Читать книгу Begegnung bei Vollmond - Elias Reich - Страница 3

Kapitel 1

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Es war Nacht. Ich stapfte durch den Schnee. Verdammter Winter, dachte ich und manövrierte um die dicht beieinander stehenden Bäume herum. Besinnlich fielen Schneeflocken vom Himmel. Trotz der Kälte trug ich nur eine Jeans, ein schwarzes Hemd und einen schwarzen Baumwollmantel. Die Temperaturen machten mir nichts aus. Ganz im Gegenteil, das Blut kochte in meinen Adern. Meine Haut juckte. Es war mal wieder soweit. In Eile lief ich weiter. Mondlicht fiel durch die Baumwipfel auf den Boden. Wie angewurzelt blieb ich stehen und schaute in den Nachthimmel. Dort stand er, der feiste leuchtende Mond. Beinah konnte ich hören, wie er nach mir rief, mich antrieb und mir leise verlockende Dinge zuflüsterte. Ein Beben durchfuhr meinen Körper. Meine Muskeln krampften. Um ein Haar hätte ich ein Heulen ausgestoßen, doch es gelang mir gerade noch es zu unterdrücken. Ich muss weiter, dachte ich und setzte mich wieder in Bewegung. Tiefer hinein in den Wald. Quasi lautlos huschte ich durch das Gelände. Nachdem ich einige Zeit weiter gelaufen war, hielt ich an und schaute mich um. Okay, hier müsste es gehen, dachte ich und wollte gerade meinen Mantel ausziehen, als ich einen markanten Geruch witterte. Blut. Ich stutze. Was hat das zu bedeuten? Aufmerksam schnüffelte ich im Wind. Ja. Eindeutig Blut, stellte ich fest. Genervt seufzte ich. Auch das noch! Rasch setzte ich mich in Bewegung, um der Quelle des Blutgeruches auf den Grund zu gehen. Mein Magen knurrte. Mein Jagdinstinkt machte sich bemerkbar. Ich schüttelte den Kopf. Nein! Nicht jetzt! Der Geruch wurde immer intensiver. Ich war offensichtlich auf der richtigen Spur. Ich legte eine ganz schöne Strecke zurück, dann lichteten sich die Bäume und plötzlich stand ich auf einer Waldlichtung. Auf dieser Lichtung stand im Mondlicht eine junge Frau. Sie war von oben bis unten mit Blut verschmiert. Irritiert blieb ich stehen. Was zum Teufel ist hier los? Die Frau blickte fasziniert hinauf zum Vollmond und wirkte vollkommen weggetreten. Ihre schulterlangen rabenschwarzen Haare wehten leicht im Wind. Ich schmunzelte. Wie klischeemäßig. Sie trug ein schwarzes kurzes T-Shirt, eine schwarze Hose und, Sie werden es erraten, schwarze klobige Lederstiefel. Lautlos schlich ich mich näher heran. Umso näher ich kam, umso besser konnte ich sehen, in was für einem Zustand sich die Frau befand. Ihre Arme waren übersät mit blauen Flecken und kleinen offenen Wunden. Ein Schnitt am Oberarm sah besonders übel aus. Der musste mit Sicherheit genäht werden. Um eines ihrer Augen hatte sich ein ordentliches Veilchen gebildet, außerdem war ihr T-Shirt zerrissen. Völlig entrückt starrte sie weiterhin zum Vollmond und beachtete mich gar nicht. Unauffällig schnupperte ich. Jetzt wo ich so nah dran war, konnte ich auch noch etwas anderes riechen, als Blut. Und zwar einen leichten Hauch des Übernatürlichen. Was ist hier nur los?! Verärgert runzelte ich die Stirn. Eigentlich wollte ich so schnell, wie möglich weiter. Ich hatte keine Zeit für so einen Unfug, doch ich konnte diese Frau auch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen... Oder? Könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn ich die hier einfach stehen lasse?... Sicher kann ich, dachte ich, doch irgendwie schaffte ich es nicht, mich umzudrehen und zu gehen. Einen Moment lang stand ich reglos da und kämpfte mit mir selbst, dann gab ich mir einen Ruck. “Entschuldigung“, sagte ich höflich. “Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“ Als hätte ich sie aus einer Trance geweckt, zuckte die Frau zusammen und schaute sich verwirrt um. “Wo bin ich?!“ Sie schaute an sich herunter. “Oh“, sagte sie schockiert und wurde ganz käsig, dann fiel ihr Blick auf mich. “Wer sind Sie!? Wo bin ich?!“ “Ich bin Oskar Waidmann“, sagte ich. “Freut mich deine Bekanntschaft zu machen... auch wenn es unter komischen Umständen ist. Wie ist dein Name?“ “Erika Mustermann“, stellte sie sich vor. “Wo bin ich?!“ Ich verdrehte die Augen. “Wie heißt du wirklich? Den Namen kaufe ich dir nicht ab.“ “Was geht dich das an!?“, fragte sie bissig. “Ich will nur wissen, wo ich bin!?“ Innerlich seufzte ich. Manchmal ist es verdammt schwer hilfsbereit zu sein! “Du bist im Oberhausener Stadtwald“, sagte ich geduldig. “Was ist mit dir passiert? Du siehst schlimm aus.“ “Das geht dich nichts an!“, sagte sie mit klappernden Zähnen. “Ich will nur raus aus diesem Wald!“ “Ich kann dir den Weg raus zeigen“, schlug ich vor. “So kommst du schneller dahin, wo auch immer du hin willst.“ “Ich gehe doch nicht einfach mit irgendeinem Perversen mit, der hier Nachts im Wald rumrennt“, sagte sie verächtlich. “Ich bin doch nicht blond!“ Meine Geduld war am Ende. “Wunderbar“, sagte ich aufgesetzt freundlich. “Dann hast du ja alles, was du brauchst.“ Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging. Verdammt!, dachte ich. Jetzt muss ich nochmal ewig durch den Wald rennen, um genug Abstand zwischen mich und die Beute... ääähm ich meine natürlich die Frau zu bringen. Ich schüttelte den Kopf. Sie riecht, aber auch nach Mahlzeit! Mein Unbehagen wuchs. Die Krämpfe wurden schlimmer. Meine Haut spannte sich. Plötzlich hörte ich einen dumpfen Aufschlag und spürte Vibrationen im Boden. Ich drehte mich um und sah, dass die Frau mit dem Gesicht voran auf dem Boden lag. Ich seufzte. Na toll! Widerwillig ging ich zurück zu der Frau, die nicht mal die Höflichkeit besessen hatte mir ihren Namen zu verraten. Behutsam drehte ich sie auf den Rücken und hockte mich neben sie. “Hallo!“, sagte ich. “Jemand zu Hause?!“ Keine Reaktion. Ich fühlte ihren Puls, da machte sie die Augen auf. “Finger weg!“, murmelte sie. “Verschwinde einfach!“ “Wenn ich dich hier im Schnee liegen lasse, stirbst du“, informierte ich sie. “Möchtest du sterben? Falls ja, sag es einfach, dann lasse ich dich hier für die Krähen liegen. Ich bin mir sicher, die freuen sich!“ Keine Antwort. “Dachte ich mir doch“, sagte ich. “Erschrick jetzt nicht. Ich gebe dir meinen Mantel.“ Rasch zog ich meinen teuren Wollmantel aus. Im Stillen verdrückte ich mir eine Träne, weil er nun mit Blut ruiniert werden würde.Vorsichtig legte ich der Dame meinen Mantel um. “Okay. Schon besser“, sagte ich. “Ich hebe dich jetzt hoch. Keine Angst.“ Problemlos hob ich sie hoch. “In den Armen oder über die Schulter?“, fragte ich. “Wie ist es dir lieber?“ “Du bist ziemlich aufdringlich!“, nuschelte sie. “Weißt du das?“ Ich lachte. “Du würdest dich wundern.“ Kurzerhand entschied ich sie in den Armen zu tragen. Stoisch lief ich los. Meine Last machte mir nicht allzu sehr zu schaffen. Ich war in guter Form. Einige Zeit herrschte Stille. Leise fielen die Schneeflocken. “Bin ich dir nicht zu schwer?“, fragte sie. Ich grinste. “Keine Sorge. Für mich bist du ein Fliegengewicht. Aber was mich stört ist, dass ich deinen Namen nicht kenne! Wie heißt du?“ Kurze Stille. Sie atmete tief durch. “Violetta Miller.“ “Hallo Violetta“, sagte ich lächelnd. “Ich würde dir ja jetzt die Hand schütteln, aber irgendwie habe ich gerade beide voll. Merk dir das für später! Das holen wir nach.“ “Warum hilfst du mir?!“, fragte sie und musterte mich misstrauisch. “Was versprichst du dir davon?“ Ich zuckte mit den Schultern, was gar nicht so einfach zu bewerkstelligen war, während ich sie trug. “Ich tue gerne so, als wäre ich nett. Karmapunkte und so.“ “>Karmapunkte<?!“, wiederholte sie. “Was versprichst du dir wirklich davon? Mach dir keine Hoffnung, Geld habe ich keins!“ “Du brauchst Hilfe. Ich kann helfen“, sagte ich geduldig. “Das ist doch jetzt keine Quantenphysik oder?“ “So, so“, sagte sie. “Wer´s glaubt!“ Ich verdrehte die Augen. Meine Güte ist die anstrengend! Unauffällig schnüffelte ich an ihr. Jetzt wo sie so nah war konnte ich mit Sicherheit sagen, dass das ganze Blut nicht alleine von ihr stammte. Es war auch eindeutig menschliches Blut dabei. Violettas Blut roch... irgendwie anders, aber ich konnte es beim besten Willen nicht einordnen. Sie war auf keinen Fall hundertprozentig Mensch. Außer dem Blut roch ich nur billiges Shampoo und Duschgel, welches unangenehm in meiner Nase kitzelte. “Ach da fällt mir ein“, sagte ich spontan. “Wohin soll es eigentlich gehen? Willst du, dass ich dich ins Krankenhaus bringe?“ “Nein“, murmelte sie. “Nur raus aus dem Wald. Ab da gehe ich alleine weiter.“ Nachdenklich musterte ich sie. “So kannst du nicht gehen. Deine Verletzungen müssen versorgt werden, du musst unter die Dusche und dir was anderes anziehen. Ansonsten erfrierst du noch.“ “Kein Krankenhaus!“ Ich dachte nach. Sie will in kein Krankenhaus. Bei unsereins ist dies nicht weiter ungewöhnlich. Ich könnte sie zu einem Arzt aus unserer Welt bringen, doch ich weiß nicht, wie viel Violetta über unsere Welt weiß. Und ob sie irgendwelche Feinde hat, die dadurch auf sie aufmerksam werden würde. Ich dachte weiter nach. Genau genommen weiß ich nicht mal, ob sie weiß, das sie kein Mensch ist... Da sie keine Angst vor mir hat, nehme ich an, sie weiß nicht allzu viel. Ich könnte auch einen Menschen-Arzt entführen und dazu zwingen sie zu versorgen, grübelte ich. Anschließend würde ich ihn einfach beseitigen... Neee das wäre dann doch etwas überzogen. Immerhin scheint sie nicht mal ernsthaft verletzt zu sein. Unauffällig linste ich auf sie hinunter. Sie konnte kaum älter als 20 Jahre sein. Ich seufzte. Wo bin ich da nur wieder rein geraten? Dank meiner hervorragenden Nachtsicht kamen wir gut voran. Herumliegende Äste und Löcher im Boden umkurvte ich problemlos. Das Licht des Vollmondes schien plötzlich auf uns herab. Ich konnte einfach nicht widerstehen und schaute hinauf in den Himmel. Ein Beben ging durch meinen Körper. All die Symptome, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte kamen nun wieder, nur um vielfaches stärker. “Ist was?!“, fragte Violetta. Ich unterdrückte ein Knurren. “Alles bestens“, erwiderte ich und riss mich zusammen. Ohne weitere Worte zu verlieren lief ich weiter. Mir war nicht mehr danach zu sprechen. Schweigend schleppte ich meine Last durch den Wald. Nach einiger Zeit hörte ich leises schnarchen. Überrascht schaute ich nach Violetta und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. Unwillkürlich musste ich grinsen. Erst durchkreuzt sie mir meine Pläne, dann schläft sie einfach ein. Naja, gut für sie! Sie sah schon ziemlich fertig aus. Schnellen Schrittes ging ich weiter. Einige ganze Weile verging, dann kamen wir auf den kleinen Schotterparkplatz auf dem ich meinen >Mercedes-Benz GLK< geparkt hatte. Mein Wagen war ein SUV mit Vierradantrieb und Automatikschaltung. Ich hatte mich für das Modell mit dem größeren Kofferraum entschieden für den Fall der Fälle, dass ich mal jemanden ääähm ich meine natürlich etwas sperriges transportieren musste. “Violetta“, sagte ich. “Ich muss dich kurz absetzten, ansonsten komme ich nicht an meine Autoschlüssel.“ Sie schreckte hoch. “Was?!... Oh ja okay.“ Behutsam ließ ich sie herunter. Ihre Beine waren ein wenig wackelig, aber sie stand. Ich holte meinen Autoschlüssel aus meiner Hosentasche und öffnete den Wagen, dann ging ich zum Kofferraum. “Warte noch mit dem Einsteigen“, sagte ich. “Ich gebe dir noch eine Unterlage, damit meine Sitze sauber bleiben.“ Nicht das mir mein Auto am Herzen liegen würde, verstehen Sie mich nicht falsch, mein Wagen ist ein reiner Gebrauchsgegenstand, aber ich möchte trotzdem nicht das Blut fremder Leute auf meinen Sitzen haben. So etwas kann zu unangenehmen Zwischenfällen führen. Aus dem geöffneten Kofferraum nahm ich eine Plastikplane heraus, die ich für besondere Anlässe immer dabei hatte. Geschmeidig ging ich zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und legte die Plane über den Sitz. “Bitte nehmen Sie Platz, junge Dame“, sagte ich höflich. Sie zog die Augenbrauen hoch. “Warum hast du eine Plane im Kofferraum?!“ Du bist nicht die erste Person, die ich blutverschmiert transportiere, dachte ich. Zugegebenermaßen liegen die anderen normalerweise im Kofferraum... Das behalte ich lieber für mich, beschloss ich. “Ist nur ein glücklicher Zufall“, sagte ich stattdessen. “Steig ein.“ Violetta taxierte mich, doch dann zuckte sie nur mit den Schultern und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Erschöpft atmete sie auf, doch im selben Moment inspizierte sie die Rückbank. Sie traute dem Braten definitiv noch nicht. Ich schloss für sie die Tür, ging um den Wagen herum und stieg selbst ein. Violetta blinzelte heftig neben mir. “Hatte ich nicht gesagt, du sollst mich nur aus dem Wald bringen und ab dann würde ich alleine weitermachen?!“ “Ja, das hast du gesagt“, bestätigte ich. “Aber ich habe höflich widersprochen-...“ “Ich kann in kein Krankenhaus!“, stieß sie hervor. “Eigentlich sollte ich nicht mal hier sitzen! Ich bin-...“ Sie stoppte mitten im Satz. “Du bist was?“, fragte ich interessiert. Sie schüttelte den Kopf. “Nicht so wichtig. Ich sollte jetzt gehen!“ “Nein“, widersprach ich ruhig. “Sag mir, wo du wohnst und ich setzte dich dort ab.“ “I-I-Ich ka-kann“, stotterte sie. “Ich kann nicht mehr nach Hause.“ “Warum?“, fragte ich ruhig. “Was ist passiert?“ “Ich kann einfach nicht!“, antwortete sie erstaunlich heftig. “Hör auf zu fragen!“ “Okay. Okay“, sagte ich beschwichtigend. “Reg dich nicht auf.“ Was mache ich jetzt?, überlegte ich. Ich kann sie nicht einfach gehen lassen! Nicht nur für ihr Wohlergehen, sondern auch für die Sicherheit der übernatürlichen Gemeinde. Aufmerksamkeit ist das letzte was wir brauchen. Und eine junge blutverschmierte Frau erzeugt definitiv Aufmerksamkeit. Ich seufzte. Na toll! “Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte ich. “Ich bringe dich zu mir nach Hause, flicke dich zusammen und du kannst meine Dusche benutzen, anschließend kriegst du Kleidung, die halbwegs passt und du erzählst mir was passiert ist. Einverstanden?“ Violetta schwieg. Sie schien über meinen Vorschlag und das damit verbundene Gefahren-Nutzen-Verhältnis nachzudenken. “Wehe du versuchst irgendein krummes Ding!“, sagte sie plötzlich drohend. “Ich bin kein hilfloses Püppchen! Wenn du irgendwas unanständiges versuchst, wird es dir leidtun!“ “Keine Sorge“, sagte ich. “Wenn ich dir etwas böses wollte, hätte ich dich nicht ewig und drei Tage durch den Wald geschleppt.“ Violetta grummelte irgendetwas unfreundliches, dann schwieg sie. Ohne weitere Diskussionen startete ich den Wagen und fuhr los. Eine Zeit lang fuhren wir schweigend durch die Gegend. Unauffällig linste ich zu meiner Beifahrerin hinüber. Sie zitterte von oben bis unten und klapperte mit den Zähnen. In dem Versuch sich zu wärmen wickelte sie sich noch fester in meinem Mantel ein. Ohne etwas zu sagen drehte ich die Heizung meines Wagens voll auf. “Warum hilfst du mir?“, fragte Violetta. Ich zog die Augenbrauen hoch. “Müssen wir das jetzt nochmal durchkauen? Ich helfe dir, weil ich kann.“ “Warum vertraust du mir soweit, dass du mich in dein zu Hause lassen willst?“ “So wie du das sagst, könnte man glatt meinen zu planst mich abzuziehen“, sagte ich amüsiert. “Sollte ich misstrauischer sein?“ “Misstrauen ist nie verkehrt!“, grummelte Violetta und schaute aus dem Fenster. Sie machte den Eindruck, als wäre sie jedem Moment bereit aus dem Fenster zu springen. So sehr stand sie unter Strom. Was ist mit dir passiert?, fragte ich mich. So verhält sich nur ein Mensch, der ein schweres Leben hatte. “Ich vertraue meinen Instinkten“, sagte ich. “Ich glaube nicht, das du mir dem Kopf abschneidest, sobald wir um die nächste Kurve rum sind.“ Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, das Violetta nicht einmal ein wenig darüber schmunzeln konnte. “Perlen vor die Säue“, murmelte ich amüsiert. “Du bist wirklich nicht die unterhaltsamste Gesellschaft.“ “Nicht mein Problem“, sagte sie schnippisch. “Ich will nicht mal hier sein! Selber Schuld, wenn du mich mitnimmst!“ Ich zuckte mit den Schultern, danach sagte keiner mehr ein Wort. Leise pfiff ich ein Liedchen, um mich von dem leuchtenden Mond am Himmel abzulenken. Die Nacht hatte ich definitiv anders verplant, dachte ich. Unsere Pläne bringen Gott zum lachen. Zum Glück waren die Straßen um diese Uhrzeit leer. Uns kam kaum ein Auto entgegen. So erreichten wir unserer Ziel in Rekordzeit. Mein Zuhause war ein zweistöckiges Haus mit großem Grundstück drum herum. Es lag in einer etwas ländlicheren Gegend Oberhausens. Nicht weit weg gab es einige alte Bauernhöfe. Nachdem ich Jahre lang als Nomade umhergezogen war, fand ich es nun, da ich mich entschieden hatte zumindest für längere Zeit in Oberhausen zu bleiben, ganz schön endlich mal ein richtiges Zuhause zu haben. Auch wenn ich zugeben muss, dass es sich ein wenig befremdlich anfühlte nach all den Jahren in denen ich in Hotels und Ferienwohnungen gelebt hatte. “Hier ist es“, sagte ich. “Hier wohne ich.“ Violetta spähte aus dem Fenster. “Hier wohnst du?! Sieht aus wie das Haus der >Addams Family<!“ Ich verzog das Gesicht. Verkniff es mir aber darauf zu reagieren. Ich fuhr die Auffahrt hinauf und parkte vor dem Haus. Höflich stieg ich rasch aus, ging um den Wagen herum und öffnete Violetta die Tür. Sie stieg aus, währenddessen schaute sie sich misstrauisch um, als könnte jeden Moment ein Irrer mit einer Kettensäge aus dem Nichts auftauchen. Ich nahm die Plastikplane vom Beifahrersitz und verstaute sie in einer Tüte im Kofferraum, anschließend schloss ich meinen Wagen ab und schlenderte zur Haustür. Mein misstrauischer Gast überprüfe nach wie vor die Umgebung. “Hier frisst dich schon keiner“, sagte ich, während ich sehr darauf achtete nicht zum Mond zu schauen. “Kommst du jetzt?“ Zögerlich kam Violetta näher. Ich holte meinen Haustürschlüssel raus und öffnete die Tür. “Immer rein in die gute Stube.“ “Du zuerst!“, sagte sie. Innerlich seufzte ich schwer. Mein Gott ist das ne schwere Geburt! Ich nickte und klopfte mir die Schuhe ab, dann trat ich als erster durch die Tür. Zaghaft folgte mir Violetta. Selbstverständlich klopfte sie sich nicht die Schuhe ab und hinterließ eine Dreckspur. Ich schluckte meinen Ärger hinunter. Ich beschloss es von der komischen Seite aus zu sehen. Halb so wild, beruhigte ich mich. Dann mache ich eben morgen sauber. Ich klatschte voller Tatendrang in die Hände. Violetta erschreckte sie. “Entschuldigung“, sagte ich. “Ich wollte dich nicht erschrecken!“ Sie grummelte irgendetwas unfreundliches. Ich kratzte mich am Hinterkopf. “Wo fangen wir jetzt am besten an?... Hmm an besten gehen wir ins Badezimmer, da flicke ich dich zusammen und du kannst duschen. Was hältst du davon?“ Sie nickte. “Okay.“ Ich führte sie aus dem Eingangbereich am Wohnzimmer vorbei und zur Badezimmertür. Zuvorkommend öffnete ich ihr die Tür, doch abermals bestand sie darauf, dass ich als erster eintrat. Seufzend gab ich nach. Mein Haus war ziemlich alt. Als ich es gekauft hatte, waren die Fliesen im Badezimmer irgendwelche altbackenden braunen Blumendinger gewesen. Einfach schrecklich! Nun waren die Bodenfliesen in einem schwarz weißen Zickzackmuster und die Wandfliesen in einem matten schwarz, außerdem hatte ich sowohl eine nagelneue Badewanne, als auch eine Duschkabine einbauen lassen. Ich stellte Violetta einen Hocker hin. “Setzt dich. Ich suche nur eben alles wichtige zusammen.“ Sie nahm platz. Rasch holte ich meinen erste Hilfe Kasten und weitere Ausrüstung. Vorsichtig nahm ich Violetta meinen Mantel von den Schultern und legte ihn beiseite. Sie zitterte nach wie vor am ganzen Körper. Eine Gänsehaut überzog sie. Fachmännisch sondierte ich ihre Verletzungen. Die Schnittwunde am Oberarm musste ich, wie ich bereits vermutet hatte, nähen, ansonsten gab es nur einige kleinere Schnitte und Kratzer, die desinfiziert werden mussten. Für das Hämatom würde ich ihr nur Eis holen. “Okay“, sagte ich, als ich alles begutachtet hatte. “Hast du sonst noch irgendwelche Verletzungen, die ich noch nicht gesehen habe? Hast du irgendwo Schmerzen?“ “Nein“, grummelte sie. “Alles bestens.“ “Gut“, sagte ich. “Nun zum unangenehmen Teil: Den Schnitt am Oberarm muss ich leider nähen. Das könnte ein wenig weh tun. Leider habe ich keine örtliche Betäubung. Soll ich dich doch lieber zu einem richtigen Arzt bringen?“ Sie schluckte schwer. “Nein. Mach einfach.“ “Okay. Dann mal los.“ So behutsam, wie möglich reinigte ich die Wunde, dann machte ich mich daran sie zuzunähen. Bei jedem Stich zuckte Violetta zusammen. Ich glaube ein paar Tränen gesehen zu haben, doch ich war viel zu konzentriert auf meine Aufgabe und sie wischte sie, wie ich vermute, schnell wieder weg. Als ich fertig war, klebte ich noch ein großes Duschpflaster auf, damit sie sich gleich auch vernünftig waschen konnte. “So. Fast geschafft“, sagte ich. “Jetzt muss ich nur noch die anderen Schnitte und Kratzer sauber machen, dann kannst du duschen und ich suche dir Klamotten raus.“ Sie nickte. Ich machte weiter. Kurze Zeit später war ich fertig. Ich legte ihr einige Handtücher raus. “Bitte schön“, sagte ich. “Warte noch einen Augenblick. Ich hole dir noch einen Bademantel.“ Sie nickte wieder nur. Schnellen Schrittes ging ich in mein Schlafzimmer und an meinen Kleiderschrank. Nach kurzem suchen fand ich einen alten weißen plüschigen Bademantel. Ich griff danach, doch der Mantel entglitt mir, weil meine Hände anfingen zu krampfen. Meine Haut spannte sich und brannte. Ich knirschte heftig mit den Zähnen. Ganz ruhig, beschwor ich mich und atmete tief durch. Ganz ruhig. Nicht hier und nicht jetzt! Später ja, aber nicht jetzt. Ich nahm den Mantel und lief zurück ins Badezimmer. Violetta saß immer noch auf dem Hocker und starrte vor sich hin. Ich reichte ihr den Mantel. Sie schaute mich an. Ihre Augen waren grün. “Danke“, nuschelte sie. Ich lächelte. “Kein Problem.“ Rasch verließ ich das Bad, um ihr die nötige Privatsphäre zu geben. Ich ging zurück in mein Schlafzimmer und durchsuchte meine Klamotten nach etwas halbwegs passendem für meinen Gast. Ich kramte und kramte. Irgendwann hielt ich einen schwarzen Pullover und eine schwarze Jogginghose in den Händen. Was besseres habe ich nicht, dachte ich schulterzuckend. Hauptsache sie muss nicht nackt rumlaufen und nicht weiter frieren. Zufrieden mit meinem Fund ging ich zurück zum Badezimmer, wobei ich allerdings ein Anstandsabstand hielt, schließlich wollte ich nicht, wie ein aufdringlicher Perverser wirken. Einige Minuten vergingen. Mein Unwohlsein verschlimmerte sich zusehend. Ich biss die Zähne zusammen und atmete tief durch. In meinem Inneren kämpfte ich um Kontrolle. Kalter Scheiß stand auf meiner Stirn. Die Tür ging auf und Violetta kam raus. Nun sah sie schon etwas besser aus. Nicht mehr ganz so verfroren. Und ohne Blut auf der Haut und Kleidung machte sie direkt einen viel adretteren Eindruck. Ich reichte ihr die Klamotten. “Bitte schön. Was besseres konnte ich nicht finden. Schwarz war doch die Farbe der Wahl oder?“ “Danke“, sagte sie und nahm die Kleidung. Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. Sie hat >Danke< gesagt. Sogar schon das zweite mal kurz hintereinander. Sie wird ja beinah überschwänglich. Und da standen wir nun. Schweigen im Walde. “Ich hole dir noch Eis für dein blaues Auge“, sagte ich. “Möchtest du etwas essen?“ “Ja gerne“, sagte sie und lächelte mich an. Erstaunt schaute ich sie an. Wo ist die wortkarge bissige Frau hin, die ich blutverschmiert im Wald aufgelesen habe? Konnte eine einzige Dusche einen Menschen so sehr verändern? “Was möchtest du denn essen?“, fragte ich. Sie überlegte kurz. “Spiegeleier wären super!“ Verdutzt drehte ich mich um und lief in Richtung Küche. “Okay. Spiegeleier. Kommen sofort!“ Schnellen Schritte kam ich in der Küche an. Schnurstracks stellte ich mich vor die Spüle, drehte das Wasser auf und schaufelte mir händeweise kaltes erfrischendes Wasser ins Gesicht. Lange kann ich es nicht mehr aufhalten, dachte ich. Am besten rufe ich ihr ein Taxi und gebe ihr Geld für ein Hotelzimmer. Angespannt richtete ich mich auf, trocknete mein Gesicht ab und ging in Richtung Bad. “Tut mir Leid, Violetta“, begann ich. “Ich habe noch etwas zu erledigen. Wie wäre es, wenn ich dir ein Taxi ru-...“ Ich stockte. Sie war weg. Irritiert lauschte ich. Sie war nicht zu hören. Ich schnupperte in der Luft. Verwundert folgte ich ihrer Spur bis zur Haustür und sah das die Tür sperrangelweit offen stand. Ich trat hinaus ins Freie. Violetta war nirgends zu sehen und zu hören. Ich schnüffelte in der Luft. Sie war hier gewesen. Ich folgte dem Geruch noch einige Meter, bis er schlagartig verschwand. Verwirrt schaute ich mich um. Wie ist das möglich?! Ich atmete tief durch. Keine Spur. Was für eine Nacht! Und das ausgerechnet bei Vollmond! Wie komme ich nur darauf eine fremde Frau im Wald aufzulesen und mit nach Hause zu nehmen!? Ich hätte einfach weiter gehen sollen! Idiot! Rasch ging ich zurück ins Haus und schloss die Tür ab. Meine Gedanken rasten. Kurzerhand ging ich in die Küche und holte aus dem Kühlschrank ein paar 400 Gramm Steaks. Damit ausgerüstet eilte ich zur Kellertreppe. Um zurück in den Wald zu gehen bleibt keine Zeit!, dachte ich. Und draußen kann ich es auch nicht machen. Das letzte was ich brauche ist, dass meine Nachbarn mich sehen oder ich die Nachbars Katzen fresse! Zügig lief ich die Treppe hinunter und riss die Kellertür auf. In meinem Keller stand ein wenig Gerümpel herum, ansonsten war es nur ungenutzter Raum. Ich seufzte. Mit Sicherheit nicht so schön, wie der Wald, aber wenigstens finde ich dann morgen nicht wieder, so wie sonst, Blätter in meiner Arschritze. Hinter mir schloss ich die Tür, dann packte ich die Steaks aus und warf sie auf den Boden. Die Krämpfe wurden nun so schlimm, dass ich kaum noch stehen konnte. Eilig zog ich meine Kleidung aus. Sie würde nur im Weg sein. Knochen knackten und verschoben sich. Ich fiel auf alle Viere. Haut platze auf und verschloss sich wieder. Haare sprießten überall an meinem Körper. Der Vorgang dauerte nur ca. 20 Sekunden, doch es fühlte sich, wie eine Ewigkeit an. Doch dann war es vollbracht. Kraftvoll richtete ich mich auf und stieß ein markerschütterndes Heulen aus...

Begegnung bei Vollmond

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