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Kapitel Vier
ОглавлениеZum ersten Mal in ihrem Leben saß Daria auf einem Motorrad. Bisher hatte sie nie darüber nachgedacht, dass auf einem Motorrad mitzufahren hieß, jemandem körperlich so nahe zu kommen. Aber Daria war dem Biker näher als ihr lieb war, denn ihr Oberkörper drückte sich so fest gegen seinen, dass ihre Brüste ihn berührten, dass ihre Schenkel seine umklammerten und ihre Arme um seine festen Bauchmuskeln geschlungen waren. Sie konnte den ledrigen, würzigen Duft seiner Kutte riechen und sie musste zugeben, dass sie diesen Geruch mochte. Genauso wie seine steinharten Bauchmuskeln, die sich unter ihren Händen bewegten. Sie fühlte sich ganz nervös, denn sie war bisher nur Manuel je so nahegekommen. Dieses merkwürdige Gefühl in ihrer Magengrube machte sie so irre, dass sie sich auf ihren schmerzenden Knöchel konzentrierte, um nur noch ihn fühlen zu können.
Sie war müde und erschöpft und glaubte, diese Müdigkeit bis tief in jede Zelle ihres Körpers spüren zu können. Dort fühlte sie aber auch die Angst vor Manuel, denn wenn Rogue sie gleich nach Hause fahren würde - oder in das Krankenhaus - müsste sie sich mit ihrem Mann auseinandersetzen, und das würde hart werden. Besonders, nachdem sie versucht hatte, ihn zu verlassen. Wahrscheinlich war er längst wieder zu Hause und lauerte wie eine Schlange darauf, dass sie zu ihm zurückkehren würde. Dabei war sie froh gewesen, von ihm fortgekommen zu sein. Zumindest, bis sie in diesem Haus aufgewacht war, umgeben vom Gestank des Todes und Blut und den starren Augen der Frau, die auf dem Tisch lag. In diesem Augenblick wäre sie nirgendwo lieber gewesen als bei Manuel. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war und die Angst vor der Bestrafung weit von sich schob, dann war sie auch jetzt froh, wieder nach Hause zu kommen.
Das Motorrad wurde langsamer, dann hielt es vor dem Tor der alten Werkstatt und Daria verspannte sich hinter Rogue. Solange Daria sich erinnern konnte, war an diesem mindestens drei Meter hohen Stahltor ein ›Zu Verkaufen‹-Schild angebracht gewesen. Sie war Manuel nach ihrem Abschluss vor sieben Jahren nach Tolosa gefolgt, hatte ihn geheiratet und das kleine Haus gekauft, und schon damals stand die Werkstatt zum Verkauf. Jetzt war das Schild durch das Logo ersetzt worden, das auch Rogues Rücken zierte.
Gerade als sie sich fragen wollte, warum er sie hierherbrachte, fiel ihr ein, dass er ja gar nicht wusste, wo sie wohnte. Aber er hätte sie ins Krankenhaus fahren können. Daria starrte mit klopfendem Herzen auf das Logo des Motorradclubs, während sich das Tor langsam öffnete und Rogue mit ihr an einem Mann vorbeifuhr, der sie verwundert ansah, bevor er das Tor hinter ihnen wieder schloss.
Darias Beine zitterten etwas, als sie von der Maschine abstieg und sich langsam auf dem Innenhof umsah. Sie war schon hier gewesen, als das hier noch zum Verkauf stand, damals fanden hier Trödelmärkte statt, daher kannte sie die Gebäude, die in U-Form standen. Ein Teil schien auch noch eine Werkstatt zu sein, denn rechts von sich entdeckte sie einen Mann, der an einem Auto arbeitete. An dem Gebäude geradeaus stand auf einem Holzschild Clubhouse und aus dem linken Gebäude kam eben ein Mann gelaufen, der mit großen Schritten auf Rogue zuhielt.
»Wolltest du nicht das ganze Wochenende wegbleiben?«, wollte er von ihm wissen und wirkte besorgt.
»Kam was dazwischen«, antwortete Rogue und stellte sich neben Daria. »Vera«, rief er einer Frau zu, die gerade aus demselben Haus gelaufen kam.
Sie war eine Frau mittleren Alters mit lockigem Haar und freundlichem Gesicht. »Stimmt etwas nicht?«, hakte sie nach, während sie näher kam und Daria neugierig musterte.
»Welche der Wohnungen ist bereit für einen Gast?«, wollte Rogue wissen.
Daria schnappte nach Luft. »Ich soll hierbleiben?«
»Hast du gedacht, ich lass dich da draußen herumlaufen, solange der Irre noch lebt?«
»Welcher Irre?«, wollte der Mann jetzt wissen und wirkte plötzlich alarmiert.
»Erkläre ich gleich.« Rogue legte einen Arm um Daria und hob sie wieder hoch. Daria schnappte aufgeregt nach Luft. »Vera, die Wohnung und hol den Doc.«
»Die neben deiner«, antwortete die Frau nervös und folgte Rogue und Daria.
Daria klammerte sich an Rogues Schultern fest. »Warum bringst du mich nicht einfach ins Krankenhaus? Dann könnte ich der Polizei Bescheid geben.«
Rogue sah sie nicht einmal an, als er ihr antwortete, sondern trug sie einfach in das lange Lagerhaus. »Weil ich der Polizei nicht traue. Sie werden dir kein Wort glauben. Und im Krankenhaus bist du nicht sicher.«
Daria sah sich um, als Rogue sie eine Treppe nach oben und dann einen langen Gang entlang trug. »Ihr wohnt hier?«
»Früher einmal, mittlerweile leben die Familien in Häusern in der Stadt, aber ein paar von uns wohnen noch hier.«
Daria wand sich unbehaglich in Rogues Armen, als er vor einer Tür stehenblieb und darauf wartete, dass Vera sie für ihn öffnete. »Du kannst mich absetzen«, sagte sie. »Ich kann laufen. Und wirklich, ich will niemandem zur Last fallen. Lass das doch einfach die Polizei übernehmen.«
»Das entscheidet der Doc, ob du laufen kannst und solltest«, sagte er düster und trug sie an Vera vorbei in ein hell eingerichtetes Wohnzimmer, wo er sie auf einem weichen Sofa absetzte. »Vera kann dir alles besorgen, was du brauchst. Ich sehe nach dir, wenn ich wieder zurück bin.« Er fuhr sich durch die langen Haare, nahm sie hinten zusammen und ließ sie dann auf seinen Rücken sinken.
»Warte«, rief Daria und hielt Rogue an der Hand zurück. Rogue sah sie mit zusammengekniffenen Augen drohend an, er mochte es wohl nicht, wenn man ihn ungefragt anfasste. Davon ließ Daria sich nicht beeindrucken. Dieser Mann war gerade dabei, ihr Leben zu übernehmen, also musste er sich damit befassen, dass sie Fragen hatte.
»Später«, sagte er dunkel und befreite sich von ihr.
Daria schluckte schwer, er wollte eindeutig nicht mit ihr reden, aber sie musste es einfach wissen. »Was hast du jetzt vor?«
»Ich beende die Sache, damit er niemanden mehr umbringen kann.«
Daria schnappte hektisch nach Luft. Rogue hatte vorhin im Wald etwas von umbringen gemurmelt, aber Daria hatte gedacht, das wäre nur so dahergesagt gewesen. Wollte er wirklich einen Menschen töten? Aber was wusste sie denn schon, was Biker so tun würden? »Aber sollte das nicht die Polizei tun?«
Vera setzte sich neben Daria auf das Sofa und legte eine Hand auf ihren Unterarm. Die unerwartete Berührung ließ sie zusammenzucken. »Tut mir leid«, entschuldigte sich die rundliche Frau mit einem sanften Lächeln und zog ihre Hand wieder weg. »Er weiß, was er tut, du kannst ihm vertrauen.«
Vera nickte Rogue zu, der eilig die Wohnung verließ und sie mit Vera zurückließ. Daria verspannte sich nervös und sah sich im Raum um. Es gab eine offene Küche, ein Regal und einen Tisch. Alles in allem war das Zimmer gemütlich eingerichtet, aber spartanisch. Über ihrem Kopf drehte sich ein Deckenventilator und erst jetzt fühlte Daria, wie angenehm die Temperatur im Raum war. Für einen Moment legte sie den Kopf zurück und schloss die Augen, konzentrierte sich auf den Lufthauch auf ihrem Gesicht und das leise surrende Geräusch des Motors. Bis der tote Blick dieser Kinder sie einholte und sie erschrocken die Augen wieder aufriss. Daria war für eine Sekunde eingeschlafen, nur einen winzigen Moment lang und war zurück in der Hölle gewesen. Sie war so müde, jede Zelle ihres Körpers tat ihr weh und sie wollte so gerne einfach abschalten, aber schon in den Nächten im Haus hatte sie es nicht geschafft zu schlafen.
»Ich weiß nicht, was passiert ist, aber du bist hier sicher«, sagte Vera ruhig. »Ich rufe jetzt den Doc, damit er nach dir sieht und bringe dir etwas zu essen.« Vera blickte auf, als jemand in die Wohnung trat. »Das ist Blaze, Rogues Sohn, er wird hier bei dir bleiben.«
Daria musterte den jungen Mann, der im Türrahmen lehnte und sie anstarrte. Er sah seinem Vater sehr ähnlich, genau genommen war er seine jüngere Kopie. Seine Haare waren etwas kürzer und sein Gesicht weniger rau, seine Haare hatten einen ganz leichten Stich ins Rötliche, aber nur, wenn er den Kopf bewegte und das Sonnenlicht von draußen ihn traf.
»Hallo«, sagte er, stieß sich vom Türrahmen ab und setze sich auf einen der Barhocker, die vor dem Tresen standen, der Küche und Wohnbereich voneinander trennte. Er wandte ihr den Rücken zu, um eine Zeitschrift auf dem Tresen abzulegen. Auf seiner Kutte war kein Logo der Helldogs angebracht. Der obere Aufnäher, auf dem der Name der Helldogs stand, fehlte ebenfalls auf dieser Kutte. Und statt Tolosa stand auf Blazes Kutte Prospect.
Daria schwieg und sah Vera unsicher nach, die die Wohnung verließ und sie mit Blaze allein zurückließ. Blaze wandte sich ihr wieder zu und betrachtete sie neugierig. Er schob lässig die Hände in die Hosentaschen. Daria hatte das Gefühl, dass er versuchte, seinen Vater zu kopieren, aber bei ihm wirkte dieses breite Grinsen nicht ganz so beeindruckend und arrogant wie bei Rogue. »Geht es dir gut?«, wollte er wissen und das Grinsen verschwand und wurde durch Rogues harten Gesichtsausdruck ersetzt. Aber auch dieser Kopie fehlte es an Reife und Wildheit. Blaze war nicht annähernd so beängstigend wie sein Vater, was wahrscheinlich an seinem Alter lag. Daria schätzte ihn auf etwa achtzehn Jahre.
»Ja, danke.«
Blaze nickte nachdenklich. »Ich hab gehört, was passiert ist. Tut mir leid, dass du so was erleben musstest. Es gibt Sachen, die sollte niemand sehen müssen«, sagte er traurig und Daria hatte den Eindruck, dass seine Augen sich etwas verdunkelt hatten. Sie fragte sich, was Blaze wohl schon gesehen hatte.
»Schon gut«, gab sie zurück und sah sich wieder nervös im Zimmer um. Als Kind hatte Daria ein Internat in England besucht, weil ihr Vater kaum Zeit hatte, sich um sie zu kümmern. Oder weil sie ihm einfach auch nur eine Last war. Sie war die Tochter seiner Affäre gewesen, und wahrscheinlich hätte er sie seiner Frau niemals vorgestellt, wenn Darias Mutter nicht ermordet worden wäre. Aber so war ihm gar nichts anderes übriggeblieben, als seinen Betrug zu gestehen.
Damals fiel ihr der Kontakt zu fremden Menschen noch deutlich leichter als heute. In den letzten Jahren hatte Manuel dafür gesorgt, dass sie ein immer zurückgezogeneres Leben geführt hatte, deswegen fühlte sie sich in der Nähe von fremden Menschen unwohl. Es lag also nicht nur an Blaze oder Rogue, dass sie sich im Moment ganz kribbelig fühlte.
»Ihr habt aus dem alten Lagerhaus ein Wohnhaus gemacht«, stellte sie fest, nur um die unangenehme Stille zu durchbrechen.
Blaze nickte. »Ein paar der Wohnungen stehen mittlerweile leer, aber wir bekommen oft Besuch.«
Wieder Schweigen. Daria holte tief Luft, musterte ihre nackten dreckigen Füße, dann die Spuren der Seile an ihren Handgelenken und verdrängte blinzelnd die Bilder aus ihrem Kopf. Gesprächsstoff!, flehte sie sich selbst an. Sie brauchte etwas, das ihren Verstand beschäftigte.
»Wird dein Vater ihn wirklich töten? Also, macht ihr solche Dinge? Menschen töten, euch über das Gesetz stellen?«, fragte sie, weil sie die Vorstellung, dass Rogue den Irren einfach umbringen wollte, noch immer erschreckte, obwohl sie sich versuchte einzureden, dass er es verdient hatte. Dass es besser wäre, bevor noch mehr Menschen sterben mussten.
»Wenn er das gesagt hat, wird er das tun«, antwortet Blaze nur knapp. Die Frage, ob sich die Biker über das Gesetz stellten, ließ er unbeantwortet. Wahrscheinlich hatte Daria auch kein Recht sie zu stellen, weil sie das nichts anging. Sie wollte sich am liebsten selbst ohrfeigen, weil es einfach nicht richtig war, so klischeehaft zu denken und diese Menschen hier im Club vorzuverurteilen, nur weil sie Gerüchte über diesen und ähnliche Clubs gehört hatte. Vielleicht waren sie ja ganz normale Menschen. Okay, waren sie wohl nicht, immerhin war Rogue offensichtlich auf dem Weg, ein Menschenleben auszulöschen. Daria sollte versuchen, einfach gar nichts mehr zu sagen, so schwer es ihr auch fiel.
»Der Doc kommt«, sagte Blaze ein paar Minuten später und richtete sich auf. Sein Gesicht hellte sich deutlich auf, vielleicht hatte ihn die unangenehme Atmosphäre genauso belastet wie Daria, die sich erleichtert auf die schweren, hallenden Schritte im Korridor vor den Wohnungen konzentrierte.
Die Hitze im Wald war jetzt um die Mittagszeit schon drückend, aber Rogue ignorierte den Schweiß, der ihm von der Stirn tropfte, so gut es ging und behielt den Blick fest auf das alte Haus gerichtet. Er, Race und Harley versteckten sich mit einigem Abstand voneinander rings um das Haus herum und beobachteten es jetzt schon eine Weile. Als Rogue sich sicher war, dass alles ruhig war im Haus, machte er ein Zeichen in Richtung Harley, der es weitergab an Race, dann schlichen sie sich langsam, immer nach Deckung suchend, auf das Haus zu und stiegen durch eins der zerbrochenen Fenster ins Wohnzimmer.
»Die Leichen sind weg«, stieß Rogue frustriert hervor und starrte auf das leere Sofa. »Hier saßen drei, ausstaffiert wie zu einem Familienfernsehabend.«
Race verzog das Gesicht. »Der Gestank ist geblieben.«
»Ich kann nicht glauben, dass jemand so drauf sein kann.«
Rogue verließ das Wohnzimmer und ging in die Küche, wo die Leiche der Frau auf dem Tisch lag, an der der Irre gerade gearbeitet hatte. Die Fässer mit den Abfällen und Chemikalien waren noch da, aber sie waren umgeworfen worden und auf dem Boden hatte sich alles zu einer ekligen, stinkenden Masse verbunden.
»Verdammt«, stieß Race hinter ihm aus. »Was für eine Sauerei!«
»Raus hier«, sagte Rogue harsch und drängte Race und Harley aus der Küche. Diesen Anblick würde er sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Sein Magen wahrscheinlich auch nicht. Der Gestank nach Blut und undefinierbaren Chemikalien war einfach widerwärtig.
Plötzlich krachte es hinter Rogue und er zuckte zusammen. Irgendetwas war durch das Fenster in die Küche geflogen. Rogue sah über seine Schulter zurück und in dieser Sekunde ging die Küche in Flammen auf.
»Raus!«, brüllte Rogue jetzt noch energischer.
Er rannte hinter Race und Harley her in das Wohnzimmer. Harley blieb neben dem Fenster in Deckung der Wand stehen. »Ihr wisst, dass er dort draußen auf uns lauert. Wenn wir das Haus verlassen, wird er einen nach dem anderen von uns abknallen.«
»Ja, das wird er«, bestätigte Rogue mit einem wütenden Ziehen im Bauch. Dieses Arschloch hatte sie in eine Falle gelockt. Rogue sah sich im Zimmer um, vor der Wohnzimmertür züngelten die Flammen schon die Wände im Korridor hoch. »Wahrscheinlich rechnet er damit, dass wir den gleichen Weg rausnehmen, den wir auch reingekommen sind.« Rogue überlegte wie sie vorgehen konnten und versuchte, dabei so ruhig wie möglich zu bleiben, denn in Panik zu verfallen, würde ihnen nicht helfen. Aber angesichts der Tatsache, dass die Hitze sich schon über seinem Körper ausbreitete und er das Gefühl hatte, jeder Atemzug verbrannte seine Lunge und er fühlen konnte, wie die Haare auf seinen nackten Unterarmen versengten, war ruhig bleiben nicht so einfach.
»Das Schlafzimmer, aber auf dieser Seite gibt es überhaupt keine Deckung. Außerdem wird er damit rechnen, dass wir das Schlafzimmer wählen.« Rogue warf Race und Harley einen ernsten Blick zu. Es gab nur einen Weg hier raus, bei dem sie nicht Gefahr laufen würden, abgeknallt zu werden. Und das wussten sie alle drei.
»Also durch die Hölle«, sagte Race und strich sich mit einem nervösen Lächeln die langen dunklen Strähnen aus dem Gesicht.
»Wenn wir da durchkommen, haben wir wohl alle eine Glatze«, sagte Harley grinsend und wickelte seine langen braunen Haare zu einem Dutt auf, den er mit seinem Bandana fixierte, das er immer in der Tasche seiner Lederhose trug.
»Na ja, zumindest tragen wir alle Lederklamotten, die sollten uns ein paar Sekunden geben«, stellte Rogue breit grinsend fest. Er versuchte die Gefahr, in der sie sich befanden, mit ein wenig Humor herunterzuspielen, aber sie wussten alle drei, dass es wirklich übel aussah. »Im Flur gibt es keine Hindernisse, in der Küche steht der Tisch in der Mitte, also haltet euch links und denkt an die Fässer. Wir werden nichts sehen und kaum atmen können. Und wir müssen schnell da durch.«
Race grinste und nickte in Richtung Flur. Die Flammen hatten den Türrahmen schon erfasst. »Reden wir noch länger oder schaffen wir es hier raus?«
Rogue atmete tief ein und straffte seinen Körper. »Wir schaffen es hier raus.«
Race rannte los, zog den Kopf ein und sprintete regelrecht durch die Flammen im Türrahmen. Harley tat es ihm gleich, zog im Laufen seine Waffe und verschwand um die Ecke.
»Also dann«, murmelte Rogue und folgte den beiden. Die Hitze strich in einem merkwürdigen Kribbeln über die nackte Haut seiner Arme, als er den Flur entlangrannte, der gerade breit genug war, dass sein Körper die Flammen nicht berührte, er aber deutlich merkte, wie es sich wohl in der Hölle anfühlen musste.
Rogue konnte nichts sehen und er konnte nicht atmen. Alles, was er fühlte, war Hitze auf seinem Körper, in seinen Lungen, einfach überall. Er schaffte den Flur nur mit Mühe und eiserner Willenskraft, aber das Schlimmste stand ihm noch bevor: die Küche, in der die Chemikalien einen beißenden Geruch verbreiteten und die Flammen die Schränke erfasst hatten. Er hörte nur wenige Schritte vor sich etwas krachen, als Race fluchend gegen eines der Fässer trat.
»Vorsicht, der Fensterrahmen ist heiß«, hörte er Harley hustend sagen.
Rogue blinzelte und versuchte, durch den Rauch hindurch etwas zu sehen, aber er konnte direkt vor sich nur einen Schemen ausmachen, der sich fast schon wabernd bewegte. Trotzdem hielt er auf diesen Schemen zu, stolperte über etwas, fluchte leise und fing sich rudernd wieder, bevor er stürzen konnte. Er schob seinen Fuß vorsichtig voran, tastete sich mit seinem Fuß über den Boden voran und versuchte zu ignorieren, dass seine Lunge sich immer mehr zusammenzog und er das Gefühl hatte, seine eigene Kutte würde sich in seine Haut brennen, mit ihr verschmelzen. Er erreichte ächzend das Fenster und Race und Harley halfen ihm aus dem Haus. Der Rauch, der überall aufstieg, verschaffte ihnen eine gute Deckung. Als Rogue draußen stand, versuchte er, etwas Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Er nahm atemlos die Bäume ins Visier und nickte mit dem Kinn zur Baumgrenze hin.
»Das sind drei Meter. Auf drei«, keuchte er mit extrem rauer Stimme, dann zählten sie gemeinsam und rannten auf die Deckung der rettenden Bäume zu.
»Und jetzt?«, wollte Harley mit vor Wut knurrender Stimme wissen, nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren und die Hitze abgeschüttelt hatten. Harley leckte sich über die zackige Narbe in seiner Oberlippe, er war mit einer Gaumenspalte auf die Welt gekommen - vor siebenundvierzig Jahren. Sein Alter sah man ihm kaum an. »Der Bulle scheint sich verzogen zu haben, das war zu leicht. Warum hat er uns nicht aufgelauert?«
Rogue klopfte seinen Körper ab und fluchte leise. »Vielleicht war er sich sicher, dass wir da nicht rauskommen? Vielleicht war es ihm auch egal?«, schlug er vor, wagte einen Blick um den Baumstamm herum, hinter dem sie sich versteckt hatten, und verzog missmutig das Gesicht, als er das lichterloh brennende Haus sah. »Verschwinden wir lieber, hier wird jeden Moment alles vor Polizei wimmeln.«
»Ja, wahrscheinlich ist das Arschloch wirklich längst verschwunden.« Race hustete und beugte sich vornüber, um auszuspucken.
»Wenn er seinen Kollegen nicht erklären will, was er hier zu suchen hatte, dann ja«, gab Harley zurück und untersuchte seine Kleidung auf Verbrennungen. »Hat meine Kutte was abbekommen, wenn ja, bring ich das Arschloch persönlich um.«
Rogue musterte Harleys Rücken. »Alles bestens.«
»Dann lass uns verschwinden. Schade, dass seine Kollegen nichts finden werden in dem Haus.«
»Nein«, sagte Rogue mit einem hinterhältigen Grinsen. »Gut so, denn so können wir uns um ihn kümmern, ohne dass die Bullen uns in die Quere kommen.«
Rogue führte seine Brüder zu dem See, an dem noch immer seine Sachen liegen dürften. Der Schlafsack und all der andere Krempel waren ihm egal, aber er brauchte seinen Skizzenblock. Er hoffte sehr, dass der noch da war, ohne seine Skizzen fühlte Rogue sich nur wie ein halber Mensch. Bikes zu entwerfen, Harleys umzubauen und nach seiner Vorstellung zu Kunstwerken zu formen, das war es, was Rogue liebte, was er brauchte, um den Kopf freizubekommen. Außerdem war das Risiko zu groß, dass jemand seine Sachen fand und eine Verbindung zu dem Brand ziehen würde. Er wollte nicht, dass jemand im Club herumschnüffelte.
Dann war der Drecksack eben abgehauen, sie würden sich trotzdem um ihn kümmern. Der Club würde ihn finden und ihn für diese Scheiße bezahlen lassen. Rogue fluchte innerlich, er konnte die Hitze noch immer überall spüren, das Herz schlug ihm sogar noch immer bis zum Hals und er schmeckte den Rauch und den Gestank von Tod auf seiner Zunge. Dieser Wahnsinnige würde nicht entkommen.
»Das ist also dein kleines Plätzchen«, sagte Race und starrte mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Leiche des Jungen aus dem Haus, der neben der Feuerschale auf Rogues Decke lag.
Rogue brummte nur zur Antwort. Er hatte es heute wirklich satt, was für ein verflucht beschissenes Wochenende! Und dieses Wochenende sollte ihm gehören. Dieser Drecksack hatte ihm sein Wochenende genommen und spielte perverse Spiele mit ihm, das würde er nicht überleben. Rogue war so sauer, dass sein Körper vibrierte.
»Ist dir aufgefallen, dass er ein Helldogs-Shirt anhat?« Race sah zu Rogue auf und grinste breit, aber dieses Grinsen war gespielt. Sein Bruder versuchte damit nur seine wahren Gefühle zu verstecken.
»Ist es. Und ja, das ist mein Shirt aus meinem Rucksack. Der Mistkerl wollte es so aussehen lassen, als hätte ich diese Schweinerei gemacht.« Rogue zeigte auf seine Taschen, die überall verteilt lagen. Diesen Tatort würden sie beseitigen müssen. Zumindest die Leiche musste weg, damit das hier gar nicht erst ein Tatort wurde. Das Ufer frei von Spuren zu bekommen, war nahezu unmöglich, also musste die Leiche verschwinden.
Harley murmelte irgendetwas Unverständliches, dann bückte er sich nach der Leiche. »Tut mir verdammt leid, Kleiner, aber das Shirt muss ich dir ausziehen und dann müssen wir dich entsorgen.«
Rogue sah sich im Wald um und lauschte in die Stille, aber bisher war nichts Verdächtiges zu hören. Im Augenblick lief so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte, aber Rogue konnte wirklich froh sein, dass er so viel Wert auf seinen Skizzenblock legte, sonst wären sie nicht noch einmal hergekommen. Und dann wäre der Club wirklich am Arsch gewesen. Alles hier hätte darauf hingedeutet, dass jemand vom Club hier ein Kind umgebracht hatte. Das Gegenteil zu beweisen, wäre fast unmöglich gewesen. Den Bullen reichte es doch, jemanden mit einem Bike und einer Kutte zu sehen, um ihn für schuldig zu befinden.
Harley hatte dem Jungen das Shirt ausgezogen. Seine Haut an den Armen wirkte grau, ledrig und fleckig. Und seine Augen waren ganz blass. Mit Schaudern erinnerte sich Rogue daran, wie der Junge wie eine Puppe auf dem Sofa im Haus gesessen hatte.
»Zumindest bekommt er jetzt ein nasses Grab, das ist besser als das, was er vorher hatte«, murmelte Rogue und half Harley und Race dabei, den Schlafsack mit Steinen zu beschweren. Dann legten sie den Körper rein und verschlossen den Sack gut, bevor sie ihre Schuhe auszogen und mitsamt Hosen in den See gingen, um den Jungen so weit wie möglich vom Ufer entfernt zu versenken.
»Dieses Arschloch wird leiden«, sagte Race und starrte auf den See raus, während Rogue den Rest seiner Habseligkeiten verstaute.
»Das wird er«, sagte Rogue und klopfte Race auf die Schulter. Niemand konnte gut damit umgehen, wenn Kindern schlimme Dinge widerfuhren, aber für Race war es besonders schlimm. Seine Schwester hatte die Hölle durchgestanden und er war zu jung gewesen, um sie zu retten. Race ging das Leid von Kindern sehr nahe. Diese Sache hier würde all die Wunden seiner Kindheit wahrscheinlich wieder aufreißen.
»Verschwinden wir«, sagte Harley und warf Rogue einen besorgten Blick zu. »Auf uns beide wartet eine ganze Flasche Macallan, Race.«
»Oder zwei«, murmelte dieser.