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Kapitel 3

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Der Besucher mit hörbar osteuropäischen Akzent gab an, eine Unfallflucht mit Sachschaden am eigenen Fahrzeug melden zu wollen. Gestenreich unterstrich er seine Empörung über die von dem Fremdfahrzeug verursachte Schramme am vorderen Kotflügel auf der Fahrerseite seines Wagens. Der Unfallverursacher hatte sich unbemerkt vom Unfallort entfernt und es zudem vorgezogen, nicht einmal eine Nachricht zu hinterlassen. Daher bestand der erboste Halter nun darauf, Anzeige gegen unbekannt zu erstatten. Da Sedlmair den Auftrag hatte das Telephon zu hüten, blieb Angelika Schwarz nichts anderes übrig, als sich um den Fall zu kümmern. Sie stellte den Rechner auf dem Schreibtisch in der Wache ab und begleitete den Mann nach draußen zu dessen Wagen. Die Beweissicherung dort gestaltete sich schwieriger und auch langwieriger als erwartet, da der Geschädigte immer neue Schadensstellen entdeckte und darauf bestand, diese ebenfalls photographisch festzuhalten. Die Aufnahmeprozedur zog sich auch deshalb hin, weil der Beschwerdeführer nicht müde wurde, mit immer neuen Anläufen zu verdeutlichen, wann, wie und wo sich der Tathergang ereignet haben musste und dabei seiner Empörung über das wortlose Entfernen des Unfallverursachers gestenreich freien Lauf ließ. Nur am Rande registrierte die Oberwachtmeisterin daher, dass ein ziviles Dienstfahrzeug vor dem Eingangsbereich der Wache hielt. Ihr fiel lediglich auf, dass dessen Fahrer das Blaulicht aufgesetzt hatte, aber offenkundig allein im Einsatz war. Genau in diesem Moment glaubte der Geschädigte auch an der Fahrzeugunterseite noch ein verbogenes Blech entdeckt zu haben. Er bestand darauf, auch diesen Schaden noch zu begutachten. Der Beamtin blieb nichts andres übrig, als unter das Fahrzeug kriechen. Als sie sich wieder aufrichten konnte, nahm sie gerade noch wahr, wie der Fahrer des Einsatzfahrzeuges an der Zufahrt zur Straße kurz hielt, sich gewissenhaft vergewisserte, dass der Weg frei war und dann mit einem kräftigen Tritt auf das Gaspedal stadtauswärts davon fuhr.

Zwischenzeitlich waren Jensen und sein Tross am Fundort der Leiche eingetroffen. Hier erwartete die Polizeibeamten genau der Anblick, mit dem sie aufgrund der telephonischen Angaben hatten rechnen müssen. Gleichwohl war Jensen froh, dass er seine junge Kollegin auf dem Revier gelassen hatte. So blieben wenigstens ihr die Details erspart. Wieder einmal machte er sich klar, dass es gelegentlich doch einen Unterschied machte, ob sich ein Bild auf der Grundlage einer Beschreibung im Kopf bildete oder als Ergebnis des eigenen Augenscheins. Ein kurzer Blick auf seine beiden Begleiter verriet dem Dienststellenleiter, dass der Schock des realen Anblicks nicht nur ihm zu schaffen machte. Rogge hatte sich spontan abgewandt und Rabes Blick fixierte irgendeinen Gegenstand auf dem Boden. Nahezu zeitgleich mit ihnen waren das Spurensicherungsteam und die Kripo aus Weilheim am Tatort eingetroffen und übernahmen den Fall. Die uniformierten Beamten der Inspektion konnten sich daher nunmehr darauf konzentrieren, die Absperrungen gegen Unbefugte zu sichern. Jensen, die Raabe und Rogge entschieden sich nach einem kurzen Gespräch mit den Verantwortlichen der Kriminalpolizei dazu den Tatort zu verlassen. Auf dem Rückweg zur Inspektion ahnten sie noch nicht einmal, dass dort bereits eine Überraschung der besonderen Art auf sie wartete.

Ich glaube, ich verstehe Sie nicht richtig.“ Die Worte des Dienststellenleiters der kleinen Polizeiinspektion klangen nicht nur ungläubig. Wie sein Gesichtsausdruck verriet, hatte er tatsächlich Mühe, sich auf den Inhalt der Mitteilung einzulassen, die ihm übermittelt worden war, sobald er die Wache betreten hatte. „Herr Jensen, ich glaub’, uns ist da ein Fehler unterlaufen,“ hatte Angelika Schwarz ihn begrüßt und anschließend von dem Vorfall mit dem Mann berichtet, der die Fahrerflucht gemeldet hatte. Der eigentliche Fehler hatte sich ereignet, während die Oberwachtmeisterin damit beschäftigt war, die Daten des Unfallgeschädigten aufzunehmen. Der auf der Wache verbliebene diensthabende Beamte, also Sedlmair, hatte den Überraschungsbesucher abgefertigt, dessen Ankunft und Abfahrt seine Kollegin am Rande wahrgenommen hatte. Nach Darstellung des Wachhabenden hatte dieser angegeben den Auftrag zu haben, den Computer abzuholen, um ihn zur weiteren Untersuchung ins Labor nach München zu bringen. Damit hatte er den Beamten überfahren. Ohne die Legitimation des vermeintlichen Kollegen zu prüfen hatte der Polizeihauptmeister dem offenkundig in großer Eile befindlichen Mann das Gerät ausgehändigt und sogar noch die Übergabe quittiert. Auf die Idee, dass es sich bei der Aktion um den an Dreistigkeit kaum noch zu überbietenden Versuch gehandelt haben könnte, ein Beweismittel aus den Händen der Polizei zu entfernen, war der Wachhabende nach eigenen Angaben schlicht und ergreifend nicht gekommen. Genau danach aber sah es nach Überzeugung von Angelika Schwarz derzeit aus; denn wie die entsprechenden telephonischen Eilanfragen zwischenzeitlich ergeben hatten, war ein entsprechender Abholauftrag von keiner der einschlägig dazu befugten Dienststellen erteilt worden. Da Sedlmair in der Eile weder das Kennzeichen des Fahrzeugs registriert hatte, noch eine brauchbare Personenbeschreibung von dem Abholer zu liefern in der Lage war, blieb völlig unklar, wer sich da bedient hatte. Ebenso unklar war zu diesem Zeitpunkt, woher die Person von dem Gerät wissen konnte. Offensichtlich war nur, dass der Täter von der Existenz des Notebooks ebenso Kenntnis gehabt haben musste, wie von der Tatsache, dass es sich hier auf der Wache befand. Sofern nicht unterstellt werden musste, dass ein Mitarbeiter der Inspektion selbst diesen Sachverhalt gegenüber einem interessierten Dritten ausgeplaudert haben könnte, blieb, wie Kriminaloberrat Günther Rogge feinsinnig bemerkte, eigentlich nur ein möglicher Informant übrig. „Und der steckte vermutlich ohne Augen, Ohren und Zunge in dem Sack, den wir soeben begutachtet haben,“ ergänzte Ursula Raabe und wunderte sich selbst darüber, dass sie zu soviel Sarkasmus fähig war. Immerhin erreichte sie damit, dass jetzt erst einmal alle schlucken mussten. „Das würde ja bedeuten,......“ Angelika Schwarz hatte Mühe, den Satz auszusprechen, der ihr auf der Zunge lag. „Dass würde bedeuten, dass der alte Herr in dem Sack derselbe ist, der den Rechner hier abgegeben hat und dass er vorher solange gefoltert wurde, bis er mit der Sprache herausgerückt ist,“ führte Rogge den Gedanken zu Ende. Dabei war auch ihm das Lachen vergangen. Allein bei der Vorstellung an die Schmerzen, die der alte Herr bei der Tortur hatte ertragen müssen, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken herunter. Angesichts der an der Leiche festgestellten Verletzungen war allen Anwesenden schlagartig klar gewesen, dass die Prozedur lange gedauert haben musste. Und mit dem jetzigen Vorfall war zudem klar, dass die auf dem Gerät befindlichen Daten eine solche Vorgehensweise aus Sicht der Täter rechtfertigen mussten. Nur so ließ sich auch das Risiko erklären, das diese Leute bei der gerade vollzogenen ‚Abholaktion’ einzugehen bereit gewesen waren. Während sich diese Erkenntnis in den Köpfen der Polizisten Bahn brach und dazu führte, dass wie unter Schock erst einmal alle angestrengt schwiegen, griff Angelika Schwarz in ihre Hosentasche und zog einen USB-Stick hervor. „Chef?“ Während sich alle Augen auf sie richteten, zog sie ein wenig verlegen die Verschlusskappe des Speichermediums ab. „Sie wollen doch damit nicht andeuten, Sie haben ...?“ Schon wieder brachte es Jensen nicht fertig, die Frage zu beenden. Wie von der Tarantel gestochen war Rogge auf die junge Frau zugestürzt und hatte ihr den Speicherstick geradezu aus der Hand gerissen. Noch bevor Angelika Schwarz dazu kam, auf die Frage einzugehen, stand auch die Frau vom LKA ebenso unvermittelt vor ihr und nahm wiederum Rogge das Speichermedium aus der Hand. „Nicht in echt jetzt, oder?“ Abwechselnd blickte sie auf das Gerät in ihren Händen und das Gesicht der jungen Kollegin. „Das gibt es doch gar nicht. Sie haben sich das wirklich runtergezogen?“ Erneut war es Rogge, der nicht glauben mochte, dass sich seine Vermutung vom Vormittag auf diese Weise bestätigen sollte. Er hätte die junge Beamtin umarmen können, beherrschte sich aber gerade noch angesichts der umstehenden Kollegen. Noch bevor die Polizeiobermeisterin antworten konnte, wurde auch ihr neuerlicher Anlauf hierzu unterbrochen. Erneut läutete das Telephon. „Ritter, was gibt’s?“ Jensen war anzumerken, dass er von der neuerlichen Störung nicht eben erbaut war. „Wir haben einen was? Einen Autobrand? Kurz hinter Münsing. Auf einem Feldweg nahe der Straße zum See?“

Der Dienststellenleiter hatte schon wieder sichtlich Mühe, sich auf das neue Geschehen einzustellen, traf aber dann ohne zu zögern die erforderliche Entscheidung: „Na gut, dann fahren Sie da raus und nehmen den Sedlmair mit. Wo steckt eigentlich der Zielko? Der soll dann eben das Telephon übernehmen,“ entschied Jensen und wandte sich danach wieder seiner Mitarbeiterin zu.

„Jetzt zu Ihnen Frau Schwarz. Haben Sie das nun gesichert, oder was soll das mit dem Stick?“ Der Chef der Polizeistation ahnte nicht im geringsten, dass zwischen der Meldung vom Fahrzeugbrand und den Vorgängen auf seinem Revier ein engerer Zusammenhang bestand, als ihm lieb sein konnte.

Morgenstern

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