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Kapitel 4
ОглавлениеDer blaue Audi mit dem Münchner Kennzeichen war gleich nach Verlassen der Polizeistation in Richtung Autobahnzubringer gefahren. Der Fahrer vergewisserte sich mehrfach davon, dass ihm niemand folgte und lenkte den Wagen schließlich kurz hinter Münsing auf einen Feldweg. Hier verließ er das Fahrzeug und ging eiligen Schrittes zu einem kleinen BMW, der hinter einer Biegung im Wald abgestellt war. Das Notebook hatte er in einer Stoffeinkaufstasche verstaut. Er deponierte das Gerät auf dem Beifahrersitz und nahm anschließend aus dem Kofferraum zwei handelsübliche Kanister mit Benzin sowie eine Plastikplane. Zügig, aber ohne Hast trug er die Gegenstände zurück zu dem Audi, breitete davor die Plane aus, setzte den Wagen darauf und entleerte einen der Kanister so auf der Plane, dass sich das Benzin unter dem Wagen sammelte. Den Inhalt des zweiten Kanisters goss er auf die Sitze. Danach entfernte er sich einige Meter, wickelte einen benzingetränkten Lappen um einen Stock, zündete das Bündel an und warf es mit einem kräftigen Schwung in das Auto, das sofort Feuer fing. Danach rannte er zurück zu dem BMW, vergewisserte sich nochmals, dass sich außer ihm niemand in der Nähe aufhielt und lenkte das Fahrzeug zurück auf die Straße in Richtung Starnberger See. Bei St. Heinrich parkte er den Wagen vor einem Restaurant. Bevor er einkehrte, versäumte er es nicht, das Auto sorgfältig zu verschließen. Als er das Lokal eine gute Stunde später wieder verließ, fehlte die Stofftasche mit dem Notebook. Zufrieden mit sich selbst steuerte der Mann den BMW auf die Autobahn, die er an der Abfahrt Penzberg wieder verließ. Als er kurz darauf seine Arbeitsstelle erreichte, wurde er bereits erwartet. Währenddessen wartete Inspektionschef Jens Jensen in Wolfratsried noch immer auf die Antwort nach seiner Frage mit dem Stick.
„Frau Schwarz, ich habe Sie etwas gefragt.“ Die Stimme ihres Vorgesetzten klang ungeduldig. Trotzdem mochte sich die Angesprochene nicht zu einer eindeutigen Antwort durchringen. „Ja schon, Chef, jedenfalls, ich glaube schon, aber ich weiß nicht....“ Angelika Schwarz, deren Frisur inzwischen durchaus schon als etwas zerzaust bezeichnet werden konnte, war sichtlich verunsichert. Sie erreichte damit aber nur, dass sich die Ungeduld ihres Vorgesetzten nochmals erheblich steigerte. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit herrschte er die junge Frau an: „Was soll das heißen? Sie glauben, aber Sie wissen nicht? Haben Sie nun oder haben Sie nicht, dass müssen Sie doch wissen, verdammt noch mal!“ „Wie wäre es, wenn wir einfach mal nachsehen würden?“ Kriminaloberrat Günther Rogge hatte sich eingemischt. Wie üblich bemühte er sich nicht einmal darum, den sarkastischen Unterton zu unterdrücken, der fast jedes seiner Worte begleitete. Den unmittelbar folgenden, obligatorisch fragend-tadelnden Blick der Kollegin vom LKA übersah er geflissentlich. Wohl wissend, dass die Bemerkung einer ziemlichen Provokation gleich kam, setzte er statt dessen noch nach: „Gibt es hier irgendwo so etwas wie einen Computer mit USB-Anschluss, oder müssen wir dafür erst in den nächsten Photoshop?“ Das war zu viel für Jens Jensen. Verärgert machte er den ‚hohen Herrn aus Wiesbaden’ darauf aufmerksam, dass der schließlich die Ausstattungslücken auf den Revieren doch ganz genau kennen dürfte. Wenn nicht, dann könne er ja die heutige Erfahrung zum Anlass nehmen, seinen Einfluss geltend zu machen, „damit wir hier endlich einmal mit Gerät ausgestattet werden, das den Namen auch verdient.“
Der Hauptkommissar war im Begriff, sich richtig in Rage zu reden und seine Stimmung besserte sich auch nicht dadurch, dass Rogge ihn unterbrach und trocken bemerkte: „Also nicht, oder wie soll ich das verstehen?“ Der Mann vom BKA hatte seinerseits gerade wieder einmal die Nase gestrichen voll. Den ewigen Unzulänglichkeiten, mit denen er sich seit Jahr und Tag herumschlagen musste, weil die notwendigen Mittel wie immer angeblich nicht vorhanden waren, begegnete er schon lange nur noch mit Sarkasmus. Obwohl ihm nur allzu sehr bewusst war, dass Jensen an dieser Situation die allergeringste Schuld traf, ließ er seinem Ärger ihm gegenüber freien Lauf. An die Raabe gewandt schlug er vor, dann eben jetzt wirklich den nächsten Copyshop aufzusuchen, um sich den Datenbestand anzuschauen. Jensen musste sich sogar die Frage nach dem Weg dorthin gefallen lassen. Bevor die Situation noch weiter eskalieren konnte, mischte sich unerwartet die Polizistin ein, die den Stick gezückt hatte.
„Ich hab’ mein eigenes Notebook dabei, wenn Sie möchten, dann können wir den Speicher da gerne einmal prüfen. Aber ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Angelika Schwarz war wieder in ihrem Element und da mangelte es ihr nicht an Selbstvertrauen. Beinahe schon respektlos hatte sie deshalb die Diskussion zwischen den beiden Ranghöheren unterbrochen. An deren erstauntem Gesichtsausdruck war jetzt unschwer abzulesen, dass sie Mühe hatten, sich innerlich von ihrem Geplänkel zu lösen. Noch bevor einer von ihnen dazu kam, mischte sich Ursula Raabe ein.
„Sie meinen wegen der Vorstellung vorhin mit dem Selbstzerstörprogramm?“
„Genau,“ bestätigte die Polizistin.
„Und was, wenn ich fragen darf, hielten die Damen von der Idee, von dem ganzen Zeug dann einfach noch eine Sicherungskopie anzufertigen?“ Rogge gelang es noch immer nicht zu einem sachlichen Ton zurück zu finden und erntete dafür nun auch unverzüglich einen Rüffel von Seiten seiner Kollegin vom LKA: „Sie sind ja heute wirklich gut drauf. Aber wenn Sie schon so tolle Ideen haben: Wie und wohin bitte schön dürfen wir die Daten Ihrer Ansicht nach kopieren? Mit dem Xerox in Ihrem heiß geliebten Copyshop? Oder woran haben Sie gedacht?“ Wenn es darum ging mit Sarkasmus zu glänzen, so hatte auch Regina Raabe damit erneut kein Problem.
Rogge sah sie erstaunt an und wusste nicht so recht, ob er diese Herausforderung annehmen sollte. Er entschied sich für eine pragmatische Herangehensweise; denn abgesehen vom Ton war die Frage natürlich berechtigt. „Wie wäre es mit dem Rechner der Kollegin?“ Ihm war klar, dass eine solche Vorgehensweise nicht gerade den Dienstvorschriften entsprechen würde, aber andererseits hatte der BKA Mann auch wenig Lust sich lächerlich zu machen. An sich hätte der USB-Stick ohne weitere Diskussion ins ‚Labor’ gehört, wie die Abteilung forensische IuK beim Kriminaltechnischen Institut beim BKA intern auch gern bezeichnet wurde, wenn, ja wenn es der Kollegin tatsächlich gelungen sein sollte, darauf Daten von der Festplatte des verschwundenen Computers auf ihrem privaten USB-Stick zu sichern. Eine Vorgehensweise, die sich ja nun wirklich sicherlich in keiner Dienstvorschrift der Welt finden lassen würde. Wenn doch nur das Wörtchen wenn nicht wäre. Und außerdem: Wie konnte er wissen, ob die ‚Datensicherungsaktion’ der jungen Dame da vor ihm überhaupt erfolgreich verlaufen war. Falls nicht, dann konnte er den Spott schon körperlich spüren, der gleich kübelweise über ihm ausgeschüttet werden würde. Insofern konnte es sicher nicht von Nachteil sein, wenn er sich hier und jetzt Gewissheit verschaffte. Dafür kam nach Lage der Dinge wohl nur der private Rechner der Kollegin in Frage. Als er den Vorschlag machte, war sich Rogge durchaus auch des damit verbundenen Risikos bewusst. Genau aus dem Grund hatte er es auch vermieden, seinen eigenen Laptop für diese Aktion ins Gespräch zu bringen. Falls sich, wie zu befürchten war, auf dem Stick nicht nur Daten, sondern eben auch das kleine Selbstzerstörungsprogramm befinden sollte, so wäre damit der gesamte Datenbestand des Rechners in Gefahr. Dieser Gefahr wollte er, durchaus eigennützig, lieber den Rechner der Kollegin aussetzten, als seinen eigenen. Um aber diese kleine Gehässigkeit nicht auffällig werden zu lassen, hielt es der Polizeioberrat für geboten, den kleinen Disput mit seiner Kollegin vom LKA nicht auszureizen, sondern sich zumindest in diesem Punkt als besorgter Freund zu geben: „Oder haben Sie da was drauf, was besser nicht verloren gehen sollte?“ Ohne eine Antwort abzuwarten zückte er seinen eigenen USB-Stick und fügte hinzu: „In dem Fall sollten Sie vielleicht erst einmal hiermit eine Sicherung versuchen. Sie können unbesorgt sein, das Gerät ist sauber. Ich habe es eigentlich nur für genau solche Situationen dabei. Schließlich kann man ja nie wissen....“ Polizeioberrat Günther Rogge verzichtete darauf, den Satz zu Ende zu führen und sah statt dessen seine Kollegin fragend an.