Читать книгу Die Shanghai Dosis - Eli T. Crown - Страница 8
ОглавлениеKapitel 2-Der Flug
Zuerst war da ein kaum hörbares Klacken. Dann kam ein Rascheln. Ich öffnete müde meine Augen und sah zunächst: nichts. Als mir klar wurde, dass ich immer noch in Richtung des geschlossenen Fensters lag, drehte ich mich träge um. Obwohl das Licht nach wie vor gedimmt war, sah ich deutlich Umrisse, die sich langsam bewegten. Meine Schwester lag weiterhin ruhig neben mir und machte keinen Mucks. Ich blinzelte verschlafen, und die Bilder vor mir wurden langsam etwas genauer. Direkt vor Tessa stand ein Mann und hantierte in den Ablagen über uns. Er bewegte sich sehr zögerlich und versuchte dabei, so behutsam wie möglich zu sein. Dennoch hörte ich ihn durch meine Ohrstöpsel hindurch. Das Klacken kam in unregelmäßigen Abständen wieder.
Ich richtete mich etwas auf. Der Mann versteinerte in seinen Bewegungen und sah mich direkt an. Aber kramte gleich wieder weiter. Ich versuchte meine Ohrstöpsel so elegant wie möglich aus meinem Ohr zu pulen, was mir nicht sofort gelang. Als ich endlich wieder normal hören konnte, wurde mir erst bewusst, wie leise sich der Mann bei seinen Bemühungen tatsächlich verhielt. Ich wusste erst nicht genau, was ich sagen wollte oder sollte, weil ich mir unschlüssig war, ob sich in den Ablagefächern über uns nur unser Handgepäck befand oder auch sein eigenes. Denn es war der Mann aus der direkten Reihe vor uns. Der Mann, den ich kurz vor dem Start fast umgerannt hatte und der im schummrigen Licht noch viel besser aussah. Und als ich mich schon dazu durchgerungen hatte, zumindest irgendetwas zu sagen, kam eine Stewardess durch den Gang schnell auf ihn zu.
„Kann ich Ihnen helfen, Herr Schneider?“, flüsterte sie. Er stoppte seine Aktivitäten, schaute etwas böse in ihre Richtung und schüttelte kurz den Kopf. Er drehte sich wieder in meine Richtung, nahm seine Hände aus der Ablage und schloss das Fach wieder. „Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen? Vielleicht ein Wasser?“ Er nickte, schob sich leicht an ihr vorbei und setzte sich langsam auf seinen Platz. Die Stewardess wirkte etwas irritiert, genau wie ich. Sie fragte ebenfalls nach meinen Getränkewünschen. Ich lehnte dankend ab und suchte in dem Sitz vor mir nach meinem Handy. Es befand sich zwar nur im Flugmodus, aber ich wollte die Uhrzeit überprüfen. Erst ungefähr drei Stunden waren seit dem Start vergangen. Ich war genervt, denn ohne die Aktivitäten unseres Sitznachbarn hätte ich sicher noch einige Zeit weiterschlafen können.
Ich richtete mich auf und brachte meinen Sitz in eine aufrechte Position. Herr Schneider bekam gerade sein Wasser gebracht und setzte sich währenddessen seine Kopfhörer auf.
‚Ja, versuch du nur zu entspannen … Ich bin ja jetzt wach‘, dachte ich mürrisch. Ich tat es ihm aber gleich und wollte versuchen, mich mit einem Film wieder etwas zur Ruhe zu bringen. Schlussendlich entschied ich mich aber doch für einen aktuellen Actionfilm und startete ihn kurz darauf. Der Film an sich war ganz gut, brachte aber als dritte Fortsetzung der Actionreihe leider keine neuen Überraschungen. Ich wurde zum Ende hin wieder etwas müder und versuchte ein weiteres Mal mein Glück. Kurze Zeit später war ich bereits eingeschlafen. Und diesmal klappte es, ganz ohne erneute Störungen, glücklicherweise etwas länger.
So richtig wach wurde ich tatsächlich erst, als das Licht an Bord etwas heller gestellt wurde. Meist passiert dies bei einem Nachtflug zum Ende des Fluges, damit die Passagiere passend zum Frühstück wieder langsam wach werden und sich der Biorhythmus etwas an die - nicht unwesentliche - Zeitverschiebung gewöhnen kann. Ich linste mit einem Auge auf mein Handy, es war bereits 5: 07 Uhr deutsche Zeit. Dies wiederum bedeutete 12: 07 Uhr chinesische Zeit. Ich gähnte herzhaft und schaute neugierig zu meiner Schwester hinüber. Diese saß, bereits fit wie ein Turnschuh, in ihrem Sitz und schaute sich denselben Actionfilm an, zu dem ich letzte Nacht versucht hatte, wieder Ruhe zu finden.
Nachdem ich meine Ohrstöpsel wieder entfernt hatte, setzte ich mich aufrecht hin und versuchte, meine Haare in den Griff zu bekommen. Leider habe ich seit jeher eine etwas störrische Naturwelle, die vor allem in den blödesten Situationen ein Eigenleben entwickelt. Ein Haargummi brachte mir auch diesmal kurzfristige Erleichterung.
„Na, gut geschlafen?“, fragte ich Tessa, immer noch etwas müde. Sie hatte mittlerweile ihre Kopfhörer abgenommen. „Ja, ich habe geschlafen wie ein Stein“, entgegnete sie mir frisch. „Ich hab uns beiden das europäische Frühstück bestellt, ich war so frei. Ich war mir sicher, Nudelsuppe ist selbst dir zum Frühstück zu krass. Oder?!“
„Perfekt!“, sagte ich erleichtert. „Ich brauche außerdem auf jeden Fall eine Menge Kaffee!“, fügte ich noch schnell hinzu und grinste.
Unser Frühstück wurde kurz darauf serviert. Ich war wirklich sehr hungrig und ließ absolut keinen Krümel übrig. „Isst du das noch auf?“, fragte ich Tessa mit vollem Mund.
„Nein, kannst dich gern bedienen!“ Noch während sie das sagte, mopste ich mir das zweite Brötchen von ihrem Teller. Sie schien meine Vorwarnung im Vorfeld nicht allzu ernst genommen zu haben, und zwar, dass die chinesischen Backwaren den europäischen eher unähnlich waren. Aber gut für mich. Leider war ich - trotz des einsetzenden Sättigungsgefühls - immer noch etwas unruhig. Da fiel mir das Ereignis der letzten Nacht wieder ein.
Ich schielte zu dem Nachbarn in der Reihe vor uns. Er hatte immer noch seine Kopfhörer auf und seine Augen waren geschlossen. Anscheinend hatte er auf sein Frühstück verzichtet.
‚Typisch, der achtet sicher auch noch super genau auf seine Figur‘, dachte ich und war gleich wieder genervt.
„Hast du das heute Nacht mitbekommen?“, fragte ich Tessa leise.
„Nein, was denn?“ Ich deutete auf den Mann vor ihr.
„Er hat in den Fächern über uns gewühlt, davon bin ich sogar wach geworden.“ Dabei verdrehte ich meine Augen.
„Warum das denn? Da sind doch nur unsere Taschen drin. Glaube ich zumindest …“, sagte sie. Und war offensichtlich auch etwas unschlüssig. „Soll ich mal nachsehen?“, fragte Tessa und war im selben Moment auch schon aufgesprungen. Sie öffnete das Fach für das Handgepäck und griff hinein und schob und zog etwas hin und her.
„Hier sind nur unsere Taschen, kein anderes Gepäck“, stellte sie fest. „Aber alles ist noch verschlossen.“ Sie gab mir meine Handtasche. „Schau lieber mal nach, ob noch alles drin ist“, sagte sie und nahm auch ihre Tasche heraus. Nach einer kurzen Kontrolle befanden wir beide, dass noch alles an seinem Platz und vollständig war. Aber ich ließ nicht locker.
„Komisch, aber was wollte er denn dann an unserem Fach?“
„Es muss nicht immer alles gleich einen mysteriösen Hintergrund haben“, antwortete Tessa leicht gereizt. „Vielleicht hat er sich nur geirrt und sein Gepäck im falschen Fach gesucht?“
„Ja … vielleicht. Es war ja auch echt dunkel an Bord“, bestätigte ich ihre Theorie. Möglich war es ja, und nur, weil ich gerne Detektivgeschichten las und in einem anderen Leben definitiv FBI-Agentin geworden wäre, konnte es wirklich nur ein blöder Zufall gewesen sein. Oder ein einfacher Irrtum. Ich gab ihr Recht und sie verstaute unsere Handtaschen wieder in dem Fach über uns. Kurz nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, wurde das Frühstück abgeräumt und wir füllten die üblichen Formulare für die Einreise in Shanghai aus. Dadurch, dass ich diese schon öfter ausgefüllt hatte, ging es bei mir wesentlich schneller.
„Lässt du mich noch mal kurz raus? Ich möchte mir vor der Ankunft noch gerne die Zähne putzen“, sagte ich, und war bereits aufgestanden.
„Logisch, besser ist das!“, feixte sie, legte die Unterlagen beiseite und klappte ihren Tisch hoch. Ich stieg über ihre Beine hinweg und war bereits auf der Hälfte des Weges zu den Toiletten, als sie mir hinterherrief: „Eli, wie hieß unser Hotel noch mal schnell?“
„Crowne Region!“, rief ich zurück und ging weiter.
Nachdem ich eine kurze Morgenwäsche hinter mich gebracht hatte, fragte ich bei der netten Stewardess nach einem weiteren Kaffee für mich und ging zurück zu meinem Platz. Sie brachte mir zügig meinen Kaffee und bat mich, diesen auch so schnell wie möglich zu trinken. Die Landung stehe kurz bevor. Meine Schwester hatte mittlerweile ihr Einreiseformular ausgefüllt und räumte ihren Platz auf. Ich tat es ihr gleich und gab auch ordnungsgemäß die leere Kaffeetasse einer anderen vorbeilaufenden Stewardess mit. Ich schaute mich im Abteil um. Fast alle Passagiere waren bereits auf die Landung vorbereitet und in klarer Aufbruchstimmung. Ich ging meine Sachen vorsichtshalber noch einmal durch und überprüfte den richtigen Sitz meines Passes und der anderen Wertgegenstände. Da alles am Platz und schnell griffbereit war, wurde ich etwas ruhiger und schloss meine Tasche.
Die Landung verlief schnell und unkompliziert. Nachdem wir an der Landeposition angedockt hatten, sprangen alle Passagiere fast zeitgleich auf, und es schien so, als würden alle Handys gleichzeitig Netz-Empfang bekommen. Es piepste und vibrierte ohne Ende. Tessa und ich ließen uns noch etwas Zeit und gaben den Geschäftsreisenden beim Ausstieg den Vorrang. Wir hatten schließlich Urlaub und mussten keinen Anschlussflug erreichen. Auch der Mann vor uns schien, wie wir, alle Zeit der Welt zu haben, und deshalb erreichten wir fast zeitgleich den Shuttlebus, der vor dem Flugzeug auf die restlichen Passagiere wartete. Wir stiegen ein, und endlich ging es los mit unserem Chinaurlaub.