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Kapitel 5

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Alles erledigt?“ Der Fragsteller, in dessen Starnberger Büro sich der Mittdreißiger unmittelbar nach seiner Ankunft eingefunden hatte, klang geschäftsmäßig. „Erledigt,“ erwiderte der durchtrainierte Personenschützer und legte zur Bestätigung einen Hartschalenkoffer auf den Schreibtisch des Mannes, der ihn mit der Abholung des Notebooks beauftragt hatte. Wie verabredet hatte er vor dem Restaurant gewartet, bis der angekündigte BMW mit dem Rosenheimer Kennzeichen dort aufgetaucht war. Auch nach dem Betreten des Lokals durch dessen Fahrer hatte er routinemäßig noch einige Minuten verstreichen lassen, bis er selbst sich dem Fahrzeug völlig unaufgeregt genähert hatte. Das Klicken der Verriegelung bestätigte ihm, dass auch der Schlüssel passte. Anschließend hatte er den Computer gegen den Schlüssel in der Stofftasche ausgetauscht und war ebenfalls ohne eine Spur von Eile über die Straße zum See gegangen. Dort hatte er sich vergewissert von niemandem beobachtet zu werden. Mit dem Notebook unter dem Arm war er anschließend zu dem Lieferwagen geschlendert, hatte das Gerät in den Hartschalenkoffer gepackt und anschließende die Rückfahrt nach Starnberg angetreten, wo er nach etlichen Sicherheitsschleifen vor wenigen Minuten eingetroffen war. „Na schön, dann wollen wir mal.“ Mit diesen Worten entriegelte sein Chef jetzt die Verschlussklappen des Köfferchens, klappte den Deckel auf, entnahm daraus den Laptop, drehte diesen um und vergewisserte sich, dass die Inventarnummer identisch mit derjenigen war, die er vorliegen hatte. Anschließend legte er den Rechner zurück in den Samsonite, klappte dessen Deckel wieder zu und nickte dem wartenden Mann zu. „Alles klar, gute Arbeit. Sie können dann für heute Feierabend machen.“ Er wartete ab, bis sein Mitarbeiter den Raum verlassen hatte, ging dann zum Fenster und sah hinaus auf den Parkplatz. Er vergewisserte sich davon, dass der Angestellte das Gebäude auch tatsächlich verließ, zu seinem Auto ging, dort einstieg und in Richtung Innenstadt davon fuhr. Erst nachdem der Wagen außer Sichtweite war, ging er zurück zum seinem Schreibtisch und wählte eine Nebenstellennummer des Unternehmens, von dem er damit beauftragt worden war, die Angelegenheit „zu bereinigen.“ „Ja?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung verriet lediglich geschäftsmäßiges Interesse. „Kaffeepause?,” erkundigte sich der Anrufer und erhielt lediglich das Wort „Teatime“ zur Antwort. „Ok, dann will ich nicht weiter stören. Sie können die Unterlagen jetzt abholen lassen.“ „Ich schick’ jemanden rüber,“ antwortete die Stimme am anderen Ende der Leitung und legte auf. Als knapp dreißig Minuten später ein leger gekleideter Mann das Büro des Schutzanbieters betrat, wiederholte sich die Szene. „Ich bin der Morgenstern,“ stellte sich der Bote vor und grinste. Anschließend nahm er den verschlossenen Koffer in Empfang, der jetzt mit einem auffälligen gelben Band umwickelt war und verließ das Bürogebäude. Seine Weisung lautete, das Gepäckstück unverzüglich zum Hauptbahnhof nach München zu bringen. Dort sollte er sich zum ‚Service Point’ begeben und auf eine Person warten, die sich bei ihm danach erkundigen würde, ob er der Morgenstern sei. Dieser Person hatte er den Koffer auszuhändigen. Für den Endzwanziger stellten solche Aufträge zwar keine alltägliche Erfahrung dar, aber im Prinzip war daran nichts Ungewöhnliches. Es kam immer einmal wieder vor, dass jemand bestimmte Unterlagen, die er für eine Besprechung oder dergleichen benötigte, aus irgend einem Grunde nicht bei sich hatte und sie ihm sozusagen nachgetragen werden mussten. Lediglich, dass es heute gleich ein ganzer Aktenkoffer war, fiel ein wenig aus dem Rahmen, aber mehr auch nicht. Die Übergabe verlief dann auch reibungslos. Abgeholt wurde der Samsonite von einer Frau, die offenkundig sehr in Eile war. Der Bote hatte den Eindruck, es könnte die Sekretärin desjenigen gewesen sein, für den das Köfferchen tatsächlich bestimmt war. Eine Bestätigung dafür erhielt er nicht. Aber das konnte ihm schließlich auch egal sein; denn es ging ihn nichts an und letztendlich interessierte es ihn auch nicht sonderlich. Im Grunde galt das auch für die Frau selbst. Er schätzte sie auf Mitte Dreißig. Aber bei diesem Typ von Frau konnte man das nie mit Bestimmtheit sagen. Es gehörte zu deren Job, immer akkurat auszusehen. In diesem Fall fiel ihm lediglich der leichte Akzent der Frau auf und, dass er ihn nicht eindeutig zuordnen konnte.

Versuchen können wir es ja.“ Im Dienstzimmer des Dienststellenleiters der Polizeidienststelle in Wolfratsried hatte Angelika Schwarz sich dazu aufgerafft, dem Vorschlag Rogges zu folgen. Sie war im Grunde nur froh darüber, dass ihre kleine Eigenmächtigkeit ihr hier jetzt nicht als vorschriftswidriger Übereifer oder gar als Disziplinarvergehen angerechnet wurde. Wie sie selbst sich eingestehen musste, hatte sie vorher schließlich nicht wissen können, dass der Computer auf einmal verschwinden würde. Insofern hätte ja durchaus auch jemand auf die Idee kommen können, sich zu fragen, weshalb sie sich die Daten auf ihr privates Speichermedium gezogen hatte und zu welchem Zweck. Das war einer der Gründe gewesen, der sie so lange hatte zögern lassen, ihr Tun zu offenbaren. Angesichts der Dimension, die der Fall mit dem Mord an dem alten Mann angenommen hatte, hätten möglicherweise sogar Zweifel an ihren Motiven aufkommen können. Auch das war der jungen Polizistin mit einem Schlage klar geworden, als sie erfahren hatte, dass die toten Augen zu dem Mann gehört haben mussten, der ihr den Rechner übergeben hatte. Seltsamerweise hatte sie die Augen bereits bei deren Anblick ihrem früheren Besitzer spontan richtig zuordnen können, sich aber selbstverständlich ebenfalls nicht getraut, dies offen auszusprechen. Als sie jetzt ihre Kollegen in ihr Büro einlud, „weil dort mein Computer steht“, ging sie jedenfalls davon aus, dass niemand die Uneigennützigkeit und Lauterkeit ihres Handelns in Frage stellen würde. In dieser Annahme sollte sie sich getäuscht haben, zumindest, was Jensen anbetraf. Doch das blieb ihr vorläufig verborgen.

Der Hauptkommissar hatte sich massiv über die Unverfrorenheit geärgert, mit der seine Mitarbeiterin offenkundig glaubte, sich über Dienstvorschriften hinwegsetzen zu können. Erst danach hatte ihn die vermeintliche Offenherzigkeit stutzig gemacht, mit der sie ihre eigenwillige Vorgehensweise eingeräumt hatte. Wegen der Anwesenheit der fremden Kollegen hatte es Jensen jedoch vorgezogen, das Thema zunächst nicht weiter vertiefend zu erörtern.

Auch hinsichtlich der Reaktion der beiden Kollegen aus München und Wiesbaden täuschte sich die Oberwachtmeisterin. Aus unterschiedlichen Gründen waren beide sich keineswegs sicher, ob sie das Verhalten ihrer jungen Kollegin unkommentiert durchgehen lassen konnten. Zunächst um Jensens Disziplinarbefugnisse nicht in Frage zu stellen und dann, weil ohne diese Eigenmächtigkeit jetzt vermutlich die Chancen auf eine Aufklärung des Falls deutlich niedriger wären, hatten sie sich aber jede Randbemerkung verkniffen. Das hinderte sie nicht daran, die jetzt durch den Raumwechsel gewonnene Zeit dazu zu nutzen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Auf dem Weg in ‚ihr’ Dienstzimmer verlor daher niemand ein Wort. Dort angekommen scharten sich alle beteiligten Beamten sogleich um den Laptop, der bereits aufgeklappt auf dem Schreibtisch stand, aber noch hochgefahren werden musste. Angelika Schwarz schloss daraufhin nacheinander beide USB-Sticks an ihren Rechner an. Zunächst kopierte sie eine Reihe von Daten von ihrem Rechner auf den Speicher Rogges, danach waren die geheimnisvollen Daten von dem entwendeten Computer an der Reihe. Angelika Schwarz verschob auch diese zur allgemeinen Überraschung zusätzlich noch auf den Speicher Rogges. Anschließend entfernte sie Rogges Datenträger wieder. Ihren eigenen Stick beließ sie im Rechner und ließ sie sich die Inhalte anzeigen. Sichtbar wurden verschiedene verschlüsselte Dateien und zwei Power-Point-Präsentationen sowie ein Ordner mit zwei Dateien im EML Format. Erneut war es nunmehr Rogge, der die für ihn entscheidende Frage los werden musste: „Sagen, Sie mal, wieso haben Sie nun ausgerechnet diese Dateien herauskopiert? Da war doch sicher viel mehr drauf auf dem Rechner, oder etwa nicht?“ Angelika Schwarz sah ihn erstaunt an.

Erst in diesem Augenblick schien ihr das Ungewöhnliche dessen bewusst zu werden, was sie auf dem Rechner vorgefunden hatte. „Äh, nö, Herr Oberrat, da war nicht mehr drauf, sonst wäre ich ja gar nicht auf die Idee gekommen, das herunter zu ziehen. Alles, was außer dem Betriebssystem auf der Festplatte war, passte locker auf den Stick hier.“ Damit war das Thema erst einmal erledigt. Was die Aufmerksamkeit der Beobachter jedoch stärker in Anspruch nahm, war eine undefinierte Datei im CNT Format, die offenkundig keiner anderen Anwendung zugeordnet werden konnte. „Vielleicht sollten wir das zunächst mal isolieren?“ Rogges Tonfall war anzumerken, dass er inzwischen zur wünschenswerten Professionalität zurück gefunden hatte. „Ich weiß nicht, wenn das schief geht, sehen wir alt aus.“ Regina Raabe zögerte und wandte sich an ihre junge Kollegin. „Was denken Sie?“ „Versuchen können wir es ja, aber es wäre wohl besser, wir öffnen den gesamten Inhalt vorher von der Festplatte und sehen uns an was dann passiert. Wenn etwas schief geht haben wir ja immer noch den Stick. Kopieren lässt sich das ja anscheinend beliebig oft.“ Angelika Schwarz sah die Umstehenden erwartungsvoll an, zögerte aber damit, ohne deren Einwilligung etwas zu tun . „Soll ich?“ Rogge und die Raabe sahen erst einander und dann Jensen an. „Mich dürfen Sie das hier nicht fragen, das sind böhmische Dörfer für mich.“ „Riskieren wir’s?“ Die Frage der Raabe richtete sich jetzt direkt an Rogge. „Sehr witzig, wenn ich jetzt ja sage, sind Sie fein raus und ich trage die volle Verantwortung wenn das daneben geht, oder was soll die Frage?“ Rogges Reaktion hatte nicht mehr viel mit der Überheblichkeit gemein, mit der er sich bisher präsentiert hatte. Die Bemerkung deutete eher darauf hin, dass er sich scheute, die Entscheidung zu treffen. „Ich finde, wir sollten es versuchen.“ Wieder war es Angelika Schwarz, die sich traute und damit den Ausschlag gab. „Ok, dann los,“ bestätigte nun die Frau vom LKA. Anschließend starrten alle gebannt auf den Monitor, während die Daten hinüber auf die Festplatte wanderten. Nach Abschluss dieses Vorgangs hätte sie sinnvoller weise den Speicher vom Rechner trennen müssen. Doch in der Aufregung versäumte sie diesen Handgriff und begann mit der eigentlichen Arbeit.

Die Beamtin markierte eine der verschlüsselten Dateien, klickte auf ‚ausschneiden’, öffnete einen anderen Ordner auf ihrer eigenen Festplatte, klickte auf ‚einfügen’ und im nächsten Augenblick erschien der Button in seiner neuen Umgebung. Zur Erleichterung der Beobachter verlief diese Operation völlig problemlos. „Und jetzt?“ Angelika Schwarz hatte sich entschieden, jetzt keinen Schritt mehr ohne vorherige Zustimmung zu unternehmen. Die Raabe und Rogge sahen sich erneut an. „Na ja, fangen wir doch mit dem Einfachsten an,“ schlug schließlich wieder Rogge vor. „Genau, versuchen Sie doch mal diese Präsentation zu öffnen,“ bestätigte die Raabe und deutete mit dem Finger auf einen der Powerpoint-Icons. Die Polizeioberwachtmeisterin tat, wie ihr geheißen. Vor aller Augen erschien die durchaus professionell gemachte Fachinformation zu den durchschnittlichen Einsparungen an Pestiziden, die ein Landwirt durch die Anwendung gentechnisch resistent gegen Schädlingsbefall gemachten Saatguts erzielen kann. Eingebaut war ein Trailor, der sich kritisch mit den Auswirkungen dieser Technologie auseinander setzte, dessen Argumente dann aber widerlegte. „Deswegen bringt man doch keinen Menschen um, oder?“ Regina Raabe sah ihre Kollegen irritiert an. „Also, Frau Kollegin,...“ Jensen hatte bereits zum Kurzvortrag über Mörder und ihre Motive ausgeholt, wurde aber von Rogge unterbrochen. „Schauen wir uns doch erst einmal die anderen Sachen an, vielleicht sind wir dann schlauer.“ „Sollten wir da nicht lieber die Kollegen von der Kripo noch zuziehen?“ Es war erneut Jensen, der daran erinnerte, dass die gesamte Aktion hier, wenig vorschriftsmäßig verlief. „Das läuft uns ja nicht weg. Möglicherweise ist hier ja Gefahr im Verzug und wir verlieren wertvolle Zeit.“ Rogges Tonfall fiel wieder eine Nuance ungehaltener aus, war in jedem Fall aber so angelegt, dass es Jensen vorzog, keinen Widerspruch anzumelden. Statt dessen reagierte er selbst nun auf den fragenden Blick seiner Untergebenen ebenfalls ungehalten. „Nun machen Sie schon, Sie haben doch gehört, was Herr Rogge gesagt hat.“ Angelika Schwarz sah die Kollegin von LKA an. Doch die zog nur die Mundwinkel nach unten und zuckte mit den Schultern, sagte aber nichts.

Angelika Schwarz versuchte es nacheinander mit zwei der verschlüsselten Dateien. Wie nicht anders zu erwarten, stießen die Ermittler beim Versuch, diese zu öffnen sofort an ihre Grenzen, da sie natürlich weder über die erforderlichen Passworte noch über das zur Entschlüsselung erforderliche Programm verfügten. „War ja abzusehen,“ gab sich die Raabe wenig überrascht. „Das kann dauern,“ fügte sie hinzu als sonst niemand etwas sagte, und machte zugleich deutlich, dass nach ihrer Ansicht kein Weg daran vorbei führte, das Material ins Labor zu geben. „Ich meine natürlich auch die e-Mails,“ insistierte Rogge genervt. An sich hätte ihm klar sein müssen und an sich war es das auch, dass auch dieser Versuch ebenso scheitern musste, wie die vorherigen. Aber man hat schon Pferde kotzen gesehen, wie er bei solchen Gelegenheiten gerne zu sagen pflegte und hielt es daher für sinnvoll, zumindest den Versuch zu machen. Angelika Schwarz zögerte und sah erneut erst Jensen und dann ihre weibliche Kollegin hilfesuchend an. Doch die konnten deren Notlage schon deshalb nicht begreifen, weil sie die früheren Versuche der jungen Frau zur Dateneinsicht nicht mitbekommen hatten. Aus ihrer Sicht selbstverständlich, waren es gleich die e-Mails gewesen, die auf das besondere Interesse der jungen Frau gestoßen waren. Entsprechend hatte sie als erstes versucht diese zu öffnen, war daraufhin jedoch an die CNT Datei weitergeleitet worden. Als sie heute Morgen versehentlich versucht hatte, diese zu öffnen, trug genau diese Vorgehensweise nach ihrer eigenen Einschätzung zur Aktivierung des Selbstzerstörungsmechanismus bei. Diesen Weg jetzt noch einmal zu gehen, erschien ihr von daher wenig erfolgversprechend, zumal sie ja das rettende Passwort noch immer nicht kannte. Andererseits hatte sie Probleme damit zuzugeben, dass sie das Ergebnis des von Rogge jetzt vorgeschlagenen Schrittes bereits ahnte, da sie damit ebenfalls hätte zugeben müssen, dass sie seit der Abgabe des kleinen Rechners durch den alten Mann und dessen öffentlicher Vorstellung heute morgen, noch weitere eigenmächtige Aktivitäten zu beichten gehabt hätte, als lediglich die Anfertigung einer Sicherungskopie. Angelika Schwarz zögerte noch immer, während sie fieberhaft überlegte, wie sie sich aus der Affäre ziehen sollte. Zur Abwechslung war es nun einmal Rogge, der ein Gespür für die Notlage seiner jungen Kollegin entwickelte: „Sie haben das schon einmal gemacht, hab’ ich recht?“ Auf ihr schüchternes Nicken hin, legte er sich die richtige Schlussfolgerung selbst zurecht. „Und dann passiert das, was wir heute morgen auch schon erlebt haben, kann das sein?“ Erneut nickte die junge Frau, die inzwischen einen hochroten Kopf hatte. Wie zur Bestätigung flackerte im gleichen Moment erneut der Countdown über den Monitor. In ihrer Aufregung hatte die junge Polizistin versehentlich doch die fragliche Datei angeklickt und damit den Selbstzerstörungsmechanismus ausgelöst. „Formatiere Laufwerk C,“ blinkte ihnen in rot leuchtender Laufschrift entgegen.

Morgenstern

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