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Die Snowlies

Versteckt zwischen den sieben tobenden Meeren unserer Erde verbarg sich für uns ein unbekanntes Land. Geschützt von Gipfeln hoher Berge und umringt von dichten Wäldern, lag friedlich inmitten eines Tals ein kleines Dorf.

Die Bewohner des Dorfes hatten es noch nie erlebt, dass ein Fremdling sie besuchte oder sich zu ihnen verlief. Dennoch fanden sie es vor Hunderten von Jahren dringend erforderlich, ihrem Ort einen Namen zu geben, obwohl kein anderes Volk in Sicht war, von dem sie sich hätten unterscheiden müssen. Das sorgte für viel Aufregung. Ob groß oder klein, jeder Bewohner hatte einen Vorschlag, wie sie ihr Zuhause nennen könnten. Nach etliche langem Hin und Her und kurzen Streitereien beschloss der damalige Bürgermeister kurzerhand, aus den Anfangsbuchstaben der vier Hauptstraßen den Namen zu bilden. Es waren die Süd-, Nord-, Ost- und die Weststraße, die vom großen Dorfplatz aus in ihre jeweiligen Himmelsrichtungen verliefen und sich dann rundum innerhalb des Dorfes miteinander verbanden. Und so wurden sie sich schließlich einig, ihrer Ortschaft den Namen „Snow“ zugeben. Von da an nannten sich die Dorfbewohner mit ganzem Stolz „Snowlies“. Diese liebenswerten, klein gewachsenen Geschöpfe ausgewachsen waren sie gerade mal einen Meter groß, hatten meist rotblonde Haare und eine kleine spitze Nase, die zwischen ihren vollen Wangen hellrot leuchtete. Ihre runden Augen wurden von langen geschwungenen Wimpern umrahmt, die im Sonnenlicht azurblau blitzten. Und noch eine Gemeinsamkeit teilten sie. Sie hatten alle ein sehr rundes, üppiges Gesäß, was bei dem einem mehr und bei dem anderen weniger ausfiel. Da die Frauen eitel waren, trugen sie immer lange weitgeschwungene Röcke, um es ein wenig zu verstecken. Den Herren blieb nichts anderes übrig, als sich in Hosen zu kleiden, was ihnen aber letztendlich schnurzegal war. Die Snowlies waren ein fleißiges und vergnügtes Völkchen und sie besaßen alles, was sie zum Leben brauchten. Sie wohnten in rundförmigen, aus Lehm und Feldsteinen erbauten Häusern, aus deren Dächern schiefe und krumme Schornsteine herausragten. Auch die Fenster und Haustüren wurden so eingelassen, wie es eben passte. Mal rund, mal eckig, mal hoch oder niedrig. Ja, man könnte sagen, dass jedes einzelne Haus seine persönliche Note besaß und keines dem anderen glich. Kleine Gärten schmückten die einzelnen Anwesen und in den Sonnenmonaten waren sie alle schwer damit beschäftigt, ihre eigene Blumenlandschaft zu hegen und pflegen. Dazu müsst ihr wissen, dass es dort nur zwei Jahreszeiten gab, die sie die Sonnenmonate und die Schneemonate nannten.

Weit in die Welt hinaus konnte keiner von ihnen gehen. Nur bis zum Rande der Wälder, wofür man fast einen halben Tagesmarsch brauchte. Doch hin und wieder machten sie einen kleinen Ausflug und ließen sich mit Proviant auf ihren sattgrünen Wiesen und Felder nieder und bestaunten ihr rundes Dorf aus der Ferne. Am schönsten war es auf der südlichen Seite des Dorfes, wo sich aus dem Wald ein plätschernder Gebirgsbach quer durch das Tal zog und im nördlichen Wald wieder verschwand. Die Kinder spielten mit ihren selbst gebastelten Schiffchen vergnügt am Strom des Wassers, während die ruhenden Snowlies auf den satten Wiesen gern ihre Gesichter der Sonne entgegen hoben, wobei ihr Blick immer auf die schneebedeckten Gipfel der Berge fiel, die sich hinter den Wäldern majestätisch emporstreckten. Oftmals grübelten sie für sich oder untereinander, ob es an oder auf den Bergen Lebewesen gab. Diese hohen Felsriesen waren ihnen immer fremd geblieben, denn die Wälder, die dieses Dorf umringten, gaben keinen Einlass, eines der dahinterliegenden Gebirge zu erreichen. Von jeher standen die Tannen so dicht an dicht, dass es schier unmöglich war, in das Gehölz hinein zu gelangen. Die starken Zweige und Äste der Bäume krallten sich vom Erdboden an ineinander und waren bis zu ihrer Krone wie eine Schutzmauer fest miteinander verankert. Unglaublicherweise hatten sie trotzdem immer genügend Holz, um sich ihre Tische, Stühle, Schränke oder ihre Eingangstüren zu tischlern. Auch gab es reichlich Brennholz, um ihre Häuser während der Schneemonate zu wärmen. Wie selbstverständlich lagen auf der westlichen Seite des Dorfes immer Baumstämme, die sie verarbeiten konnten. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie diese dorthin kamen, hatten sie schon lange aufgegeben. Vergeblich versuchten sie, in der Vergangenheit dieses Rätsel zu lüften, doch irgendwann nahmen sie es hin und erfreuten sich an dem vorhandenen Holz. Es gab immer nur einen Snowlie, der die Macht besaß, die dichten Baumschranken der Wälder zu durchbrechen. Dieser Auserwählte war der Bürgermeister, der auch nur dann den Wald betrat, wenn die Dorfgemeinschaft in eine gefährliche und aussichtslose Situation geriet und er mit seiner Weisheit am Ende war. Hilfe boten die vier Himmelsrichtungen Süden, Norden, Osten oder Westen, deren geheimnisvolle Welten sich im Verborgenen hielten und der Wald ihr Portal hergab. Sehr froh war die Bevölkerung, wenn ihr Bürgermeister gesund und munter und mit der Rettung im Gepäck wiederkehrte, was nicht immer der Fall war. Doch so lange, wie es diesen Ort schon gab und viele, viele Bürgermeister in all den Hunderten von Jahren dieses wichtige Amt trugen, gab es keinen darunter, der von seiner abenteuerlichen Reise berichtete. Alle Bürgermeister fanden es von extremer Wichtigkeit, nichts darüber zu erzählen, um niemanden in Furcht oder Schrecken zu versetzen. Nur ihren Nachfolgern mussten sie davon unterrichten, damit diese aus den Erfahrungen lernen konnten. Trotzdem hätten die Snowlies zu gern den Geschichten gelauscht und sie mit neugierigen Fragen gelöchert. Doch die Bürgermeister hüllten sich immer in Schweigen. Letztendlich waren alle Snowlies froh, wenn wieder der normale Alltag und statt Unruhe herrschte. Es war schon eine lange Zeit her, als die Dorfgemeinde in den Fängen eines schrecklichen Geschehens war und sie sich mit Schaudern daran zurückerinnerten.

Umso mehr schlich die Angst der Snowlies durch ihre Häuser, als sie erfuhren, dass ihr Kristall des ewigen Wassers aus dem Dorfbrunnen verschwunden war. Tag für Tag hofften sie aufs Neue, dass ihr wertvoller Wasserstein sich auffinden würde. Dieses Ereignis war gerade in den Sonnenmonaten sehr besorgniserregend und wurde immer bedrohlicher, wovon diese Geschichte erzählen wird.

Nira und der Kristall des ewigen Wassers

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