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Dick begrüßte seinen Assistenten Steel, der in seiner Wohnung auf ihn wartete, mit einer Frage.

»Wissen Sie etwas über Dora Eltons Verwandte?«

»Nein. Hat die denn überhaupt Verwandte?«

»Vielleicht weiß Slick darüber Bescheid. Ich habe ihn zu sechs Uhr herbestellt. Ist übrigens die Leiche identifiziert worden?«

»Nein. Aber nach den Schuhen und dem Tabaksbeutel zu urteilen, kam der Mann aus dem Ausland, wahrscheinlich aus Südafrika. Vielleicht ist er mit der ›Buluwayo‹ oder der ›Balmoral Castle‹ angekommen. Haben Sie mit dem Bognor-Mann wegen der Diamantenkette gesprochen?«

»Ja, aber er behauptet, er hätte sich mit Elton verkracht und wüßte nicht, was der vorhätte. Eltons Haus wird doch bewacht, nicht wahr? – Gut. Ich glaube nicht, daß vor heute abend um dreiviertel neun etwas geschieht. Um diese Zeit wird die Kette die Curzon Street verlassen, und ich werde ihr persönlich nach ihrem Bestimmungsort folgen, weil mir viel daran liegt, das fünfte Mitglied der Bande kennenzulernen. Vermutlich ist es ein Ausländer. Und dann werde ich Dora Elton endlich haben.«

»Denken Sie nicht, daß es Bunny sein könnte?«

»Der hat wohl Mut, aber doch nicht so viel, daß er mit einer gestohlenen Kette durch London spaziert, die von der gesamten Polizei gesucht wird. Das ist nichts für Bunny. Seine Frau wird es versuchen.« Dick sah auf die Uhr. »Vor einer halben Stunde ist sie angekommen. Ich möchte nur wissen –«

In diesem Augenblick erschien Mr. Slick Smith, wie immer sorgfältig gekleidet, selbstbewußt und sorglos. Steel nickte ihm grinsend zu und verließ das Zimmer.

»Schön, daß Sie kommen«, sagte Dick Shannon. »Sie haben recht behalten – der Schmuck ist weg, und Elton ist in die Geschichte verwickelt.«

Slick zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

»Wirklich? Nicht zu glauben!«

»Lassen Sie Ihre ironischen Bemerkungen. Wissen Sie eigentlich etwas über Mrs. Elton?« fragte Dick und schob ihm die Whiskyflasche zu.

»Eine reizende Dame – entzückende Person! Früher war sie ein braves Mädchen, aber eine schlechte Schauspielerin. Vermutlich hat sie Elton geheiratet, um einen besseren Menschen aus ihm zu machen.«

»Hat sie eine Schwester?« erkundigte sich Dick gespannt.

Slick leerte sein Glas.

»Wenn sie eine hat, möge ihr Gott gnädig sein!« erwiderte er.

Audrey hatte eine Viertelstunde auf dem Victoria- Bahnhof zugebracht und die Anschläge über den Raub der Diamantenkette studiert, während sie vergeblich auf Dora wartete. Schließlich bat sie einen Polizisten um Auskunft und benutzte den von ihm empfohlenen Omnibus, um nach der Curzon Street zu fahren. Ein zierliches Zimmermädchen öffnete ihr.

»Mrs. Elton ist beschäftigt«, sagte sie. »Kommen Sie vielleicht von Seville?«

»Nein, ich komme aus Sussex. Bitte melden Sie Mrs. Elton, daß ihre Schwester hier ist.«

Das Mädchen führte sie in ein kleines Wohnzimmer und ließ sie dort allein. Audrey redete sich ein, daß der Brief, in dem sie Dora ihre bevorstehende Ankunft mitgeteilt hatte, verlorengegangen sein müsse. Die Schwestern standen sich nicht nahe. Dora war vor Jahren zur Bühne gegangen und hatte sich dann kurz vor dem Tod ihrer Mutter »gut« verheiratet. Sie war Audrey stets als hervorragendes Beispiel hingestellt worden, und ihre Mutter hielt sie bis zuletzt für ein Muster von Vollkommenheit, obwohl sie von Dora völlig vernachlässigt wurde.

Die Tür öffnete sich plötzlich, und eine junge Frau trat herein. Sie war größer als Audrey und fast ebenso schön wie diese, nur hatten ihre Haare nicht das strahlende Blond und ihre Augen nicht den freundlich-humorvollen Blick Audreys.

»Aber liebes Kind, wo kommst du denn her?« fragte Dora Elton bestürzt und streifte mit ihrer schlaffen, ringgeschmückten Hand die Wange der Schwester.

»Hast du meinen Brief nicht bekommen?«

»Nein. Du bist aber groß geworden, Kind!«

»Ja, allmählich zähle ich auch zu den Erwachsenen. Ich habe das Haus verkauft.«

Dora sah sie erstaunt an.

»Warum denn?«

»Es gehörte mir ja längst nicht mehr – es war über und über mit Hypotheken belastet.«

»Und nun kommst du hierher? Das ist sehr peinlich. Ich kann dich unmöglich zu mir nehmen.«

»Ach, wenn ich nur einmal acht Tage lang hier schlafen könnte, Dora, bis ich Arbeit gefunden habe.«

Ihre Schwester runzelte die Stirne und ging auf und ab.

»Ich habe Gäste zum Tee«, sagte sie schließlich, »und heute abend ein kleines Diner. Was soll ich mit dir anfangen – in diesem Aufzug? Geh lieber in ein Hotel, schaffe dir elegante Kleider an und komme am Montag wieder.«

»Das würde mehr Geld kosten, als ich besitze«, erwiderte Audrey ruhig.

Dora kniff die Lippen zusammen.

»Wie kannst du einem nur so einfach ins Haus schneien!« rief sie. »Na, warte hier – ich will mit Martin sprechen.«

Audrey hatte sich den Empfang kaum anders vorgestellt. Nach einer Weile kam Dora zurück und zeigte ein erzwungen freundliches Gesicht.

»Martin meint, du solltest hier bleiben«, erklärte sie und führte ihre Schwester zu einem hübschen Fremdenzimmer im zweiten Stock. »Du hast hier in London wohl gar keine Bekannten?« fragte sie, als sie das elektrische Licht andrehte.

»Nein. Aber das ist ja ein entzückendes Zimmer!«

»Ich war vorhin vielleicht etwas abweisend, Liebling«, fuhr Dora fort und legte eine Hand auf Audreys Arm. »Du bist mir doch nicht böse deshalb? Ich bin manchmal so nervös. Und du hast Mutter ja versprochen, für mich zu tun, was du könntest.«

»Du weißt, daß ich mein Versprechen halte«, entgegnete Audrey.

Dora streichelte ihren Arm.

»Unsere Gäste brechen schon auf. Du mußt herunterkommen und Mr. Stanford und Martin kennen lernen.«

Sie verließ ihre Schwester und ging in den Salon zurück.

»Es wäre vielleicht doch besser, sie in ein Hotel zu schicken«, meinte ihr Mann.

Dora lachte.

»Ihr beide habt euch nun schon den ganzen Nachmittag den Kopf zerbrochen, wie wir das Ding zu Pierre hinschaffen könnten. Keiner von euch wollte sich der Gefahr aussetzen, mit der Diamantenkette der Königin von Griechenland abgefaßt zu werden –«

»Nicht so laut!« brummte Elton zwischen den Zähnen.

»Hör zu!« rief Big Bill Stanford. »Ich kann mir denken, was du sagen willst, Dora. Wer soll die Kette hinbringen?«

»Wer? Natürlich meine kleine Schwester!« erwiderte Mrs. Elton kühl.

Edgar Wallace - Gesammelte Werke

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