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Es war neu für Andrew Macleod, vor einem Gericht zu stehen und mit vollem Bewußtsein einen Meineid zu leisten. Er konnte kaum glauben, daß er es selbst war, der so ruhig sprach.

»Ja«, sagte er, »es stimmt. Ich sah, wie sich die Tür von Merrivans Haus öffnete und kurz darauf eine Frau über den Rasen kam.«

»Wann war das?«

»Um elf Uhr. Die Kirchenuhr von Beverley schlug gerade, als sie vorüberging.«

»Haben Sie ihr Gesicht nicht erkennen können?«

»Nein – der Mond war durch Wolken verdeckt.«

Hiermit war die Verhandlung zu Ende, und die Geschworenen zogen sich zurück. Eine halbe Stunde später erschienen sie wieder, und ihr Spruch lautete auf Anklage gegen Albert Selim wegen vorsätzlichen Mordes.

Downer war nicht erschienen, Andy hatte sich vergeblich nach ihm umgesehen, der Journalist saß weder bei den Berichterstattern, noch war er unter den Zuschauern zu sehen.

Andy blieb noch einen Augenblick stehen, um sich mit Mr. Salter und einem Vertreter der Staatsanwaltschaft zu unterhalten, dann ging er zurück. Er ging so langsam, daß Mr. Vetch, der Rechtsanwalt Mr. Merrivans, ihn überholte.

»Es ist reiner Unsinn, daß Mr. Merrivan in den Klauen eines Geldverleihers gewesen sein soll«, erklärte er. »Ich weiß, daß er sehr vermögend war.«

»Hinterließ er ein Testament? Sie haben das in Ihrer Zeugenaussage leider nicht erwähnt«, entgegnete Andy.

»Bis jetzt hat man nichts finden können.« Mr. Vetch schüttelte den Kopf. »Das ganze Vermögen wird in den Besitz Mr. Wilmots übergehen, wenn sich kein näherer Verwandter meldet.«

Andy hätte zu gern erfahren, ob Merrivan wirklich verheiratet gewesen war. Man hatte die Trauungsregister durchsucht, aber man konnte keine Spur davon finden, daß er jemals eine Ehe geschlossen hatte.

»Sie haben Mr. Merrivan einen Kaufmann genannt. Welcher Art waren denn seine Geschäfte?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Über seine geschäftlichen Angelegenheiten sprach er nie. Ich habe seine Vertretung auch erst übernommen, nachdem er sich schon zurückgezogen hatte. Ich glaube aber, daß er früher im Teehandel tätig war.«

»Wie kommen Sie darauf?« fragte Andy schnell.

»Er kannte sich in Teesorten sehr gut aus. Das war wohl das einzige, wofür er sich in seinem Haushalt interessierte. Wenn ich ihn besuchte und mit ihm Tee trank, fragte er mich öfters, wie mir diese oder jene Sorte schmeckte. Er sprach darüber wie ein Weinkenner, der Sie nach Ihrer Meinung über einen alten Wein fragt.«

Sie waren in die Straße nach Beverley Green eingebogen, als sie einen Mann sahen, der in derselben Richtung wie sie ging.

»Ist das nicht der Zeitungsberichterstatter – ein gewisser Downer? Ich sah ihn heute morgen. Ein sehr kluger Kopf«, bemerkte Vetch. »Ich sprach mit ihm über das letzte Urteil des obersten Berufungsgerichtes. Er scheint in juristischen Dingen sehr beschlagen zu sein.«

»Er ist in allen Dingen beschlagen«, erwiderte Andy grimmig. »Hat er Sie nicht über Mr. Merrivans Privatangelegenheiten ausgefragt?«

»Er hätte keine Antwort bekommen. Dazu bin ich denn doch ein zu alter, ausgepichter Rechtsanwalt, um mit solchen Leuten über die Angelegenheiten meiner Klienten zu reden! Unser Thema war vollständig harmlos – wir sprachen davon, was heute ein Haushalt kostet.«

»Wie kamen Sie denn darauf?« fragte Andy neugierig.

»Er sagte, es müßte Merrivan doch viel Geld gekostet haben, das große Haus zu unterhalten. Bis jetzt hatte ich seine monatlichen Ausgaben nicht zusammengestellt, und ich machte mir nur eine kurze Aufstellung. Die Rechnungen habe ich ihm natürlich nicht gezeigt.«

»Es genügte, wenn sie auf dem Tisch lagen. War nicht vielleicht irgendeine ganz besondere Rechnung darunter, eine außergewöhnliche Ausgabe?«

»Ja, über hundertdreißig Pfund. Es war keine Rechnung, sondern nur eine Notiz Merrivans, die er selbst geschrieben hatte. ›Stelling Bros, hundertdreißig Pfund‹. Ich selbst weiß nicht, was für eine Ausgabe das gewesen sein kann. Kennen Sie eine Firma Stelling?« Andy klärte ihn darüber nicht auf.

Stelling war die größte Juwelierfirma in London, und die kurze Notiz, die der gewissenhafte Mr. Merrivan aufgeschrieben hatte, weil ihm wahrscheinlich die Rechnung verlorengegangen war, gab den Preis des großen Brillantringes an. Merrivan hatte ihn gekauft, weil er seiner Sache mit Stella schon sicher war.

Sie waren jetzt in Hörweite von Mr. Downer angekommen, und Andy wechselte deshalb das Thema der Unterhaltung.

»Ich bin nicht zur Leichenschau gegangen«, erklärte Downer. »Solche Verhandlungen langweilen mich. Ich hatte außerdem noch einiges zu erledigen. Es ist doch nichts Besonderes mehr zur Sprache gekommen?«

»Nichts, was nicht schon bekannt wäre«, entgegnete Andy.

Der Rechtsanwalt verabschiedete sich.

»Ist bei der Verhandlung etwas über einen Brillantring gesagt worden, den Merrivan vier oder fünf Tage vor seinem Tod gekauft hat?« fragte Downer, indem er mit einer Gerte ins Gras schlug und sich für nichts anderes als die Vernichtung von Gänseblümchen zu interessieren schien. »Das ist wahrscheinlich derselbe Ring, der auf dem Rasen gefunden wurde. Es ist doch merkwürdig, daß der alte Merrivan einen solchen Ring kauft und ihn dann fortwirft. Es scheint fast, daß er ihn einer Frau schenkte, die aber den alten Merrivan so haßte, daß sie ihn sofort wegwarf, als sie sein Haus verließ – wir wollen einmal sagen – um elf Uhr nachts. Sie zog ihn vom Finger und schleuderte ihn fort, so weit sie nur konnte.«

»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, erwiderte Andy. »Die Frau, die unter meinem Fenster vorbeikam, könnte das getan haben.«

Ein Schweigen folgte.

»Aber es war doch ein Streifenbeamter am Ende der Beverley High Street«, meinte Downer nach einer Weile. »Er stand dort vor einem Haus. Ein Dienstmädchen hatte ihm eine Tasse Kaffee gebracht, und er plauderte gerade zwischen elf und halb zwölf mit ihr. Während dieser Zeit ist niemand vorbeigekommen.«

Er schlug noch immer mit der Gerte nach den Blumen und schaute Andy nicht an.

»Es ist ja möglich, da sie einen anderen Weg gegangen ist es gibt doch eine Abzweigung von der Straße.«

Wieder folgte eine Pause.

»Eine Fahrradstreife der Polizei fuhr zehn Minuten vor elf von Hylton Gross Road ab«, begann Downer wieder in seiner monotonen Art. »Das ist das andere Ende des Weges – sie fuhr nach Beverley. Sie hat niemand gesehen, bis sie zu dem Polizisten kam, der mit dem Dienstmädchen sprach.«

»Die ganze Sache ist sehr merkwürdig«, gab Andy zu. »Vielleicht ist sie auch wieder umgekehrt. Ich war gleich darauf zu Bett gegangen.«

»Sie glauben, sie sei wieder zu Merrivan zurückgegangen?« Downer sah ihm jetzt voll ins Gesicht. »Nachdem sie erst den Ring weggeworfen hatte?«

»Sie kann ihn doch auch verloren haben. Sie kann noch einmal die Straße abgegangen sein, um ihn zu suchen.«

»Der Ring wurde aber dicht neben der Straße gefunden«, erwiderte Downer hartnäckig. »Entweder hat sie ihn fortgeworfen, oder sie ist nicht quer über den Rasen gegangen, wie Sie gesagt haben. Der Mittelpunkt der Rasenfläche liegt ungefähr achtzig Meter von dem Platz entfernt, wo der Ring gefunden wurde.«

»Nein, einundachtzig Meter«, sagte Andy ernst, und Downer lachte.

»Ich gebe ja zu, daß an der ganzen Geschichte mit der Frau nicht viel ist. Diese älteren Herren haben gewöhnlich allerhand merkwürdige Freundschaften. Wahrscheinlich war es irgendein Frauenzimmer aus Beverley.«

Er sah den Detektiv scharf an, aber Andy zuckte nicht mit der Wimper. Dieser Mann wußte alles. Andy gab sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken, woher er es wußte.

»Ich glaube nicht, daß wir schlecht über Mr. Merrivan sprechen sollten. Der Mann lebte sehr vernünftig, soweit man weiß.«

»Die Frau beging den Mord jedenfalls nicht«, sagte Downer überzeugt, »aber die Angelegenheit muß schließlich aufgeklärt werden. Ist Scottie wieder an der Arbeit?« fragte er plötzlich unvermittelt.

Andy mußte lachen.

»Ja, er ist sehr aktiv. Aber augenblicklich hat er sich gebessert. Soviel ich weiß, sitzt er Mr. Nelson zu einem Bild.«

»Ich habe auch so etwas gehört, daß Scottie sich bessern will, ich habe einige Erkundigungen darüber eingezogen. Diese Miss Nelson ist ein charmantes Mädchen.«

»O ja, sie ist wirklich entzückend.«

Downer nickte.

»Der Mord ist ihr sicher sehr nahegegangen. Sie war doch eine Freundin Mr. Merrivans? Er lieh ihr vor etwa neun Monaten dreihundert Pfund. Aber das geht uns natürlich nichts an. Es ist ja kein Unrecht, wenn eine Dame von einem Herrn Geld borgt, der dem Alter nach ohne weiteres ihr Vater sein könnte.«

Das war nun etwas Neues für Andy; er war überzeugt, daß Downer es nicht aufs Geratewohl sagte.

»Wie haben Sie das erfahren?«

»Ich habe vergessen, wer es mir erzählte«, erklärte Downer gähnend. »Also auf Wiedersehen, ich komme später einmal bei Ihnen vorbei.«

*

Ein Beamter von Scotland Yard war nach Beverley Green gekommen, um Andy bei der Abfassung eines Berichtes über das Verbrechen zu helfen. Diesem Mann gab er einen dringenden Auftrag.

»Gehen Sie nach Beverley und versuchen Sie herauszubringen, ob Downer gestern schon hier war und mit wem er gesprochen hat. Wahrscheinlich ist er im Beverley-Hotel abgestiegen.«

Andys Vermutung kam der Wirklichkeit sehr nahe. Mr. Downer war mit dem Abendzug angekommen, und er hatte sich zum Abendessen einen Angestellten der Michan Farmer's Bank eingeladen.

»Er ist ein entfernter Verwandter von Downer«, berichtete der Beamte durch das Telefon. »Der junge Mann ist erst kurze Zeit in Beverley.«

»Und er wird auch nicht mehr lange dort bleiben«, sagte Andy.

Dieser Angestellte war offenbar Downers Informationsquelle. Die Tatsache, daß sein Verwandter seine Stellung verlieren würde, wenn er Bankgeheimnisse ausplauderte, bedeutete Mr. Downer nicht mehr, als ob es seinen schlimmsten Feind getroffen hätte.

*

Am Nachmittag unterhielt man sich bei Nelson über Geldangelegenheiten. Der Maler kam in seinem langen, weißen Arbeitskittel aus dem Atelier. Er war schon den ganzen Morgen auffallend ruhig gewesen, hatte beim Mittagessen kaum ein Wort gesprochen, und Stella war etwas beunruhigt, denn diese Anzeichen bedeuteten nichts Gutes.

Er schloß die Tür sorgfältig und vergewisserte sich, daß sie auch wirklich geschlossen war.

»Stella, ich bin heute morgen sehr früh aufgewacht und habe über allerhand nachdenken müssen. Erinnerst du dich noch an das Geld, das wir von dem armen Merrivan borgten, oder vielmehr, das du borgtest?«

Sie nickte.

»Haben wir das eigentlich zurückbezahlt?«

Sie nickte wieder.

»Woher hast du denn das Geld dafür genommen? Ich erinnere mich, daß ich damals in der größten Verlegenheit war, als ich dich bat, es zu besorgen.«

Sie antwortete nicht.

»Es waren doch dreihundert Pfund?«

»Ja, dreihundert«, erwiderte sie ruhig.

»Woher in aller Welt haben wir denn dreihundert Pfund genommen, um sie ihm zurückzugeben? Bist du auch sicher, daß du sie wirklich zurückgezahlt hast?«

»Ja, Vater, ich habe die Quittung.«

Er ließ sich am Tisch nieder und schien nachzudenken.

»Ich habe allerdings nur noch eine ganz unbestimmte Vorstellung von der Sache, ich besinne mich nur dunkel darauf – wie auf einen bösen Traum. Aber hast du das Geld damals« – er zögerte – »während jener schrecklichen Woche zurückgegeben?«

Er war während dieser schrecklichen Woche nicht einmal nüchtern nach Hause gekommen.

»Ich hatte doch damals eine Menge Geld – woher hatte ich das nur?«

»Ich weiß es nicht.«

Er trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Es ist doch zu merkwürdig. In dieser Zeit muß irgend etwas Schreckliches vorgefallen sein. Aber ich kann nicht sagen, was es war. Du kannst dich wirklich an nichts erinnern?« Er sah sie scharf an. »Ich hatte sogar damals Augenblicke der Zerknirschung und Reue, und wenn ich etwas getan hätte, würde ich es sicher gesagt haben. Ich möchte nur wissen, woher in aller Welt ich das Geld bekommen habe.«

Sie half ihm nicht, sie hatte die Folgen seines Vergehens tragen müssen und war fast darunter zusammengebrochen. Sie wollte ihm nicht auch noch diese Gewissenslast aufbürden.

In der Dämmerung goß Stella ein Blumenbeet, das bei der Hecke lag, die den vorderen Garten von der Straße trennte. Zwei Herren gingen vorbei, und sie hörte einen Teil ihrer Unterhaltung, die allerdings recht einseitig war, denn der eine gab dem anderen nur wenig Gelegenheit, auch einmal ein Wort einzuwerfen.

»Als ich Sie zum erstenmal sah, Mr. Wilmot, dachte ich, daß es schwer sei, Sie näher kennenzulernen. Ruhige, tief veranlagte Naturen wie Sie bleiben uns Zeitungsleuten immer ein Rätsel.«

Mr. Downer sprach mit Mr. Wilmot über ein Thema, das diesen sehr interessierte, nämlich Mr. Wilmot.

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