Leben bin.«

Der Schutzmann atmete tief auf.

»Ich glaube, ich muß das erst mal zu Rapport bringen, Sir.«

»Das glaube ich auch,« seufzte Mr. Reeder. »Und rufen Sie, bitte, Inspektor Simpson an und sagen Sie ihm, er soll hierherkommen, ich möchte ihn gern sprechen.«

Der Beamte zauderte wiederum.

»Halten Sie es nicht für besser, daß wir erst das Haus durchsuchen? ... Vielleicht haben sie die Frau aus dem Wege geschafft.«

Mr. Reeder schüttelte den Kopf.

»Da ist nicht eine einzige Frau aus dem Wege geräumt worden,« sagte er entschieden. »Das Einzige, was wirklich beseitigt worden ist, ist eine der Lieblingstheorien Mr. Simpsons.«

»Aber, Mr. Reeder, warum ist denn diese Dame an die Tür gekommen ...?«

Mr. Reeder tätschelte ihn wohlwollend auf den Arm – wie eine Mutter ihr Kind tätschelt, das eine närrische Frage stellt.

»Die ... hm ... Dame hat eine halbe Stunde an der Tür gestanden,« antwortete er sanft, »eine geschlagene halbe Stunde, mein lieber Freund, und hoffte – wider alle Hoffnung, wie man sich vorstellen kann – daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken würde. Ich habe sie nämlich von einem Zimmer aus beobachtet, das ... hm ... nicht erleuchtet war. Ich habe mich nicht sehen lassen, weil ich den .. hm ... lebhaften Wunsch habe, noch eine Zeitlang am Leben zu bleiben.«

Mit diesen dunklen Worten verschwand Mr. Reeder in seinem Hause.

John Flack

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