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Kapitel 3-Die Ankunft

Nach gefühlten fünf Stunden in der Warteschlange vor dem Einreise- und VISA-Terminal kamen wir endlich mit unseren Koffern in der Ausgangshalle des Shanghai Pudong International Airports an.

Ich steuerte zielsicher den am äußersten Ende gelegenen Ausgang an. Vor diesem warteten die zahlreichen, ortsüblichen und vor allem sehr preiswerten Taxis, und wir stellten uns wie die anderen Passagiere brav in der Schlange an. Ich kramte unruhig in meiner Handtasche.

„Wonach suchst du?“, fragte mich meine Schwester. „Hat uns der böse, gut aussehende Mann am Ende doch noch etwas aus den Taschen geklaut?“, fügte sie schmunzelnd hinzu. Die Worte gut aussehend betonte sie dabei besonders lange und deutlich.

„Nein, ich suche nur nach der chinesischen Beschreibung für den Weg zum Hotel. Und …“

„Und was?“, fragte sie weiter.

„Na ja, du kennst mich ja“, meinte ich etwas verlegen. „Ich habe uns zur Sicherheit einige Fragen von einem Freund ins Chinesische übersetzen lassen. Was die Sicherheit im Straßenverkehr betrifft. Nur zur Sicherheit.“

„Okay, das Wort Sicherheit hast du jetzt ganze drei Mal gesagt. Was für Fragen sind das denn …?“, wollte Tessa neugierig wissen. Genau in dem Moment, als ich zur Antwort ansetzte, waren wir auch schon an der Reihe, und ein chinesischer Taxifahrer kam uns entgegen, um uns eilig die Koffer abzunehmen.

„One moment, please!“, sagte ich und wühlte hektisch weiter. Endlich fand ich den gesuchten Zettel. Ich nahm ihn aus der Tasche und hielt ihn vor sein Gesicht. Er ging etwas auf Abstand, kniff die Augen zusammen und las die betreffenden Zeilen. Der Fahrer sah dabei äußerst irritiert aus, drehte sich jedoch nach einigem Zögern um und riss die hintere Tür auf. Er hantierte unter dem Hintersitz und nach einigem Hin und Her kam der erste Sicherheitsgurt zum Vorschein. Diesen zog er mit Gewalt nach vorne und grinste.

„Was soll das denn? Was steht denn bitte auf dem Zettel?“, rief meine Schwester aufgeregt und riss mir das Papier aus der Hand. „‚Haben Sie Sicherheitsgurte im Auto?‘ und ‚Fahren Sie bitte langsam!‘? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?!“ „Na ja“, setzte ich etwas verlegen an, „ich weiß doch, wie die chinesischen Taxis fahren, und ich würde sehr gerne wieder gesund nach Hause kommen. Mit dir zusammen. Und außerdem ist das ja wohl kein Weltuntergang, die Gurte sind ja auch nur etwas dreckig.“ Etwas war ein wenig untertrieben. Die Gurte sahen aus, als hätten sie in ihrem Leben noch keine Sekunde Tageslicht erblickt. Was verständlich war, denn die chinesische Mentalität ist in dieser Hinsicht anders als unsere deutsche. Sicherheitsgurte waren hier eher etwas für Anfänger und wurden in China so gut wie nie benutzt. Außer von mir natürlich, einer bayrischen Touristin.

Während ich den Zettel wieder in meiner Tasche verstaute, hatte der Taxifahrer unser Gepäck bereits im Kofferraum untergebracht und kam nach vorne zu seinem Sitz. Tessa saß bereits auf dem Rücksitz und hatte sich brav mit Gurt Nummer 2 angeschnallt. Beide warteten nur auf mich. Ich räusperte mich, stieg ein und schnallte mich ebenfalls an. ‚Ganz tief durchatmen‘, dachte ich und versuchte, alles um mich herum anzusehen, nur nicht, was für ein Muster der dreckige Gurt auf meinem hellen Pullover hinterlassen würde. Ich gab dem Fahrer die Visitenkarte unseres Hotels und er fuhr los. Etwas langsamer als sonst. Dennoch immer noch viel zu rasant für mich, aber ich fügte mich brav.

Mit dem Verkehr in China war es wie in einem Schwarm von Fischen. Entweder man schwamm mit ihnen oder gegen sie. Und kein guter chinesischer Taxifahrer schwamm dagegen. Er versuchte vielmehr, der Erste zu sein. Und der Lauteste. Denn auch die Hupe wurde aus meiner Sicht in keinem anderen Land der Erde so häufig benutzt wie in China. Nicht nur, um anzudeuten, wenn eine Situation gefährlich werden könnte, sondern auch, wenn eine Situation nervte, zu langsam oder zu schnell ging. Und bei allen anderen Gelegenheiten eigentlich auch. Daran sollte man sich in China gewöhnen. Oder Ohrstöpsel verwenden.

Wir kamen erst nach ungefähr zweieinhalb Stunden im Hotel an. Was aber für die ohnehin durchgehende 24h- Rushhour in Shanghai absolut in Ordnung war. Müde waren wir natürlich trotzdem, denn der beständige Verkehrslärm und der Smog gaben uns, vor allem nach dem langen Flug, definitiv den Rest. Ich bezahlte den Taxifahrer mit den Yuan, die ich mir gleich nach der Ankunft am Flughafen mit der Kreditkarte abgehoben hatte, und gab zusätzlich ein gutes Trinkgeld. Dies war in China eigentlich unnötig, denn dort erwartete niemand Trinkgeld. Ich gab es bei gutem Service trotzdem immer gerne. Egal, wo auf der Welt. So sind wir Deutschen halt.

Wir wurden im Hotel, wie immer, äußerst freundlich an der Rezeption empfangen und konnten auch sehr schnell einchecken, worüber wir nach der langen Reise sehr glücklich waren. Ein weiterer, sehr freundlicher Servicemitarbeiter half uns mit den Koffern und begleitete uns zu unserem Zimmer. Ich hatte ein ganz normales Standardzimmer gebucht, aber Tessa war dennoch überrascht.

„Wow!“, rief sie erstaunt. „Das Zimmer ist ja so groß wie eine Suite! Und erst der Ausblick!“

Ja, die Aussicht war wirklich toll. Obwohl wir uns nicht auf einer der obersten Etagen befanden, konnte man auch von hier den fantastischen Ausblick über Shanghais Straßen genießen. Aufgrund meiner Höhenangst versuchte ich immer, bereits bei der Buchung über das gewählte Stockwerk zu verhandeln. Denn zumeist wollte das Hotel den Gästen einen sensationellen Fernblick gewähren und dies funktionierte in einer Großstadt wie Shanghai eben nur von ganz oben. Wenn man aber mehr als einmal einen Tag mit dichtem Smog erlebt hatte und nur noch Nebel anstatt Straßen unter sich sah, veränderte sich dieses gute Aussichtsgefühl doch recht schnell. Zumindest hatte es das bei mir. Der Hotelmitarbeiter erklärte uns noch professionell die verschiedenen elektronischen Funktionen im Zimmer und (sehr wichtig!) wie der Fernseher funktionierte. Gleich danach verließ er uns auch schon wieder. Tessa warf sich sofort aufs Bett.

„Oh, ist das wunderbar weich! Ich werde schlafen wie ein Baby!“, murmelte sie und es sah aus, als würde sie dies auch gleich in die Tat umsetzen wollen.

„Nein, nein!“, rief ich. „Wir müssen noch etwas wach bleiben! Wirklich, sonst werden die nächsten Tage für uns der reine Horror!“ Ich schielte auf mein Handy, das sich bei unserer Ankunft auf chinesische Zeit umgestellt hatte. „Es ist jetzt 18: 42 Uhr chinesische Zeit“, setzte ich an, „das bedeutet, warte … erst kurz vor Mittag unserer Zeit. Ich weiß, wir sind super müde wegen des langen Fluges, aber lass uns versuchen, zumindest noch etwas wach zu bleiben. Wir gehen draußen noch eine Kleinigkeit essen und heute Abend früh ins Bett. Dann schlafen wir hoffentlich bis morgen zum Frühstück durch und haben die nächsten Tage etwas weniger Probleme mit der Zeitverschiebung, als wenn wir uns jetzt gleich ins Bett legen.“

„Mmmh …“, murmelte Tessa mit geschlossenen Augen. Sie machte keine Anstalten, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Eine Dusche hilft sicher!“, versuchte ich, sie etwas zu ermuntern, und stupste sie an.

„Bitte … Nur fünf Minuten … Biiiiiiiitte …“, flehte sie.

„Alles klar“, sagte ich, „ich spring nur kurz unter die Dusche und du ruhst dich etwas aus. Aber dann bist du dran! Okay?“

„Mmmh …“, war die einzige Antwort, die ich noch von Tessa zu hören bekam.

‚Na gut‘, dachte ich. Ich war auch hundemüde, wollte aber zumindest ein einigermaßen gutes Vorbild sein. Ich nahm mir meinen Koffer, legte ihn auf eine der zahlreichen Ablagen ab und öffnete ihn, um meinen Kulturbeutel zu suchen. Da ich kein spezielles Packsystem hatte oder beherrschte, dauerte es einige Zeit, bis ich ihn endlich unter meiner Unterwäsche fand. Ich nahm meine Zahnbürste heraus und machte mich auf den Weg ins Bad.

„Tessa! Ich hab die Zahnpasta gefunden!“, rief ich ihr aber doch noch zu, nachdem ich das Badezimmer betreten hatte.

Das ist das Schöne an den asiatischen Hotels. Man findet in den Badezimmern wirklich alles, was das Herz begehrte oder man einfach vergessen hat. Den Rest bekommt man zu jeder Tages- und Nachtzeit an der Rezeption. Ohne Extrakosten oder Fragen und immer freundlich und hilfsbereit. Einfach fabelhaft, auch deshalb liebe ich China.

Ich nahm die Zahnpasta und den Einweg-Rasierer aus dem Körbchen und legte ihn griffbereit zur Dusche, während ich mir die Zähne putzte. Ich befreite mich aus meinen müffelnden Reiseklamotten und legte sie für die Reinigung auf einen Haufen zusammen. Noch ein angenehmer Luxus in asiatischen Ländern ist der mitunter extrem günstige Reinigungsservice. So war sichergestellt, dass wir mit denselben frischen (und bequemen) Sachen zurückreisen konnten, ohne uns selbst darum kümmern zu müssen. Ich stieg in die Dusche und genoss den üppigen und warmen Wasserstrahl auf meiner Haut. Ich bediente mich auch an dem vom Hotel bereitgestellten Duschgel und rasierte mir die Beine. Eigentlich war ich nicht der Typ für langes Duschen, aber diesmal ließ ich mir (und Tessa) etwas mehr Zeit. Die ausgiebige Dusche entspannte mich glücklicherweise und nach einem kurzen, kalten Strahl zum Schluss fühlte ich mich wieder wie neugeboren. So neu, wie man sich mit 40 nach einem Langstreckenflug eben fühlen konnte. Also halb neu.

Gut duftend stieg ich aus der Dusche und bemerkte, dass sich das ganze Bad in einem dichten Nebel befand. Ich hatte wohl doch länger geduscht, als ich angenommen hatte. Tessa befand sich sicher schon im Land der Träume. Der tiefen Träume. Ich nahm mir ein wunderbar weiches Handtuch und trocknete mich in Ruhe ab. Auf die paar Minuten mehr oder weniger kam es jetzt sicher nicht mehr an. Sie würde über meine Weckversuche ohnehin nicht allzu erfreut sein. Ich cremte mich noch mit der ebenfalls sehr gut, aber dezent riechenden Bodylotion aus dem Hotelkörbchen ein und öffnete leise die Badezimmertür. Der Dampf zog sofort aus dem Bade- ins Hotelzimmer und mir wurde gleich etwas kälter.

Ich traute meinen Augen kaum. Tessa befand sich in aufrechter Position und eilte hektisch durchs Zimmer. Ihr Koffer war bereits so gut wie ausgepackt, und sie hatte offensichtlich sehr gute Laune. Sie grinste.

„Ist der Smog jetzt auch schon in unserem Hotelzimmer angekommen?“, lachte sie mir entgegen. „Also, ich bin startklar, was man von dir ja wohl nicht behaupten kann!“, ergänzte sie schmunzelnd. Nein, startklar war ich absolut nicht. Mit dem Handtuch um den Körper und meinen noch pitschnassen, tropfenden Haaren.

„Ich beeil mich!“, sagte ich schnell und war froh, sie in bester Laune zu sehen. Ich hatte schon Sorge gehabt, sie mit Gewalt aus dem Bett in ein Taxi bugsieren zu müssen. Jetzt war aber definitiv sie der Gute-Laune-Pol von uns beiden.

„Keinen Stress“, entgegnete sie, „ich wollte eh noch etwas im Reiseführer lesen.“

‚Alles klar, keinen Stress krieg ich hin‘, dachte ich, reckte meinen Daumen in die Höhe und befand mich schon wieder auf dem Weg zurück ins Bad. Ich föhnte mir die Haare, und nach einigen Versuchen, meine Locken zu bändigen, gab ich auf und steckte sie einfach mit einer Klammer zusammen.

Ich hob die restliche Kleidung auf, die noch am Boden lag und ging wieder zurück ins Zimmer.

„Ich lass meine Sachen reinigen, soll ich deine auch gleich mit dazu packen?“, fragte ich Tessa.

„Gerne, warte kurz“, antwortete sie. „Hier sind sie.“ Ich legte ihre Sachen zu meinen in den vom Hotel bereitgestellten Kleidersack und füllte das Reinigungsformular aus. Dieses steckte ich zu den Kleidungsstücken in den Sack und legte ihn vor die Tür des Hotelzimmers, damit er vom Reinigungspersonal bei einer seiner regelmäßigen Runden abgeholt werden konnte.

Da es in Shanghai, entgegen der deutschen Temperaturen, bereits deutlich Frühling geworden war, entschied ich mich für eine lockere Hose, ein T-Shirt und eine leichte Strickjacke. Tessa war bereits fertig umgezogen und lag lesend auf dem Bett.

„Hast du schon Pläne für unser Nachtleben?“, fragte sie, ohne aufzublicken.

„Pläne nicht direkt“, sagte ich, „aber ich kenne ein paar gute Restaurants und Bars, die mir bei den letzten Aufenthalten sehr gefallen haben.“

„Die Auswahl ist echt riesig!“, rief sie erfreut und hielt den Reiseführer wie eine Trophäe in die Höhe.

„Ja, fast schon zu groß …“, meinte ich. „Ich zeig dir erst einmal ein paar Läden, die ich kenne, und wenn sie uns nicht gefallen, gehen wir einfach woanders hin.“ Ich überlegte. „Vielleicht gibt es ja die amerikanische Bar noch, in der ich vor zehn Jahren mal war. Dorthin gehen auch viele Europäer und man fühlt sich nicht ganz so fremd. Das Bier ist auch echt gut! Ansonsten können wir ins Hofbräuhaus gehen.“

„Wohin?“, fragte Tessa, deutlich verwirrt.

„Ins Hofbräuhaus“, wiederholte ich grinsend. „In Shanghai gibt es mehrere Wirtshäuser analog dem deutschen Vorbild. Und wenn du erst mal die chinesischen Bedienungen in ihren süßen, bayrischen Trachten gesehen hast, willst du gar nicht mehr ins deutsche Original“, ergänzte ich schmunzelnd.

„Echt?!“, fragte sie. „Krass, aber ja, das machen wir auch! Ich brauch davon auf jeden Fall eine Menge Bilder für unsere Freunde daheim!“, sagte sie erfreut. Sie legte den Reiseführer beiseite und stand auf. „Gehts los?“, fragte sie, offensichtlich bereits startklar.

„Ja, los gehts!“, antwortete ich unternehmungslustig, packte den Reiseführer in meine Handtasche und überprüfte ein letztes Mal mein Aussehen im Zimmerspiegel. Tessa schnappte sich ihre Tasche und schlüpfte in ihre Schuhe.

Wir fuhren mit dem Aufzug nach unten und bestellten uns an der Rezeption ein Taxi. Ich nahm mir zur Sicherheit noch eine der Visitenkarten des Hotels mit, welche in jedem chinesischen Hotel immer an der Rezeption auslagen.

„Hier, nimm du sie, für alle Fälle!“, sagte ich und reichte sie Tessa.

„Ach, du meinst zur Sicherheit?“, schmunzelte sie. „Aber warum? Ich kenn doch den Namen des Hotels und kann ihn bei Bedarf jedem Taxifahrer nennen.“ Während wir in der Hotellobby noch auf das Taxi warteten, erklärte ich ihr, warum: In China ist die Anzahl englischsprachiger Taxifahrer auch in der heutigen Zeit leider gering. Vor allem je älter der Taxifahrer ist, desto kleiner die Chance, sich mit ihm auf Englisch verständigen zu können. Deshalb werden fast alle Adressen, sei es für Hotels oder Restaurants, auf Visitenkarten mit einem zusätzlichen Bild des betreffenden Straßenausschnitts in chinesischen Schriftzeichen auf der Rückseite der Karte angegeben. Und so finden die Taxifahrer (fast) immer ihr Ziel. Mich hatte es bislang auf meinen Reisen einige äußerst verwirrende Kommunikationsversuche und mehrere falsche Ziele gekostet, bis ich dies begriffen hatte. Ab da war ich besser vorbereitet. Darauf, und eben auch auf die Tücken im Straßenverkehr. Denn ich mochte mein jetziges Leben einfach viel zu gerne.

Die Shanghai Dosis

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